11. Kapitel: Gnadenkettefeier in Innsbruck; Napoleon befiehlt einen neuen Krieg gegen Tirol unter dem Vizekönig Eugen; Versöhnungsversuche der Bayern; Angriff und vollständiger Sieg der Bayern bei Melleck; Speckbacher in großer Gefahr, sein Sohn gefangen.


Am 4. Oktober, dem Namenstage des Kaisers Franz, feierte Hofer zu Innsbruck ein großes Fest. In der Franziskaner-Hofkirche wurde ihm nämlich während eines feierlichen Hochamtes durch den ehrwürdigen Abt von Wiltau, Markus Eggle, jene verhängnisvolle Goldkette umgehängt. Neben dem Hochaltare auf einem rotsamtenen Betschemel kniend, empfing der gute Hofer diese Huld des geliebten Kaisers mit Freudentränen. Auch noch viele andere Tränen flossen dabei; eine unzählige über die Zukunft scheinbar wenig bekümmerte Volksmenge aus allen Ständen war zugegen. Es war Hofers letzter Freudentag! *)

*) Am Abend dieses Festes war in Innsbruck zu Ehren Hofers auch beleuchtetes Theater. Der Gefeierte saß in der kaiserlichen Loge, war dabei sehr traurig und entfernte sich frühzeitig aus dem Schauspiel. Als man ihn darum befragte, äußerte er: „Wie könnte ich mich über all diese Ehre freuen, wenn es hin und wieder noch nicht gut im ‚Lande!‘ steht."

Natürlich wurden nun statt der Abberufungs-Schreiben und Unterwerfungs-Annäherungen von dem anfänglich freudetrunkenen Oberkommandanten wieder neue Aufforderungen zu kräftigem Widerstande an die Grenzkommandanten hinausgeschickt, *) wodurch über ganz Tirol und auch über unsern Speckbacher das fürchterlichste Unglück heraufbeschworen wurde.

*) Eine davon lautet: „Liebe Brüder! Säumt nicht und greift zu den Waffen, denn es droht unserm Vaterlande ein gewaltiger Sturm. Haben wir diesen ausgehalten, dann sind wir befreit und können einer glücklichen Zukunft entgegen sehen. Gott hat uns bisher augenscheinlich geholfen, er wird uns auch dieses mal, wenn wir das uns'rige tun, gewiss helfen. Vom k. k. Oberkommando Tirols. Andre Hofer."

In Bezug auf die salzburgischen Stellungen befahl Hofer letzterem seine Positionen nicht zu verlassen. Haspingern (der aber wie gemeldet schon am 5. Oktober von Hallein zurückgeschlagen wurde) verbot er das Vorrücken.

„Drei Kuriere haben wir gestern vom Kaiser erhalten mit Geld," schreibt Hofer aus Innsbruck am 30. September, an Speckbacher, „der Krieg ist richtig. Also nur frisch und tapfer gewehrt, und auf die göttliche Hilfe vertraut." *) Um Speckbachers Stellungen zu besichtigen, schickte Hofer jetzt auch den von Totis gekommenen Tiroler Major Sieberer in jene Gegenden ab. Dieser traf Speckbacher unruhig und zweifelhaft in Melleck. Auch fand er, und machte darauf aufmerksam, dass die tirolischen Grenz-Positionen mit so wenig Mannschaft zukünftig schwer haltbar sein würden.

*) An den Kommandanten Fierler zu Schnaitzelreit schreibt Hofer aus Innsbruck vom 30. September unter anderem wörtlich Folgendes: „Deine Sorge muss jetzt nicht das Vorrücken, sondern nur die Verteidigung der dortigen Posten sein. Biete also alle Leute auf, und besorge, dass in allen Landgerichten die Sturm-Kompagnien eilends nach Kössen und Kufstein marschieren. Gestern abends sind drei Kuriere mit Geld und Wechsel vom „Franzi" ankommen. Der Krieg ist also richtig. Aber nur tapfer gewehrt. Pulver und Blei ist schon hinunter. Speckbacher soll sich nicht zu weit ausdehnen.
Andre Hofer."

