Die Erinnerungen des Priesters Josef Daney


3. Brief

Einrücken österreichischer Truppen. Ihre jubelnde Begrüßung. Herannahen der Baiern.

Dacht ich's doch schon vorhin, Sie werden mir wieder eine Menge Fragen setzen, und Zweifel rügen! Doch weil ich mich mit Ihnen schon einmal in diese Korrespondenz eingelassen und Ihnen gleich am Anfange versprochen habe, die vorzüglichsten Ereignisse der beiden Insurrektionen so, wie ich sie entweder selbst gesehen oder ausgeführt habe, mitzuteilen, so will ich Ihnen vor allem wieder Ihre Fragen nach derselben Ordnung, wie Sie mir diese gesetzt haben, beantworten.

Schon gleich, nachdem die im ersten Briefe erzählten Geistlichkeitsangelegenheiten bei Meran und im Vinschgau beigelegt waren, wurde der Volksaufstand in Tirol eingeleitet und bis zum Ausbruche desselben im Stillen vorbereitet. Andreas Hofer, Sandwirt in Passeier, Herr Franz Nessing und mehrere andere reisten nach Wien, kehrten wieder zurück, hatten dort ihre Agenten, in Tirol ihre Vertrauten und Helfer. Herr Teimer soll zweimal ins Land gekommen sein. Soviel weiß ich gewiss, dass er am 26. März als am Palmsonntag zu Schlanders war und während des Gottesdienstes in dem Kastanienwalde auf dem sogenannten Kösten Waal dem S . . . F . . . . 1) die nötigen Verhaltungsregeln und Aufträge zur nahen Insurrektion gegeben hat. Dass die Priesterschaft in Tirol den Grund zur Empörung soll gelegt haben, ist bestimmt erlogen. Im Gegenteile, die verschiedenen Emmissärs brachten immer, wie ich es nach dem Ausbruche des Aufstandes selbst von einem erfahren, den gemessensten Auftrag mit, ja von dem ganzen Entwürfe weder einen Beamten, noch einen — außer höchstvertrauten — Priester etwas wissen zu lassen. Ob nicht ein und anderer einzelner höheren und niederen Ranges in und außer dem Lande in das Geheimnis eingeweiht worden und sein Scherflein beigetragen haben mag, will ich nicht behauptet haben. Dass nachhin aber auch Priester ihren Anteil, und welchen sie genommen haben, werde ich Ihnen im Verfolg der Geschichte eröffnen. — Ganz gewiss sind bei den Ereignissen in und um Innsbruck große und wichtige militärische Fehler gemacht worden. Oberst Dittfurt hätte seine Truppen nie auf Gebirgs- und Feldstraßen den Bauern entgegenführen sollen. Durch unnütze, zwecklose Erstürmungen verschiedener Hügel verlor er eine Menge Leute oder ermattete sie wenigstens. Durch das Vordringen in manchen Gebirgsweg gab er den Insurgenten nur sichern Spielraum, aus ihren Felsen und Schluchten desto gewisser seine besten Offiziere, seine Kanoniere und Kanonenpferde zu erschießen. Zwecklos verschoss er von der Ebene auf die hinter Klippen und Bäumen versteckten Bauern beinahe seine ganze Artilleriemunition. Ich glaube, dass durch das ganze fürchterliche Kanonenfeuer nicht einem einzigen Insurgenten ein Haar ist gekrümmt worden. Im Gegenteil, so oft eine Kanone abgefeuert wurde und eine Kugel oder eine Haubitze ein Felsenstück zersplitterte oder einen Baumast wegriss, ließen sich wieder ganze Abteilungen Bauern frei

1) Wohl Simon Freiseisen von Morter.

