Die Erinnerungen des Priesters Josef Daney


6. Brief

Scharfes Auftreten des Marschalls Lefevbre. Andreas Hofer bringt ganz Tirol mit einem Schlage zum Aufstand. Bedrängnis und Niederlagen der Baiern. Räumung Innsbrucks. Graf Sarntheins Plünderung. Die Rechtlichkeit Andreas Hofers und der Passeirer. Hauptmann Auckenthaler. Wiederherstellung der Ordnung.

Freund, mit Vergnügen entspreche ich wieder Ihrer Erwartung . . . Nun hören Sie die Geschichte der sogenannten Lefebriade. Der Marschall Herzog von Danzig nahm in der Burg sein Absteigequartier. Auf der Treppe wurde er vom Grafen Sarnthein, Präsident des Appellationsgerichts, von verschiedenen Herren Appellationsräten und mehreren anderen Herren der Stadt empfangen. Der Marschall geriet bei ihrem Anblicke, vielleicht schon aus dem Grunde, dass ihm diese Herren nicht weiter entgegen gegangen sind — was sie des Volkes wegen hochweislich, wie sich's später zeigte, nicht wagten —, in eine sonderbare, wahrhaft französische Wut und unterbrach ihre Anrede in einem schlecht deutschen niederländischen Akzent mit den seinen eigenen Stand, Charakter und nicht weniger als den der respektiven Herren Aufwärter beleidigenden Titeln „Ihr Dummköpfe, Spitzbuben, Lumpen" usw. Wie die Herren übrigens noch mit ihm abgekommen sind, ist mir unbekannt.

Die Armee rückte vorwärts über den Brenner nach Sterzing. Eine kleinere Abteilung war durch Oberinntal nach Vinschgau beordert. Eine Kolonne Franzosen von 10.000 Mann unter dem Befehl des Divisionsgenerals Grafen Beaumont ist über die Scharnitz am 30. Juli in und um Zirl eingetroffen und hat am 2. August ihren Marsch gegen das Oberinntal fortgesetzt, von wo aus sie gegen Vorarlberg aufbrach, um auch dieses Land zur Unterwerfung zu bringen.

Am 31. Juli früh morgens wurde durch schlechte Menschen verbreitet, es werde in der Stadt und den Vorstädten 2 Stunden lang geplündert werden. Allein der Marschall ließ sogleich durch die Polizei überall ausrufen, dass alles Eigentum geschützt, die öffentliche Ruhe und Ordnung auf keine Weise gestört und die Verbreitung derlei Nachrichten auf das strengste bestraft werde. Zugleich wurde auch folgender Befehl öffentlich publiziert und an allen Ecken angeschlagen. 1) So mussten nun die Bürger von Innsbruck alle Gewehre und Waffen, sogar die Uniformdegen der Herren Beamten nicht ausgenommen, einliefern. Am 1. August erließ der Herzog von Danzig eine Proklamation und hat dadurch den Tirolern viel zu früh gezeigt, was aus ihnen werden sollte.

1) Befehl des Generals Drouet, alle Waffen abzuliefern. Innsbruck, 31. Juli 1809. Abgedruckt bei Rapp, S. 480f.

Sie können sich vorstellen, welch bange Erwartungen und welch ein gerechtes Erstaunen diese vorschnelle Verordnung erzeugte, besonders da sich auch der im ununterbrochenen Staatsdienste rühmlich grau gewordene, von einem mehr als 70 jährigen Alter gebeugte Graf Sarnthein und der Appellationsrat v. Peer vor dieser Kriegskommission stellen und von derselben ihr Schicksal und Gnade erwarten mussten. Was man diesen zwei würdigen verdienten Beamten eigentlich mag zur Last gelegt haben, weiß ich nicht; nur soviel ist mir bekannt, dass von übel berichteten oder wahrscheinlicher schlecht gesinnten Privatfeinden und heimlichen Angebern der Marschall Lefebre und die Kgl. baierische Generalität niederträchtig verleumderisch angelogen worden ist, nämlich der Graf Sarnthein hätte sich am 17. Mai, den Landsturm im südlichen Tirol aufzubieten, von Innsbruck nach Bozen und der Appellationsrat v. Peer in der nämlichen Absicht durchs Oberinntal nach Vinschgau und Meran begeben. Der Appellationsrat verließ Innsbruck einzig aus dem Grunde, um nicht wieder Gefahr seines Lebens zu laufen wie am 12. April, wo er von wiederholt in das Haus, ja sogar in die innersten Zimmer eindringenden Bauern geplündert und soweit an seinem Leben gefährdet wurde, dass nur ein Freund den Hackenstreich, den ein stürmischer Bauer auf ihn führte, aufhielt und er sich so, während die Bauern einen Kasten erbrachen und sich mit dem Raube von mehr als 200 Gulden barem Gelde beschäftigten, durch die hinteren Zimmer fliehend retten konnte. Weil er nun bestimmt wusste, dass General v. Buol schon den Auftrag hatte, von Volders sich bis auf den Brenner zurückzuziehen, und daher einzig und für seine Person ganz begründet neue Misshandlungen und Plündereien des retirierenden Pöbels zu fürchten hatte, so entschloss er sich endlich Innsbruck zu verlassen und sich nach Meran, weil man von den dortigen Bauern keine ähnlichen Auftritte zu besorgen hatte, auf sein Landgut zu begeben. Welch aufrührerische Rollen wir auf unserer Reise durchs Oberinntal in Mals und in Meran spielten, habe ich Ihnen schon früher erzählt. Der Graf Sarnthein war lange nicht entschlossen, die Hauptstadt zu verlassen; als man ihm aber die Schreckensgeschichte von Schwaz erzählte und man nicht ohne Grund auch für Innsbruck ähnliche Mord- und Brandereignisse zu befürchten hatte, glaubte er es als Vater einer zahlreichen Familie sich und seinen Kindern schuldig zu sein, sich diesen bevorstehenden Gräueln der Verwüstung zu entziehen, und begab sich daher nach Bozen auf sein nahe an der Stadt gelegenes Schloss. Du lieber Gott! Wie sollte sich einer, der den Grafen Sarnthein persönlich, so wie ich, zu kennen die Ehre hatte, das lebendige Muster der Tugend und Frömmigkeit, das unnachahmliche Vorbild der tätigsten und doch geräuschlosen christlichen Nächstenliebe, den eifrigsten Beförderer der Gerechtigkeit, den Glanz der Kgl. baierischen Staatsbeamten in Tirol, den ausschließlich nur in und für Gott, seinem Fürsten und seiner hoffnungsvoll heranwachsenden Familie lebenden Geschäfts- und Tugendhelden und einen — Landstürmer, einen Volksaufwiegler zusammen denken! — Von den vorgerufenen Ober- und Unterkommandanten erschienen, soviel ich weiß, sehr wenige. Wie sie von der Kriegskommission aufgenommen, behandelt und entlassen wurden, habe ich nie erfahren können. Die zwei besagten Beamten stellten sich unverzüglich vor ihren Richtern und überzeugten sie bald von ihrer unbescholtenen Rechtlichkeit und Unschuld. Ungeachtet dessen traf den Grafen Sarnthein einige Tage später, wie Sie im Verfolg der Geschichte sehen werden, ganz unschuldig leider ein höchst trauriges Los.

In den ersten Tagen bekamen wir die verschiedenen Kriegsberichte und Tagesbefehle der französischen Armee zu lesen. Diese waren freilich zu den früher uns mitgeteilten österreichischen Siegesnachrichten sehr abstechend und, wie Sie sich wohl selbst denken können, in jeder Hinsicht ganz das entgegengesetzte. Vermöge obiger Proklamation hielt der Herzog von Danzig Tirol schon für immer besiegt, unterjocht und entwaffnet; und wer hätte bei einer solchen Lage der Dinge mehr an eine Veränderung denken sollen? — Auf einmal verbreitete sich die Nachricht in der Stadt, Andreas Hofer, Sandwirt in Passeier, stelle sich zur Gegenwehr, und seine Emmissärs laufen schon wieder Berge und Täler durch, den Landsturm aufzubieten. Anfangs hielt man den daraus entstandenen Lärm für die Folge einer boshaft ersonnenen Lüge, endlich musste man sich doch aus folgender Verordnung des Herzogs von Danzig von der Wahrheit überzeugen:

„Kgl. baierische Armee. 7. Korps der Armee von Deutschland.
Da man erfahren hat, dass der Andreas Hofer, sogenannter Sandwirt, Rebellenhauptmann von Passeier, sich erfrecht, Boten in dem Lande herumschleichen zu machen, welche falsche Gerüchte verbreiten und die Einwohner zur Wiederergreifung der Waffen zu verführen trachten sollen — so wird befohlen, dass jedermann, welcher, ohne mit einem gesetzlichen Vorweis von seiner Behörde versehen zu sein, außerhalb seines Dorfes oder Dorfbezirkes ertappt wird, verhaftet, der Militärkommission überantwortet und binnen 24 Stunden hingerichtet werde. Die Pfleger, Bürgermeister und Militärkommandanten werden persönlich für die Vollziehung dieses Befehls verantwortlich gemacht.
Innsbruck, den 5. August 1809.
Unterzeichnet: Der Herzog von Danzig."

