General Bissons Vorschlag zur Rettung Andreas Hofers



Als Berichterstatter über A. Hofers Aufenthalt im Versteck der Pfandleralm, seine Gefangennahme und Einlieferung nach Meran — Bozen — Mantua sowie über die gemeinsame Kerkerhaft im Al-Vaso-Turm der Zitadelle genießt des Sandwirts Schreiber und Vertrauter Kajetan Sweth, von Hofer der Döninger genannt, seit jeher das Vertrauen der Historiker und Biographen seines Herrn, obwohl manche von seinen Angaben auf Gedächtnisfehlern oder Missverständnissen beruhen dürften 1); mitunter mag er beim Bericht über sein Verhalten, bei der Wiedergabe von eigenen Äußerungen und solchen anderer wohl auch etwas geflunkert, manches „konstruiert“ haben, was ja auch durch Daneys und Purtschers Urteil über den Grazer Studenten möglich scheint. Eine kritische Untersuchung seiner Angaben wurde meines Wissens nie vorgenommen; eine solche würde auch an vielen Stellen durch den Mangel anderweitiger Berichte von Zeugen erschwert.

Ziemlich einmütig wurde jedoch von neueren Geschichtsforschern (vor und nach Hirn) eine Angabe Sweths als „unwahrscheinlich“, „unhistorisch“ oder „unglaubwürdig“ bezeichnet:
sie betrifft das Ansinnen des Festungskommandanten General Bisson an den Sandwirt, sich für den französischen Waffendienst anwerben zu lassen, um damit Hoffnung auf Pardon zu gewinnen: Graf Bisson 2) habe den Gefangenen (vordem durch Napoleon angeordneten Scheinprozeß!) öfters besucht, ihm Teilnahme an seinem Schicksal bezeigt und für den Fall seiner Bereitwilligkeit, Napoleon zu dienen, nicht bloß Erhaltung des Lebens, sondern auch eine hohe Kommandostelle mit Rücksicht auf seinen früheren Rang in Aussicht gestellt. Hofer habe jedoch eine solche Zumutung mit Entrüstung abgelehnt und feierlich erklärt: „Ich war, ich bin und bleibe dem Hause Österreich und meinem Kaiser Franz getreu. Werde ich auch zum Tode verurteilt, so bin ich glücklicher als viele andere, denn ich weiß dann die Stunde meines Todes, was viele tausend Menschen sich wünschen, um sich (rechtzeitig) auf ihr Ende vorbereiten und Kinder der Seligkeit werden zu können.“

Sollte Sweth diese Angabe — Angebot des Generals und Ablehnung Hofers — wirklich nur erdichtet oder geträumt haben?! Vor allem kommt es darauf an. ob dies Gespräch in deutscher (durch Vermittlung eines Dolmetschers) oder italienischer Sprache geführt wurde — ob also Sweth direkter Ohrenzeuge war oder den Inhalt erst nachher aus dem Munde Hofers erfuhr. Eher dürfte man wohl ersteres annehmen, da dieser ja nur die Mundart der Trentiner beherrschte und das Italienisch General Bissons in dessen französischer Aussprache und Betonung kaum verstanden hätte.

Wichtig für die Glaubwürdigkeit des Vorschlages ist besonders der Umstand, dass Napoleon, der ja immerfort „Kanonenfutter“ brauchte und verbrauchte, solches auch aus den vielen Tausenden von Gefangenen, die er und seine Armeeführer auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen machten, sich zu verschaffen suchte. Dazu wurde ein eigenes Corps d'Etrangers gebildet, für das man auf Elba und Korsika, aber auch in Rom und andern Orten zumeist gefangene Österreicher mit hartem Drill ausbildete, nachdem man sie durch Hunger, Misshandlungen, strengste Kerkerhaft und Todesdrohungen zum Waffendienst gepresst hatte. Dies Korps war Vorläufer der um 1830 aufgestellten französischen Fremdenlegion, die aber ausschließlich für den Kolonialdienst bestimmt wurde und (leider!) heute noch besteht als letzte Zuflucht gescheiterter, verzweifelter Existenzen.

