Passeier und Andreas Hofer


von Ignaz Vinzenz Zingerle, 1878

Haben wir dm Fluss überschritten, so kommen wir zur gefürchteten Kellerlahn, die jährlich Erd- und Steinmassen in das Tal rollt und die Ebene verheert. Sie entstand im Jahre 1678 in Folge zu weitgetriebener Waldschwendung. Ober dieser gefürchteten Mure lacht die Alm hernieder, auf der sich Andreas Hofer verborgen hielt.

Bald breitet sich am rechten Passerufer das stattliche Pfarrdorf St. Martin aus. Das Tal weitet sich uns und am linken Ufer erreicht man in einer Viertelstunde das Wirtshaus am Sand, ein einfaches Hans mit weit vorspringendem Giebeldache und breitem Holzsöller, geschmückt mit einigen Scheiben und einem Schilde, der die Krone trägt. Als ich im letzten Sommer diese ehrwürdige Stätte betrat, saß die junge hübsche Wirtin mit einem bildschönen Kinde auf dem Söller, bewillkommte mich freundlichst, führte mich durch die Kammern und zeigte mir, die Erinnerungsstücke und die Kleider des Andreas Hofer. Auch das „Gedenkbuch" ward vorgelegt. Ich durchsah die kurze Schilderung von des Sandwirts Leben und Taten und las wieder die Worte, welche Erzherzog Johann am 30. Jänner 1825 dazu gesetzt: „Vorstehende Schilderung ist die beste, welche über diesen treuen, edlen voll Einfalt, Redlichkeit und seltener Uneigennützigkeit gemacht wurde. Er war der, welcher sein biederes Land schön vertrat - er war der Blutzeuge von Tirol." Ja, Hofer war die treuste, edelste, für sein Land begeisterte Seele, ohne Falsch und Eigennutz, und deshalb fiel ihm das unbedingte Vertrauen des Volkes zu, in ihm sah es zur Zeit der Erhebung seine Stütze und Hoffnung, seinen Führer und Retter. Und längst, nachdem der Edle in Mantua sein Leben verloren, glaubte das Volk, dass Hofer nicht erschossen, sondern nur entrückt worden sei, zur Stunde der Gefahr erscheinen werde, um sein Land vor den Wälschen zu schützen.

Andreas Hofers Haus, Richard Püttner
Andreas Hofers Haus, Richard Püttner

Andreas Hofer war am 22. November 1767 in diesem Hause geboren und erzogen. Hier sog er in seiner Jugend die Liebe zum Kaiser und zum Vaterlande ein. Später trat er selbst die Wirtschaft an und trieb Getreide und Pferdehandel, wodurch er mit vielen Menschen nah und ferne in engen Verkehr kam. Seine Biederkeit und Ehrlichkeit, sein gutmütiges, heiteres Wesen gewannen ihm viele Freunde. Als nach dem Pressburger Frieden, 26. Dezember 1805, Tirol an Bayern gefallen war und in der Folge die bayerische Regierung dem Lande seine alte Verfassung nahm und das Volk in seinen heiligsten Gefühlen verletzte, stieg die Missstimmung höher und höher. Sie ward dadurch noch gesteigert, dass Bayern mit dem verhassten Frankreich im engsten Bunde war. Die Gärung wuchs mehr und mehr, und als es zur Erhebung 1809 kam, ward Hofer, der Mann allseitigsten Vertrauens, bald Oberkommandant von Tirol. Als solcher führte er sein Volk zu Siegen und Ehren, das Land wurde befreit. Aber bald wandte sich das Blatt, denn Tirol ward im Wiener Frieden preisgegeben und die Feinde nahten sich von allen Seiten. Als jede Hoffnung der Rettung des Landes gesunken, verbarg sich Hofer vor seinen Feinden auf Brantach ob der Kellerlahn, ward aber von Josef Raffl verraten, am 28. Jänner 1819 von den Franzosen gefangen und am 20. Februar zu Mantua erschossen. Mit der größten Seelenruhe schied der makellose Führer des Tiroler Volkes von der „schnöden" Welt. „Größer als je im Leben war der treue Hofer im Tode" und das Gedächtnis des edlen Helden lebt verklärt in seinem Volke und im deutschen Liede fort. –

Auch die bildende Kunst verherrlichte den Heldenkampf der Tiroler, so Koch in seinem „Landsturme", Schnorr in seiner „Schlacht auf dem Sterzinger Moose", Gabl in seinem „Haspingcr". Am glücklichsten stellte aber unser berühmter Defregger Szenen aus dem Jahre Neun dar. Wer kennt nicht die Bilder: „Speckbacher und sein Söhnlein", „das letzte Aufgebot" und „die Heimkehr"! Diese geben uns das vollste Volksleben jener tief erregten Zeit in ergreifender Wahrheit. Auf dem einen sehen wir, wie zur Zeit der höchsten Not die Greise zum Kampfe ausziehen, nachdem die Jünglinge und Männer längst schon in das Feld gezogen. Zum Äußersten entschlossen, ernst und todesmutig schreiten die Alten daher, als ob sie in das Grab steigen wollten. Gewitterschwüle Ruhe liegt über dem Bilde. — Den fröhlichsten Gegensatz bietet die „Heimkehr". Der Sieg ist errungen und überschäumend vor Freude zieht die Blüte der wehrhaften Mannschaft mit ihrer errungenen Kanone, mit erbeuteten Adlern und mit den Gefangenen ins heimatliche Dorf ein. Welch rauschendes Leben, welch unbeschreiblicher Jubel klingt aus diesem Bilde entgegen!

Nach Besichtigung des schlichten Hauses nahm ich auf dem Söller Platz, um bei einem Glase Rotwein mich zu erquicken.

