Wer war das Heldenmädchen von Spinges?


von Anselm Sparber, 1948

Das Denkmal der Katharina Lanz
Das Denkmal der Katharina Lanz
1912 im Kirchhof von Picve (Buchenstein) errichtet und 1915 im Zuge der
Räumung nach Corvara (Abtei) übertragen, wurde es von dort durch die
Faschisten in den Halsgraben des Schlosses von Rovereto verschleppt,
wo es heute noch ist.

Viele Leser werden denken: Dies ist eine überflüssige Frage. Ja, so manche Ladiner werden beleidigt sein, dass man diese Frage nochmals aufwirft, da es doch allgemein bekannt ist, dass das Heldenmädchen von Spinges Katharina Lanz heißt, von St. Vigil in Enneberg stammte, wo sie am 21. September 1771 geboren wurde, zu Andraz am 8. Juli 1854 starb und auf dem Friedhof zu Pieve beigesetzt wurde, wo man ihr 1912 ein Denkmal errichtete.

Trotzdem muss man diese Angelegenheit nochmals erörtern, da nämlich Staatsarchiv-Direktor i. R. Dr. Karl Klaar in Innsbruck in der Zeitschrift „Tiroler Heimat" (1937, S. 160—192) in einer Abhandlung, betitelt „Das Mädchen von Spinges'“, nachzuweisen suchte — und nach seiner Auffassung auch mit Sicherheit nachwies —, dass die Heldin von Spinges nicht die Katharina Lanz von Enneberg ist, sondern eine andere Katnarina Lanz, die am 27. November 1766 in Natz das Licht der Welt erblickte, sich am 3. Oktober 1797 mit Andreas Mayr, Widnerbauer in Spinges, vermählte und am 25. Dezember 1804 dort verschied.

Wir haben erwartet, dass ein Ladiner die Landsmännin gegen diese Angriffe in Schutz nehmen und ihre Ehre verteidigen würde. Da aber dies bisher nicht geschah — vermutlich schreckte der wissenschaftliche Apparat, den Dr. Klaar zum Beweise seiner These aufbot, davon ab —, wollen wir gegen seine Behauptung Stellung nehmen, zumal wir in diesen Streit um das Heldenmädchen van Spinges schon einmal verwickelt waren, was Dr. Klaar selbst erwähnt *). Die Hauptursache, warum wir dies tun, liegt darin, dass, wenn niemand dagegen spricht, der Grundsatz zur Anwendung kommt: Qui tacet, consentire videtur, d. h. wenn man schweigt, scheint man damit einverstanden zu sein, das will in unserem Falle sagen, mit dem Resultat der Forschung Dr. Klaars. Dann wäre die Katharina Lanz von St. Vigil als Heldin von Spinges wissenschaftlich abgetan. Damit dies nicht zutreffe, wollen wir seine Beweise entkräften und darlegen, dass ihre Unterlagen hinfällig sind. Allerdings können wir wegen Platzmangels die Sache nicht so ausführlich behandeln, wie es Dr. Klaar tat, dessen Aufsatz über 30 Seiten umfasst, sondern müssen uns kurz fassen.

*) Siehe „Tiroler Heimat" 1937, S. 174 f., S. 177.

Zunächst erkennen wir an, dass Dr. Klaar über die ennebergische Katharina Lanz und ihre Familie eine eingehende Untersuchung
angestellt, auch die reichhaltige Literatur darüber (sehr viele Nachrichten in Geschichtswerken, Schriften, Zeitungen, Zeitschriften) fleißig gesammelt und einer gründlichen Kritik unterzogen hat. Auch über andere dabei behandelte Personen, besonders über die Katharina Lanz von Natz und über deren Eltern, über Andrä Mayr, Widner in Spinges, und über dessen Familie hat er nachgeforscht, allerdings zu wenig. Wir geben auch zu, dass seine scharfe Kritik der vielen erschienenen Schriften, Aufsätze und Artikel über die Katharina Lanz von Enneberg ziemlich berechtigt ist, da ihr Leben, besonders ihre Heldentat, durch die Phantasie vieler Literaten *) und mancher Historiker reichlich ausgeschmückt wurde. Auch verschiedene Behauptungen ernster Geschichtsschreiber **) sind unhaltbar, wie Dr. Klaar nachgewiesen hat.