Daney, der bekannte Priester aus Vinschgau, Ratgeber und Friedensvermittler des Sandwirts, berichtet in seinen Erinnerungen, die er als Briefe an einen ungenannten Freund niederschrieb 3), wie er sich nach seiner Priesterweihe in Rom (Weihnachten 1805) als Konvertiten-Lehrer um die österreichischen Krieger annahm, die bei Ulm in Gefangenschaft geraten waren: „Die armen Gefangenen wurden nach Frankreich geführt, bei der rauen Jahreszeit und im strengsten Winter von einer Festung in die andere geschleppt, in verfallenen Gebäuden oder Kirchen eingesperrt und so, wenn sie nicht erfrieren oder verhungern wollten, gezwungen, französische Dienste zu nehmen. Einige Tausende ergriffen in ihrer Verzweiflung dieses Mittel, weil sie sich schmeichelten, sie würden dadurch die Freiheit und Gelegenheit zu desertieren bekommen. Allein sie täuschten sich in ihrer Hoffnung. Sie wurden zu Hunderten durch ganz Frankreich und Italien bis Rom eskortiert; ganze Züge, die nicht freiwillig Dienst nehmen wollten, wurden mit Schrauben zusammengedäumelt nachgeschleppt. In Rom wurden sie erst bewaffnet...“ (Daney bemühte sich mit eigener Lebensgefahr im Verein mit deutschen Bäckern, Künstlern und Handwerkern um Kleidung. Reisegeld und Pässe für diese Unglücklichen; es wurde „einigen hundert“ von ihnen zur Flucht und Heimkehr verholfen.)

Auch Kajetan Sweth und der ehemalige Schützenhauptmann Johann von Campi aus Mais, der zugleich mit Andreas Hofer in der Zitadelle von Mantua gefangen saß, erfuhren das Elend der Kriegsgefangenen in aller Härte jahrelang 4).

Wenn nun General Bisson als Festungskommandant vermutlich auch für diese — ihm selbst vielleicht leidige — Werbeaktion (Zwangsrekrutierung) zuständig und verantwortlich war. lag es doch nahe, dass er im Bestreben, dem armen Sandwirt irgendwie zu helfen, einen solchen Vorschlag machte. Die Zusicherung vorteilhafter, ehrenvoller Bedingungen mag er freilich ohne Befugnis gegeben haben; dem General mochte der ehemalige Gegner durch seinen Kollegen Baraguay d'Hilliers von Bozen aus empfohlen worden sein, der um die freundliche Gesinnung des Vizekönigs Eugen Beauharnais wissen und dem Grafen Bisson einen bezüglichen Wink erteilt haben konnte. Erst der Blutbefehl Napoleons, der am 18. oder 19. Feber über Mailand in Mantua eintraf, ließ jede Hoffnung auf Rettung schwinden.

Fragen wir uns übrigens einmal: Was hätte eigentlich im Falle einer Begnadigung mit dem ehemaligen Oberkommandanten von Tirol geschehen sollen? An Freilassung könnte man sicher nicht denken! So hätte er eben das Schicksal seiner Landsleute teilen müssen, wäre weiterhin in einem Gefängnis verwahrt geblieben oder bestenfalls weit weg von der Heimat, etwa auf Korsika, konfiniert worden. Dem wäre nach Bissons Meinung Militärdienst in gehobener Stellung doch vorzuziehen gewesen.

Allenfalls kann man im wohlgemeinten Antrag des Generals auch nur eine Geste von Hilfsbereitschaft erblicken — so wie man eben einem Schwerkranken, der von den Ärzten nahezu aufgegeben ist, irgendein Heilmittel, etwa Luftveränderung, empfiehlt.

Der Historiker J. Hirn scheint die Unwahrscheinlichkeit des Angebotes eigentlich nur darin gesehen zu haben, dass man sich kaum vorstellen könnte, welche Dienste Hofer als französischer Befehlshaber hätte leisten sollen. Von Bissons Standpunkt aus wäre diese Frage kein schwieriges Problem gewesen: Hofer wäre z. B. mit der obersten Leitung eines Ausbildungslagers betraut worden, wozu er sich sowohl der Sprache als auch seines Ansehens wegen ganz wohl geeignet hätte. Bisson mag sogar darauf spekuliert haben, dass die Rekrutierung von Gefangenen glatter verlaufen und Fahnenflucht seltener vorkommen würde, wenn solche unter Befehl und Aufsicht 'ihres ehemaligen Führers und Landsmannes kämen, von dem sie auch bessere Behandlung erwarten dürften!