Übrigens wusste Sieberer Speckbacher noch manches gute vom kaiserlichen Hauptquartier zu erzählen, wie z. B. Österreichs Kriegsmacht wieder an 300,000 Mann zähle, wie wichtig es jetzt sei, dass sich Tirol standhaft behaupte, wie jetzt auch England alles aufbiete, und Geld in's Tirol schicke. In die diplomatischen Schliche und in die Friedensunterhandlungen wurde der schlichte Tiroler natürlich nicht eingeweiht; wohl sah er in Totis auch russische und preußische Gesandte, die ihn auf die Vermutung brachten, auch ihre Mächte würden nun bei dem Wiederausbruche des Krieges zu Österreich helfen.

Speckbacher wurde durch diese unerwarteten erfreulichen Nachrichten, denen auch Geschenke vom Kaiser zugefügt waren, natürlich wieder so ermutigt, dass er anfangs in voller Freude sogar die ganze Schwäche seiner Streitmacht vergaß, und nun sogar selbst von einem Vorrücken gegen Salzburg sprach; sich nur redlicher Gefühle bewusst, glaubte er fest, die Österreicher hätten nun sicher wieder angefangen, und drängen die Franzosen die Donau herauf. Er wollte sogar schon österreichischen Kanonendonner hören, der aber jetzt nur aus bayerischen — von Hallein und Berchtesgaden her — ertönte; die österreichische Armee war damals sehr geschwächt und größtenteils in den Sümpfen Ungarns eingezwängt. So ging der Arglose schleunig in die Fallstricke, denn kaum hatte sich Sieberer von Melleck wieder entfernt, so kamen ihm schon fliehende Schützen seiner Mannschaft von Unken her entgegen. Am 8. Oktober überfiel nämlich der bayerische Major Graf Tattenbach die Tiroler bei Berchtesgaden, warf sie dort aus ihren Verschanzungen, eroberte Berchtesgaden, und verfolgte sie dann über den Hirschbühelberg. Da hierdurch nun auch Speckbachers Verbindung mit Haspinger an der Salzach unterbrochen, und ein neuer Angriff der gesammelten Feinde unausbleiblich zu erwarten war, so suchte ersterer Grenzoberkommandant indem er in seinem Wahne immer mehr auf die Mitwirkung der anrückenden Österreicher im Rücken der Feinde rechnete, seine Posten einstweilen mehr zu konzentrieren, um wenigstens, doch vorderhand den Durchbruch auf der Hauptstraße in's Tirol, bis man sich dort mehr gesammelt hätte, möglichst zu erschweren. Mit 600 Schützen fasste er daher bei Melleck festere Stellung mit Vorposten bei Jettenberg und auf den Mellecker Alpen.

Während nun die Tiroler so, aufgemuntert und neu ermutigt durch jenes kaiserliche Gnadengeschenk, immer noch kampfgerüstet und kriegsgewärtig an den bayerisch-salzburgischen Grenzen standen, arbeitete man in ungarisch Altenburg und Schönbrunn desto fleißiger an den Friedensunterhandlungen fort. Nach dem Stande der Sachlage schien bald jeder Tag, an welchem darüber noch fruchtlos verhandelt wurde, trotz des Widerstandes der Tiroler und anderer Gebirgsvölker, für Österreich immer verderben schwerer zu werden; dies bewog endlich den Kaiser Franz eine friedliche Entscheidung der Dinge mit Napoleon sobald als möglich herbeiführen zu lassen.

Dadurch wurden aber dem französischen Kaiser jedenfalls wieder mehrere Armeekorps disponibel, und sein Scharfblick erkannte auch zugleich den angemessensten Augenblick, nun die Unterwerfung des empörten Tirols, dieses kleinen deutschen Stück Landes, das ihm allein noch trotzend gegenüber stand, endlich ernstlicher und mit hinreichenderen Kräften zu betreiben.