*) Wir können wegen Platzmangels ihre und die Schriften der Historiker unmöglich anführen, sondern müssen auf Dr. Klaars Abhandlung verweisen. Beispielshalber sei hier hingewiesen
auf Norbert Stock: Der Tag von Spinges, 2. Aufl. 1891 (vgl. Dr. Klaar, S. 167 ff.). Vgl. auch Archivio per l'Alto Adige VII, 1912,
S. 342 ff.
**) Z. B. F. Lentner, Kriegspolitische Denkwürdigkeiten aus Tirols Befreiungskämpfen, Das Jahr 1797, S. 101 — 113 (Die Heldenjungfrau von Spinges), 1900; A. Vittur, Enneberg in Geschichte und Sage, 1912, S. 135, LXV ff., Nr. 333, 334 der Anmerkungen (vgl. Dr. Klaar. S. 175 f.).

Über die ennebergische Katharina Lanz sind uns leider sehr wenige verlässliche Nachrichten erhalten. Vieles, was darüber geschrieben wurde, ist Aufbauschung oder Erfindung. Dies geht schon daraus hervor, dass sich die Nachrichten, die über sie verbreitet wurden, teilweise widersprachen. Dieser Auffassung Dr. Klaars stimmen wir zu, aber das Endergebnis seiner Untersuchung, nämlich die Behauptung, dass diese Katharina Lanz von St. Vigil nicht die Heldin von Spinges ist, verneinen wir.

Zunächst müssen wir uns fragen: Ist es überhaupt geschichtliche Tatsache, dass in der Schlacht von Spinges am 2. April ein Mädchen an der Friedhofmauer mitgekämpft hat? Auf diese Frage gibt uns der Bericht *) den der Kommandant, der die Tiroler Helden in dieser Schlacht befehligte, nämlich Dr. Philipp Wörndle, selbst verfasst hat, die eindeutigste Antwort. Dieser ist noch im Original vorhanden und wurde unter anderem auch in der Schrift „Dr. Philipp Wörndle zu Adelsfried und Weiherburg, Tiroler Schützenmajor und Landsturmhauptmann" (Brixen 1894, S. 39 — 45), die Heinrich von Wörndle herausgab, veröffentlicht. In seiner Schilderung des Kampfes um die Friedhofsmauer in Spinges schreibt er: „Man sah hier unter anderen eine Bauernmagd aus Spinges, die, mit zusammengegürtetem Unterkleide und fliegenden Haaren auf der Friedhofsmauer stehend, die anstürmenden Feinde mit ihrer kräftig geführten Heugabel hinunterstieß."

*) Es ist noch ein kürzerer Bericht über die Kämpfe auf Spinges erhalten, wovon das dortige Pfarrarchiv (III, A d 3) eine Abschrift besitzt. Aus dem Inhalt scheint hervorzugehen, dass er kurze Zeit nach dem 2. April von einem Teilnehmer, der wahrscheinlich aus Innsbruck oder dessen Umgebung stammte, zusammengestellt wurde. Er wurde im Jahrgang 1880 des „Andreas Hofer", Nr. 48/49, unter der Überschrift „Kurze Übersicht des französischen Einfalls in Tyrol im Jahre 1797 als ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte, worunter erstlich die Affaire von Spinges besonders erwähnt zu werden verdient" veröffentlicht. Philipp Wörndle, der seinen Bericht im Winter 1798, also drei viertel Jahre später verfasste, übernahm vom kürzeren Berichte mehrere Stellen fast wörtlich, darunter auch die Meldung über die Heldentat des Mädchens von Spinges. Ganz sicher ist die Priorität des kürzeren Berichtes aber nicht. — Ein dritter Bericht findet sich in der Innsbrucker Chronik der Brüder Putsch, der, wie es scheint, aus der ersten Hälfte des April 1797 stammt (siehe „Amtsblatt der Gauhauptstadt Innsbruck“ 1938, Nr. 9, S. 5 f.: „Die erste Erwähnung des .Mädchen von Spinges'" von Dr. Karl Schadelbauer). Darin heißt es: „Die vorderste Truppe Bauern warf sich in den dortigen Kirchhof. Am heftigsten wütete da die wechselseitige Erbitterung. Von den Mauern wurden die Feinde mit Sensen, Gewehrkolben und Heugabeln zurückgestoßen. Die Bewohner von Spinges labten die Stürmer und fochten an ihrer Seite. Ein Bauernmädchen zeichnete sich hier als Heldin aus, sie stieß drei stürmende Franzosen mit einer Heugabel von der bereits erklimmten Mauer hinab."