Die Zerstreuung von Zweifeln an Sweths Darstellung in dieser Hinsicht scheint deshalb von Belang zu sein, weil durch Hofers Treuebekenntnis zu seinem Kaiser und die nachfolgende Äußerung, er könnte sich mit einem allfälligen Todesurteil ganz ruhig abfinden, die bekannte tendenziöse Fabel widerlegt wird, dass der Sandwirt dem Kaiser Franz gegrollt und diesem die Schuld an seinem Verderben beigemessen habe 5).

Sonderbarerweise erregte in maßgebenden Kreisen mit kritischem Urteil eine andere Angabe Sweths m. W. noch nie Bedenken: Am Tage nach Hofers Hinrichtung sei „ein Hauptmann vom Kriegsgericht“ in Sweths Kerker gekommen und habe ihm das Todesurteil vorgelesen das am 22. Feber vollzogen werden sollte; tags darauf habe jedoch derselbe Offizier ihm die Kunde von seiner Begnadigung gebracht.

Hatte General Baraguay d'Hilliers irgendwie (durch Daney, der auf Sweth und Haspinger sehr schlecht zu sprechen war?) erfahren, dass der Döninger als Vertrauter des Sandwirts in der kritischen Zeit der zweiten Novemberhälfte mit den Kriegshetzern Hofer zu weiterem Widerstand aufgeredet hatte? Beda Weber hat in seiner Hoferbiographie 8) diese verhängnisvolle Rolle Sweths angedeutet mit den Worten: „Hofers neuer Geheimschreiber, der Student Cajetan Sweth, hob besonders hervor, dass die benachbarten Sarntaler nur auf seinen Wink harrten, um loszuschlagen.“ (Sweth hatte bei einem Penser Bauern. den er im Achentale kennenlernte, Unterstand gefunden, war aber nach 7tägiger Trennung von Hofer am 16. November zu diesem nach Saltaus gekommen.)

Als „Kriegshetzer“ hätte Sweth vor einem Kriegsgericht wohl das Leben verwirkt, doch lässt weder er selbst noch Campi etwas verlauten von einem Verhör, dem er selbst unterzogen worden wäre, geschweige von einem kriegsgerichtlichen Prozess gegen ihn! War also die von ihm berichtete Urteilsverkündigung mit nachfolgender Begnadigung nur auf Ordre des Festungskommandanten erfolgt, um Sweth durch 24stündige Todesangst seine Schuld büßen zu lassen? Diese Absicht wäre allerdings durch die Gemütsstimmung des jungen Menschen vereitelt worden, dem das Leben ohne seinen „Vater“ Hofer ohnehin nichts mehr zu bieten hatte und der — seinen eigenen Worten nach — um ein rasches Ende froh gewesen wäre. — Oder sollte auf ihn ein Druck ausgeübt werden behufs Zustimmung zum Waffendienste? Der blieb ihm aber doch nicht erspart!

Dieses Rätsel mögen andere zu lösen versuchen bei gleichzeitiger kritischer Untersuchung der Sweth-Erinnerungen, inwieweit diese verlässlich sind und daher als historische Quelle gelten dürfen!

Dr. F. S. Prast C. R. N.

1) Vgl. meinen Aufsatz in den „Dolomiten“ vom 20. Februar 1952 „Wie und wann erfuhr A. Hofer das Todesurteil?“
2) Dieser musste am 13. April 1809 mit 2500 Mann französischer und bayrischer Truppen in Innsbruck vor den Bauernscharen kapitulieren und als Gefangener seinen Degen abgeben.
3) Bearbeitet und veröffentlicht von J. Steiner in der „Bibliothek wertvoller Memoiren“ (Hamburg 1909) unter dem Titel „Der Tiroler Volksaufstand des Jahres 1809“.
4) Vgl. meinen Aufsatz „Mantua und Elba“ in den „Dolomiten“ vom 14. Febr. 1953, S. 9!
5) Vgl. dazu Adolf Pichlers Ges. Werke III („Aus Tagebüchern“), S. 230! Was dort dem todgeweihten Hofer auf seinem letzten Gang nach angeblichem Zeugnis des Feldwebels in den Mund gelegt wird, mag auf einem Hörfehler beruhen.



Quelle: Firmin S. Prast, General Bissons Vorschlag zur Rettung Andreas Hofers, in: Der Schlern, Illustrierte Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 27. Jahrgang, 7. Heft, Juli 1953, S. 324 - 326.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2008.