Den Oberbefehl über sämtliche hierbei zu verwendende Streitmacht übergab er dieses mal dem ebenso kriegserfahrenen als edelmütigen Vizekönig Eugen *), der nach einem von diesem Feldherrn ausgegangenen allgemeinen Entwurf, alsbald mit 12,000 Mann französischen und italienischen Truppen unter General Baraguai d'Hilliers durch Kärnten in's tirolische Pustertal zu dringen suchen musste, welche Bewegung zugleich von Italien her durch eine 10,000 Mann starke Heeresmasse unter den Generälen Vial und Peyri unterstützt werden sollte. In Vorarlberg war durch die Festnahme des Dr. Schneider der Aufstand ohnehin schon gedämpft.

*) Nachherigem Herzog von Leuchtenberg.

Gegen den Norden Tirols, hauptsächlich au der salzburgischen Grenze, sammelten sich nun auf des Vizekönigs Befehl auch wieder zur endlichen Bezähmung und gänzlichen Umwicklung des Landes drei Divisionen Bayern. Den Oberbefehl hierüber nahm aber Napoleon jetzt dem Danziger Herzog wohlweislich ab, weil mit diesem nun einmal in Tirol kein Glück verbunden, und er dort beinahe zum Gespött geworden war. *) Diesen ließ er zu sich nach Wien kommen. Dafür übergab er jetzt, da es denn doch ein Franzose sein musste, obwohl ein tüchtiger bayerischer General vielleicht schon längst mit den Tirolern fertig geworden wäre, dem Divisions-General Grafen Drouet d'Erlon als General en chef das Oberkommando über sämtliche gegen Tirol zu verwendende Bayern. Dieses mal stellte sich in Salzburg auch der bayerische Kronprinz Ludwig an die Spitze seiner Division, was dieser hochherzige deutschgesinnte Prinz bei jedem Kriegszug gegen die Tiroler früher immer zu vermeiden schien; es war seinem edlen Herzen vielleicht widerstrebend,

Daß der Teutsche, statt sie zu retten,
Der Heimat selber schmieden soll die Ketten. **)

*) Ein tirolisches Trutzlied sagt hierüber:

Mit'n morden und brenna voran
Is Kriegführ'n in Tirol no net d' tan,
Sel hot verstand'n so ganz
Koana a so, wie der „Danziger Schwanz."
Kombt uns der Lotter holt wieder in's Haus,
So werf' mar'n holt wieder zun Tempel hinaus.

**) Aus König Ludwigs Gedichten

Nun erst mit der Palme des Friedens wollte der edle fürstliche Feldherr in Tirol einziehen.

Zu diesem schönen Zwecke schickte er vor aller feindlichen Demonstration am 9. Oktober den Generalstabs - Obersten Eppeln, dessen Familie, wie wir wissen, um jene Zeit in Innsbruck gefangen saß, zu den tirolischen Vorposten an den Botenbühel voraus, um dort Friedensunterhandlungen mit Speckbacher anzuknüpfen. Eppeln verlangte vor allem andern eine Unterredung mit diesem Kommandanten selbst, die auf der Wegscheid vor Reichenhall von diesem auch bewilliget wurde. Sogleich verfügte sich Speckbacher und Fierler, ebenfalls ein tapferer oberinntaler Anführer, begleitet von einigen ihrer Schützen dorthin.

Mit aller freundlichen Zuvorkommenheit machte nun dort der brave bayerische Oberst den Speckbacher vor allem darauf aufmerksam, dass von Erneuerung der Feindseligkeiten keine Rede mehr sei, dass der Friede demnächst abgeschlossen werde, und welch' grenzenloses Elend eine Fortsetzung des Kampfes nach sich ziehen würde; dann wandte er alle Beredsamkeit auf, Speckbacher zur Niederlegung der Waffen zu veranlassen, und bot ihm sogar zuletzt noch für seine Person den Übertritt nach Bayern an, wo er angemessene Belohnung zu erwarten habe. Speckbacher aber, neu getäuscht und neu angefeuert durch jene verhängnisvolle Innsbrucker Nachricht, sah hierin nur einen Verrat an seinem Vaterlande; denn jene verhängnisvollen Nachrichten kamen ja „verbrieft" vom Kaiser, dem die Tiroler nun einmal wieder zugeschworen, und von dem sie nach solchen Taten viel zu hoffen hatten; die bayerischen Anträge aber nur mündlich vom schwer gereizten Feinde, von dem nur zu fürchten war. Leicht zu begreifen ist es auch, dass Speckbacher, auf dem nun so viel ankam, wieder an alles mehr als an den Frieden glaubte, und den Schlüssel des mit so vielen Opfern eroberten „Landels" nicht so leicht übergeben wollte. Überdies mit einer großen dem tirolischen Nationalcharakter eigenen Quantität Misstrauen begabt *) hielten beide Tiroler Anführer die wiederholten so gut gemeinten Anmahnungen des braven bayerischen Obersten jetzt sogar für Feindeslist und verwarfen daher, indem die Verblendeten noch kurzweg erklärten: „man solle sich den Frieden in Tirol nur holen", jede Annäherung dieser Art.