auf den Hügeln sehen und zeigten den Soldaten, in einer Hand den Hut, in der andern den Stutzen haltend — wie die sogenannten Zieler beim Scheibenschießen, wenn die Scheibe gefehlt ist, zu tun pflegen —, mit beiden Armen einen Zirkel bildend, dass sie nichts getroffen haben . . . . Hätte Oberst Dittfurt seine ganze Mannschaft und Gesamtkraft in der Stadt beisammen gehalten — ich zweifle, ob die Bauern einen Sturm würden gewagt haben. Allein es schien, der Oberst wollte sich Ehre machen und glaubte anfangs, den Spaß gerade so mit einigen Kanonenschüssen abzutun. Doch, die Wahrheit zu sagen, haben die Herren Baiern damals noch weder unser Volk, noch weniger den Volkskrieg im Gebirge gekannt. Als ich den Kgl. baierischen Oberleutnant B . . . . fragte, warum denn Herr von Hofstetten zu der Kapuziner-Aufhebung so viele Truppen habe einrücken lassen, da doch der P. Provinzial, von der Regierung dazu beauftragt, mit einem einzigen „In nomine Beati Patris nostri Seraphici praecipio vobis" den nämlichen Zweck ohne allen Aufwand und mit viel geringerem Volksaufsehen ebenso gut würde erzielt haben — so gab er mir zur Antwort, er finde das ganze Hin-und Herziehen so vieler Truppen denn auch um so zweckloser, als er sich bestimmt überzeugt halte, dass er mit 100 Mann und einer Kanone das ganze Land, nicht nur allein Passeier und Vinschgau, wenn es sich empören würde, in Schranken halten und zur Ordnung weisen könnte. Ich will nicht behaupten, dass jeder so heldenmütig gedacht habe; dass aber die meisten von sich sehr groß und von den Tirolern in jeder Hinsicht sehr kleinlich dachten, ist nicht zu leugnen. Mit einem Wort: hätte sich Oberst Dittfurt nur zwei Tage defensiv gehalten, so wäre die Kolonne Franzosen und Baiern ihm zu Hilfe gekommen. Wechselseitig unterstützt, hätten sie sich doch wenigstens ruhmvoll durchschlagen können. Der französische General konnte freilich mit seiner Truppe nicht viel bedeutendes mehr unternehmen. Dieser kam am 11. mit seiner Kolonne von Trient nach Brixen, war schlecht mit Munition und Geschützen versehen, und verfolgte im Vertrauen auf die Treue der Untertanen eines Alliierten unbekümmert seinen Marsch nach Augsburg. Als er aber zur Ladritscher Brücke (zwischen Brixen und Mittewald) kam, fand er dort die im vorigen Schreiben erwähnten Bataillone Donnersberg und Wreden und eine Eskadron Dragoner schon mit den Bauern vom Pustertale und der dortigen Gegend in heftigsten Kampf verwickelt. Der Zuwachs von mehr als 3000 Mann französischer Infanterie und 600 Mann Kavallerie, welche den Baiern zu Hilfe kamen, drückte die Insurgenten etwas zurück. Gegen Abend aber kam die Avantgarde des Feldmarschallleutnants Marquis von Chasteler, welcher auf die erste Nachricht, dass die Tiroler mit den Baiern angebunden hatten, von Sillian aufgebrochen war, auf die Höhe von Schabs, und die Tete — aus Jägern und Chevaulegex von Hohenzollern bestehend — eilte den Berg hinunter den Bauern zu Hilfe. Der Anblick der österreichischen Truppen verdoppelte den Mut der Insurgenten und zwang die Baiern und Franzosen zum Rückzug über Mittewald gegen Sterzing. Am 12. wurde die retirierende Kolonne auf dem Wege gegen Sterzing von den nachrückenden Pustertalern, welche die Höhen auf beiden Seiten besetzten, heftig beschossen und erlitt einen bedeutenden Verlust. Da die Tete dieser Kolonne schon gegen Sterzing kam, erschien der Sandwirt von Passeier, Andreas Hofer, mit dem Landsturm der Gerichte Sarnthein und Passeier, der über den Jaufen passiert war, bei Sterzing, griff gleich die Truppen an, schnitt einen Teil derselben ab und zwang sie, nach Sterzing und auf das Sterzinger Moos zu retirieren. Das Militär brach durch Gossensaß gegen Innsbruck vor, wurde aber durch den Landsturm der Talbewohner von Schmirn, Gschnitz und mehreren andern, welche die Anhöhen rechts und links besetzt und den Weg an sehr vielen Orten verhaut hatten, auf das wirksamste beschossen. Der übrige Teil der Kolonne, der abgeschnitten war, formierte ein Karree auf dem Sterzinger Moose, wurde aber gleich von den Insurgenten lebhaft beschossen und zur Übergabe aufgefordert. Da die Baiern solche verweigerten und heftig mit Kartätschen gegen die Bauern feuerten, so bedienten die letzteren sich einer ganz neuen Kriegslist; sie schoben nämlich vor sich drei Heuwagen her und durch diese gedeckt, schossen sie die baierischen Kanoniere nieder. Dann griffen sie in Masse das Karree an, drangen durch die Bajonette, und die ganze Abteilung, bestehend aus einem Major, 10 Offizieren und 300 Mann, wurde gefangen gemacht, nachdem sie durch ihren hartnäckigen Widerstand mehr als 150 Tote und Blessierte und eine Kanone verloren hatte. Sie können sich vorstellen, mit welchen Mühseligkeiten und Elend die retirierende Truppe auf ihrem ganzen Marsche von Sterzing bis Innsbruck und besonders über den rauhen steilen Brenner zu kämpfen haben musste. Da hatten sie eine abgetragene Brücke herzustellen, dort einen untergrabenen Weg auszufüllen; hier wurden von den Bauern halbe Berge herabgerollt, die Mann und Pferd samt Kanonen zusammenschmetterten, dort mussten sie wieder an einer Straßenkrümmung einen ihnen von hinter Steinen und Bäumen versteckten Insurgenten zugefeuerten Kugelregen mit Sturm passieren. Nun können Sie sich denken, wie ermattet und mutlos diese Truppe nach Wiltau kam. Zudem hatte sie sich an Munition beinahe ganz erschöpft. Indessen bin ich doch innigst überzeugt, dass sie sich, anstatt über zwei Stunden auf den Wiltauer Feldern wie angenagelt dazustehen, auch bloß mit dem Bajonett und Säbel im Sturmmarsch entweder nach Seefeld oder nach Achental hätte durchschlagen können. Denn was einige tausend Mann entschlossener Infanterie und mehrere hundert Mann Kavallerie vermögen, wenn sie wollen, hat im Jahre 1805 Prinz Ronan bei Bozen bewiesen. Es würden zwar viele Leute gefallen sein; indessen wären die meisten doch durchgekommen und die Truppe hätte doch wenigstens ihre Ehre gerettet.

Da Salzburg noch österreichisch war, hielt es für die verschiedenen Emissärs ja gar nicht schwer, durch die Grenzgebirge hin und her zu kommen. Viele trieben schon seit Jahren nach den österreichischen Staaten einen Pferde- oder Viehhandel und hatten dazu ihre Pässe von den Obrigkeiten. Herr Teimer (so ließ ich mir erzählen), soll einmal als Färbergesell nach Tirol gekommen sein; ein anderes Mal soll ihn ein Postillon in einer Postchaise mit einer Decke zugedeckt und auf ihm sitzend ins Land gebracht haben. Im Lande hatten sie aller Orten ihre Vertrauten, ihre verschwiegenen Helfer und Helfershelfer, die sie bei Tage sorgfältigst verbargen und in der Nacht von einem Orte zum andern führten. Herr Nessing hielt sich längere Zeit bis zum Ausbruche der Insurrektion in einer Alpenhütte verborgen. Auch dem Herrn Teimer kam man einmal sehr nahe. Wie ich mir sagen ließ, reiste er einmal mit einem Kgl. baierischen Landrichter von Brixen bis Sterzing. Von diesem über den Zweck seiner Reise befragt, antwortete er, er reise nach Schlanders, um dort seinen Vater zu besuchen und verschiedene Familienangelegenheiten zu berichtigen. In Sterzing sollen sie sich vor dem Posthause getrennt haben. Weil aber dem Landrichter schon der ganze Herr Teimer verdächtig schien, so ließ er ihm gleich nachspüren. Herr Teimer gab vor, er kehre beim sogenannten Nagele-Wirt ein. Als aber die Häscher ins besagte Wirtshaus kamen, fanden sie nicht nur keinen Herrn Teimer, sondern selbst im ganzen Hause wollte ihn kein Mensch auch nur mit einem Blicke gesehen haben. Er ging nämlich, den Spuk schon witternd, bloß durch die vordere Haustüre hinein und unbemerkt, weil es schon finster war, durchs Haus durch die hintere Türe wieder hinaus und begab sich noch in der nämlichen Nacht über den Jaufen nach Passeier zum Sandwirt. —

Herr Teimer schien nicht unmittelbar vom Wiener Hofe oder von Sr. Majestät dem Kaiser beauftragt oder bevollmächtigt zu sein; denn er soll vor dem Ausbruche der Insurrektion immer nur vom Erzh. Johann gesprochen haben. —