Diese Verordnung hemmte nun beinahe allen Verkehr der Stadt mit dem Lande. Sie können sich denken, dass in einer Stadt, die so viel gelitten und bei dem beständigen Wechsel der Oberherrschaft so viele tausend gleich heißhungrige und unersättliche Zwingherren und Plünderer schon gefüttert hatte, bei der Sperre des Landes die fühlbarste Aufliegenheit, ja selbst schon der drückendste Mangel an Lebensmitteln eintreten musste. Mit banger Sehnsucht sah man der Nachricht, Lefebre habe Brixen besetzt und die Straßenkommunikation hergestellt, entgegen. Die Innsbrucker Zeitung teilte uns zwar unterm 4. August die Nachricht mit, dass die Franzosen in Brixen eingerückt seien und dass von Kärnten her eine französische Armeekolonne ebenfalls auf diese Stadt losmarschiere, um sich an die des Generals Rojer anzuschließen. Eine andere aus Italien kommende französische Kolonne sollte bereits in Trient eingerückt sein. Demzufolge hielt man die Gegenwehr, die der Sandwirt leisten sollte, teils für ein ausgesprengtes Märchen und zweckloses Unding, teils für die unsinnigste Wut, die sich denken lässt: als auf einmal die Trümmer und Überreste der ins Oberinntal vorgerückten Kgl. baierischen Truppen sehr übel zugerichtet in einem lächerlich verwirrten Rückzüge nach Innsbruck zurückkamen und daselbst Furcht und Schrecken und die verzweifeltsten Besorgnisse erregten. Indessen ließ sich doch von dem, was bald darauf erfolgte, mit Grund auch von der Ferne nichts ahnen, bis uns auf einmal am 11. nachmittags eine dicke Staubwolke auf dem Berg Isel aufmerksam machte und den stürmischen Rückzug des ganzen Lefebre'schen Armeekorps ankündigte.

Sie staunen? Freund! Wir staunten in der Stadt nicht weniger und sahen einander mit aufgerissenem Maul und Augen an, als wir unsere Beherrscher, die wir mit der prächtigsten Haltung vor 11 Tagen in endlosen Zügen durch die Stadt vorrückend bewunderten, nun wieder besiegt, zertrümmert und erschrocken sich zurückflüchten und daselbst ihre Rettung und Heil suchen sehen mussten. Lassen Sie nun Ihrem Geiste bei dieser Szene ein Weilchen seinen eigenen Spielraum; die lächerlich tragische Beschreibung dieses in seiner Art einzigen, ganz sonderbaren Rückzuges liefere ich Ihnen weiter unten, wenn ich Sie mit meiner Erzählung in verschiedene Landesteile herum und endlich wieder nach Innsbruck werde zurückgeführt haben. Also zurück nach Sterzing, Pustertal, Trient und Vinschgau.

Am 3. August verließ das Kais. österreichische Militär die Stadt Brixen und zog sich, nachdem es alle französischen und baierischen Gefangenen an sich gezogen, durchs Pustertal hinab. In Lienz wurden dem französischen General Rusca die Gefangenen übergeben. Graf von Leiningen und seine Helden verließen mit Tränen in den Augen das ihnen so teure Tirol. Die Namen dieser tapferen Krieger und Verteidiger des südlichen Tirols werden in den Jahrbüchern meines Vaterlandes ewig angepriesen und hochberühmt bleiben. Herr Eisenstecken, Badlwirt von Bozen, Herr Major Sieberer von Langkampfen, Frischmann von Kortsch und mehrere andere Tiroler flüchteten sich mit den kaiserlichen Truppen nach Österreich, Andreas Hofer, Sandwirt, blieb, wie Sie oben gesehen, im Lande zurück. Ob er noch vor dem Abzuge des österreichischen Militärs beim General v. Buol und bei der Kais. Kgl. Intendantschaft zu Brixen gewesen, oder was er dabei abgetan, ob und welche Aufträge er erhalten habe, ist mir, ungeachtet meines eifrigsten Nachforschens, nie zu erfahren gelungen. 2) Dass er aber die Waffen nicht niederzulegen gesinnt war und nicht einmal wusste, dass Frischmann sich mit den Österreichern aus dem Lande geflüchtet und dass ihn zu Sterzing mehrere Flüchtlinge aus verschiedenen Teilen des Landes müssen umgeben und zur Wiederergreifung der Waffen aufgefordert haben, erhellt aus nachstehenden von ihm erlassenen buchstäblich hier abgeschriebenen Proklamationen:

„Störzing den 2. August 1809.
Die Gemeinde in ganz Oberjnthal hat wiederum die Waffen zu ergreifen, und alles, was möglich, soll gehen; dann unser theuerstes Vatterland ist alles Werth, dan die unter Jnthaler sind alle auf da schon zwey Depedirte zu mir gekommen sind, folglich werden auch da keine Streitigkeiten werden.
Andere Hofer Ober Comendant.
v. Passeyr. Stebele Comendant.

Sandwirt soll in Sterzing solange verweilet haben, dass ihn die Kgl. baierischen Truppen bald gefangen bekommen

2) Hofer und Eisenstecken trafen von Sterzing kommend den General von Buol im Brenner Posthause. Gerade hatte der General einen Befehl Chastelers zum Rückzuge nach Brixen erhalten. Lebhaft und heftig protestierten Hofer und sein Begleiter gegen den Abmarsch des Militärs. Ein Offizier konnte schließlich beide beruhigen. — Hofer gab aber die Sache noch nicht verloren. Er wandte sich nach Pustertal und traf im Hauptquartier zu Bruneck den General Chasteler und den Intendanten Hormayr. Dem vereinten Zureden — inzwischen waren auch Teimer und Veider vom Unterinntale nachgekommen — gelang es, Chasteler zur Umkehr ins Eisacktal zu bewegen. An der Ladritscher Brücke trennte sich Hofer von Chasteler, um sich mit dem Landsturm nordwärts zu wenden. Näheres s. bei Hirn, S. 445 ff.

hätten. Beim Einmarsch dieser daselbst begab er sich auf das Jaufengebirg und von dort aus suchte er, wie aus folgendem Aufrufe sich zeiget, einen verborgenen Aufenthalt. Wie ich nachhin erfahren, soll er sich auf kurze Zeit in den sogenannten Schneeberg zurückgezogen und daselbst versteckt gehalten haben. Von diesem seinem verborgenen Aufenthalte erließ er nachstehenden Aufruf.

„Abgeschükt um 6 Uhr den 4. August 1809.
Herzallerliebsten Tyroller absonderlich aufrichtige Baseyrer.
Seyt von der Güte versehet alle jene Bunkten, welche ich euch vorschreib Affisiert, oder berichtet alle Gerichter, so im Land Tyroll seind, und dieß mit Eylfertigen Staffeten, berichtet auch, daß mein Herz nicht untreu seye, man möcht mir verzeichen, indem ich Voglfrey bin, und eine grössere Suma Geld auf mich gelegt worden ist, so bin ich dermahlen in einem ungelegenen Ort, und werde nicht sichtbar werden, bis ich nicht sich, das sich die wahren Batrioten von Land Tyrol hervorthun werden, und die Gegenlieb einander so erzeigen und sagen wegen Gott Religion, und Vaterland wollen wir streiten, und Kämpfen, werde ich den ersten Augenblick sichtbar seyn, und werde sie anfiren, und comendieren, soviel mein Verstand besitzt, die Botschafter aber sind auszuschüken in eill. Und wird angemerkt auf wahre Landesvertrauten von einen Gericht zum andern. Bis auf dahero abzugeben. Die Bunckten. Das noch eingeführte den Deputirten nach Botzen.

Indessen aber möchten zwey ab deputirt werden, um Munition nacher Gries nägst Botzen zum Anwalt hinzukomen, um selbige zu erheben. Es wär der Fall, sie wäre ihm nicht eingeräumt worden, so hat H. Anwalt von Gries zum Badlwirth sein Schwager Gastwirth am Weintrauben hinzugehen, um sich zu erkundigen, wo er die Munition hat abgelegt. Wann allenfalls in Botzen keine abgelegt worden ist, so müßen sie sich zum Kreutzwirth auf Brixen wenden, was ich mich weiß zu erinnern, so wird ein Fasl Bulfer noch beym Badlwirth liegen, wo die Wirthin ist anzufragen, und das Bley wird sicher beym Anwalt in Gries seyn, damit man nicht bedarf nach Brixen zu gehen, stellet mir diese abgesetzten Bunckten eilfertig in Werck, alsdan werden wir mit Gott siegen für Religion, und Vatterland.