*) Dieses Misstrauen entspringt bei den Tirolern aus ihrer Natur, und sie haben

Auch einigen Grund dazu, denn Vorsicht lehrt
Sie jeder Schritt von ihren Kindesbeinen an.
Auf schmalen Pfaden wandern sie, da reißt
Sich haarbreit darüber ein Abgrund auf;
Es hängt der Fels, die Klippe über sie:
Geschwind vorbei, ehe sich die Steine lösen!
Heut' sehen sie ein Bächlein, morgen ist vom
Kurzen Regenguss das Tal beströmt;
Nebel und die Wolken spiegeln oft hell
Die Ebene oder eine Brücke vor;
Vertrauen sie dem Dunst, so stürzen sie
Zerschmettert in das Bodenlose. —
So sind sie immerdar im Kampf,
Und müssen auf der Hut sein. Der Tiroler
Traut nur dem, was er mit Händen fassen kann.

Gleich nach Zurückweisung der so gut gemeinten bayerischen Vorschläge schrieb Speckbacher an seinen Kollegen Wintersteller: „dass Freden (Wrede) mit 10,000 Mann wieder in und bei Salzburg stehe, er möchte ihm deshalb Verstärkung schicken," wozu der Verblendete in Bezug auf die bayerischen Anträge noch bemerkte, „dies gebe ihm gerade einen Beweis, dass man desto aufmerksamer auf Verteidigung sehen, und sich vom Feinde weder hintergehen, noch einschläfern lassen müsse".

Zu viel Vertrauen also auf den Freund und zu wenig auf den Feind, wurde den mehr tapferen als besonnenen, und mehr redlichen als klugen Tirolern nun sehr verderblich, denn die bayerischen Heerführer, ununterrichtet von jener neuen kaum zu entschuldigenden Widerstands-Anschürung, während der Friede vor der Türe war, mussten nun bei aller Mäßigung die Geduld gegen die Tiroler verlieren, und setzten daher ihre Heerhaufen desto rascher in Bewegung, um der unsinnigen und jetzt sogar in aller Beziehung gesetzlos und strafbar scheinenden Kampf-Verharrung des bockbeinigen und kurzsichtigen Volkes neuerdings um so mehr mit kriegerischem Nachdruck zu begegnen. *)

*) Um jene Zeit zirkulierte an den Tiroler Grenzen unglücklicherweise auch noch dazu die Nachricht: „dass Napoleon von Wien her über München nach Paris reist. Die in äußere Verhältnisse nie eingeweihten Tiroler Kommandanten mutmaßten nun, der Franzosenkaiser sei von den Österreichern geschlagen und auf dem Rückzuge, während er aber damals nur als Sieger nach abgeschlossenem Frieden wirklich über München nach Paris zurückreiste.

Am 16. Oktober waren deswegen schon alle drei Divisionen der Bayern gegen die Grenzen von Tirol in Marsch. Während die dritte Division (Deroi) jetzt wieder über Kufstein und ein Seitenkorps davon unter Oberst Oberndorf durch die Scharnitz dringen musste, bewegten sich die andern zwei Heeresabteilungen, die Division Kronprinz voran, von Salzburg und Reichenhall aus, gegen die östlichen Grenzen des Landes.

