Andreas Hofers Bauernverfassung


von Rudolf Granichstaedten-Czerva

In einer Zeit, wo Verfassungsfragen auf der Tagesordnung stehen, wo staatsrechtliche Begriffe, wie Demokratie, Diktatur, Autonomie, Förderalismus und Zentralismus die Geister beschäftigen und auch beim Volke Interesse finden, interessiert es uns, welche Art der Verfassung eigentlich der Bauern-Regent Andreas Hofer, den wir staatsrechtlich als „Landesverweser" bezeichnen, da er ohne solenne Autorisierung des Landesfürsten Regierungsgeschäfte führte, dem von ihm regierten Volke gegeben hat.

Durch den Preßburger Frieden (26. Dezember 1805) kam Tirol an Bauern. Obwohl im Artikel VIII des Friedenstraktates den Tirolern ausdrücklich die alte, seit 1363 geltende, landständische Verfassung gewährleistet worden war, wurde sie am 16. Mai 1808 von der neuen Regierung aufgehoben. Darin erblicken die Historiker auch einen Bruch der von Bayern mit kgl. Patent vom 14. Jänner 1806 geleisteten Verfassungsgarantie und einen Hauptgrund für den nun folgenden Aufstand Tirols. Dieser wurde offiziell eingeleitet durch das berühmte, etwas voreilig von Österreich ausgegebene Besitzergreifungs- und Organisations-Patent, dedato Villach, 8. April 1809, wobei die alte ständische Tiroler Verfassung wiederhergestellt wurde durch die Worte (Art. XII) -. „Die getreuen vier Stände Tirols sind in ihrer ganzen vormaligen, der Erwerbungsurkunde von 1363 gemäßen repräsentativen Form, somit ausdrücklich und feierlich wiederhergestellt." Förmlich als Entschuldigung für die noch nicht beabsichtigte Einberufung eines offenen Landtages, wie er vor 1790 bestand, heißt es dann weiter (Art. XIII): „Die Proklamation dieser feierlichen Wiederherstellung gehört zwar verfassungsmäßig auf den offenen Landtag, allein es liegt wohl am Tage, dass in diesem Drang der Umstände ... der offene Landtag auf die erste etwas ruhige Zeit zu verschieben wäre, daher (Art. XIV) auf den 1. Mai 1809 ein Kongress „im engeren Ausschuss" nach Brixen ausgeschrieben wird, welcher „konstitutionsmäßig" aus 24 Stimmführern zu bestehen hat." Die Deputierten wurden (Art. XV) wegen „Gefahr im Verzuge" ohne die sonst übliche Wahl, mit feierlicher Verwahrung der der getreuen Landschaft diesfalls zustehenden Rechte diesmal ernannt (folgt Liste der Deputierten). Zum Landeshauptmann (Landeshauptmannschafts-Verwalter) wurde Ignaz Graf von Tannenberg, zum landesfürstlichen Kommissär Josef Freiherr von Hormayr ernannt. Auf diesem Patent, das durch das Patent dedato Udine, 13. April 1809 nur unwesentlich revidiert wurde, fußt die ganze nun kommende Bauern-Verfassung des Jahres Neun.