Zu seinem Majorskleide kam er ganz sonderbar. Er war wohl schon früher, wie Sie bald aus seiner Biographie ersehen werden, Landes-Defensions- und nachher auch wirklicher Miliz-Hauptmann, und daher musste er, wenn man an ihm ein Verdienst belohnen wollte, wenigstens zum Major befördert werden. Allein ich glaube, dass er in diesem Augenblicke seinen Majorsrang einzig seinem Kleide zu verdanken hatte. Da Herr Teimer im Inntale und in der Gegend um Innsbruck von den Bauern persönlich nicht so wie im Vinschgau, oder gar nicht gekannt war und in einen schlechten Zivil-Überrock gehüllt eher einem Landstreicher als einem Kais. Kgl. Kommissär gleich sah und zudem zur Rechtfertigung seiner Sendung und seines Charakters nichts anderes als ein Insigl mit dem Gepräge eines kaum sichtbaren doppelten Adlers aufweisen konnte und folglich bei Herstellung der Ruhe und Ordnung und bei Verhinderung so mancher Exzesse sein Ansehen nicht so, wie er es wünschte, geltend zu machen vermochte, so riet ihm Herr v. Dipauli, er sollte sich doch, um einen Charakter zu bekleiden und sich selbst vor ferneren Misshandlungen zu schützen, um eine österreichische Offiziersuniform umsehen. Ein Kavalier der Stadt (Graf Spaur) lieh ihm daher eine Jäger-Stabsoffiziersuniform nebst Kuppel und Säbel; und so konnte er als Major die erwähnte Kapitulation abschließen. Man sagte mir, General Chasteler habe diese mit Estaffette Sr. Majestät dem Kaiser von Österreich überschickt und Allerhöchstdero haben vom Hoflager aus den Herrn Teimer durch ein allergnädigstes Handbillet als wirklichen Kais. Kgl. Linien-Major zu bestätigen geruhet.

Teimer ist der Sohn gewöhnlicher mittelloser Eltern. Seine Mutter starb ihm frühzeitig. Von seiner Stiefmutter wurde er hart gehalten. Daher ließ ihn sein Vater, um ihn vom Hause und von der Schüssel zu bringen, studieren. Teimer wurde also nach Meran ans Gymnasium geschickt. Daselbst zeichnete er sich, von Guttätern unterstützt, durch ein stilles, sittsames Betragen und besonders im wissenschaftlichen Fortgange aus. Im Jahre 1797 wurde er von einer Landesverteidiger-Kompanie zum Offizier erwählt und entwickelte als solcher das erste Mal seinen Mut und seine militärischen Anlagen auf folgende ganz besondere Weise. Als die Franzosen von Italien her bis Bozen vorgedrungen und der österreichische General Kerpen schon bis Sterzing hinaus und General Laudon durchs Vinschgau retirierten, war es Teimer, der mit einer kleinen Anzahl der besten freiwilligen Scharfschützen den Wald um Siebeneich und die Anhöhen beim Schlosse Maultasch besetzte. Die Nacht hindurch ließ er teils von seinen wenigen Leuten, teils von den umliegenden Bauern und Bauernweibern zahllose Feuer auf den Bergen und Hügeln anzünden und unterhalten. Wenn die Franzosen Patrouillen vorschickten, ließ er sie ihnen gewöhnlich von seinen gut gewählten Posten niederschießen und erhielt sich dadurch im Stande, selbige einige Tage und solange aufzuhalten, bis sich der Landsturm von Sarntal, Passeier, Meran und Vinschgau sammeln und vereinigt mit dem General Laudon wieder bis Bozen vorrücken konnte: worauf die Franzosen nach dem Treffen bei Jenesien in stürmischer Eile aus dem Lande zu weichen gezwungen wurden. Herr Teimer kehrte wieder zu seinen Studien zurück, kam nach rühmlichst zurückgelegten Gymnasialschulen auf die Universität nach Innsbruck, wo er sich ebenfalls in seinen wissenschaftlichen Fortschritten auszeichnete. Nachdem er die Physik absolviert, verliebte er sich in ein gewöhnliches Mädchen und heiratete sie. Nach dem Einbruch der Franzosen im Vinschgau 1799 kam er nach Bozen, wählte sich dort eine Kompanie meist aus Studenten und Handwerksburschen, rückte mit selbiger durchs Vinschgau bis vor die Schanze von Scharlach (Scharl) und half sie den österreichischen Truppen erstürmen. Bei dieser Gelegenheit legte er ein so geschicktes Flankenmanöver an, und bei Erstürmung des Verhaues so sonderbare Proben von unerschütterlichem Mute, von militärischem Geiste und persönlicher Tapferkeit an den Tag, dass ihm der Kommandierende der österreichischen Truppen das Zeugnis darüber in den öffentlichen Blättern mit den Ausdrücken ausstellte, „den glücklichen Erfolg bei der schweren Erstürmung der Scharlach haben wir vorzüglich der Tapferkeit des Herrn Hauptmann Teimer und seiner braven Kompanie zu verdanken". Bei dieser Affäre zählte Teimer 5 Tote und mehrere Blessierte und er selbst wurde im Sturmlaufen durch eine starke Kontusion am Kopfe zu Boden geworfen. Ungeachtet dessen war er doch einer der ersten in der Schanze und packte einen flüchtigen französischen Offizier selbst beim Schopfe. — Ich kann mir nicht leicht etwas vorstellen, was dem Jubel gleichkommt, mit welchem ihn die Stadt Bozen als Sieger zurückempfing. Der Stadtmagistrat und die vornehmen Herren von Bozen gingen ihm mit einer großen Fahne und türkischer Musik entgegen. Von allen Fenstern rief man ihm die herzlichsten Vivats zu.

Von Bozen begab er sich neuerlich nach Innsbruck, studierte einige Zeit, obschon verheiratet, wieder die Rechte, wurde aber 1804 bei der neuerrichteten Landmiliz als wirklicher Hauptmann zu Schlanders angestellt. 1805 wanderte er nach den Unfällen bei Ulm und nach dem Einmarsche der französischen Truppen in Tirol mit Frau und Kindern nach Österreich, wo er, wie ich mir sagen ließ, in Klagenfurt bei einer Tabakregie eine Anstellung erhielt. Zum Hauptrevolutions-Emissär konnte nun der Erzherzog Johann freilich in jeder Hinsicht keinen Tauglicheren als den Herrn Teimer wählen. Denn er ist ganz bestimmt ein Mann von vieler großer Geistesgegenwart, von einer unbeweglichen Kaltblütigkeit auf der einen und von unerschütterlicher, persönlicher Tapferkeit auf der anderen Seite, wie Sie es im Verfolg der Geschichte sehen werden.