Diese Meldung eines Augenzeugen ist Beweis genug für die Tatsache, aber den Namen und die Herkunft dieser Magd führt Wörndle nicht an. In der Öffentlichkeit wurde ihr Name erst um 1870 bekannt *). Wie ist das zu erklären? Offenbar durch die Tatsache, dass die Heldin selbst jahrzehntelang schwieg und sich schließlich nur im Kreise ihrer nächsten Verwandten darüber äußerte. Dies ergibt sich daraus, dass der damalige Kurat von Spinges wenige Wochen nach der Schlacht einer bischöflichen Kommission aus Brixen, die nach Spinges kam, um die erlittenen Schäden zu schätzen und dem tapferen Mädchen — die Kunde hievon war also nach Brixen gedrungen — ein bedeutendes Geschenk zu überreichen, erklärte, dass in Spinges niemand von einem solchen wisse **). Wenn dies stimmt, kann man annehmen, dass bei diesem Kampf an der Friedhofmauer kein Krieger von Spinges teilnahm, der das Auftreten des Mädchens hätte bezeugen können. Allerdings ist es auch möglich, dass ein Mitkämpfer dasselbe doch nicht gesehen hat. Er kann nämlich auf der anderen Seite der Kirchhofmauer, verdeckt durch die Kirche, gestanden sein. Solches steht fest beim späteren Kuraten Pfaundler von Dietenheim, der als Student beim hitzigen Gefechte an der Friedhofmauer teilgenommen hat, aber das Heldenmädchen in keiner Weise beobachtete, wie er fest behauptete ***). Daher glaubte er auch nicht daran. Damals (um 1850) war also über dasselbe noch nichts Näheres bekannt. Daraus geht hervor, dass es eich über seine Heldentat lange Zeit in Schweigen hüllte, so dass nichts in die Öffentlichkeit drang. In seiner Bescheidenheit wollte es offenbar nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken, um nicht belästigt zu werden. Vermutlich kehrte es auch bald nach Ladinien zurück. Wie es scheint, wirkte es dann jahrzehntelang als Wirtschafterin beim Kuraten und späteren Benefiziaten Johann Petr. Alton in Colle S. Luzia, der dort 1845 verschied. Nach einer allerdings unsicheren Meldung ****) hat schon dieser Kurat von ihr erfahren., dass sie an der Spingeser Schlacht aktiv teilgenommen hatte, ihr aber geraten, darüber nichts zu sagen. In ihren letzten Lebensjahren diente sie als Widumhäuserin bei ihrem Verwandten, dem Benefiziaten Johann Maneschg, in Andraz (1851 — 54). Dort hielt sich im Sommer der Student Karl Maneschg, der Bruder des Benefiziaten, auf. Ihm erzählte sie öfters vom Kampf von Spinges und von ihrer Teilnahme daran. Wie erwähnt, starb sie daselbst am 8. Juli 1854 im Alter von 83 Jahren und wurde am 10. Juli in Pieve, da in Andraz kein Friedhof bestand, begraben.