Den Frischman zu Schlanders ist dieß auf das allerersten zu berichten, wie auch den Herrn Morendell. Den Frischman ist auch zu schreiben, daß er sich nicht auf den Teimer verlassen solle, das heis ich abweichen, oder Verräter des Tyrols. Er möchte auch den Deputirten schreiben in Voradelberg, den er schon hätte sehen kommen von Lienz herauf mit dem Badlwirth es habe dabey zu verbleiben, wegen dem Vaterland was ich ihm dorten zugeschickt habe. Er möchte aber machen daß bey ihm auch Wort gehalten werde, er dörfet sich auch erkundigen, wie die Schweizer sagen, oder machen.
Euer treues Herz-
Andere Hofer Ober-Comendant von Baseyr dermahlen wo ich bin. Gegenwärtige Eröffnung wird zu wiesen, und benehmen mit dem mitgetheilt, daß man hier bereit ist Obiges zu befolgen, und sich zu vertheidigen, welches man auch von dort aus hoffet.
Um ¾ auf 3 Uhr abgeschickt den 4. August 809.
Joseph Gufler Anwalt."

Freund! Lachen Sie nicht über den Stil und über die Einfalt des Inhalts dieser Aufforderung; der Erfolg wird Ihnen zeigen, was sie vermochte. Die Gemeinden Latzfons und Velthurns bei Brixen rüsteten sich schnell zum Widerstand, drohten allen übrigen Ortschaften mit Feuer und Verderben, wenn sie nicht eiligst zu den Waffen greifen und sich ihnen anschließen wollten, und besetzten das sogenannte Brixner Kläusl und die Gebirge links und rechts bis Mittewald vor. Das nämliche geschah im Pustertale, wo dem französischen General Rusca beim Lienzner Engpasse die stärkste Gegenwehr geleistet wurde. In den südlichen Landesteilen und auf dem Nonsberg wurde der Landsturm aufgeboten, um sich gegen die von Trient her anrückende Kolonne Franzosen zu verteidigen. Hauptsächlich aber hatte die Empörung und die Wut in Kortsch, einem großen wohlhabenden Dorfe nächst Schlanders, ihr Brutnest. Die Kortscher, schon von jeher als die widerspenstigsten und am meisten rebellischen Gegner jeder auch noch so unbedeutenden Neuerung berüchtigt und daher auch von ganz Vinschgau vulgo die Republikaner oder Korsikaner genannt, waren die ersten, welche in Masse die Schlanderser unter Androhung, das Dorf zu plündern und zu verbrennen, zum allgemeinen Aufstand aufforderten. In alle Dörfer schickten sie Sturmschläger voraus. Sie können sich denken, was nun geschah, da schon das Sturmschlagen an und für sich rebellisch macht. Das Gesindel rottet sich zusammen, der kleinere, vernünftigere Teil wird überstimmt und überschrien, und so sammelt sich eine wirre Masse, der schon kein Mensch, kein Dorf, keine Stadt mehr widerstehen kann. Wie bei einer Schneelawine die erste Flocke klein und unbedeutend, oft nur von einem Hasen oder Raubtiere locker gemacht, im Herabrollen sich bald zu einem großen Ballen rundet, der mit jedem Augenblicke Ausdehnung, Schwere und Kraft gewinnt und endlich hochgeballt durch fürchterliche vorherheulende Winde die seit hundert Jahren jedem Sturm trotzende stolze Eiche stürzt und, kaum entwurzelt, samt Luft und Felsenstücken in ihre wild auffressende Masse wirbelt und mit Blitzesschnelle schauerlich krachend das tiefe Tal bedeckt und neue Seen und Berge bildet, so rollte Kortsch mit grauser Wut alle Dörfer vor und mit sich hin. Was Kortseh hinab gegen Meran bewirkte, das wurde der in den vorigen Briefen erwähnte Johann Alber von den Kortschern mit der Mannschaft vom Sonnenberg gegen Obervinschgau und Inntal zu unternehmen gezwungen. Passeier war nun der Sammelplatz. Dort erwählte Hofer neue Kommandanten und schickte sie über Gebirge und Gletscher in die verschiedenen Gegenden und Täler des Landes dem Lefebre in den Rücken, welches Ihnen folgendes Aktenstück beweist.

„Nebst dem Reise Baß des Martin Fierler nach Hall ist ihm auch diese Vollmacht von Andere Hofer Ober-Comendant ertheilet worden wie folgt
Copia.
Auch wird diesen von Unterzeichneten der ganze Gewalt ertheilet, und die Komission übergeben, daß Martin Fierler den Ober-Inthaler Landsturm aufbiethen soll, und dieses nur durch Anzeige auf diese, welche in jeder Gemeinde sich Alzeit zu diesen Ende haben brauchen lassen.
Baseyr den 5. August 1809.
Andere Hofer Ober-
Comendant v. Baseyr."

Der Landsturm von Passeier, Meran und Vinschgau kam erst auf das Jaufengebirge, als die Bauern von der Brixner Gegend mit der ersten Kolonne des Lefebreschen Armeekorps, meist aus Sachsen bestehend, bei Mittewald, zwischen Brixen und Sterzing schon im heftigsten Kampfe verwickelt waren. Die Bauern brannten die in der dortigen Gegend über den Eisack führende Brücke ab und erschwerten dadurch den sächsischen Truppen das Vorrücken gegen Brixen. Mit jeder Stunde vermehrte sich die Anzahl der Bauern. Schnell war die sächsische Kolonne von den Bauern umgangen und von der übrigen Armee abgeschnitten. Auf ein gegebenes Zeichen wurden ganze Felsenmassen selbst von Weibern auf die Soldaten herabgerollt, ganze Züge samt Pferden und Kanonen zerquetscht, vernichtet und unter dem Schutte begraben und die übrige ganze Truppe von den Bauern gefangen. Als Lefebre zu Hilfe eilen wollte, fand er nicht nur allein von dieser Seite schon den heftigsten Widerstand, sondern auch auf dem Sarntaler- und Jaufengebirge ganze Massen bewaffneter Bauern, die ihm in die Flanke und in den Rücken fielen. In kurzer Zeit befand er sich in Sterzing wie in einem Kessel, von allen Seiten umringt. Überall schickte er zugleich die tapferen Kgl. baierischen Batallione durch die Feld- und Gebirgswege, bald diese, bald jene Anhöhe zu erstürmen, aus. Die Soldaten fochten neuerlich, aller Mühseligkeiten und Beschwerden des Bergsteigens ungeachtet, wie unerschrockene Helden, erstiegen mit großem Verluste manchen Hügel, ja selbst die Sterzinger Alpenhöhe und kamen, weil die feuerscheuen Vinschgauer (einzelne, und die ganze Kompanie des unerschütterlich tapferen Simon Freißeisen von Morter, die mehrere Stürme ausgehalten und wiederholte mit dem besten Erfolg angelegt hatte, ausgenommen) überall davon liefen, den felsenfesten Passeirern und Meranern mehrmal ziemlich und so nahe, dass sich der Sandwirt gezwungen sah,
an einen seiner Freunde nachstehendes Schreiben zu erlassen:

„Besonders lieber Stallele!
Indeme die Vinschger wahrhaft schlecht seyn, und alle zum Teufel laufen, und gienge so gut, weil wir wegen die Vinschgauer zu schwach seyn könnten, so wirst du dringend ersucht, gleich 6 oder 7 Kompagnien hieher zu verordnen, aber nur geschwind, es gehet sonst alles gut, pur wegen die Vinschger, damit sie uns nicht alleweil rechts und links auf den Buggl kommen.
Lieber Stallele! mach nur, daß sie Tag und Nacht gehen.
Kalch den 9. August 1809. Andere Hofer, Oberkomendant
von Basseyr
Johann Spitaler Weisblatter
Johann Pruner Höbsaker."