Gottlob! Bei allen den stürmischen Auftritten, bei all dem schauerlichen Plünderungslärm, bei all dem besoffenen Herumwüten mit geladenen, oft auch mit gespannten Gewehren wurde doch kein einziger Bürger oder Beamter gemordet. Viele hatten ihr Leben und die Rettung ihres Eigentumes verschiedenen Bürgern und Priestern zu verdanken. Ich hatte selbst, aber auch mit eigener größter Lebensgefahr, so dass ich mich wiederholt mit den Bauern persönlich raufen musste, bei verschiedenen Gelegenheiten das Glück, zwei Kgl. baierische Beamte und mehrere Kgl. baierische Offiziere und Gemeine zu retten. Bunt und schauerlich ging das Ding freilich durcheinander. Indessen gab es auch bei verschiedenen Ereignissen so manches zu lachen. So z. B. wurde der damalige Generalkreiskommissär von den Bauern nicht so hart mitgenommen, weil er, wie sie ihm sagten, ein guter Herr gewesen wäre, der weiter nichts Übles getan habe, als seinen Namen hergeliehen und sich zu unterschreiben die Mühe gehabt hätte. Dagegen brüllten sie desto fürchterlicher und rachsüchtiger durch alle Gassen den Namen Mieg, und er wäre auch ohne Rettung gewiss verloren gewesen, wenn ihn nicht ein geistlicher Herr in Schutz genommen und in einen Schornstein versteckt hätte. Ein Jude verkroch sich mit seinem Gelde und Kostbarkeiten in einen Ofen. Die Bauern kamen, nachdem sie das ganze Haus durchsucht, in das Zimmer und schlugen mit ihren Gewehrkolben den Ofen ein. Der arme Jude, mit Staub und Ruß bedeckt, verdrehte, sich wahrscheinlich in Isaaks unangenehme Schlachtopferlage denkend, so sonderbar seine erschrockene, schwarze Miene und rief so fürchterlich unverständlich seine Patriarchen zu Hilfe, dass die Bauern selbst erschrocken den Teufel zu sehen glaubten und sich segnend über Hals und Kopf davonliefen. . . . Ein anderer Jude verbarg sich in einem Weinfasse, welches mit Stroh zugedeckt war. Die Bauern durchwühlten das ganze Stroh und stachen es mit Bajonetten durch. Denken Sie sich die Angst des armen Hebräers! Wieder ein anderer floh aus seinem Hause über die Gasse; als er zur Klosterkaserne kam, sah er einige Bauern durch eine entferntere Gasse herziehen. Um ihnen nicht in die Hände zu fallen und sich zu retten, verkroch er sich unter ein leeres Mehlfass, deren mehrere vor der Kaserne standen. Der Zufall wollte, dass die Bauern gerade auf dies Fass losgingen, um auf demselben ihre an Geld gemachte Beute zu teilen. Stellen Sie sich das Zittern des beängstigten Juden und seine missliche Lage vor, wenn die Bauern auf einmal das Fass umgeworfen, oder wenn einer ihn unter demselben verspürt und ihm so plötzlich zugerufen hätte: „Veni foras, Lazare!" 2)

2) „Komm heraus, Lazarus!“

Gewisse baierische Gräfinnen gefielen einigen Burschen so wohl, dass ihnen die Lust kam, mit denselben zu tanzen. Als sich anfangs die Fräulein weigerten, sagten ihnen die Burschen: „Habt's in der Fast (Fasching) mit Herrn tanzt, tanzt itzt um Ostern mit Bauern holt a." Und so, unhöflich genug dazu genötigt, musste sich eine ans Klavier setzen und spielen, die andern aber und das Zimmermädchen mussten sich mit mehreren längere Zeit herumbalgen lassen. Nach Beendigung wollten ihnen die Fräulein noch einige Taler schenken, deren Annahme die Burschen verweigerten mit dem Bemerken, in Tirol sei es nicht Sitte, dass Spielleute die Tänzer oder Mädchen die Burschen fürs Tanzen bezahlen. Sie wären jetzt schon zufrieden, dass sie einmal mit Gräfinnen hätten tanzen können. Ähnliche lächerliche Auftritte gab es mehrere. Unter allen Kgl. baierischen Beamten wurde doch nur ein einziger Mautbeamter nach dem strengen Sinne des Wortes persönlich misshandelt. Diesen prügelten die Bauern aber auch vom Kopfe bis zu den Füßen derb durch. Die ganze Stadt lachte darüber herzlich aus dem Grunde, weil der besagte Mautner bei jeder Zahlungssaumseligkeit oder nicht genau abgewogenem Worte gleich seinen dicken starken Arm mit dem nächstbesten Stocke zu bewaffnen und den armen Fuhrleuten und Bauern, ohne irgendeine Entschuldigung anzuhören, ihre Schuldigkeit äußerst empfindlich ebenfalls auf dem Rücken fühlen zu lassen pflegte. Der berüchtigte Graf Nyß, ehemals Kgl. baierischer Kreishauptmann zu Schwaz, den Se. Majestät der König von Baiern seiner ungeheuren Verbrechen wegen ohne Gnade, wenn ich mich nicht irre, auf Zeit seines Lebens auf eine Festung setzen hat lassen, sagte einmal zu dem Ortsvorsteher F. R . . ., so weit wolle er es mit den Bauern bringen, dass drei derselben nur ein Paar Schuhe haben müssten. Zufällig war es dieser nämliche Ortsvorstand, der zwischen Hall und Innsbruck mit seinen Leuten einen Wagen voll Militärschuhe erbeutete. Nun kam er nach Innsbruck mit drei Paar Schuhen und wollte dem Herrn Grafen, der damals von der Regierung im Servitenkloster eingesperrt und unter strengste Polizeiaufsicht gestellt war, damit unter der Rückerinnerung an seine Worte ein Geschenk machen. Ich war es, der ihn davon abhielt und dem im Orgelkasten bei den Serviten versteckten und ohnehin schon bis zur Verzweiflung beängstigten Grafen diese drückende Schmach nicht antun ließ. Indessen wurden aber viele, z. B. der damalige Polizeidirektor v. Schubert, der Bürgermeister Schuhmacher und mehrere andere einzig ihres Amtes wegen verfolgt, misshandelt und geplündert. Wer kann bei einem solchen Amte allen recht tun? Da sich bei ähnlich stürmischen Auftritten gewöhnlich der Janhagel und das Gesindel für einige Zeit obenauf schwingt, so geht der rechtliche Mann leider oft unter. So wurde u. a. der Gastwirt Niederkircher gleich beim ersten Ansprung der Insurgenten geplündert, weil ihn die Bauern aus dem Grunde, dass Se. Majestät der König von Baiern ihm aus besonderer Gnade mehrere Kinder aus der Taufe gehoben, für baierisch gesinnt hielten. Als die Insurgenten ungestüm an seiner Haustüre pochten und auch schon durch dieselbe schossen, eilte sein ältester Sohn über die Treppe herab, sie zu öffnen; allein kaum war die Türe geöffnet, da schlug ihm ein Bauer einen ungeheuren Bengel so wütend auf den Kopf, dass er sinnlos und halbtot niederfiel. So schleppten sie ihn unter wiederholten Schlägen und Stößen noch eine Zeitlang herum. Eine Menge stürmte ins Haus hinauf und raubte, was ihnen in die Hände kam. 3) Wenn unter den vielen tausend Insurgenten nicht auch eine bedeutende Anzahl rechtlicher, rechtschaffener Männer, welche bloß der Strom des Aufruhrs mitgerissen hatte, gewesen wäre und von Plünderung und Mord nicht oft mit Gewalt abgewehrt hätte, so hätte es ohne schauerlich blutige Auftritte gewiss nicht ablaufen können. U. a. hat vorzüglich Herr Zangerle von Prutz, ein sehr vernünftiger, edler Mann, mit seinem rechtlicheren Anhange sehr viel Übel und Unglück verhütet und zur Herstellung einiger Ordnung das meiste beigetragen.

