Nach anno Neune. (Söll)


Von Theres Baur, Kundl.

Als nach anno Neune noch bayerisches Militär im Lande war, ging eines Tages im schmucken Dorfe Söll im Leukental ein bayerischer Soldat allein (sonst gingen aus Furcht vor der Bevölkerung immer ihrer zwei) ohne Gewehr vom Dorfe weg über die Felder gegen das Bauerngut Pirchmoos hin spazieren. Da begegneten ihm drei Bauernburschen von Söll, der Klammerbauernsohn, der Rückstegersohn Simon und der Kollerbauernsohn Hans. (Heute sind auf diesen Gütern andere Besitzer.) Als diese des Soldaten ansichtig wurden, überfielen sie den allein des Weges kommenden Mann, misshandelten ihn schwer und wollten ihn töten. Der arme Mann bat und flehte, man möge ihn doch seines armen, alten Mütterleins willen leben lassen, die so mit Sehnsucht auf ihn warte. Er könne nichts dafür, dass er als Soldat in Tirol hin in Söll sein müsse, der militärische Zwang führte ihn da her. Einer der drei Burschen, Koller Hans, erbarmte sich des Soldaten, er tat an den Misshandlungen nicht mehr mit und wollte seine zwei Kameraden bewegen, von dem Manne abzulassen. Da dies sein Zureden nichts fruchtete, verließ er die beiden. Halbtot ließen die zwei den Mann liegen, oder vielmehr in der Meinung, dass er bereits tot sei. Der arme Mensch verkroch sich dann in einen naheliegenden Heustadl, wo er den erlittenen Misshandlungen erlag. Es wurde die Sache ruchbar und so wurden die drei Übeltäter nach Kufstein ins Gefängnis abgeführt. Koller Hans wurde bald auf freien Fuß gesetzt, da sich seine Unschuld herausstellte. Als nach mehr als einem Jahre Haft die zwei anderen frei wurden, sannen sie gegen ihren Kameraden auf Rache, da sie der Meinung waren, dass er sie als Übeltäter angegeben habe. Als sie in Erfahrung gebracht, dass Koller Hans auf der Hartkaseralpe als Putzer beschäftigt sei, war die Zeit gekommen, wo sie ihren Rachedurst stillen konnten. Auf Umwegen, von niemand gesehen, langten sie auf der Alpe an und spürten den Ahnungslosen auf. Koller Hans ging ein Stück von der Alphütte weg in einen abgelegenen Graben, um Holz zu fällen. Da schlichen ihm die zwei nach, fanden ihn bei der Arbeit, überfielen ihn, zogen ihn nackt („mutternacket" nach dem Volksmunde gesprochen) aus, öffneten ihm die Adern, banden ihn an den Stauden fest und überließen ihn dem sicheren Tode. Als Koller auf der Alm längere Zeit nicht gesehen wurde, glaubte man anfänglich, er sei zu seiner Mutter nach Ellmau, die sich dort aufhielt, da er auch sonst des Öfteren an Sonnabenden zu ihr auf Besuch ging. Das lange Ausbleiben führte zur Nachfrage. Da man jedoch nirgends etwas von ihm erfahren konnte, ging man auf die Suche und fand den Armen in geschildertem Zustande tot auf. Jedoch wusste niemand, wer diese ruchlose Tat vollbracht. Nach langen Jahren ereilte den Rücksteger Simon die rächende Hand Gottes. Zu Weihnachten, am Stephanitage, stürzte er auf der Jagd vom hohen Pölven ab. Obwohl lange seine Hilferufe gehört wurden, konnte er erst gefunden werden, als er schon tot war. So musste er in schauriger Verlassenheit sterben, wie er einst seinem Kameraden das gleiche Los bereitet hatte. Es mag manchen gewundert haben, als man den Rücksteger zu Grabe trug, dass der Klammer so gedrückt und still hinter der Bahre einherschritt. Nach Jahrzehnten bekam der Klammer eine schreckliche, ekelerregende Krankheit. Der ganze Körper wurde eine Wunde und verfaulte buchstäblich bei lebendigem Leibe. Es war ein derartiger Gestank, dass es in seiner Nähe niemand auszuhalten vermochte. Nur sein greises Mütterlein pflegte ihn in nimmermüder, hingebungsvoller Liebe. Der damalige Pfarrer, ein silberhaariger Greis, besuchte den Kranken öfters und schließlich eröffnete er seinem Seelsorger sein von Ängsten und Zweifeln gepeinigtes Herz und erzählte dann vor zwei Zeugen den Hergang der schrecklichen Tat. An Stelle des Heustadls wurde zur Sühne eine Kapelle erbaut, die im Jahre 1898 erneuert und als Lourdeskapelle geweiht wurde und das Ziel mancher trostbedürftigen Seele geworden ist.

Das Marterl des Rücksteger war hinter dem Rückstegerhaus am Wege an einem Baume. Es war ziemlich verwittert, aber noch zu entziffern und man konnte noch die Umrisse des Pölven sehen und wie ein Mann in die Tiefe stürzt. Damals wusste ich von diesen Geschehnissen noch nichts und habe mir deshalb die Namen und das weitere nicht gemerkt; später war es nicht mehr recht leserlich und als ich vor zwei Jahren, 1927, einmal des Weges ging, waren Baum und Marterl verschwunden. Leider!



Quelle: Theres Baur, Nach anno Neune, in: Tiroler Heimatblätter, Monatshefte für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 7. Jahrgang, Heft 13, März 1929, S. 102 - 103.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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