Belehrt durch die früheren Ereignisse gingen die Oberanführer des bayerischen Heeres aber dieses mal vorsichtiger zu Werke, und suchten jetzt vor allem das gewagte menschenaufopfernde Anstürmen gegen die Stirnseite der Grenzpässe zu vermeiden und, auf diese nur Scheinangriffe machend, durch Umgehung derselben dasselbe Ziel auf viel unblutigere Weise zu erreichen. Diese Mittel wären freilich früher ebenso gut anzuwenden gewesen, hätte man den Krieg im Frieden besser studiert, und zuvor die notwendige topographische Kenntnis von dem militärisch so merkwürdigen Gebirgslande durch frühere Beobachtung der Gebirgs-Ein- und Übergänge durch Vermessungen und tüchtige Karten sich eigen gemacht. *)

*) Der geschickteste bayerische Gebirgs-Stratege, von Baur, sagt in seiner ausgezeichneten Schrift über Tirol, „dass zur Eroberung dieses Landes ein wohlunterrichteter Generalstab und eine gute Landkarte mehr wie 10,000 Mann gelten." Verlässliche Karten dienen auch dazu um sich zuvor Operationspläne zu machen. Das zweite notwendige Mittel sind im Gebirge aber auch noch gegendkundige Führer, die wenigstens an den Grenzen leicht sich vorfanden; in Tirol selbst hingegen konnte man um keinen Preis und mit keiner Drohung Führer erhalten.

Wie der natürliche Verstand sehr oft den bessern Leitfaden zu mancher Unternehmung gibt, so scheint es nun auch hier der Fall gewesen zu sein; die kriegerischen Natursöhne Tirols mussten nämlich im September zu dem Umgehungssystem, was gerade in jenen salzburgischen Grenzgegenden am leichtesten durchzuführen, zuvor das Beispiel geben.

Die 1. Division (Kronprinz) teilte sich dieses mal in vier Angriffskolonnen, um, geführt von gegendkundigen Leuten, in vier verschiedenen Richtungen durch und über die salzburgischen Grenzgebirge zu rücken, und die Tiroler vor allem im Saalachtal zu umgehen.

Die 2. Division (Wrede) marschierte zu gleicher Zeit auf freilich sehr schlechter Straße von Reichenhall aus über Ruhpolding, Kössen gegen St. Johann, während die 3. (Deroi) größtenteils über Rosenheim, Fischbach, auch zum Teil über Windhausen auf dem rechten Innufer nach Kufstein den Marsch antrat. Oberst Zoller mit einer halben Brigade war von Hallein aus in's Pinzgau auf dem Wege, um sich im Inntal mit dem Hauptkorps zu vereinigen.

Die 1. Kolonne der Division Kronprinz, deren Vorhut 250 Schützen, kombiniert aus dem 1. und 2. Regiment unter dem tapferen Major Seiboldsdorf bildeten und die von dem königlichen Revierförster Ferchel und vier Holzknechten geführt wurde, musste bei Nacht von Weisbach, einem kleinen Dorfe zwischen Inzell und Reichenhall, durch Felsengeklüfte Wälder und Schnee über die Steinbachalpe empor, um dann im Saalachtal gegen den Stein-Pass unterhalb der tirolischen Hauptstellung bei Melleck sich herunter zu stürzen. Dieser folgten auf gleichem Wege vier Füselier-Kompagnien des Kronprinz-Regiments. Die 2. Kolonne der 1. Division unter Oberstleutnant Habermann mit seinem tapferen Bataillon, welcher der Salinenarbeiter Diesbacher als Wegführer beigegeben war, musste ebenfalls bei stockfinsterer Nacht über Weisbach durch den Bernauer Wald gegen den Rücken des Botenbühel-Passes und Melleck marschieren. Wegkundige Leute mussten rechts und links während der Dunkelheit der Nacht in Wäldern und Felsen verhüten, dass sich diese oft mühsam Mann an Mann gehenden Angriffsscharen nicht verirrten.

Die 3. Kolonne unter General Rechberg, der mit Zuziehung des königl. Salinen-Inspektors Rainer den ganzen Angriffsplan entworfen hatte, und von diesem und Stephan Hafner geführt wurde, zog über den Kuchelbachberg gegen den Tiroler Posten zu Schnaitzelreut.

Die 4. Kolonne endlich (unter Oberst Ströhl) wurde vom Revierförster Wein mit einigen Forstleuten auf dem rechten Saalach-Ufer über Jettenberg und die Heidebrücke gegen Unken geführt.