3) „Du baierischer Sausch . . .", sagte einer dieser Plünderer zu Niederkircher, „hast in Tirol keinen ehrlichen Menschen gefunden, der dir deine Kinder aus der Taufe gehoben hätte, hast um einen Gevatter ins Baiern hinausschicken müssen?"

Der große, wichtige Fang auf den Wiltauer Feldern lief nicht ganz ohne alles, aber doch mit unbedeutendem Blutvergießen ab. Eine Kompanie Franzosen riss sich von der übrigen Kolonne los und besetzte den nahe am Innfluß gelegenen offenen Ziegelstadel. Die Insurgenten umgaben ihn und forderten die Franzosen auf, sich zu ergeben. Diese stellten auch wirklich die Gewehre vor sich hin. Als ihnen aber die Bauern näher kamen und einer, ungeachtet sich die Franzosen nicht mehr verteidigten, auf sie ein Gewehr losfeuerte, so ergriffen auch sie neuerlich ihre Musketen und gaben ein Pelotonfeuer auf die ihnen schon ziemlich nahen Insurgenten, welches mehrere verwundete und einige derselben tot zur Erde streckte. Dass viele Franzosen dies ihr Wiederergreifen der Waffen teuer und mehrere mit ihrem Leben büßen mussten, können Sie sich leicht denken.

Brixen hatten die Österreicher schon am 12. besetzt, von wo aus sie auch in einem raschen Zuge ohne Hindernis bis Bozen und von dort, eine Kolonne Franzosen verfolgend — die ebenfalls ihren Marsch nach Augsburg nehmen sollte, aber nach eingezogenen Nachrichten umkehrte —, bis unter Lavis vorrückten. In Brixen und in Bozen und überhaupt auf dem Lande gab es wohl einzelne, aber nicht so viele und allgemeine schauerliche Auftritte. In Brixen wurde unter allen Herren Beamten vorzüglich nur der Herr v. Hofstetten beängstigt und misshandelt. In Bozen traf ein hartes Schicksal den damaligen Kgl. baierischen Polizeikommissär v. Donnersberg, den Freiherrn v. Ehrenfeld, den Grafen Khuen und einen gewissen Dr. Aldosser. Ganz schrecklich wurde aber zu Schlanders Herr Helf, Deutschordenskommenda-Verwalter, misshandelt und herumgeschleppt. Dieser herzlich gute Beamte, der wenige Bauern in der Gegend zählt, denen er nicht bedeutende Gefälligkeiten erwiesen, hatte keine andere Schuld auf sich geladen, als dass er beim Ausbruche der Insurrektion den Bauern mit seinen gewöhnlich fett satirischen Ausdrücken den Ausgang des Krieges und ihr zukünftiges Schicksal prophezeite. —

Warum vorzüglich gerade die Juden so hart mitgenommen und rein ausgeplündert wurden, dafür mochte der Grund nicht so sehr in dem religiösen Hasse als in der Aufforderung: „Auf, Tiroler, auf, die Stunde der Erlösung ist nahe!“ liegen. Die österreichischen Emissärs hatten diese schon vor dem Ausbruche der Insurrektion unter dem Volke verteilt. Ich schließe sie Ihnen hiermit bei. Lesen Sie den ganzen Aufruf mit Aufmerksamkeit durch und dann werden Sie nicht nur in betreff der Juden den nötigen Aufschluss, sondern auch Ihre Frage, ob die Mittel, ein ganzes Land und die verschiedenen Volksklassen desselben auf einmal so wütend zu erheben und mit so einer stürmischen Gesamtkraft zu empören, nicht ebenso reif und weislich durchdacht als eingreifend gewählt werden mussten, zur Genüge gelöst und beantwortet finden. Ich war selbst kurz vor dem Ausbruch der Insurrektion bei einer öffentlichen Kirchengeräte-Versteigerung, wo ich die verschiedenen Kelche, Ziborien, Monstranzen usw. meist von Juden kaufen sah. Warum die Bauern aber auch die Uhrmacher reingeplündert, kann ich Ihnen keinen andern Grund angeben, als den, dass sie vielleicht gerade auf die Minute wissen wollten, wie spät es war, als sie die Stadt eroberten.

Jetzt bin ich aber auch recht herzlich froh, dass ich einmal mit Ihrem Fragen- und Zweifellösen fertig bin. Nun zurück zu den Österreichern nach Wiltau! Mehr als 20.000 Menschen von jedem Alter und Stande drangen durch die Straßen und Gassen von Wiltau her. Schon von der Ferne erscholl die Luft von einem wilden Jauchzen und von dem Jodeln der Kotlackler. Ein österreichischer Rittmeister eröffnete mit einigen Dragonern und Jägern den Zug in die Stadt. Freund! Der Jubel, das Vivatrufen und das Tücherschwenken aus allen Fenstern übersteigt nicht nur jede Beschreibung, sondern selbst alle Begriffe. Soldaten und Pferde schienen von dem langsam vorwärtsdrückenden, jubelnden Haufen gleichsam getragen zu werden. Pferde wurden gepackt und längere Zeit gehalten. Dieser küsste dem Reiter die Hände, ein anderer, ja zwanzig zugleich, sein Pferd. Ich sah selbst einen Bauern, wie er, weil er sich nicht genug hinarbeiten konnte, dem Herrn Rittmeister den Stiefel zu küssen, den Schweif seines Pferdes packte, ihn zum Munde führte und wiederholt schmatzend und vor Freude hüpfend ausrief: „Bist a mal da Kuaser, Vivat, sollst leben!" Von anderen wurden Jäger und Soldaten aus den Gliedern gerissen, umarmt, gedrückt und geküsst. Einen alten Gebirgsbauern sah ich an einer Hausecke lange Zeit unbeweglich die Hände zum Himmel erheben, und aus den Tränen, die er sich von den Wangen trocknete, konnte ich auf seine inneren Gefühle schließen. Die Hüte flogen zu Hunderten in die Höhe. Einer hüpfte bis zum Ermatten auf und gab keinen Laut von sich; ein anderer blieb unbeweglich an einer Haustür stehen und schrie unablässig bis zum Heiserwerden: „Der Kuaser! Der Kuaser!" Dieser schoss ein Gewehr ab, lud neuerlich, schoss dann wieder und so lange, bis er kein Pulver mehr hatte. Ein Weib sah ich, wie sie wild die Kappe vom Kopfe riss, sich wie eine Wahnsinnige im Zirkel drehte, die Haare durchraufte und unaufhörlich aus voller Brust schrie: „Es lebe der Kuaser, der Kuaser soll leben!" Die Kotlackler Jungfern drehten sich und wirbelten, den hübschen Soldaten empfindsam die Hände drückend, durch Reihen und Glieder.

