3. Hofer als Persönlichkeit


Das Leben Hofers ballte sich gleichsam in einem einzigen Jahr zusammen. Bevor wir diesen Höhepunkt schildern, führen wir uns den Mann vor Augen, sein äußeres Bild, sein Inneres! Paulin, der ausgezeichnete Biograph des Sandwirts, beschreibt ihn so: „Hofers stattliche äußere Erscheinung kam seiner Wirkung ebenso zustatten wie seine lautere, grundehrliche Gesinnung und sein treuherziges Gemüt. Eine zeitgenössische Feder beschreibt Gestalt und Wesen des Sandwirtes: „Hofer war ein .schöner Mann, nur wenig über die gewöhnliche mittlere Länge hinaus, im besten Ebenmaß zu seinen Formen, die breiter ausgingen als es sonst im Passeier der Fall ist, mit mächtigen Schultern auf festen Knochen, gewölbter Brust und starken Waden. 1) Er hatte ein volles, rundes, gesund gerötetes Gesicht, eine breite, kurze Nase, lebhafte braune Augen und dunkle Haare. Seine Hauptzierde war ein mächtiger, glänzend schwarzer Bart, der, die Wangen freilassend, bis auf die Brust reichte." Der Sandwirt kleidete sich in malerische Volkstracht mit einigem Abweichen von den Gewohnheiten seines Heimattales. Eine grüne Jacke — die Passeirer tragen sonst braune Joppen —, ein roter Brustfleck, ein schwarzlederner Bauchgurt mit Pfauenfederkielen, bestickt mit den Anfangsbuchstaben seines Namens (A. H.), schaflederne schwarze Kniehosen, blaue Strümpfe und weit ausgeschnittene Schuhe, ein schwarzer Seidenflor um den Hemdkragen und ein mächtiger breitkrämpiger Hut, auf der einen Seite aufgestülpt und mit einem Muttergottesbildnis sowie mit Blumen und Wildfedern geschmückt, bildeten im reiferen Alter seine Kleidung.

1) In der Gedächtnisausstellung über Tirol 1809, die im Jahre 1959 im Museum Ferdinandeum in Innsbruck gezeigt wurde, sah man auch die einzigen noch erhalten gebliebenen Kleider Hofers. Nach diesen Kleidern zu schließen, war der Körper Hofers wirklich relativ stark und breit. Der Mann muss eine große körperliche Kraft in sich gehabt haben. Diese Kleider sind auch in Farbphotographie im Buch von Karl Paulin, Tirols Kampf um Freiheit und Recht, Bozen 1959, abgebildet.

Diese seine Tracht war und blieb ein wesentlicher Bestandteil von Hofers Erscheinung; im Gegensatz zu anderen Bauernführern vertauschte er sie weder als Kommandant noch als Landesoberhaupt mit einer militärischen oder amtlichen Uniform. Als einziges Zeichen seiner Würde trug er den ihm von Chasteler geschenkten Säbel." Soweit also Paulin.

Heinrich Natter zeigt ihn so, vielleicht etwas zu energisch gehalten, in seinem berühmten Denkmal auf dem Bergisel bei Innsbruck.

Sein Charakterbild ist nicht leicht zu umreißen. Einer Unterschätzung etwa durch Hormayr und natürlich besonders durch die feindlichen bayerischen Geschichtsschreiber — vom späteren so feinen Schilderer Karl Theodor v. Heigel abgesehen, — folgte eine große Überschätzung und übertriebene Verherrlichung. Voltelini mußte dieses Urteil wieder auf das richtige Maß zurückführen. Er hat es in eindrucksvoller Weise getan, vielleicht wieder ein wenig zu kritisch. Folgen wir wieder den Worten Paulins: „Bei den Tiroler Bauern vermochte sich nur einer aus ihrer Mitte, ein Mann des Volkes, wie Andre Hofer es war, Zutrauen, Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Selbst ein Sohn des kernigen Passeirerschlages, mitten unter seinen Landsleuten aufgewachsen, kannte Hofer von Natur aus Art und Wesen seiner Tiroler, wusste mit ihnen umzugehen, fühlte und redete wie sie und hing, wie die Besten aus ihnen, an der Heimat, dem Glauben und den Sitten der Väter sowie an dem angestammten Herrscherhaus mit der zähen Treue einfacher Naturen. Getragen von dem allgemeinen Vertrauen und Ansehen, stieg der schlichte Bauernwirt wie von selbst, ohne eigenes, bewusstes Zutun, zur höchsten Stufe, er wurde durch die Macht seiner Persönlichkeit der Führer seines Volkes im Kampf um die Freiheit Tirols.