*) Hauptsächlich durch einen Artikel in den „Neuen Tiroler Stimmen" vom 23. August1870. Dr. Klaar druckte ihn ab (S. 162 ff.). Er enthält mehrere falsche Angaben. Wegen der Verstöße gegen den Kirchenkalender glauben wir nicht, dass er von den Brüdern Maneschg, die Geistliche waren, stammt, aber sie standen ihm nahe.
**) Dieses berichtet Ludwig Steub in der Schrift „Lyrische Reisen", S. 255 ff. (erschienen 1878). Ein Kapitel ist überschrieben: „Das Mädchen von Spinges" (S. 255—260).
***) Siehe L. Steub, a. a. O., S. 258.
****) Siehe N. Stock, Der Tag von Spinges (2. Auflage, S. 33 ff.); F. Lentner, Kriegspolitische Denkwürdigkeiten, S. 108 f.; Dr. Klaar, a. a. O., S. 169.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchte man das Andenken der Helden von 1797 und 1809 aufzufrischen. Zu diesem Zwecke errichtete man verschiedene Denkmäler und Ehrentafeln. 1881 fasste der Veteranenverein von Brixen den Entschluss, in Spinges ein würdiges Ehrenmal aufzustellen. Bereits am 1. Mai 1882 konnte es in festlicher Weise enthüllt werden. Daher dürfen wir uns nicht wundern, dass auch Ladiner darangingen, ihre Landsmännin und Heldin zu Ehren zu bringen. An ihre Spitze stellte sich Kaspar Ruepp, Bezirksrichter in Enneberg (mit dem Sitz in St. Vigil, der Heimat der Katharina Lanz), später in Sand in Taufers, der großen Fleiß aufwandte, um ihre Lebensverhältnisse auszuforschen und den Beweis zu erbringen, dass sie das Heldenmädchen von Spinges sei. Er richtete 1881 auch an den Dekan und Pfarrer von Enneberg. Matthäus Declara, eine Anfrage, um Nachrichten über Ort und Zeit der Geburt und andere Lebensdaten der Katharina zu erhalten. Die Antwort hat Dr. Klaar in seiner Abhandlung wiedergegeben (S. 180 f.). Bei diesen Nachforschungen wurde Kaspar Ruepp von Dr. Ferdinand Hechenberger, k. k. Notar in Brixen, später in Innsbruck, und von den geistlichen Brüdern Johann und Karl Maneschg unterstützt, die über die Lebensumstände der Katharina Lanz am besten Aufschluss geben konnten. Alle zusammen betrieben 1881/82 den Plan, ihr im Friedhof von St. Vigil einen Gedenkstein mit Inschrift zu errichten, ebenso eine Gedenktafel an ihrem Geburtshaus, was auch durchgeführt wurde. Beide Ehrenmäler *) wurden im Frühjahr 1882 enthüllt.

*) Dr. Klaar bringt (S. 168) die Inschriften beider, die laut Rechnung vom 29. Mai 1882 vom Steinmetz Johann Sagmeister von St. Lorenzen angefertigt wurden (siehe Bibliotheca Ferdinandea Nr. 5223, Nr. 14).

Kaspar Ruepp sammelte Briefe und Akten, die sich auf das Leben Katharinas und auf die Vorbereitung zur Aufstellung dieser Denkmäler bezogen, und hinterlegte sie im Museum Ferdinandeum (Bibliotheca Ferdin. Nr. 5223) als Beweismittel dafür, dass Katharina Lanz von St. Vigil wirklich die Heldin von Spinges sei. Dr. Klaar unterzog sie einer scharfen Kritik und schätzte sie sehr gering ein. Wir glauben, teilweise mit Unrecht. Wir greifen nur ein Schreiben (Nr. 10) aus der von Kaspar Ruepp gesammelten Korrespondenz heraus, nämlich den undatierten Brief des Kanzlisten Johann Maneschg beim Bezirksgericht Enneberg, den man ersuchte, er möchte aus den Verfachbüchern den Besitz des Vaters der Katharina feststellen. In diesem Briefe *) steht Folgendes zu lesen: „Herr Karl Maneschg, Kaplan in Ehrenburg, war vor zwei Jahren in St. Vigil, eigens auf die Abkunft der Katharina Lanz Erhebungen zu pflegen **). Wem er diese Erhebungen mitgeteilt hat, weiß ich aber nicht. Herr Karl Maneschg sagt, dass er, als sein Bruder sich in Andraz als Benefiziat befand, während der Vakanzzeit meistens sich in Andraz aufhielt, die Katharina Lanz, welche damals dort Wirtschafterin war, öfter veranlasste, von der Schlacht in Spinges zu erzählen, aber dass sie nicht gerne davon erzählte, da sie sich ein Gewissen machte, Leute erschlagen zu haben. Dieser Herr würde am meisten davon zu erzählen wissen." Dazu bemerkt Dr. Klaar, dass der Brief keinen Adressaten aufweist, aber wohl an Kaspar Ruepp gerichtet ist, der ihn offenbar dem Museum Ferdinandeum übergab wie die andern auf Katharina Lanz bezüglichen Dokumente. Er ist undatiert, kann aber gemäß seines Inhaltes nur aus der Zeit stammen, in der Karl Maneschg Kaplan in Ehrenburg war, nämlich aus den Jahren 1892/97.