Der Jubelzug erreichte die Hauptwache. Diese wurde augenblicklich vom Militär besetzt; und so war die Stunde der Erlösung, wenigstens aus dem schrecklichen Zustande der Anarchie, endlich angekommen. Nun brachten zwei Männer ein ganz sonderbar großes Bild über den Graben her und trugen es in der Höhe durch die Neustadt. Es stellte, wenn ich recht gesehen habe, aus den Vorzeiten einen Papst vor, wie er auf dem Throne sitzend einen Kaiser krönte oder ihm seine Sünden vergab. Soviel weiß ich mich noch zu erinnern, dass der Kaiser vor den Füßen des Papstes kniete. Der Anblick dieses Bildes machte die noch immer fortjubelnden Bauern auf einmal verstummen. Sie nahmen die Hüte ab. Viele warfen sich, wie von einem heiligen Schauer ergriffen, auf die Kniee. Andere sagten, wenn noch einmal einer zu jauchzen anfangen wollte: „Wie, sei still itzt, siehst n' Papst und unsern liab'n Kuaser, wie sie fein sein mit'nander, itzt geht, Mander! itzt geh'n mier huam!" Und so besaß dies Bild gleichsam die Wunderkraft, sehr viele Bauern still und ruhig aus der Stadt nach Hause zu bringen. Das Bild wurde auf dem Postpalais über dem im vorigen Briefe erwähnten ungeheuren Adler aufgestellt und blieb einige Tage dort hängen. Im Vorbeiziehen wiederholten die Bauern mit doppelter Andacht und unter verschiedenen Bemerkungen ihre ehrfurchtsvollsten tiefen Verbeugungen.

Die ganze vom General Chasteler angekündigte große Truppenabteilung von Infanterie, Kavallerie und Geschütz bestand aus einer Eskadron Dragoner, aus drei Kompanien Jäger, aus einem Bataillon steierischer Landwehr, zwei Bataillonen vom Regimente Lusignan und 6 Kanonen. Von Salzburg durchs Unterinntal kamen ebenfalls ein Bataillon reguläres Militär und mehrere Bataillone österreichischer Landwehr. Etwas Militär besetzte gleich mit den Bauern die verschiedenen nördlichen Grenzpässe. Am Abend traf Se. Exzellenz Feldmarschalleutnant v. Chasteler mit dem Herrn Generalmajor v. Buol unter dem Geläute aller Glocken und unter einem schnell vorübergehenden Jubelgeschrei des Volkes ein und nahm in der zu seinem Empfange schon vorbereiteten Burg sein Absteigequartier. Anfangs Mai kam auch der Kais. Kgl. Oberintendant Freiherr v. Hormayr, welcher sich zuerst von Brixen nach Bozen begab und dort unter dem nämlichen Jubel, wie das österreichische Militär zu Innsbruck, einzog, und der Unterintendant v. Roschmann nach Innsbruck. Schon ehe wir das Glück hatten, unsere damals höchste Zivilbehörde in unserer Mitte zu verehren, erhielten wir von Hochdero eine Proklamation. Dieser aufmunternde und gesetzerhebende Zuruf flößte jedem rechtlichen, ordnungsliebenden Herzen vollen Mut und eine ebenso tiefe Ehrfurcht für den jungen Geschäftsmann als ein unumschränktes Vertrauen auf seine künftigen Verfügungen ein; so wie er auch, soviel nach den Zeitumständen in seinen Kräften, in seinem Ansehen und Talente lag, alle seine Vorkehrungen und Verordnungen dahin einleitete, um die gewaltsam auseinandergerissenen Volksglieder wieder zusammenzufügen, sie unter die Botmäßigkeit der Gesetze zu schmiegen und dem Lande so schnell als möglich die Form und das Aussehen eines gesellschaftlichen Vereins zu geben. Nachdem die Bauern und Bürger dem General Chasteler die eroberten Kanonen und Fahnen übergeben, so erließ dieser den Befehl, ihm gegen Bezahlung auch alle erbeuteten Gewehre und Waffen einzuliefern, um damit die vielen Kais. Kgl. Ranzionierten 4), deren ganze Züge über die Gebirge hereinkamen, zu bewaffnen. Der General kaufte auch viele der erbeuteten Pferde und machte damit die ranzionierten Kavalleristen beritten. Nun wurde der unter dem Volke schon früher verteilte Aufruf des Erzherzogs Johann an die Tiroler: „Tiroler! Ich bin da, das Wort zu lösen, das ich euch am 4. November 1805 gab" usw. im Nachdrucke öffentlich verkauft. Der Kais. Kgl. Oberintendant setzte dem Drange der Zeitumstände zufolge zu Innsbruck eine Schutzdeputation nieder, deren vorzüglichstes Bestreben dahin zielen sollte, durch kraftvolle Mittel, die aber freilich nicht bei der Hand waren, das Volk in die Schranken der Gesetze zurückzuführen und in

4) Kriegsgefangene, durch Auswechselung wieder frei geworden.

denselben zu erhalten. Auf den 1. Mai wurde ein Kongress im engeren Ausschusse nach Brixen ausgeschrieben, der konstitutionsmäßig aus 24 Stimmführern bestehen sollte. — Die Intendantschaft, die Schutzdeputation und die Obrigkeiten auf dem Lande beschäftigten sich in diesen Tagen nun gleichsam einzig mit dem Organisieren des Landes und des Landsturmes, der sich ohne weiteres in Kompanien einteilen lassen musste, wozu schon unterm 18. April eine Proklamation erlassen wurde. Am nämlichen Tage erschien auch nachstehende Verordnung für das ganze Land Tirol:

„Um Gott dem Allmächtigen . . . öffentlich Dank zu sagen . . . ist beschlossen worden, am nächsten Sonntage als am 23. dieses Monats in allen Pfarrkirchen des ganzen Landes Tirol ein feierliches Hochamt mit Te Deum samt einer den außerordentlichen Veranlassungsumständen angemessenen geistlichen Rede abhalten zu lassen.
Marquis v. Chasteler."