Trotz dem tüchtigen Kern seiner männlichen Gestalt hatte Hofers Charakter doch eine besondere, den Passeirern eigene Weichheit und Zartheit, die sich in den kleinsten Zügen seines Tuns und Lassens offenbarte. Er zeigte bei geringer Bildung doch gesunden Hausverstand und treffenden Mutterwitz, ein einfaches, aber meist richtiges Urteil und eine Art Bauerninstinkt, der im ersten Angriff die Dinge richtiger auffasste als der lang überlegende Geist. In freien Stunden liebte Hofer das in Tirol allgemein verbreitete Kartenspiel, welches er meisterhaft beherrschte und das seine angeborenen Charakterzüge, aufmerksame Maßhaltung und gutartige Schlauheit, besonders zutage treten ließ." Soweit Paulin.

Damit ist schon sehr viel gesagt. Hofer wurde durch den Volkswillen zur ersten Stelle emporgetragen, weil er, wie schon erwähnt, wohl wie kein anderer an der Vorbereitung des Aufstandes mitgewirkt hatte; weil er als besonderer Vertrauensmann des allseits so verehrten Erzherzogs Johann galt; weil er der Anführer der Burggräfler und Passeirer war, die z. B. in den entscheidenden Bergisel-Schlachten die Kerntruppen der Tiroler bildeten. Jene Gegenden waren ein Brennpunkt des scharfen Vorgehens der bayerischen Behörden gewesen, dort war das Volk so erbittert worden, dass fast alles, die wohlhabenden Bauern, ihre Söhne und Knechte, sämtliche ausgezeichnete Schützen, ausrückten. Es gab anderswo Täler, wo z. T. nur die Häusler, Taglöhner und unbemittelte Leute in den Kampf zogen. Da hatte Hofer mit solchen Verbänden hinter sich ein ganz anderes Gewicht.

Der entscheidende Grund seines Aufstieges dürfte aber folgender sein: Der Tiroler Bauer liebt die persönliche Freiheit, er verträgt keinen harten Herrn, der die Zügel scharf anzieht. Er will nicht einen Mann nur mit einem durchdringenden eiskalten Verstand, nur mit rücksichtslosester Energie, er will einen Charakter, eine in sich geschlossene, abgewogene Persönlichkeit. Und dies war Hofer, der sich gewiss nicht zur obersten Stelle aufgedrängt hatte. Die Bauern fühlten, dass er ihr Musterbild in reinster Prägung darstellte, dass von ihm aber keine Tyrannei zu fürchten war. Er vertrat die Idee der Volkserhebung in seiner Person, ihre Ausführung überließ er zum guten Teil gern anderen, weil er — und dies war ein Teil seiner Klugheit und Führerbegabung — ihre Fähigkeiten richtig und neidlos erkannte und verwertete. Obwohl Hofer persönlich tapfer sein konnte, waren ihm Speckbacher und bis zu einem gewissen Grade auch Haspinger an militärischen Gaben überlegen. Er machte sie zu Flügel- und später im Salzburgischen zu Distriktkommandanten. Er ließ sich von ihnen und einigen anderen wohl auch darüber hinaus weitgehend beraten. In politischen und verfassungsrechtlichen Fragen wäre z. B. der Landrichter von Pfunds, Franz Michael Senn, sehr begabt gewesen. Leider kam er nicht zur Ausführung seiner Ideen.

Man darf sich aber Hofer auch wieder nicht zu weich und geistig zu harmlos vorstellen, wie es oft geschehen ist. Gegenüber den österreichischen Berufsoffizieren in Tirol, welche nicht immer das richtige Verständnis für einen Volkskrieg hatten, erlaubte er sich öfters die Freiheit eigener Gedanken und eigener, ganz selbständiger Taten. Er war zu viel herumgekommen, fühlte sich doch zu viel als selbständiger Bauer und angesehener Gastwirt und Händler, als dass er sich von jedem einstecken ließ. Er konnte, wenn es sein musste, ganz energisch werden und fast instinktmäßig im drängenden Augenblick das Richtige treffen.

Der tief fromme Mann hat nur später manchmal gegenüber geistlichen Kreisen die eigene Selbständigkeit und das eigene Urteil zu sehr aufgegeben. Der Großteil der Kleriker um ihn, vielleicht vom allzu betriebsamen und wendigen Josef Danai abgesehen, bestand zwar aus biederen, ehrlichen, vom besten Willen beseelten Männern, welche allerdings geistig noch in der Zeit vor der Aufklärungsperiode steckten und natürlich die Kirche in allem über den Staat stellten. Hierher gehört auch der manchmal sehr große Einfluss des Kapuzinerpaters Haspinger. Dass Hofer hier und da in den Fragen der Verwaltung als Regent von Tirol im Frühherbst 1809 etwas ungeschickt operierte, darf ihm  nicht verargt werden. Das ging über seinen Bildungskreis hinaus und ließ sich von ihm nicht verlangen. Der Hof er nach der unglücklichen Novemberschlacht am Bergisel war nicht der richtige Sandwirt mehr. Da krallte sich die Verzweiflung in sein Herz hinein. Er stand unter den ärgsten Drohungen durch seine eigenen Landsleute. Er war seelisch gebrochen und nicht mehr freier Herr seiner Entschlüsse. Gerade solche Naturen wie der Sandwirt können im Ausharren in Not und Elend und im Sterben eine Geduld und eine passive Tapferkeit ohnegleichen entwickeln, wie es sein Leben auf der Sennhütte, die Gefangennahme und der Tod in Mantua zeigen. Die Geschichte hat doch ein gerechtes Urteil gesprochen, wenn sie im Rahmen der Erhebung Tirols 1809 Hofer immer als ersten und menschlich größten nennt.