Wir müssen hiebei vier Perioden unterscheiden: Die Zeit vom 15. April bis 15. Mai, vom 2. Juni bis 30. Juli, vom 14. August bis 29. September und vom 29. September bis 21. Oktober 1809. An der Verfassung der ersten zwei Perioden hatte Andreas Hofer noch keinen Anteil. Es trat eine Art Militär-Diktatur unter dem österreichischen General Marquis Gabriel Chasteler ein, der sich, unter Verzicht auf die Einberufung des für 1. Mai projektierten „Kongresses", einfach durch Ernennung ständische Schutzdeputationen an die Seite stellte. Die Gesamtheit dieser Schutzdeputationen sollte in einer „Zentraldeputation" (Brixen) vereinigt sein, der mehrere Filialdeputationen für die drei Kreise (Inn-, Eisack- und Etsch-Kreis) angegliedert wurden. Bei der Auswahl der Schutzdeputierten wurden von jedem der vier Stände (Adel, Klerus, Bürger, Bauern) Mitglieder ernannt. In der Form dieser Schutzdeputationen, die vor allem das verfassungsmäßige Landesverteidigungswesen zu organisieren hatten, können wir nur schwache Anklänge an die alte landständische Verfassung erblicken. Es wurde die Militärgewalt Chastelers zwar am 2. Mai durch die Regierung des zum kaiserlichen Zivil-Intendanten bestellten Josef von Hormayr abgelöst, aber von einem Landtag war nie die Rede, der Intendant halte vielmehr alle Fäden der Landesverwaltung allein in der Hand. Die Niederlage Chastelers bei Wörgl (13. Mai) und der Brand von Schwaz (15. Mai) beendete am 15. Mai die Intendantschaft Hormayrs für diese Periode und die Deputationen verloren nach einmonatlichem Wirken ihr Regime.

Nach der zweiten Berg-Isel-Schlacht zog Hormayr als oberster Zivil-Kommissär am 2. Juni in Innsbruck ein und stellte die Schutzdeputationen wieder her, doch war von einer Ständeverfassung keine Rede. Die mit Patent vom 4. Juni 1809 ernannten Distrikts-Oberkommandanten und Defensionskommissäre waren eigentlich militärische Organe. Mit dem Einzug Lefebvres am 30. Juli ist auch diese verfassungsrechtlich uninteressante Periode geschlossen.

Der Sieg in der dritten Berg-Isel-Schlacht (13. August 1809) brachte die Regierung des Landes ganz in die Hände der Bauern. Daher beginnt nun die für uns interessanteste Epoche. Welche Verfassung, auf sich selbst angewiesen, haben sich die Tiroler Bauern gegeben? Es ist begreiflich, dass sie sich zunächst nach einem „G'studierten" umsahen, der ihnen ihre Wünsche in Gesetzesform kleidete. Sie fanden den Gesuchten in dem jungen Josef von Giovanelli und dem Kreisrat Josef von Röggla. Das Patent vom 23. August 1809 schuf eine provisorische Generaladministration als oberste Stelle, etwa vergleichbar unserer heutigen Landesregierung, daneben drei Generalkreiskommissariate für den Inn-, Eisack- und Etschkreis: den Beratungen dieser Generallandesadministration wurden jeweils drei „Auskultanten" beigezogen, die nur angehört wurden, ohne ein Stimmrecht zu besitzen (Assessoren). Nach Art der früher bestandenen Kreisämter (Bezirkshauptmannschaften) organisierte man die Kreiskommissariate, die der Generaladministration unterstellt waren. Daneben wurden die beiden Appellationsgerichte (Innsbruck und Trient), die drei Finanzdirektionen (Kameraloberämter) und die unteren Gerichts- und Kameralinstanzen wiederhergestellt.

Um aber auch dem Volk die ihm seit 1808 entzogene Teilnahme an der Regierung wiederzugeben, wurde ein großer „Ausschuss" (eine Art Landtag) projektiert. Daneben hatten die „Gerichte" (politischen Bezirke Ausschüsse zu wählen, die zu gemeinsamen Konferenzen zusammenzutreten hatten. Die „Gerichte" bestanden aus Gemeinden: von solchen „Gerichtskonferenzen" hören wir im Stubai, Innsbruck-Sonnenburg, Passeier, Pustertal, Bozen usw. Diese Gerichtskonferenzen waren also eine Art „Bezirkslandtage".