Die Passeirer und die Kompanien von dem Landgerichte Meran kämpften wie wütende Löwen, achteten keine Gefahr, keinen Tod und kein Verderben mehr. Sich wechselseitig und gleichsam mit verjüngten Kräften zum neuen Kampfe und zu frischem Heldenmut zu stählen, jauchzten sie sich das Losungswort „Hofstetten, Schwaz“ selbst in der Ferne von den Hügeln zu. Lefebre war schon bereits mit bedeutendem Verlust von allen Seiten geworfen, als er erfuhr, dass sein ganzer rechter Flügel im Oberinntale teils von den Bauern aufgerieben, teils gefangen sei und Innsbruck neuerdings von heranrückenden Sturmmassen bedroht werde. Dieser Fang im Oberinntale zwischen der Prutzer- und Pontlatzbrücke, schon an und für sich sehr wichtig und folgenreich, war noch darum besonders merkwürdig, dass es die nämliche Gegend, derselbe Platz war, wo die Baiern im Jahre 1703 von den Tirolern eine schreckliche Niederlage erlitten und ihren gänzlichen Untergang fanden. Von Innsbruck bis gerade vor Prutz rückte dieser Lefebres rechter Flügel ungehindert und ohne die geringste Spur von Feindseligkeit oder Volksaufstand zu entdecken, vor. Vor Prutz, wo die Brücke abgetragen war, stellten sich zuerst sehr wenige Gebirgsbauern zur Gegenwehr und vermochten das Vordringen der Baiern so lange zu verhindern, bis von mehreren Seiten und hauptsächlich in der Flanke und im Rücken der Truppen sich eine Masse Landstürmer sammeln konnte. Nun kam es zu einem hitzigen Kampfe, den erst der oben erwähnte Johann Alber durch kluge Verteilung der Posten und vorzüglich durch das richtige Treffen seiner mutigen Berg- und Wildschützen entschied. Von diesen wurden die Offiziere vor ihren Reihen, die Pferde vor ihren Kanonen hingestreckt. Das ganze baierische Militär schlug sich hier mit unglaublicher Tapferkeit und trotzte lange allen Gefahren. Doch die Zahl der Bauern vermehrte sich und vorzüglich im Rücken der Soldaten mit jeder Minute und schnitt ihnen jeden Ausweg und jeden Schein der Möglichkeit eines Rückzuges oder einer sonstigen Rettung ab. Nirgends in der Welt kann eine Truppe nach meiner Ansicht so in die Falle gezogen werden, wie gerade zwischen Prutz und der Pontlazbrücke. Schon von Landeck bis zur Brücke (beinahe 3 Stunden) schneidet das hohe unfruchtbare Gebirge und die an vielen Orten schauerlich über den Kopf des Wanderers hervorragenden steilen Felsenwände einzig die sich verschieden krümmende, an manchen Orten durch Klippen gebrochene, sehr häufig mit großer Kunst und Aufwand untermauerte schmale Straße und der reißende Inn durch. Eben bei Pontlaz schließt sich; das Tal von beiden Seiten mit abgeschnittenen mehr als turmhohen Felsenwänden so eng zusammen, dass eine einzige Brücke desselben ganze Breite misst. Diese übersetzt, öffnet sich die Gegend in eine romantisch schöne Weite; der sich wunderbar im Bogen ziehende Inn bildet gleichsam eine schon von der Natur zu einem militärischen Lager ausgestreckte Insel. Doch der Anblick der nicht fernen Dörfer zieht den beklommenen matten Krieger mit raschem Zuge hin. — Noch 100 Schritte vor! — Dort ist Ruhe, Rast und Labung! Halt! Da steht die Brücke nicht, und der Held am Berge. Hart am steilen Sauerbrunnfelsen stürzt der Inn bei Prutz vorbei und schneidet Ebene, Dorf und Berge ab. Auf ein gegebenes Zeichen rollten wieder Steine und Felsenstücke auf die Straße herab. In dieser Lage musste die ganze Kolonne ohne Rettung verloren sein. Das Vorrücken war schlechtweg so wie der Rückzug unmöglich, denn beide Brücken waren, wie ich Ihnen schon sagte, bereits abgetragen. Stürmte der Soldat den Berg hinan, so wurde er von den hinter Steinen und Bäumen versteckten Bauern herabgeschossen, blieb er auf der Straße oder auf den Feldern stehen, so schossen ihn die Bergschützen und Wildjäger nieder; denn diese luden bloß um einige Löchlen, wie sie es zu nennen pflegen, mehr. Sie müssen wissen, der Tiroler versteht und verlässt sich auf seinen Stutzen in fast unglaublicher Entfernung.

Wollten nun die Herren Militärkommandanten sich und Ihre Soldaten nicht zwecklos geopfert und vernichtet sehen, so mussten sie sich den Bauern ergeben. Die Kapitulationsfahne wurde geschwungen. Johann Alber und verschiedene Hauptleute der Bauern traten vor. Die Kapitulation wurde abgeschlossen. Aber leider gings da wieder wie am 13. April auf den Wiltauer Feldern. Die Reiter wurden von den Pferden gerissen; jeder Bauer wollte ein Pferd, jeder einen Säbel, ein Gewehr haben. Der Kommandant Johann Alber benahm sich bei dieser Gelegenheit mit seinen braven Sonnenbergern so uneigennützig und so ausgezeichnet rechtlich, dass er den gefangenen Soldaten von seinen Leuten nicht nur allein nichts abnehmen ließ, sondern sie, soviel in seinen Kräften lag, vor Misshandlungen und Plünderungen der stürmisch raubgierigen Obervinschgauer schützte: worüber ihm die Kgl. baierischen Herren Offiziere auch ein überaus schönes Zeugnis der Dankbarkeit schriftlich in die Hände legten. Auch die Frau Tschott, Wirtin zu Pfunds, verdankt diesem rechtschaffenen braven Manne ihre und ihres Hauses Rettung. Das ganze gefangene Militär wurde unter dem Schutze dieses biederen Kommandanten nach Vinschgau transportiert und die Herren Offiziere von ihm, weil er eben so wohlhabend als menschenfreundlich ist, bestens verpflegt.

Von Prutz rückte der Landsturm unaufhaltsam weiter vor ins Inntal hinab. Die kleineren Abteilungen der in verschiedenen Dörfern zur Besatzung zurückgelassenen Soldaten wurden aller Orten wütend überfallen, und die sich nicht mit stürmischer Eile durch die Flucht oder über die Grenzen oder nach Innsbruck retteten, wurden entweder niedergemacht oder gefangen. Am 10. hatte sich Lefebre schon auf den Brenner zurückgezogen. Allein der Inntaler und Stubaier Landsturm hatte schon dem Marschall im Rücken von beiden Seiten die Gebirgshöhen von Matrei bis beinahe auf den Berg Isel besetzt. Auf dem Fuße folgten ihm die tapferen Meraner und Passeirer nach und drückten ihn mit großem Verluste zurück. Jeden Hügel und jede Straßenwendung musste er auf seinem Rückzüge, mit Gefahr seines eigenen Lebens dem verheerendsten Kugelregen ausgesetzt, erstürmen. Aus der Verwirrung und aus der schauerlich bunten Mischung der Kavallerie und Infanterie, der Offiziere und Soldaten, der Artillerie und des Fuhrwesens, überhaupt aus dem sonderbaren dieser ganzen Retirade konnte man auf den unglaublichen Verlust, den er bei Sterzing und auf seinem Rückzüge musste erlitten haben, schließen. Die Bauern kamen mit dreister Unverschämtheit selbst seiner höchst eigenen Herrlichkeit so nahe zu Leibe, dass er gezwungen war, eine große Strecke Wegs zwischen zwei Pferden zu Fuß zu machen und sich zu äußern, dass „ces coquins de brigands“ 3) ihn in größere Verlegenheit als die Russen einst vor Danzig brachten. Dringendst bat und beschwor

3) Diese Lumpen von Briganten.

er Offiziere und Soldaten, ihn zu retten, indem sonst sein herzoglicher Ruhm und Ehre, ja selbst sein Marschallskopf zugrunde gingen. Seine kriegerische Fassung hatte er bereits schon verloren. Verwirrt und ohne Hut, mit Kot und Staub bedeckt, kamen Se. Durchlaucht, einzig durch den jedes Hindernis und alle Gefahren überwältigenden Mut der Baiern gerettet, nach Wiltau. Offiziere ohne Truppen, Soldaten ohne Führer, Pferde ohne Reiter, Reiter ohne Pferde, Tambours ohne Trommeln, Kanoniere ohne Kanonen, Kanonen ohne Kanoniere, zertrümmerte Lafetten auf zerquetscht hinkenden Rädern, Soldaten als Fuhrknechte, Weiber ohne Brandweinflaschen, Hunde ohne Herren — alles kam in schrecklich lächerlich buntem Wirbel, wie von einem Sturmwinde hergetrieben oder von einer wilden Furie und feurigen Nachtgespenstern gepeitscht, erschrocken und beängstigt, ja totenblass auf einmal durch die Stadt herab.

