Mädchenbriefe am Rand des Krieges von 1809 (Anna von Stolz an Joseph Rapp)


von Hans Hochenegg, 1948

Wenn wir in alten Briefschaften lesen, treten uns die Schreiber und Schreiberinnen so lebendig vor Augen, als wären wir selbst mit ihnen am Schreibtisch gesessen und hätten mit ihnen über allerlei gesprochen, das ihre Herzen bewegte.

Mehr als 160 Jahre alt sind die vor mir liegenden vier Schreiben eines zweiundzwanzigjährigen Mädchens, zufällig erhalten gebliebene Reste eines eifrigen Briefwechsels zweier Liebender. Die jungen Leute von anno dazumal haben doch auch gefühlt wie wir heutigen Menschen! Hat ein übermütiges Fräulein einen im Grunde des Herzens verehrten Mann gekränkt, bittet es demütig um Verzeihung! Aus dem einen gewissen Abstand andeutenden „Sie" wird plötzlich das ein Einvernehmen bezeugende „Du". Politische Verhältnisse bedrohen die Verlobten mit räumlicher Trennung; man ist nur andeutungsweise an die Sturmzeiten erinnert, in denen das junge Paar sich gefunden hatte.

Schreiberin der Briefe war Anna von Stolz, geboren am 11. September 1786 zu Matrei am Brenner als Tochter des Salzoberamtsrates Franz Joseph von Stolz zu Latschburg (1736 — 1828!) und der Maria Klara Zeiller von Zeillheim (1752 — 1819). Sie hatte einen Bruder Joseph (1772 — 1842), der als Landrichter des Stubaitales seinen Sitz in Schönberg hatte und 1809 im Rat der Landesverteidigung eine wichtige Rolle spielte und durch seine Einsicht viel Unheil zu verhüten vermochte. Außerdem hatte sie vier Schwestern; sie alle waren mit angesehenen Persönlichkeiten verheiratet. Erwähnt sind in den vorliegenden Briefen die Familien der Schwester Elisabeth (1774 — 1847), Gemahlin des Salinen-Hauptkassiers Johann Nikolaus von Neuner zu Breitenegg (1768 — 1835), und der Schwester Margarethe (1779 — 1848), verehelicht mit Matthias von Lama zu Büchsenhausen (1780 — 1827), der später als einer der Geheimsekretäre Andreas Hofers bekannt geworden ist. Ich erwähne, dass ich die angeführten Lebensdaten den „Beiträgen zur Familiengeschichte Tirols" (Schlern-Schriften, Band Nr. 131) des verewigten Rudolf von Granichstaedten-Czerva entnehmen konnte.

Empfänger der Briefe war Dr. iur. Joseph Rapp, geboren am 28. Februar 1780 zu Matrei am Brenner als Sohn des Bäckermeisters Johann Rapp und der Frau Maria geb. Taller (Thaler). Er war schon im Jahre 1799, noch als Student, an die von Franzosen bedrohte westliche Landesgrenze gezogen und hatte schon im folgenden Jahr die Stubaier Schützen als zwanzigjähriger Hauptmann in den Grenzkämpfen bei Nauders mit aller Umsicht angeführt. In der kurzen Ruhepause, als nach dem Frieden von Lunéville (Februar 1801) die Waffen vorübergehend schwiegen, hatte er im Jahre 1803 seine akademischen Studien mit dem Doktorat vollendet und in Bozen seine Gerichtspraxis abgelegt. Schon im Jahre 1804 übernahm er an der Innsbrucker Universität als Vertreter eines erkrankten Professors die Vorlesungen über öffentliches und kirchliches Recht, dann wandte er sich der Advokatur zu, legte 1806 die Rechtsanwaltsprüfung ab, trat aber dann als Fiskaladjunkt in den Staatsdienst. Mit 28 Jahren diente er bereits als Finanzrat in Trient.

Dieser hochbegabte, so jung zu Rang und Würden gekommene Bäckerssohn hatte also mit jenem adeligen Mädchen aus seinem Heimatort Freundschaft geschlossen. Ganz wie es im Sprichwort heißt: „Was sich liebt, das neckt sich!" hatte ihm die junge Dame spitze Worte an den Kopf geworfen, die sie nachher bedauerte. Sie schrieb also dem „lieben Rapp" — denn damals pflegten sich auch Eheleute mit ihren Schreibnamen anzureden (auch meine Großmutter sprach so von ihrem längst verstorbenen Ehegatten):

3. Febr. 1808. (ohne Adresse)

Verzeihen Sie mir, lieber, guter Rapp! Gestern habe ich Sie durch mein leichtsinniges und unartiges Betragen beleidiget. O mein Gott!, wenn ich einmal gesetzter und etwas ernsthafter wäre! Bethen Sie doch für mich, 'das ich den so oft bereuten Leichtsinn aufgebe!