*) Dr. Klaar gibt den Großteil wieder (S. 183 f.).
**) Er wollte auch eine Lebensbeschreibung Katharinas verfassen, was durch seine Krankheit verhindert wurde. Siehe Lentner, Kriegsp. Denkw., 111 f.

Nach unserer Auffassung liegt in diesem Schreiben, (nicht in jenem der Catarina Agraiter) *) der Hauptbeweis — wenn man schon einen schriftlichen verlangt, sich also mit der mündlichen Überlieferung nicht begnügt —, dass Katharina Lanz von Enneberg, wozu auch St. Vigil gehört, die Heldin von Spinges ist. Der hochwürdige Karl Maneschg ist zweifellos der Hauptzeuge dafür, nachdem die Heldin selbst keine von ihr unterzeichnete oder von Zeugen bestätigte Erklärung hinterlassen hat **) - Er war davon ganz überzeugt. Dies ergibt sich klar aus der von Kaspar Ruepp gesammelten Akten- und Briefsammlung, die wir selbst eingesehen haben. Aus ihr geht hervor, dass er sich nebst Ruepp am meisten für die Errichtung von zwei Gedenktafeln zu ihrer Ehre in St. Vigil einsetzte. Indem Dr. Klaar die Aussagen Karl Maneschgs nicht gelten lässt, stellt er ihn als Lügner oder als Betrüger hin oder es hat Katharina Lanz selbst gelogen, von der er dieselben übernommen hat. Nun fragen wir: Welche Gründe hätten die alte Widumhäuserin im damals unbekannten Nest Andraz bewegen können, sich als Heldin von Spinges auszugeben, wenn sie es nicht war? Welche Vorteile sollten ihr daraus erwachsen? Sollte sie es im hohen Alter wirklich nur aus Eitelkeit getan haben? Wie hätte die einfache Widummagd überhaupt auf diese Idee kommen können, wenn sie keinen wirklichen Anlass gehabt hätte? Dann ist zu bedenken, dass sie jahrzehntelang als Wirtschafterin geistlichen Herren diente; daher muss man annehmen, dass sie eine ehrliche Person war und nicht eine Schwindlerin oder Hochstaplerin. Diese Erwägungen lassen die Annahme Dr. Klaars, dass ihre Teilnahme an der Schlacht von Spinges nur eine Erfindung von ihrer Seite oder von jener Karl Maneschgs sei, fast als absurd (widersinnig) erscheinen; denn man kann nicht annehmen, dass letzterer die ganze Geschichte einfach aufgelogen hat. Wie sollte auch er auf diesen Plan verfallen sein, da er sonst als ehrenwerter Priester erscheint? Dies kann man daraus erschließen, dass er bei seinen Vorgesetzten in Brixen in Achtung stand, weil sie ihm den Vertrauensposten eines Direktors des Defizientenhauses in Sarns zeitweilig übertragen. Auch Kaspar Ruepp, der die Aktion zu Ehren der Katharina Lanz eigentlich leitete, muss als verlässliche Persönlichkeit angesehen werden. Als Bezirksrichter von St. Vigil muss er doch die Tradition der dortigen Bewohner gut gekannt haben. Eine absichtliche Irreführung von seiner Seite ist wohl ausgeschlossen. Daher muss er von der Sache, die er vertrat, überzeugt gewesen sein. Die Überlieferung bei Klerus und Volk bildete auch den Hauptgrund, warum man dieser Heldin 1912 auf dem Friedhof zu Pieve ein ehernes Standbild setzte.

*) Siehe Dr. Klaar, S. 179.
**) Offenbar dachte man damals nicht daran, dass eine solche je einmal Bedeutung haben könnte.

Allerdings geben wir zu, dass man um ihr Lebensbild einen Kranz von Legenden, Sagen und anderen Erfindungen wand. Dabei mögen die genannten Personen teilweise — wahrscheinlich bona fide (guten Glaubens), indem sie meinten, damit das Richtige zu treffen, nämlich den Lebensverhältnissen der Heldin gemäß — auch mitgewirkt haben. Aber das Wesentliche, nämlich ihre Heldentat in Spinges, muss stimmen. Sonst wäre das Ganze ein Schwindel. Durch diese Stellungnahme glauben wir auf viele Einwürfe und Angriffe Dr. Klaars bezüglich Geschichtsfälschung erwidert zu haben. Auf die vielen Einzelheiten können wir der Kürze halber nicht eingehen.