Begünstiget durch die Nachlässigkeit eines Tiroler Piquets, (Rattenberger Schützen unter Hauptmann Halfinger), welches die Mellecker Alpe hätte bewachen sollen, aber weil sie in der schon strengen Kälte meistens ohne Schuhe waren, dorthin nur manchmal patrouillierten, kam die Vorhut der Bayern glücklich unbemerkt morgens an dem Stein-Pass im Rücken der tirolischen Hauptstellung zu Melleck an. Mit entschlossenem Mute griffen die bayerischen Schützen sogleich von mehreren Seiten an; eine Abteilung davon unter Oberleutnant von Hofstetten stürzte sich jäh und im vollen Lauf zum Steinpass hin, schnitt den bei Melleck postierten überraschten Tirolern dadurch den Rückzug ab, und verfolgte einen andern kleineren Teil davon gegen Unken. Eine zweite Abteilung dieser bayerischen Angriffsschar unter Oberleutnant Heiligenstein erstürmte zugleich das Wirtshaus zu Melleck, wo Speckbachers Hauptquartier war, und auf welches auch zugleich Habermanns Truppen anstürmten. Nun entspann sich der Kampf immer allgemeiner und mit großer Erbitterung. Die Tiroler, welche von dieser Seite, im Rücken und in den Flanken, keinen Angriff ahnten, wurden zu gleicher Zeit überall angegriffen und abgeschnitten; sie wehrten sich zwar verzweiflungsvoll, indes konnten sie dem gewaltigen tapferen Andrang der Bayern von allen Seiten nicht lange widerstehen, viele wurden daher bald zusammengehauen, von Bajonetten durchbohrt. Andere stürzten sich verzweiflungsvoll in die Fluten der Saalach. Mit dem Vorrücken der anderen bayerischen Kolonnen von Schnaitzelreut und Jettenberg her wurden die noch kämpfenden Bauern natürlich immer mehr in die Klemme gebracht, von einem wohlgenährten Rottenfeuer und Handgemenge in das andere getrieben.

Speckbacher selbst kämpfte geraume Zeit wie ein Löwe, doch endlich ward er im wilden Handgemenge auf die Erde geworfen, wo ihm dann, da er sich nicht ergeben wollte, durch Kolbenstöße und Bajonnettstiche mehrere Wunden beigebracht, und seine Waffen und Kleider vom blutenden Leibe gerissen wurden. Der heldenmütige Mann verlor indes keinen Augenblick die Geistesgegenwart. Mit Riesenkraft raffte der nun Waffenlose sich sogar wieder auf, schlug mit gewaltigen Faustschlägen wie ein Rasender um sich, und entwand sich endlich, die Fetzen seiner Kleider den Soldaten zurücklassend, wie durch ein Wunder, bluttriefend ihren ferneren Angriffen. Hierauf kletterte er, mit einem Fuß einen Verfolger nach rückwärts stoßend, von nachgeschickten Kugeln umsaust, einen steilen Berg hinauf. Ungefähr 50 seiner Leute hatten schon früher dasselbe getan, oder versuchten es jetzt. Viele davon wurden indes wieder heruntergeschossen, beinahe alle verloren ihre Stutzen. Nur die verzweiflungsvolle Lage des kleinen Restes und die gemsenartige Geschicklichkeit im Klettern machte es möglich, eine durch Bäume etwas geschützte Höhe zu gewinnen, wo man vom Feinde nicht mehr erreicht werden konnte. Kaum oben angelangt vermisste aber Speckbacher zu seinem großen Schrecken erst seinen Sohn Anderl, stieß anfangs einen durchdringenden herzzerreißenden Schrei aus, brüllte dann wieder wie ein verwundeter Löwe. So von dem mächtigsten Vatergefühle hingerissen, nahm er einem Schützen rasch seinen Stutzen, den einzigen, der noch zu haben war, und wollte damit wieder hinunter, um neuerdings anzugreifen und sein Kind zu befreien.