Freund! Nun denken Sie sich die höchst kritische Lage der Stadt Innsbruck. Was sollte nun aus der ganzen Gcschichte im den vernünftigeren, weitersehenden Mann Tröstendes oder Beruhigendes erfolgen? Wir kannten unsere Bauern und ihre unüberwindliche Tapferkeit; wir wussten schon so gewiss als bestimmt, dass Lefebre, wenn er sich nicht eiligst zurückzieht und aus dem Lande windet, samt seinem zertrümmerten Armeekorps vernichtet oder gefangen wird. Von Seite der siegenden Bauern hatten die Bürger unvermeidlich neue Plünderungen zu befürchten. Wer wird sich an die Spitze des Volkes stellen? Wer das Ruder der Verwaltung der Geschäfte und der Regierung des Landes ergreifen? Wer unter einem rasend unbändigen Pöbel Ansehen und Oberherrschaft behaupten? In wessen Namen soll alles geschehen? Wie lange soll und wird die Oberherrschaft der Bauern dauern? Wann und wie wird sichs ändern? usw. usw. O Himmel! welch schauerlich grause Blicke in die Zukunft; doch wir waren durch den beständigen Wechsel der Dinge schon für alles, was da kommen mochte, gefasst und gestählt.

Noch am nämlichen Abend griffen die Bauern auf dem Berg Isel von allen Seiten an. Lefebre hatte die größte Mühe, sich in Wiltau und am Fuße des Berges zu behaupten. Das wechselseitige Feuern dauerte bis in die späte Nacht hinein, und wenn nicht ein Kgl. baierischer General den Marschall aufmerksam gemacht hätte, dass die Bauern vor Ave Maria-Läuten zu plänkeln nicht aufhören würden, und ihm angeraten hätte, in Wiltau das Zeichen des englischen Grußes (jedes Glockenzeichen war streng verboten) geben zu lassen, so würden die Bauern vielleicht die halbe Nacht ihr Feuern nicht eingestellt haben. So aber geschah auf den ersten Glockenschlag der letzte Schuss. Das Militär lagerte zum Teil auf den Wiltauer Feldern, zum Teil wurde es in der Stadt einquartiert. Tausende, ja unzählige Wachtfeuer der Bauern, künstlich da in einer graden Linie, dort in einem Halbzirkel oder triangelförmig bis an die höchsten Berge gezogen, erhellten hochflammend das finstere Tal.

Kaum fing der Tag zu grauen an, erneuerten die Bauern jauchzend ihren Angriff. Lefebre ließ ein Bataillon nach dem andern vorrücken, formierte aus den Trümmern der Regimenter Massen und befahl ihnen, bald diese, bald jene Anhöhe zu erstürmen. Fürchterlich ließ er seine Artillerie von der Ebene in die Gebirgsschluchten hinaufspielen. Die Baiern fochten neuerlich wie ergrimmte Löwen, erstürmten mit unglaublichem Mute manchen Hügel, zerstreuten öfters ganze Massen Bauern und schienen manchmal zu siegen. Auf einmal sammelten sich die Bauern wieder, stürmten mit vereinter Wut von höhern Bergen und Wäldern herab; das Militär wurde wieder mit bedeutendem Verluste geworfen und sich durch die schnellste Flucht über die Berge herabstürzend nach Wiltau zu retten gezwungen. Von diesem ganzen und den folgenden Treffen bin ich einer der nächsten Augenzeugen; denn ich war selbst wiederholt auf den Wiltauer Feldern und half blessierte Baiern in die Stadt zurücktragen. An diesem Tage wurde beinahe mit gleichem abwechselndem Glücke gefochten; nur dass Lefebre ungleich mehr Tote und Blessierte zählte; übrigens behaupteten beide Teile ihre Posten. Das Ave Maria-Zeichen, welches Lefebre aber früher geben ließ, machte dem blutigen Kampfe ein Ende, nachdem der Marschall zuvor den schönen, geschmackvoll und kostbar möblierten Dalla Torré-Hof durch Haubitzgranaten hat in Brand stecken lassen.

Am 13. wurden Kranebitten und die Höfe bei Allerheiligen, weil die Bauern immer näher rückten und schon die untersten Hügel der Berge besetzten, das nämliche Opfer seiner Wut. Er glaubte nämlich, die Bauern dadurch abzuschrecken; allein der Anblick dieser flammenden und eingeäscherten Brandstätten machte sie erst ganz und so wütend, dass sie ohne weiteres das Lager und die Stadt stürmen wollten, weswegen sich der Sandwirt auch gezwungen sah, Sr. Herzogl. Durchlaucht in einem Briefe, den er an die Vorposten schickte, zu bedeuten, Hochdieselbe sollen eiligst die Stadt räumen, widrigenfalls sehe er sich genötigt, Hochdero mit Sturm daraus zu vertreiben. Schon die Aufschrift dieses Briefes soll den Marschall völlig rasend gemacht haben. Sie war nämlich, wie ich mir sagen ließ:

„An meinen insonders geehrten und vielgeliebten
Herrn Waffen-Bruder Lefebur
Innsbruck."

Denken Sie sich nun die französische Wut des Marschalls und die fürchterliche Lage des Militärs. Der nie geschlagene Herzog von Danzig, von Napoleon so vorzüglich ausgezeichnet und mit dem Oberkommando der ganzen Kgl. baierischen Armee und so vieler Alliierter, die er zum Sieg zu führen gewohnt war, beehrt, und sich wahrscheinlich und nicht ohne Grund Herzog von Tirol träumend, sah sich so schändlich von einem Haufen Landstürmer geworfen, seine Armee geschlagen, umringt, selbst in der größten Gefahr, ganz aufgerieben oder gefangen zu werden und von einem Bauern als „insonders geehrter und vielgeliebter Waffen-Bruder“ gutmütig und wohlmeinend aufgefordert, Stadt und Land zu räumen.

Indessen war es dem Sandwirt und den Bauern voller Ernst. Am 14. begannen sie den Kampf zugleich von allen Seiten mit stürmischer Entschlossenheit. Die Soldaten wurden neuerlich allerorten geworfen; der Marschall schien schon alle Besinnung, alle Fassungskraft, ja selbst den ganzen Kopf verloren zu haben. Persönlich, bald zu Pferd und bald zu Fuß, führte er ein Bataillon im Sturmmarsche von Wiltau nach Höttingen und von da durch die Stadt wieder zum Berg Isel zurück und befahl neuerlich, die von den Bauern besetzten Anhöhen zu stürmen. Sie können nicht glauben, mit welcher Bereitwilligkeit und Ausdauer die Truppen fochten. Jeder Soldat war ein Held. Allein unter den Bauern gab es grimmig mutige Löwen, die alles um und vor sich niederschlugen.

Lefebre sah sich bereits ohne Hoffnung und Rettung verloren und beschloss, das Land zu räumen. Zuvor aber wollte er seinem Heldenmute auf dem Berg Isel zum langen Andenken ein Monument errichten und ließ daher noch vor seinem Rückzuge den schönen Sarntheinhof und zwei andere daneben stehende Höfe in Brand stecken. Freund! Dieser letzte Brand machte die Bauern ganz rasend, so zwar, dass sie ihre Stutzen und Gewehre oben an den Zäunen auflehnten, sich mit Baumästen und Zaunstangen bewaffneten, völlig unsinnig wütend auf die Soldaten aus den Wäldern herabstürzten, eine mörderische Niederlage anrichteten und einige gleichsam mit Riesenkraft in den glühenden Brand hineinwarfen. Hu! Welch schauerlich die Menschheit empörende Auftritte! Welch unbegreifliche Wut eines bedrückten, gereizten Volkes! Welch schreckliche Lage des mit zwecklosem Unsinn vom Fremdling geopferten deutschen Söldlings im ungleichen Kampfe mit seinem ihm nachbarlich wohnenden Bruder! Lefebre hatte hohe Zeit, sich, nach dem eigentlichen Sinne des Wortes, aus dem Staube zu machen. Am 15. August als am hohen Maria-Himmelfahrtsfeste hatten die Bauern schon unabänderlich beschlossen, in der Stadt Messe zu hören, und es würden unvermeidlich die blutigsten Züge diesen hohen Festtag bezeichnet haben, wenn Lefebre nicht schon um 10 Uhr nachts vorher sich zurückgezogen und die Stadt geräumt hätte.