Sie können sich leicht vorstellen, wie passend zu diesen — den außerordentlichen Veranlassungsumständen angemessen — abzuhaltenden Kanzelreden das geduldig biegsame Wort Gottes, vorzüglich auf dem Lande, herhalten musste. Selbst in Innsbruck hörte ich nichts als per enumerationem partium Mirakel schreien. Der einzige Pater Benitius, der Universitätsprediger, hielt mit der nur ihm eigenen Beredsamkeit eine wahrhaft den Zeitumständen angemessene Rede. Auch er pries den Himmel für die glückliche Leitung der schrecklichen Ereignisse in den vorigen Tagen, dass dabei doch wenigstens kein Bürgerblut geflossen. Auch er dankte dem Allerhöchsten mit den gefühlvollsten Ausdrücken für die so sehnlichst gewünschte Erlösung — aus dem fürchterlich verwüstenden Zustande der Anarchie.

Hauptsächlich trachtete er aber auf seine Zuhörer einzuwirken, das unrechtmäßig erworbene Gut wieder seinem Eigentümer zuzustellen. Ich ließ mir sagen, dieser unvergleichliche, in seinem Vortrage unerreichbare Kanzelredner habe es durch seine wiederholt, immer nur einzig auf diesen Zweck hin eingeleiteten Predigten auch wirklich dahin gebracht, dass recht viel Geraubtes, selbst von größerem Werte, zurückgegeben worden sei.

Kaum war die Ruhe in etwas hergestellt, wurde ein Bauer nach Altötting geschickt, um die von der baierischen Regierung — aus welchem Anlasse, weiß ich nicht — im vorigen Jahre dahin verwiesenen 10 Tiroler Kapuziner abzuholen und zurückzuführen. Auch zu Mals, Schlanders und Meran bezogen die Kapuziner wieder ihre Klöster. Jede Gemeinde eilte, ihre vorigen vom Herrn v. Hofstetten entfernten und (wie ich Ihnen schon im ersten Briefe sagte) in verschiedenen Klöstern des Landes eingesperrten Seelsorger zu befreien und ebenfalls triumphierend auf ihre Pfründen zurückzuführen. Die von der Kgl. baierischen Regierung an Stelle eines vertriebenen gesetzten Priester wurden, obschon sie vom Bischöfe von Brixen bestätigt waren, augenblicklich und unter den gröbsten Beschimpfungen gezwungen, ihre Pfarren zu verlassen.

Während wir nun im nördlichen Tirol oder gleichsam im ganzen Lande unsere Befreiung und die neu eingetretene Regierung mit Te Deum, Scheibenschießen und allerhand anderen Festlichkeiten feierten, kam die Nachricht, dass die Franzosen Trient noch besetzt hielten und aufs hartnäckigste verteidigten. General Chasteler eilte daher mit seiner ganzen in und um Innsbruck liegenden Truppe dorthin dem Generalmajor v. Fenner zu Hilfe. Unterdessen wurden viele Kgl. baierische Beamte ins Innere von Österreich abgeführt; mehrere derselben aber auf ihr eigenes Ansuchen, den Tummelplatz vormals ausgeübter Willkür meiden zu dürfen, angewiesen, eben dahin zu reisen. Von allen Seiten liefen die erfreulichsten Nachrichten über das schnelle Vorrücken der Kais. Kgl. österreichischen Armeen in Deutschland sowohl als in Italien, und zur außerordentlichen Freude und Aufmunterung der Tiroler ein von Schärding aus datiertes allergnädigstes Schreiben Sr. Majestät des Kaisers von Österreich ein.

Nach den über die Franzosen in Südtirol erfochtenen Vorteilen führte General Chasteler das ziemlich übel zugerichtete Regiment Lusignan und mehrere Bataillone Landwehr in kaum glaublichen forcierten Märschen wieder nach Innsbruck zurück. Das Regiment übernahm die Garnison in der Stadt und die Landwehrbataillone wurden nach Hall und in die zwischen Hall und Innsbruck liegenden Dörfer verlegt. Obschon die nördlichen Grenzpässe sehr schwach besetzt waren und diese Truppen daher auf denselben sehr nötig gewesen wären, so bedurften sie doch wirklich einer Ruhe; denn sie waren ganz ermattet und erschöpft. Wie man mir sagte, mussten sie den ganzen Weg von Bozen bis Innsbruck ohne Rasttag in drei Märschen zurücklegen. Ich sah selbst in Innsbruck mehrere in den Gliedern umsinken und zum Teil aus denselben herausfallen. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwerfällig und mühsam sich diese armen Steirer — ihrer mehr oder weniger lästigen, auf dem Halse herumrollenden Bürde wegen ohnehin schon etwas beklommener als andere Menschen atmend — in ihren schweren Halbstiefeln und lodenen Röcken, aus trockener Kehle wie überladene Zugtiere gepresste Luft röchelnd, daherschleppten. Der Anblick dieser Bataillone berechtigte für den Fall der Gefahr wahrhaftig zu keinen aussichtsvollen, tröstenden Hoffnungen. — Indessen lebten wir sorgenlos und ahnten nichts Arges. Die in Reutte stehende Landmiliz streifte schon bis Kempter Wald, Schongau und Immenstadt. Eine Patrouille von der Ehrenberger Kompanie unter Anführung des jungen Herrn von St .... hatte bei Kaufbeuern 92 junge zwei- und dreijährige baierische Pferde erbeutet. Kufstein war der Angabe nach blockiert. An der ganzen nördlichen Grenze zeigten sich nur Patrouillen vom Feinde, die österreichischen und Tiroler Streifkommandos unter dem Oberstleutnant Baron v. Taxis und Major Teimer sind bis über Weilheim nach Schongau, Landsberg, Kempten und Kaufbeuern, sogar bis Memmingen gekommen. Überdies wurden wir von der Kais. Kgl. Intendantschaft in den ersten Tagen des Monats Mai durch die Tagesberichte der Kais. Kgl. Armee auch noch ununterbrochen mit den erfreulichsten Siegesnachrichten bedient. Ich teile Ihnen daher bloß jene Berichte mit, die unmittelbar auf Tirol Bezug hatten.

In diesem Augenblick trifft die frohe Nachricht aus Werfen hier ein, dass alle Versuche des Feindes, den für die Sicherheit Kärntens, für die Behauptung des salzburgischen Gebirges und für die Wiedereroberung der Hauptstadt Salzburg überaus wichtigen Pass Lueg zu erstürmen oder zu umgehen, mit großem Verluste desselben gänzlich vereitelt worden sind und mit einer eiligen Flucht der Franzosen und Baiern gegen Hallein und Salzburg geendigt haben. Die so wichtige Verbindung beider Armeekorps ist durch das brave Regiment de Baux über den Pass Luftenstein wieder hergestellt. Das Unterinntal ist gegenwärtig stark besetzt, aber noch vor dem Eintreffen der Kais. Kgl. Truppen haben die tapferen Tiroler die Angriffe des Feindes bei Sachering, Wildbüchel und Strub zurückgeschlagen. Den heutigen Nachrichten zufolge herrscht in Kärnten der schönste Wetteifer, die eigene sowohl, als die unendlich wichtige Tiroler Landesverteidigung mit letzten Kräften, mit allen Mitteln zu unterstützen . . .