Seine Leute hielten ihn indes zurück und weigerten sich jetzt ihm zu folgen; da fasste sich der von den erschütterndsten Gefühlen hin und her Getriebene mit wahrer Seelengröße wieder, indem er die Unmöglichkeit der Rettung des Verlorenen erkannte. Mit neu erwachtem Kriegerstolze wollte er auch seine Person nicht als lebendige Trophäe den Feinden preisgeben; aber blutenden Herzens musste der doppelt Unglückliche nun sein Kind der Rache — oder Großmut — seiner schwer gereizten Feinde überlassen!

Zentnerschwer lastete nun auch die Wahrheit seiner Ahnungen auf dem Gemüte des schwer Getäuschten; die Früchte aller seiner Kriegs-Anstrengungen auf salzburgischem Gebiete, das er eigentlich nie betreten wollte, sah er auf einmal verloren.

Das traurige Schicksal seines Sohnes, der Tod und die Gefangenschaft so vieler wackerer Landsleute waren nun der Lohn für so viele Anstrengungen, für so schöne Waffentaten, für so viel Liebe und unerschütterliche Treue gegen den Kaiser! Obwohl nun blutend, zerschlagen, konnte sein heroischer Mut aber dennoch nicht gebeugt werden; denn sein Herz lebte noch, und schlug nun wieder um so heftiger nur für Tirol, sein eigentliches Vaterland allein! Der erste Gedanke war daher, nur dieses so viel als möglich noch zu schützen, und die Verteidigungspläne auszuführen, zu denen er Hofer früher vergeblich geraten hatte.

Die Tiroler erlitten bei dieser Gelegenheit die größte Niederlage im ganzen Insurrektionskriege, und zwar beinahe in der nämlichen Gegend, und aus derselben Ursache, aus welcher 3 Wochen früher das Leibregiment der Bayern so viel Unglück gehabt hatte und beinahe gänzlich vernichtet worden war. Wieder ein Beweis wie wenig jene Landschaft zu verteidigungsweisen Stellungen tauge. Beinahe 300 Bauern lagen auf dem Schlachtfelde oder wurden auf einzelnen zerstreuten Posten zusammengehauen; eine ebenso große Anzahl wurde zu Gefangenen gemacht, worunter, wie gemeldet, wirklich Speckbachers 11 jähriger Sohn Anderl war. Sehr schwer war es den Offizieren, auf Befehl des Kronprinzen, ihre Soldaten, die wegen der Schlappe des Leibregiments furchtbar gereizt waren, von Tötung oder Misshandlung der gefangenen Tiroler zurückzuhalten.

Da die bayerische Avantgarde den alten Speckbacher nicht persönlich kannte, so vermutete man diesen Anführer unter den Toten; der Sohn wurde daher bald nach dem Gefechte auf dem Schlachtfelde herumgeführt, um die Leiche seines Vaters anzugeben. Bald erkannte der Kleine auch die blutigen Kleiderfetzen und den Säbel seines Vaters. Bitterlich weinend gab er nun einen eben verschiedenen Tiroler, der mit zerhauenem Gesichte dalag, für seinen Vater aus; der schlaue Knabe wollte dadurch die Flucht seines Vaters sichern, denn bald darauf zeigte er wieder eine für seine blutjungen Jahre wahrhaft männliche Fassung, die selbst den bayerischen Offizieren Mitleid und Achtung für den mutigen Kommandanten-Sohn einflößte, der schon so früh das Kriegshandwerk ergriffen hatte. Ohne eine Klage auszustoßen wurde der junge Speckbacher hierauf mit den andern gefangenen Landsleuten nach Landshut eskortiert, wo sie bis auf weiteres in der Trausnitzburg eingesperrt wurden.

Sehr roh benahm sich bei diesem Transporte ein Haufe bayerischer Bauern, die nicht weit von der Grenze im Dorfe Innzell diese Unglücklichen mit fürchterlichen Schimpfworten und Steinwürfen empfingen. Später werden wir auf das fernere Schicksal von Speckbachers Sohn zurückkommen.



Quelle: Johann Georg Mayr, Der Mann von Rinn (Joseph Speckbacher) und Kriegsereignisse in Tirol 1809, Nach historischen Quellen bearbeitet, Innsbruck 1851. S. 245 - 256.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.