Dieser unselige Augenblick war es, wo Graf Sarnthein unschuldig als ein trauriges Opfer wahrhaft französischer Wut fiel. Lefebre befahl, mehrere Geiseln auszuheben, auf Wagen zu werfen und mitzuschleppen. Allein er hatte zum größten Glücke höchste Zeit, auf seine eigene Flucht und Rettung zu denken. Der allgemeinen Verwirrung wegen wurden also nur eiligst der Graf Sarnthein, der Baron v. Schneeburg, die Baronesse Sternbach und Straub, Wirt in Hall, der schon einige Tage in Innsbruck gefangen saß, ausgehoben. Dieser letztere aber sprang, vom Dunkel der Nacht begünstigt, in den Niederkircherschen Stall hinein und entkam glücklich durch die Flucht. Ich weiß zuverlässig, dass mehrere Herren von der Stadt auf der Deportationsliste standen. U. a. habe ich einen, zufällig davon unterrichtet, noch zu rechter Zeit gewarnt, aus seinem Hause in mein Quartier geführt und in meinem Zimmer verborgen. Diesem ebenso wie Graf Sarnthein ganz unschuldigen Beamten war das nämliche Schicksal beschlossen. Die französischen Gendarmen nahmen sich nur nicht mehr Zeit, ihn abzuholen; sie würden ihn aber auch vergeblich gesucht haben. Graf Sarnthein, Baron v. Schneeburg und die Baronesse Sternbach wurden in einen kleinen, sehr engen, verdeckten Leiterwagen, in welchem nicht einmal ein Brett zum Sitzen war, geworfen und von dem wirren Strudel der stürmisch fliehenden Baiern fortgewirbelt. Denken Sie sich die schmerzlichen Gefühle dieser würdigen verdienten Männer! Plötzlich und so unbarmherzig aus den Armen ihrer Gattinnen, aus dem Schöße ihrer zärtlich liebenden Familien, aus dem treuen Zirkel ihrer Freunde und Mitbürger schimpflich wie die größten Staatsverbrecher auf einen Karren geworfen, wurden sie, nachdem durch das ganze Unterinntal hinab alles Ungemach (sie konnten nicht einmal aufrecht sitzen und, nachdem in Rattenberg noch ein Geistlicher zu ihnen hineingeworfen wurde, kaum Atem schöpfen) überstanden, erst noch, wie sie baierischen Boden betraten, in verschiedenen Orten dem Pöbel zur Schau ausgestellt. Sie können sich vorstellen, welchen Schimpf und Spott diese schuldlosen Männer anhören mussten. Nur mit einigen Kronentalern ließ sich der die Wache kommandierende Unteroffizier bewegen, dass sie in der Nacht nach München geführt wurden. In München wurde der bürgerliche und nichtbürgerliche Pöbel allemal ganz wütend, wenn es wieder hieß, dass man Tiroler bringe. Daselbst wurden die gefangenen Tiroler schreckbar misshandelt; man riss sie, wie man mir in München selbst erzählt hat, bei den Ohren herum, spie ihnen ins Gesicht, warf mit Steinen auf sie und schlug einige derselben halb tot, bis die Kgl. Polizei den Befehl erließ, keinen Tiroler mehr beim Tag in die Stadt zu führen. Baron v. Schneeburg und Baronesse Sternbach wurden von München nach Straßburg geliefert. Dieses sonderbare Frauenzimmer soll mit der Tabakspfeife im Munde den Herzog von Danzig ersucht haben, er möchte, wenn ihr allenfalls der Tod beschlossen wäre, sie ja mit dem Gesichte gegen Österreich aufhängen und mit dem Kopfe abwärts gegen Kaiser Franzens Staaten begraben lassen. Graf Sarnthein wurde seines hohen Alters und vorzüglich seiner von Sr. Majestät dem König anerkannten gänzlichen Unschuld wegen in München zurückgelassen. Allein er erkrankte daselbst bald und endete, von inneren Leiden erdrückt, und durch die auf der Reise ausgestandenen Strapazen und Gefahren in kurzer Zeit sein verdienst- und ruhmvolles Leben.

Von meinem Zimmer sah ich mit meinem Freunde die ganze Nacht mit Herzenslust dem stillen Rückzuge des Marschalls zu. Kanonen, Rüst- und Pulverwagen und die Kavallerie zogen sich meistens hinter der Stadt durch die Sillgasse zurück. Die fliehenden Soldaten schlichen sich, ohne Laute von sich zu geben, wie verscheuchte Diebe auf den Zehen trappelnd, durch die Neustadt herab. Um 2 Uhr morgens war Innsbruck wie ausgekehrt von allen Truppen leer. Um 3 Uhr kamen schon die ersten Bauern die Stadt herab. Diese ersten waren die unerschütterlichen Helden, die, ohne sich aufzuhalten, mit raschem Zuge den in schimpflich stürmischer Eile durchs Land hinausstürzenden Lefebre verfolgten. Fürchterlich majestätisch war der Anblick dieser tapferen Zertrümmerer der Armeen. In schnellen geraden Schritten, mit gespannten Stutzen und behutsam in alle Seitengassen geworfenen feurigen Blicken eilten diese kriegerischen Heymos 4) -Söhne dem Flüchtling nach. Nun kamen auch die tausende minder heldenmütigen, die räuberischen Vinschgauer und das niedrige Gesindel von Schlanders, von einem tückisch-weibischen, dumm fanatischen Hauptmann geführt, in die Stadt herab. Mein erster Gang war ins sog. Kräuterhaus, wo ein guter Freund von mir, Johann Raphel, damals provisorischer Landrichter zu Rotholz, und einige Bauern, von den Baiern gefangen, im Kerker saßen, und wollte sehen, ob sie wohl etwa nicht umgebracht oder fortgeschleppt waren. Allein die Gendarmen haben nicht nur allein auf diese sich zu erinnern keine Zeit mehr gehabt, sondern selbst die dort stehenden Wachen vergessen, die, wenn sie sich nicht selbst davon gemacht hätten, von den Bauern wären gefangen worden.

4) Heymo, ein Riese, der Sage nach der Erbauer des Klosters Wilten.

Als ich zurückkam, wimmelte es in der Neustadt schon von Bauern; auch von allen übrigen Seiten und durch alle Gassen kamen sie wie herangeschwärmt in die Stadt. Das mittellose, liederliche Gesindel der Umgebungen von Innsbruck gesellte sich schnell zu den minder rechtlichen Bauern. Einige im Lande zurückgebliebene österreichische Jäger und Soldaten, und hauptsächlich ein paar lumpichte Soldatenweiber fingen zuerst in verschiedenen Bürgerhäusern zu plündern an. Ich eilte vor allem dem meiner Wohnung gegenüberstehenden Dalla Torréschen Hause zu Hilfe, wo ich schon Kleidungsstücke und Wäsche, von den Bauern geraubt, heraustragen sah. Auf der Treppe begegnete mir ein österreichischer Jäger mit seiner Metze, die einen Arm voll geraubter Kleider trug. Diese riss ich ihr zwar aus den Händen, allein der Jäger stieß mich zurück und entwand sie mir schnell wieder. Als ich ins Haus hinaufkam, traf ich gerade zwei Kortscher (o wie christlich am hohen Frauenfeste, meine sauberen Pfarrsbrüder!) vor einer Zimmertür an, die sie mit ihren Gewehrkolben schon zur Hälfte eingestoßen hatten. Wie ein ergrimmter Löwe fiel ich über sie her, den ersten, einen zwar bekannt liederlichen Menschen, warf ich gewaltsam zurück, der andere aber erschrak heftig, auf einmal einen Landsmann und Priester als Zeugen seiner gewalttätigen Räubereien hinter sich zu sehen. Als ich ihn packte und sagte: „Auch Ihr eifriger Tugendheuchler, Ihr Kortschs frömmster Bildlpritscher übt heute am hohen Frauentage Raub und Plünderung aus!" schützte er zwar stotternd seinen weiten Fernmarsch, seine Not und Armut vor und sagte, die Stadtleute hätten ihm gesagt, es wohne ein reicher Freidenker hier. — „Elend niedrige Ausrede!" erwiderte ich ihm. „Packt Euch, Lumpen! Was und wer die Freidenker sind, dass die wahren religions- und tugendlosen Gottes-, Kirch- und Priesterverächter, die Betrüger ihres Nächsten um jeden Kreuzer, wo sie nur können, und die geilen Wollustböcke, nämlich die Freidenker nach dem eigentlichen Sinne des Wortes nicht so sehr hinter dem tuchenen Rocke des Bürgers oder Gastwirts, nicht unter dem Doktorhute, ja selbst nicht einmal so häufig hinter dem portierten Kragen des Beamten, wie unter Euren lod'nen Jacken und in Euch ähnlichen Lumpen stecken, habe ich Euch vor zwei Jahren von der Kanzel lang und klar genug bewiesen." — Beide schwiegen und baten mich endlich um ein Almosen. Ich gab jedem zwei Zwanziger und jagte sie die Treppe hinab.