Im südlichen Tirol sind gleichfalls die kräftigsten Maßregeln getroffen worden, den Feind rasch wieder zu vertreiben. Man hat nun auch bestimmte Nachrichten von der wirklichen Anrückung der von Sr. Kais. Hoheit dem durchlauchtigsten Erzherzog Johann auf zwei verschiedenen Wegen zur Verstärkung Tirols abgeschickten Brigaden. Welcher Geist in der Truppe herrschte, geht unter anderem aus einem Berichte des Unterintendanten v. Meuz aus Lavis vom 6. Mai morgens hervor. Der heldenmütige Oberstleutnant Graf von Leiningen, der der erhaltenen Blessuren ungeachtet immerfort kommandiert, hat in den Gefechten bei Peri und Ala mehr Gefangene gemacht, als er selbst Mannschaft hatte. Ein feindlicher General ist geblieben und 40 Wagen Verwundete fortgeführt worden. Noch vor und in Trient selbst hat seine Handvoll Tapferer einen vierstündigen Widerstand geleistet. Graf Leiningen hatte volles Recht, sich des Ausdruckes zu bedienen, „dass auch in jenem unglücklichen Augenblick Ehre und Ruhm seiner Truppe stets gefolgt" seien.

Se. Kais. Kgl. apostolische Majestät haben dem Lande einen neuen Beweis Allerhöchstdero innigsten Vorliebe und stets wachsamen Vatersorge dadurch gegeben, dass „im gegenwärtigen Augenblicke, wo der Feind mehr disponible Macht zwischen der Donau und Isar habe, die höchste Sorgfalt anzuwenden sei, sein biederes Tiroler Volk durchaus keinen Unfällen auszusetzen". Übrigens seien schleunigst Gelder, eine halbe Million Patronen, Pulver und bedeutende Artillerievorräte bereits nach Tirol disponiert. „Welches hiermit zum tröstlichen Wissen allgemein bekannt gegeben wird. Innsbruck am 3. Mai 1809."

„Der in der heutigen Nacht aus dem Hauptquartier Sr. Kais. Hoheit des durchlauchtigsten Erzherzogs Johann von San Bonifacio unweit Verona zurückgelangte Herr Major und Generaladjutant Baron von Veyder hat die erfreuliche Nachricht mitgebracht, dass Höchstdieselben am 29. und 30. April neue Vorteile über den Feind errungen und sich dadurch in Stand gesetzt haben, selbst mit einer bedeutenden Macht zur kraftvollen Unterstützung des ihrem Herzen unvergesslichen Tirols heranzueilen. Innsbruck, den 3. Mai 1809."

. . . Während uns also noch keine nahe Gefahr drohte und wir sogar keine ahnen durften und die Kais. Kgl.österreichischen Armeen vollends Sieger glauben mussten, riss uns auf einmal der 11. Tagesbericht ganz gewaltig die Augen auf; worin es unter anderem heißt:

„Der Ausgang der blutigen Schlacht am 22. April war unerwartet. Eine große Überzahl der feindlichen Kavallerie hat am Abend dieses Tags ungünstig für unsere Waffen entschieden. Der linke Flügel war gezwungen zu weichen. Nach einer Anzeige Sr. Kais. Hoheit des Generalissimus von der Höhe von Regensburg vom 23. hat die große Armee die Donau daselbst passiert und sich auf der Straße nach Waldmünchen aufgestellt. So endete eine der blutigsten Schlachten, welche 5 Tage fast ununterbrochen dauerte. Oft war das Glück abwechselnd; der Verlust auf beiden Seiten außerordentlich. Dies beweist, dass man mit Mut und Erbitterung gefochten hat. Jedermann lässt unseren Soldaten Gerechtigkeit widerfahren. Der Generalissimus rühmt ungemein das Betragen der Armee, die durch anhaltende Anstrengungen sehr erschöpft wurden. Wir sind für diesen Augenblick aus der Offensive in die Defensive versetzt."

Sie können sich vorstellen, welchen Eindruck diese . Nachricht auf die in Tirol befindliche Kais. Kgl. Generalität und Intendantschaft, die wahrscheinlich noch umständlichere Nachrichten gehabt und die Folgen besser als die Tiroler berechnet haben wird, machen musste, und welche Besorgnisse sie in dem Gemüte des vernünftigen Mannes erzeugte. Die Ranzionierten kamen nun haufenweise von allerhand Mischungen und Aufschlagsfarben ins Land und erzählten uns um ein paar Groschen von den Ereignissen von Eckmühl und Regensburg leider nicht gar tröstende Dinge.

Auf einmal erfuhren wir durch sichere Nachricht, dass Se. Kgl. Hoheit der Kronprinz von Baiern mit einer 18 000 Mann starken Armee auf Tirol zu marschiere. Am 12. Mai wusste man schon allgemein, dass die Kgl. baierische Armee die schwach besetzten Grenzpässe Lueg und Strub mit Sturm genommen und so vom tieferen Unterinntale, wie von Kufstein her, sich grausam rächend vordringe. General Chasteler hatte schon seine ganze Mannschaft nach Wörgl vorrücken lassen. Allein diese war kaum dort angekommen und in der dortigen Ebene in Schlachtordnung gestellt, als sie schon von der von allen Seiten zugleich wütend heranstürmenden Kgl. baierischen Armee überfallen, geworfen und teils niedergemacht, teils gefangen, größtenteils aber in die Gebirge und Seitentäler versprengt wurde. Gleichzeitig wurde im ganzen Wipptale und Ober- und Unterinntale der Landsturm aufgeboten. Dieser rückte auch bereitwilligst aus allen Ortschaften heran. Allein der Fehler war schon gemacht, es ließ sich nichts mehr verbessern. Von allen österreichischen Landwehrbataillonen hielt eine einzige Kompanie ein unbedeutendes Feuer aus. Alle übrigen liefen beim ersten Anfall des Feindes davon und flüchteten sich in die Gebirge und Täler. Der kommandierende General Chasteler hatte große Mühe, seine Person zu retten. Es fehlte wenig, wäre er zu Kundl von den baierischen Chevaulegex gefangen worden. Er hatte seine Rettung einzig den schnellen Füßen seines Pferdes zu verdanken. Ganz entkräftet und totenblass kam er noch in der nämlichen Nacht um 10 Uhr mit seinem Stallmeister und ungefähr 24 Dragonern nach Innsbruck zum Herrn Baron v. Reinhart. Auch der General von Buol und der Intendant Freiherr v. Hormayr kamen dahin. Was darauf erfolgte, werden Sie im nächsten Briefe lesen. Addio.



Quelle: Der Tiroler Volksaufstand des Jahres 1809, Erinnerungen des Priesters Josef Daney, Bearbeitet von Josef Steiner Innsbruck, Hamburg 1909

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.