Franz Kolb hat letzthin über Hofer eine feine Charakteristik geboten. Er schreibt: „Dafür war aber seiner Persönlichkeit eine besondere moralische Ausstrahlungskraft eigen, ein Fluidum, dessen Wirkung auf seine Landsleute erstaunlich anmutet ... In diesem Manne war alles, was das Tiroler Volk so tief bewegte, gewissermaßen in lauterster Form konzentriert . . . Seine hohe mächtige Gestalt und seine volkstümliche klare Sprechweise imponierten . . . Der Sandwirt war an der Vorbereitung der Erhebung maßgeblich beteiligt, doch ohne die Absicht, dann im Kampfe selbst eine so führende Rolle zu spielen, wie sie ihm dann auferlegt war. Das Vertrauen seiner engeren Landsleute im Passeier trug ihn zunächst an deren Spitze und dann ließ ihn das Vertrauen der Südtiroler zu deren Kommandanten werden. Das entscheidende Auftreten der Südtiroler unter Hofer bei den Bergisel-Schlachten bewirkte, dass Hofer dann wie von selbst Oberkommandant von Tirol wurde. Das um seine Freiheit kämpfende Tiroler Volk sah in ihm sein bestes Wesen verkörpert und warf ihm sein Vertrauen förmlich zu. Er hat sich dann auch als starke Seele der Erhebung bis zu seinem erhabenen tragischen Tode durchaus bewährt. Der edle Charakter des Sandwirtes hielt auch auf der Höhe seiner Erfolge stand. Er blieb der einfache Bauernwirt, auch in der Hofburg zu Innsbruck als Regent des Landes. Ihn haben Ehre und Ruhm nicht schwindelig gemacht. Seinem Lande aber hielt er die Treue bis zum bitteren Ende. Mochte ihn vorher der Sturm verwirrter Tage auch für kurze Zeit etwas aus dem Gleichgewicht bringen, so stieg er doch im Angesicht des Todes zu jener seelischen Größe empor, die sein Andenken unsterblich macht und beweist, wie gut es das naturhaft klar urteilende Tiroler Volk mit seinem so großen Vertrauen getroffen hat. Das war und ist der Mann vom Land Tirol!" (Tyrol, Festschrift des Tiroler Landesverkehrsamtes Innsbruck 1959, S. 21).

Es war bisher immer von der Erhebung Tirols die Rede. Hier muss ein nüchternes Urteil gelten. Es ist so aufzufassen, dass der größte Teil der Bauern mittat, die allerdings damals die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachten. Die Teilnahme ist nach Tälern verschieden. West- und Nordwesttirol (beide nördlich der heutigen Grenze) haben sich relativ weniger beteiligt. Von den wenigen und damals nicht großen Städten war vielleicht ein großer Teil der Meraner und ein Teil der Bozner bei der Sache. Der große Rest, besonders ein guter Teil der Innsbrucker, stand aus weltanschaulichen und anderen Gründen ziemlich abseits. Nicht wenige waren doch von den Ideen der Aufklärung erfasst worden, deren Verwirklichung ja die bayerischen Behörden fortsetzten. Schließlich hing es mit der Methode der damaligen Kriegsführung zusammen, dass die in Tirol einfallenden feindlichen Heere zu allererst die Städte besetzten, im falschen Glauben, dass damit das Land schon unterworfen sei. So hatten die Städter die Kriegsmacht der Gegenseite am eindrucksvollsten vor Augen und waren anderseits viel wehrloser als die Bauern in ihrer wilden, unnahbaren Gebirgsnatur. Es kommen noch das Misstrauen und die Abneigung hinzu, die jeder Städter gegen ein ausschließliches Bauernregiment hegt. Das interessante Tagebuch des Rechtspraktikanten Anton Knoflach zeigt uns so recht die manchmal etwas schwankende Gesinnung des Innsbrucker Städters während des ganzen Aufstandes.

Die Erhebung erfasste ganz Deutschtirol, Nord- und Südtirol, hingegen sehr wenig Italienischtirol, dessen Bauern wohl nur in ganz kleiner Zahl mitkämpften. Dieser Landesteil verhielt sich größtenteils passiv.



Quelle: Hans Kramer, Andreas Hofer, Brixen 1970, S. 25 - 33.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.