Nun kam ein in einen gestohlenen roten Mantel gehüllter Schwazer Bauer, mit einem ungeheuren Bündel geraubter Sachen beladen, wütend über die Treppe heraufgelaufen. Ich stellte mich ihm in den Weg. Allein er stieß mich rasend vor sich nieder. Ich packte ihn bei seinem Mantel und zog ihn die Treppe hinab; unten wand er sich los und sprang schnell wieder hinauf. Ich ihm nach; oben packte er mich beim Halstuche, und so balgten wir uns wieder die ganze Treppe hinab. Dreimal hatte ich diesen ermüdenden Treppenkampf bestanden, ohne dass mir ein Mensch zu Hilfe gekommen wäre. Endlich führte mein fürchterliches Geschrei einige Passeirer Bauern herbei. Diesen hielt ich eine kurze Rede von der unveränderlichen Gerechtigkeitspflicht, jedem das Seinige zu lassen, und spielte mit einigen passenden Bemerkungen auf ihre bekannte raubsuchtslose Rechtlichkeit an, indem ich sie zugleich an den hohen Festtag erinnerte. Ich durfte nicht lange predigen, fielen die braven Passeirer über meinen räuberischen Gegner her, warfen ihn zum Hause hinaus, prügelten ihn tüchtig durch und führten ihn, wohin weiß ich nicht, fort. In diesem Augenblicke kam ein Stadtspitalbenefiziat im Chorrocke herbeigeeilt und ich entfernte mich, weil ich durch dessen Gegenwart das Haus vor neuen Plünderungen gesichert glaubte und meine Hilfe in dem Hause des Appellationsrats v. Peer aus dem nämlichen Grunde nötiger erachtete.

Ich kam auch wirklich teils zu spät, teils gerade zu rechter Zeit dahin. Im nämlichen Augenblicke, wo mir die Jungfer, die allein zu Hause war, den soeben von österreichischen Jägern und einem Soldatenweibe verübten Raub erzählte, stürmten etliche 30 Bauern, von einem Jäger geführt, die Treppen herauf. Schnell lief ich ihnen entgegen und fragte sie, was sie wollten. — „Da doba sein Buara versteckt, mier wissa scho", erwiderten sie mir. — „Männer", sagte ich ihnen, „wenn Ihr diesen Verdacht habt, so müsset Ihr zuerst oben unter dem Dache zu suchen anfangen" und führte sie schnell auf den sog. Boden unters Dach hinauf. Dort half ich ihnen einige Minuten alte Sessel, spanische Wände und zertrümmerte Bettladen hin- und herwerfen. Auf einmal schrie ich: „Männer, lauft, hört Ihr Sturm schlagen!" Es wurde auch wirklich in diesem Augenblicke die Sturmglocke angezogen; die Bürger bedienten sich öfters dieses Mittels, um die Bauern aus der Stadt zu bringen. Anfangs tat es auch manchmal seine gute Wirkung, nach und nach gewöhnten sich auch die Bauern, wie wir, ans Sturmschlagen. Kaum gesagt, wollte keiner der letzte über die Treppe hinab sein. Ich lief ihnen nach und schlug hinter ihnen die Haustüre zu und den großen Riegel vor. Indessen brachte der Appellationsrat einige Schlanderser und meines Vaters Knecht, so wie er sie von ungefähr auf seinem Heimwege von der Kirche auf der Gasse fand, und die zufällig etwas rechtlichere Männer waren, mit sich nach Hause. Zu meiner größten, unaussprechlichen Freude bemerkte ich später unter der Kompanie des damaligen im Kopfe und Herz gleich stürmischen Schlanderser Hauptmannes, wiewohl keinen einzigen wohlstehenden ansehnlicheren Mann aus dem ganzen Orte, doch einige rechtlichere Leute, mit denen sich zum Schutz der Bürger eher als mit ihrem hirnbeschränkten, nur die Herren erschlagen wollenden Hauptmann, den sie auch, weil er als Vinschgaus ausgezeichnetster Fanatiker besser zum Kapuzinervormund als zu einem Truppenanführer taugte, wenig respektierten und zu Hause zum gemeinen Landstürmer wieder herabsetzten, ein vernünftiges Wort sprechen ließ. Diese braven Landsleute nahmen das Haus in Schutz und trieben die noch später einbrechen und rauben wollenden Kotlackler ab.

Wie es in diesen zwei Häusern zuging, ereignete es sich leider in vielen andern. Die Burg, welche die ersten Familien in der Stadt für den Lefebre eiligst einrichten und mit den kostbarsten Möbeln versehen mussten, wurde wieder ganz, sogar die Hofkapelle rein geplündert. Kurz, es ging wieder beinahe ebenso verwirrt und räuberisch wie am 12. April durcheinander. Die Bürger der Stadt hatten nicht einmal Waffen mehr, dass sie wenigstens die Hauptwache und das Zuchthaus, aus welchem schon im Monate Mai (ich kann mich des Datums nicht mehr bestimmt erinnern) die Züchtlinge ausgebrochen und keine kleine Verwirrung und Schrecken in der Stadt verursacht haben, hätten besetzen können. Die ganze Bürgerschaft schwebte in der größten Gefahr, geplündert zu werden. Daher schickte sie auch eiligst ansehnliche Deputierte dem Sandwirt entgegen und ließ ihn durch Gott bitten, er möchte eilen und der bedrängten, schuldlosen Stadt zu Hilfe kommen. Um 9 Uhr hielt er auch wirklich zu Fuß, von seinen rechtschaffenen braven Adjutanten, meistens Wirten und Bauern aus der Gegend von Meran und Passeier begleitet, seinen Einzug in die Neustadt herab. Was der Sandwirt war und wer, mit Ausschluss eines einzigen niederträchtigen Lumpen, die unvergleichlichen rechtlichen Männer, die ihn von diesem Tage an bis zum 8. November umgeben und geleitet haben, gewesen sind, und wie sich die ganze Gegend von Meran und vorzüglich die rohen Talbewohner von Passeier bei allen Gelegenheiten an Tapferkeit und hauptsächlich an Rechtlichkeit und Ordnungsliebe vor allen anderen Tirolern ausgezeichnet haben, werde ich Ihnen noch zeigen.

Der Sandwirt und seine Adjutanten gingen alle Gassen durch, baten und beschworen das Volk, die fliehenden Baiern zu verfolgen. Unter anderem sagte der Sandwirt zu den ihn angaffenden Oberinntalern: „Seid ös Christen, jetz (ich erlaube mir seinen eigenen Ausdruck) wo mier sie schon ban A . sch hätten, bleibt ös da hucken, schaut was meine Pseirer 5) tien.“ Den heldenmütig kühnen Grafen Joseph von Mohr von Latsch, der in den vorigen Tagen auf dem Berg Isel mit einigen Leuten von seiner Kompanie und mit den wenigen Braven, die sich von dem niedrig feigen, hinter einem Hügel schimpflich verkrochenen Schlanderser Hauptmann losgerissen und an ihn angeschlossen haben, alle Beschreibung übersteigende Wunder der Tapferkeit getan hat, sah ich selbst mit blankem Säbel die Bauern ihm zu folgen auffordern, und was ich beinahe meinen eigenen Augen nicht trauen wollte, sein liederlicher Adjutant der J . . Sch . . r trieb ihm unermüdet fleißig ganze Herden nach.

5) Passeirer.