„Mit Verlaub, sind Sie nicht der Herr Dr....?" fragte die jugendliche Wirtin.

„Ja wohl. Kennen Sie mich?"

Andreas Hofer, Franz Defregger
Andreas Hofer, Franz Defregger

„Ja, ich habe Sie oft gesehen, aber es ist vielleicht schon zwölf Jahre her, und ich war noch ein aber jetzt habe ich mir gleich gedacht, dass Sie es seien."

Die freundliche Gebieterin des Sandhofes ist eine Tochter des alten Brühwirtes in St. Leonhart, der Anno Neun bei dem Sandwirte Läufer gewesen. Wie oft, wenn ich von dem Jaufen nieder gestiegen, kehrte ich ein in den gastlichen Räumen des renommierten Brühwirtshauses, und Holzknecht, ein naher Verwandter und Patenkind des Andreas Hofer, erzählte von den Kriegsjahren, vom Sandwirte, und berichtete Ernstes und Heiteres aus dem Tale.

Neben dem Hofe steht ein unansehnliches aber vielbesuchtes Kirchlein. Wandern wir talein, so zeigt sich das beträchtliche Dorf St. Leonhart; die größte Gemeinde des Tales, und darüber ragt die stolze, sagenreiche Ruine der Jaufenburg. An den fruchtbaren Bergen ziehen sich Felder und Wälder hinan und zahlreiche Einödhöfe beleben die Höhen. In der Tiefe ragen üppige Nussbäume, und mächtige Kastanienbäume schmücken den Fuß der Gebirge. Das Dorf, vom Wanserbache durchrauscht, war reich an Verkehr, als der Kuntersweg noch nicht gebaut war und Handel und Wandel über den Jaufen ging. Noch am Beginne dieses Jahrhunderts war der Saumpfad nach Sterzing sehr belebt, nun zerfällt er mehr und mehr.

St. Leonhart hat an der Mündung zweier Täler eine sehr glückliche Lage und bildet deshalb den Hauptort des Tales. Ein interessantes Bild bietet es an einem Sonntage, wenn die Bauern sich zahlreich zusammenfinden, hochstämmige Männer und schlanke, blondgelockte „Buben" in ihrer kleidsamen Tracht. Ihr Erwerb ist außer dem kargen Ertrage ihrer Güter Viehzucht und Viehhandel. Hat der Sohn sechzehn Jahre erreicht, so gibt ihm der Vater einhundert oder zweihundert Gulden, um selbst einen Handel beginnen zu können. Der Bursche wandert nach Ungarn oder in die „Bukowina", wo die Böcke „daheim sind", und fängt einen Handel mit Kleinvieh an, das er aus fernen Gegenden nach Meran treibt. Wie mir alte Bauern erzählten, ist dieser Erwerbszweig uralt, und schon ihre Urahnen („Urguggnähnen") hatten in der „Bukowina" Bekannte und Freunde gehabt. Einige bringen es durch diesen Handel zu erfreulichem Wohlstande, im Ganzen aber ist das Volk arm, lebt kümmerlich — und viele können kaum ihren Hunger stillen. Was Wunder, wenn vor einigen Jahren ein Passeirer den Wunsch tat, er möchte eine Wurst, die von Schönau nach Meran reicht — also vierzehn Stunden lang ist — haben. Wenn er um Weihnachten bei Schönau zu essen begänne, würde er um Jakobi (25. Juli) schon im Dorfe St. Martin daran „grasen". Dieser Wunsch zeugt von der Phantasie des Passeirers, der Sagen und Märchen liebt und an „saftigen Anekdoten" seine Freude hat. Beinahe jeder Hof und jede Alm hat hier eigene schöne Sagen. Am reichsten verklärt von der Volkspoesie ist die weitläufige Jaufenburg, das Stammschloss der Herren von Passeier, die im Jahre 1383 in den Besitz der Herren Fuchs von Fuchsberg kam, die fast vierhundert Jahre sie zu Lehen hatten. Von ihren Fenstern sieht man durchs Tal hinaus nach dem Schlosse Löwenberg bei Meran, das ebenfalls Eigentum der Fuchse war, und noch erzählt das Volk, dass mit dem Sprachrohre von der einen Burg mit der andern verkehrt wurde.

Von der Jaufenburg steigt man das Waltener Tal entlang zum Jaufen empor, dessen Höhe man in drei starken Stunden erreicht, und von dort in der gleichen Zeit nach Sterzing im Eisacktal nieder.

Reizender als dieser Weg ist ein Gang in das Hinterpasseier, das sich nordwestlich bis an den Fuß des Timbel hinzieht. Alle Wunder wildromantischer Bergnatur: steil ansteigende Felsmauern, tiefe dunkelnde Talschluchten, jäh abfallende Kaskaden und ein wasserreicher Bergbach, der schäumend, brandend und tosend über mächtige Felsblöcke rast oder durch enge Schluchten zischend sich zwingt, rollende Lawinen und drohende Muhren findet der Wanderer in diesem wälderreichen Hochtal. Früher schmückte auch ein klarer Bergsee die Gegend bei Rabenstein, wurde aber 1774 zum Schaden des Tales, das der stürmische Abfluss verheerte, trocken gelegt. Von Rabenstein führt ein Pfad nach dem wieder aufblühenden Bergwerke Schneeberg und von dort in das sehenswerte Tal Ridnaun und nach Sterzing. Die meisten Besucher unseres Tales besteigen aber von Schönau aus das Timmelsjoch und wandern dann durch das berühmte Ötztal nach Silz im Inntal.



Quelle: Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg, geschildert von Ludwig von Hörmann, Herman von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle. Illustriert von Franz Defregger u.a., Stuttgart 1878, S. 97 - 100.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.