Am 29. September 1809 erschien ein neues Organisations-Patent. Die Häufung der Geschäfte und der Wunsch, das Volk an der Verwaltung der öffentlichen Landesangelegenheiten größeren Anteil nehmen zu lassen, führte zu einer genaueren Regelung des Geschäftsganges bei der Generaladministration. Diese bestand nunmehr aus sechs Referenten, und zwar drei für bestimmte Ressorts (Justiz, Finanz, Unterricht) und drei als Vertreter der drei Kreiskommissariate. Bei Beschlussfassungen wurden zu diesen sechs Referenten noch weiters sechs Personen als „Votanten" (Stimmführer) zugezogen, und zwar je zwei von den drei Kreisen. Diese letzteren von Andreas Hofer ernannten sechs Votanten bildeten die Tiroler National-Repräsentation. Sie ähnelt in ihrer Zusammensetzung etwa unserem heutigen Bundesrat.

Diese Bauern-Versammlung war aber nicht rein demokratisch, denn es fehlte ihr das wichtigste Moment, die freie Wahl. Alle Funktionäre wurden durch Andreas Hofer mittels Dekretes ernannt. Auch Hofer entschuldigte dieses Vorgehen damit, dass er wegen der Länge der Zeit, die solche Wahlhandlungen erfordern, eine Wahl nicht vornehmen lassen könne, dass er aber bei der Ernennung der Regierungsmitglieder die Wünsche der „Nation" berücksichtigt habe, was auch tatsächlich geschah, da Hofer die Ernennungen nicht selbstherrlich vornahm, sondern nach Beratung mit seinen bäuerlichen „Geheimräten" und Beamten.

Andreas Hofer war zwar, wie der Monarch in einer konstitutionellen Monarchie, an die Beschlüsse der Volksrepräsentation (eine Art Parlament) gebunden, doch war er insoferne selbst Mitglied dieser Körperschaft, als er das Kriegs-Portefeuille (Oberster Kriegsherr) innehatte und das Recht besaß, selbst oder durch einen Vertreter, mit Stimmrecht, den Beratungen und Sitzungen der Generaladministration beizuwohnen.

Wenn die späteren Machthaber (1810 — 1814) diese Generaladministration Andreas Hofers gar als „Revolutions-Tribunal" (nach französischem Muster 1793) und deren Mitglieder als Staatsverbrecher bezeichneten, so war dies nur der Ausdruck des blinden Hasses gegen die Tiroler Bauernhelden. Tatsächlich hat sich ja die General-Landes-Administration nur darauf beschränkt, die im Lande eingerissene Anarchie zu beseitigen, wobei außer mehreren Erlässen polizeilicher und staatsfinanzieller Natur keine neuen Gesetze geschaffen wurden.

Allerdings bestand ein Unterschied zwischen der Machtvollkommenheit der Generaladministration, die im Namen des Landes handelte, und der Person Andreas Hofer, der seine Verordnungen im Namen des Kaisers, beziehungsweise als k. k. Oberkommandant erließ.

Die ganze Hofer'sche Bauernverfassung war nur als eine provisorische gedacht, provisorisch bis zu dem Zeitpunkte, wo der Landesfürst die auf das Tiroler Volk, das sich ja seit Mitte 1809 selbst überlassen blieb, übergangenen landesfürstlichen Rechte diesem wieder abnahm. Die Verfassung des Jahres 1809 war also keine vollkommene Wiederherstellung der alten, landständischen Verfassung (vor 1805), wie sie früher in den offenen Landtagen ihren Ausdruck fand.

Mit dem Anrücken der Bayern in der zweiten Hälfte Oktober und der Entfernung Andreas Hofers aus Innsbruck, am 21. Oktober 1809, hatte die Bauern-Verfassung ihr Ende gefunden, den von Hofer eingesetzten Behörden war der Wirkungskreis entzogen, die General-Landes-Administration hielt am 21. Oktober 1809 ihre letzte Sitzung ab.



Quelle: Granichstaedten-Czerva Rudolf, Andreas Hofers alte Garde, Innsbruck 1932, S. 25 - 28.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.