Indessen, wenn schon Hunderte die Stadt verließen, kamen andere zu Hunderten herein. Daher baten die Bürger den Sandwirt, er möchte doch eine etwas bedeutendere Anzahl seiner edel rechtlichen Passeirer zum Schutze der Stadt zurücklassen und eiligst jenen Lumpen, welche die Burg geplündert haben, und ihren Raub, das Eigentum schuldloser Bürger, gegen die Gallwiese hinaus nach Hause schleppen, nachschicken und sie zurückliefern lassen. Der Sandwirt erwiderte ihnen gutmütig: „Ja, sechts wohl, meine lieb'n Herrn, meine braven Leut sein nimmer da, die sein dem Feind nach, ich wuaß mir selbst nit z'helfen; enkere Leut da sein die schlechtesten. Geht, Mander", sagte er den wenigen Passeiern, die er noch bei sich hatte, „rennt nachi und nehmt den Rabern, was sie g'stohlen haben"! Augenblicklich befolgten diese seinen Befehl, holten auch noch mehrere ein und brachten sie samt ihrem Raube zu ihm zurück. Weil nun sehr wenige Passeirer in der Stadt waren und diese der Sandwirt, um von dem ihn anstaunenden Pöbel nicht selbst erdrückt zu werden, zu seiner eigenen Wache nötig hatte, so baten ihn die Bürger, er möchte ihnen wenigstens die brave Meraner Kompanie, die noch in der Stadt war, zurücklassen, indem sich der Hauptmann Aukenthaler zum Schutze der Stadt die Hauptwache zu besetzen und das Platzkommando zu übernehmen erboten hätte. „Von Herzen gern", sagte ihnen der Sandwirt und gab dem Hauptmann den Auftrag, mit seiner Kompanie für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Doch ehe ich Ihnen die schönen Taten dieses edlen biedern Hauptmanns und seines Oberleutnants Moser schildere, muss ich Ihnen ein ihm zugestoßenes ganz besonderes Ereignis erzählen. Als Lefebre sich bei Sterzing in der oben erwähnten Klemme sah, ließ er die weiße Fahne schwingen und verlangte, mit den Bauern zu unterhandeln. Da unter allen Landstürmern kein einziger als die erwähnten beiden Meraner Offiziere förmlich uniformiert war, und zudem wahrscheinlich auch kein anderer als Herr Aukenthaler als Buchhalter der Verdroßschen Handlung französisch sprach, so trat er vor und ging als Parlamentär ins feindliche Lager. Allein was sollte bei ähnlichen Umständen für eine Unterhandlung stattfinden? Lefebre ließ ihn nicht mehr zurück, sondern behielt ihn als Geisel und schleppte ihn mit einem Kapuziner von Sterzing, einigen in den Dörfern zurückgebliebenen oder auf den Feldern ruhig arbeitend gepackten Greisen auf seinem Rückzüge über den Brenner hinaus mit. Diese armen, schuldlosen alten Männer (in allen Affären bei Sterzing bekam Lefebre einen einzigen bewaffneten Bauern, den Baumann auf dem sogenannten Holerhofe in Obermais, einen alten steifen Kameraden, gefangen) wurden bloßfüßig unter tausend Kolbenstößen unmenschlich grausam von der Avantgarde mitgeschleppt. Einige erlagen auf dem Marsche; andere stürzten, von den Kugeln ihrer Landsleute getroffen, samt ihren unbarmherzigen Führern tot zu Boden, wenige endlich wurden bis Innsbruck gebracht und daselbst in den Gefängnissen des Kräuterhauses eingesperrt, wo sie hätten verhungern müssen, wenn nicht gute Menschen in der Stadt sich ihrer erbarmt hätten. Unter andern schickte der Apellationsrat von Peer mich täglich, solange sie gefangen waren, mit Nahrung, Wein und Brot zu ihnen. Die Wache habenden Soldaten ließen mich, wenn ich sie bat, allemal ungehindert passieren, ein einziges Mal musste ich, um durchzukommen, in den Beutel greifen. Wie diese armen Gefangenen wieder frei geworden, habe ich schon oben erwähnt. Ein sonderbar rührendes Bild müsste der Anblick liefern, wie des Marschalls Lefebre herzogliche Herrlichkeit zu Fuß zwischen zwei Pferden, ohne Hut, ganz verwirrt und keuchend, mit hochgesträubten Haaren, neben dem mit aufgeschlagener Kutte sich mühsam fortschleppenden Mönche unter dem Schönberg im Schmutze daherpatscht.

Doch um wieder auf Herrn Hauptmann Aukenthaler zu kommen: als er in die Gegend des sogenannten Gärberbaches kam, riss er, wo der Berg am steilsten und der Wald sehr dick und finster war, seinen Führern aus, sprang über die Straßenmauer und stürzte sich mit Blitzesschnelle ins tiefe Tal hinab, watete den Sillfluss durch und erklimmte den entgegengesetzten Berg. Da sah er den Kgl. baierischen Oberst Spaur, einen geborenen Tiroler und noch einen Offizier sich flüchtend ihm näher kommen. Gefasst und mutig ging er auf sie zu und sagte: „Meine Herren, Sie sind meine Gefangenen". Der Herr Oberst, für den, weil er sich von der Hauptstraße verirrt und nur einen einzigen Offizier bei sich hatte, schon alle Hoffnung einer Flucht und Rettung verschwunden war und der sich schon von allen Seiten von Bauern umgeben sah, musste in dieser seinem Leben höchst gefährlichen Lage froh sein, von einem, obschon unbewaffneten, doch wenigstens uniformierten Manne gefangen zu werden. So kam Herr Aukenthaler mit jämmerlich zerrissenen Stiefeln und Strümpfen nach Innsbruck, wo er seine brave Kompanie, von dem tapferen oben erwähnten Oberleutnant geführt, antraf. Ein Bürger gab ihm neue Stiefel und Strümpfe, und so bezog er als Platzkommandant beim Herr Niederkircher sein Quartier, besetzte augenblicklich mit seinen Leuten die Hauptwache und schickte seinen unerschrockenen Oberleutnant mit einer starken Patrouille in der Stadt herum. Er selbst trieb unermüdet mit blankem Säbel ganze Trupps Bauern aus der Stadt. Vor dem Hause der alten Regierung, welches die Bauern plündern wollten, stürzte er sich mit unglaublichem Mute wie ein zürnender Löwe auf den rasenden Haufen, prügelte die Wütendsten derb mit flacher Klinge durch und jagte sie über die Innbrücke hinaus. Freund! Wie viel Innsbruck diesen zwei wackeren Offizieren, welchen unter den Bauern vorzüglich ihre österreichische Jägeruniform unverletzliches Ansehen gab, schuldig geworden ist, habe ich als Augenzeuge, denn ich war mit dem ebenfalls rastlos tätigen Meraner Feldkaplan Johann Degeser beständig an der Seite des einen oder des anderen, selbst gesehen, und bestätigt das rührende Zeugnis, welches der Stadtmagistrat dem Hauptmann zum Beweise seiner Dankbarkeit ausstellte.

Der Kapuziner-Provinzial, der Pater Prediger, Priester Hausmann und Priester Egger haben an diesem Tage wieder, wie bei allen früheren Epochen, viele Exzesse verhütet und zur Herstellung einiger Ruhe und Ordnung wesentlich viel beigetragen. Ein gewisser Oberkommandant vom Oberinntal ließ zwar auch, die Bauern aus der Stadt zu bringen, die Trommel schlagen; allein es musste ihm nicht großer Ernst sein, so, wie Graf Mohr voranzugehen, sonst hätte er nicht selbst am Abend meinem Vater, der als Brotlieferant von Schlanders bis Innsbruck mit einem Brotwagen nachfahren musste, aus dem Traubenwirtsstall ein Pferd stehlen können, welches auch ohne Hoffnung, es je wieder zu bekommen, gewiss verloren gewesen wäre, wenn es nicht zufällig, als er darauf über der Innbrücke hereinritt, Franz Tumler, Jakob Saxalber und Balthasar Stocker, gerade die stärksten und rüstigsten Burschen von Schlanders, gekannt und angehalten hätten. Der Herr Kommandant wollte anfangs sein räuberisches Ansehen geltend machen; allein die Burschen rissen ihn vom Pferde und würden ihn ungeachtet seines Kommandantenranges sicher in den Inn geworfen haben, wenn er seine ferneren Ansprüche nicht aufgegeben und sich nicht eiligst zu Fuß davon gemacht hätte.

Freund! Nun können Sie sich beiläufig denken, wie es an diesem Tage zu Innsbruck zuging. Ich erzählte Ihnen bloß, was ich selbst gesehen oder mitgemacht habe. Kurz, es war wieder eine schauerliche, mehr als babylonische Verwirrung. Der Sandwirt war oder stellte die einzige höchste Behörde vor. Wie lange kann oder wird unter einem rasend empörten Pöbel sein Ansehen dauern? Konnte er sein Zutrauen und seine Oberherrschaft nicht eines einzigen Wortes, einer einzigen Handlung wegen verlieren? Obschon man sich von seinem Herzen mit Grund alles versprechen konnte, was hatte man von seinem Kopfe zu erwarten? O schrecklich finstere Zukunft! O traurig niederschlagend bange Erwartung! Aperiatur terra et germinet salvatorem 6), seufzte jeder vernünftige, jeder rechtliche Bürger aus tief beklommener Brust.

6) Möge die Erde sich öffnen und einen Erlöser gebären!

Freund! Ich muss Ihnen den hochgesinnten, den ausschließlich einzigen Wiedergeber der Gesetze, den schützenden Engel des Vaterlandes zur Zeit der furchtbarsten Anarchie nennen. Es ist der talentvolle, edle Herr Joseph von Giovanelli (junior) von Bozen, der, sobald er die Ereignisse vom Berge Isel und Lefebres Niederlage und Flucht erfahren, aus Liebe zum Vaterland von Bozen nach Innsbruck geeilt und sich dem Sandwirt wie ein guter Genius zur Seite gestellt hat. Wer nun eigentlich das Steuerruder ergriffen, worin des Sandwirts Regierung bestand und was sich während der Zeit, solange er in der Burg zu Innsbruck residierte, Vorzügliches zugetragen hat, werde ich Ihnen im nächsten Briefe mitteilen.



Quelle: Der Tiroler Volksaufstand des Jahres 1809, Erinnerungen des Priesters Josef Daney, Bearbeitet von Josef Steiner Innsbruck, Hamburg 1909

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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