Ich hätte mit Ihnen freilich manches über dieses zu sprechen, wen ich einmal ungestöhrt bey Ihnen seyn könte, und warum ich gestern so lustig war, möchte ich Ihnen mündlich sagen. Vergeben Sie mir also, lieber Freund, meine Fehler, ich bitte Sie!

Leben Sie wohl! Morgen werde ich die Ehre haben, Sie zu sehen.
Ihre
Freundin Nany.

Heunte kan ich nicht mehr schreiben; ich hatte ziemlich Kopfschmerzen und dieser kömt, glaube ich, von wenig schlaffn.

Der nächste erhaltene Brief ist mehr als vierzehn Monate jünger. Er lässt durchblicken, dass sich die gegenseitige Freundschaft trotz alledem prächtig weiterentwickelt hatte. Er ist von Innsbruck aus geschrieben, wo sich Anna von Stolz bei ihrer verheirateten Schwester Margarethe von Lama aufgehalten hatte. Ein andermal schrieb sie aus Hall, dem Dienstort des Vaters, während die Latschburg in Matrei, der väterliche Besitz, ihr eigentliches Heimathaus war.

Von Insbruck. A Monsieur
(10. April 1809)
Monsieur Joseph Rapp,
Conseiller des Finances
a Trente

Lieber Freund!

Ihr letztes Schreiben habe ich durch meinen Bruder sicher erhalten. Ich sehe aus selbem, das Sie nun wieder ganz ruhig und zufrieden sind, was mich herzlich freut. Ja, mein Gott!, diese Zeiten sind dermahlen sehr traurig! Sind nur Sie nicht traurig, das nützt ja doch nichts; sonst könten Sie krank werden; das wäre sehr unangenehm in einem fremden Ort, wo Sie am Ende keine ordentliche Bedienung haben könten. Das hoffe ich nicht zu hören, den ich weis schon, es sind nur manchmal solche traurige Stunden.

Wen Sie so gut aussehen, wie Sie mir geschrieben haben, dan hoffe ich, es waren nur reine Männer Launen. Auf die muss sich freylich beynahe jedes Weib gefasst machen.

Lieber Rapp! Ich bin immer so bös, wen man mich um Ihre Briefe fragt. Es ist noch gar nicht lange, das ich den Lamischen gesagt habe: „Ihr habt es auch nicht gern gehabt, wen man Euch darum gefragt hat!", aber manchmal kan ich fast unmöglich anderst, als wie dort bey den Neuner; ich werde künftig keinen lesen lassen; mir ists zuwider, wen man mich so plagt! Vermuthlich muss ich bald nach Haus. Sie aber, wen Sie mir antworten, schicken Sie nur den Brief meinem Bruder zu, bis ich Ihnen von Hall aus schreibe.

Mit meiner Reise nach Kastelruth wird es dermalen nichts abgeben, den jetzt weis man gar nicht wies geht; sonst würde ich diese Reise nicht ausschlagen!

Leben Sie recht gut. Heunt muss ich schliessen, ein andermahl werde ich Ihnen mehr schreiben. Bethen Sie für mich, was auch ich thun werde

Ihre redliche Fr(reundin) Nany.
Insbruck, den 10ten April 1809

Der Blick ist schon auf drohendes Ungewitter gerichtet, so dass die Fahrt nach Kastelruth nicht gewagt werden konnte. Tatsächlich brach am selben Tag, an dem vorstehende Zeilen geschrieben wurden, der Volksaufstand gegen die bayrischfranzösische Herrschaft los. Am 10. April begannen die Kämpfe im Pustertal und am 12. April gelang den Tiroler Schützen durch die siegreiche erste Schlacht am Bergisel die erste Befreiung des Landes. Nach dem neuerlichen Einbruch der Feinde erreichten sie durch die Bergiselschlachten vom 25. und 29. Mai auch dessen zweite Befreiung. Patriotische Begeisterung muss die gleichgesinnten jungen Leute einander noch nähergebracht haben, denn der nächste Brief spricht schon das „Du" aus.

A Monsieur
(Hall, 12. Juni 1809)
Monsieur Joseph Rapp,
Conseiller des Finances
a Insbruck

Lieber, guter Rapp!

Da ich schon einige Augenblicke allein bin, muß ich Dir schreiben und Dich fragen, wie Du neulich nach Haus gekommen bist, ohne Zweifel recht gut!

Wie lobst Du den sonst? Sey ja nicht traurig, vertraue fest auf Gott! Lieber Rapp, wen wir andere Menschen betrachten, so sind wir doch recht glücklich, und wir können nicht genug danken! Zwar bin ich selbst zu wenig dankbar für alles Gute, was ich habe, ich muss es aufrichtig bekennen; wo ich anders predige, möchte ich immer auf mich sehen!

Mir gehts zu Haus recht gut, ich bin doch viel lieber da, als bey den Lama; mir ist so wohl zu Haus, meine lieben Eltern sind so gut mit mir!

Gestern sind die Leitnerischen (Leutner von Wildenburg, eine Sterzinger Gewerkenfamilie) gekommen. Diese bleiben dermahlen auch in Hall. Ich bin froh, es sind gar so gute Leut und meine Eltern haben dabey eine Unterhaltung!

Hört man bey Euch nichts Neues? Bey uns will man wieder Franzosen in der Nähe wissen. Lasse es uns doch sagen, wen etwas Wahres kommt. Lieber Rapp, lebe recht gut! Ich danke Dir noch vor alles. Recht gern wollte ich Dir mehr schreiben, allein ich habe heunt unmöglich Zeit dazu. Bethe vor mich. Ich werde es auch tun. Adio!

Deine
redliche Fr(eundin) Nany.
Hall, den 12. Juni 1809

Dr. Joseph Rapp hatte als glühender Patriot seine Fähigkeiten in den Dienst des Heimatlandes gestellt. Als das nochmals vom Feind besetzte Tirol durch die siegreiche vierte Bergiselschlacht vom 13. August 1809 zum dritten Mal befreit war und Andreas Hofer im Namen des Kaisers die Landesregierung führte, traf Dr. Rapp die ehrenvolle Berufung zum Finanzreferenten der Generaladministration in Innsbruck. Er war also sozusagen der Finanzminister Andreas Hofers. Trotz aller Schwierigkeiten erfüllte er die ihm übertragene Aufgabe in vorbildlicher Weise. In den letzten Oktobertagen setzte jedoch die Übermacht der neuerlich eingedrungenen Feinde seiner Tätigkeit ein Ende.

Die fünfte Bergiselschlacht vom 2. November 1809 war eine Niederlage des tirolischen Aufgebots. Die Führer der Volkserhebung waren teils geflohen, teils in Gefangenschaft geraten; Blutgerichte, Einquartierung, Maßregelung und Zwangsversetzung von Beamten erregten tiefe Niedergeschlagenheit; man blickte voll Sorge in die Zukunft.

Aus jenen Tagen der Drangsal stammt der letzte der erhalten gebliebenen Briefe. Er weist sogar auf Plünderung in den Häusern der beiderseitigen Eltern hin.

(ohne Adresse)
Matrey, den 18. Novemb. 1809.

Lieber, guter Rapp!

Heunt ist der Papa und die Mama nach Hall. Du wirst es vielleicht schon gehört haben, das der Neuner nach München kommen soll. Und deswegen ist der Herr Vater hinaus, um zu sehen, ob es den nicht zu ändern wäre, den der Neuner entschliesst sich gar so hart. Das habe ich mir gleich gedacht, mit den Beamten wird es Enderungen geben! Der Herr von Menz (der von den Bayern im April 1809 abgesetzte österreichische Salinendirektor Johann Joseph von Menz) hat dem Papa auch geschrieben, der Utschneider (der einflussreiche bayrische Salinenbeamte Joseph von Utzschneider) hätte ihm gesagt, der Herr Vater soll mit der ganzen Familie hinausziehen. Mein Gott!, wo wirst Du den hinkommen? Aber nach München gieng ich nicht gern und überhaupt nach Baiern hätt ich keine Lust!

Lieber Rapp!, ich schätze und liebe Dich, das muss ich Dir gestehen, und deswegen fällt es mir sehr schwer, wen ich hören müsste, das es Dir nicht gut gehn würde. O, was wird noch aus unserem lieben Vaterland werden?

Wengleich meine Eltern nicht zu Haus sind, so muss ich Dir doch bey der Nacht schreiben. Wir haben einen Hauptmann in Quartier und der ist fast immer bey uns im Zimmer. Er ist aber ganz ein ortendlicher Mann, den sonst hätten mich meine Eltern nicht da gelassen.

Morgen wird der Papa vermuthlich zurück kommen. Ich möchte meine Einladung machen, wen Du einmal Zeit hättest, herein zu kommen. Eine solche Einquartierung hätte ich gern. Dich, lieber Rapp, würde ich mit vielem Vergnügen aufnehmen!

Lieber Rapp!, Deinen lieben Vater bedauere ich ungemein. Der gute Mann hat doch was ausgestanden! Wen Du, was ich fast sicher denke, von ihm Dich trennen müssen wirst, das wird ihn schmerzen. O, was ich mir fürchte, Du kommst weit von uns, das kan ich Dir nicht sagen!

Mein Gott, wan wirst Du Dich unser erbarmen und uns erretten?

Bey uns gieng es noch gut ab bey diesem Sturm, aber der Schröcken von meinen lieben Eltern war auch nicht klein. Vom Herrn Vater haben sie etwan 10 Gulden Geld erwischt und die Uhr; die aber war nicht viel werth.

Lebe recht gut, lieber Freund, lasse mich bald von Dir was hören, und bleibe immer gut

Deiner getreuen Nany.

Heunt muss ich Dir den Brief von Papa einschliessen. Er hat mir aufgetragen, ich soll Dir diesen schicken. Gute Nacht!

Dass Annas Besorgnisse tatsächlich eingetroffen sind, lässt sich aus den Angaben in Konstantin Wurzbachs „Kaiserthum Österreich" belegen. Im ausführlichen Lebensbild Rapps ist geschildert, dass er Not und Gefangenschaft ertragen musste und erst im Dezember 1810 ohne Amt und Gehalt nach Wien gelangen konnte. Dort war er zuerst als Advokat tätig. Als er 1812 zum Notar ernannt wurde, konnte er noch im gleichen Jahr seine Braut Anna von Stolz als Ehegattin heimholen. Nach der Rückkehr Tirols an Österreich berief man ihn 1815 als Kammerprokurator nach Innsbruck und 1829 in gleicher Eigenschaft nach Linz. Nebenbei beschäftigte er sich eifrig mit historischen Studien.

Er veröffentlichte in den Jahren 1827 bis 1834 wertvolle Abhandlungen über das tirolische Statutenwesen und arbeitete vor allem an einer aktenmäßigen Darstellung des Tiroler Freiheitskampfes von 1809. Seit dem Jahre 1848 war er wieder in Innsbruck tätig; er trat 1851 als Gubernialrat in den Ruhestand, wirkte aber noch bis ins hohe Alter als Vorsitzender der Staatsprüfungskommission an der Innsbrucker Universität. Im Jahre 1852 erschien sein wegen seiner Wahrheitsliebe auch heute noch geschätztes Werk unter dem Titel: „Tirol im Jahre 1809"; Nachträge brachte die „Tiroler Schützenzeitung" von 1853.

Der hochverdiente Verfasser, Dr. Joseph Rapp, starb mit 85 Jahren am 30. Juli 1865 in Innsbruck. Seine Gemahlin Anna war ihm schon am 2. Jänner 1841 in Linz vorausgegangen. Die Eheleute hinterließen zwei Söhne, die beide als konservative Politiker hervortraten; Johann, der ältere (1828 — 1908), wirkte als Rechtsanwalt in Kaltern, Franz, der jüngere, geboren am 21. November 1823 zu Innsbruck, wählte den Beruf eines Notars, dann aber bekleidete er von 1867 bis 1869 die Würde des Bürgermeisters von Innsbruck, schließlich aber dank seiner außerordentlichen Fähigkeiten von 1871 bis 1877 und nochmals von 1881 bis zu seinem Hinscheiden die Würde des Landeshauptmanns von Tirol. Mit dem Freiherrenstand ausgezeichnet, starb er am 19. September 1889 in Innsbruck.



Quelle: Hans Hochenegg, Mädchenbriefe am Rande des Krieges von 1809, in: Tiroler Heimatblätter, 48. Jahrgang, 1973, Heft 3, S. 87 - 90.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.