Bis 1911 galt die Ennebergerin Katharina Lanz allgemein als das Heldenmädchen von Spinges. Seit diesem Jahre erhob sich Widerspruch. Er ging von Johann Mayr, Wegmacher und Grunerbauer in Neustift, aus, der ein Urenkel des Spingeser Widnerbauers Andreas Mayr vom Jahre 1797 war, bei dem Katharina Lanz bedienstet gewesen sein soll. Johann Mayr entdeckte um 1910 oder kurz vorher zwei Hausbriefe (Urkunden). Der eine vom 9. Juni 1797 stellt die Erbschaftsabhandlung der ersten Frau des genannten Widnerbauers mit Namen Maria Niedermayr dar, der andere vom 23. Sept. 1797 den Heiratsvertrag *) mit der zweiten Frau Helena Katharina Lanz. Diese Urkunden legte er meines Wissens zuerst dem Geschichtsprofessor Hartmann Ammann von Neustift zur Prüfung vor, dann der Vorstehung des Museums Ferdinandeum in Innsbruck. Dort wurden sie als echt erklärt **). Da im Ehekontrakt ***) zu lesen steht, dass die Braut Helena Katharina Lanz eine eheliche Tochter des Anton Lanz, Freybauers von Natz, und der Katharina Junkerin sei, riet man ihm, in den Matriken von Natz nachforschen zu lassen, ob dies stimmt. Tatsächlich erschien Johann Mayr beim Pfarrer von Natz, der seinen Kooperator ****) beauftragte nachzusehen. Dieser fand die Angabe bestätigt. Denn im dortigen Taufbuch ist die Geburt einer Katharina Lanz am 17. Nov. 1766 verzeichnet. Darin ist noch die Geburt zweier anderer Personen mit den Namen Katharina Lanz eingeschrieben, nämlich am 25. Nov. 1771 und am 21. August 1767, die gleichfalls dem Alter nach als Heldenmädchen von Spinges in Betracht kommen könnten.

*) Darin heißt die Braut dreimal Helena, dreimal Katharina (zwei- bis dreimal steht der Name auf Rasur, ist also wohl eine Korrektur, doch ist jetzt der Text durch Feuchtigkeit so verwischt, dass man dies nicht mehr feststellen kann). Wir nennen sie hier Helena Katharina.
**) Vgl. Dr. Klaar, S. 173.
***) Siehe Dr. Klaar, S. 186.
****) Den Verfasser dieses Artikels.

Die Bestätigung der Angabe des Heiratsvertrages durch die Taufmatriken von Natz bestärkte Johann Mayr in seiner Auffassung sehr, dass diese seine Ahnl die Heldin von Spinges sei. Denn was war naheliegend, als dass dieselbe aus der nächsten Umgebung stammte? Ferner heiratete diese nach Angabe Dr. Klaars. der sich auf Joh. Mayr stützte, am 3. Okt. 1797, also ein halbes Jahr nach dem Heldenkampf von Spinges, den dortigen Widnerbauer, einen Witwer, dessen Haus unmittelbar neben der Friedhofsmauer stand. Daher nahm man an, dass sie zur Zeit der Schlacht von Spinges bei ihm im Dienste war und dass er sie hernach gewissermaßen zur Anerkennung ihrer Heldentat am 3. Okt. 1797 in Spinges zum Traualtar führte. Diese Umstände legten zweifellos den Gedanken nahe, dass diese Katharina Lanz von Natz als Heldin von Spinges anzunehmen sei. Auch mir schien das 1912 als wahrscheinlich, weshalb ich damals (am 13. Juni 1912) in der „Brixner Chronik“ einen diesbezüglichen Artikel veröffentlichte, jedoch nur die Möglichkeit dieser Annahme behauptete, bis überzeugende Beweise für die ennebergische Katharina Lanz erbracht wären. Diese Notiz versetzte manche Ladiner in .große Aufregung, was leicht erklärlich ist, da die Enthüllung des Denkmals zu Ehren der ladinischen Katharina Lanz am Friedhof zu Pieve unmittelbar bevorstand und dann auch am 23. Juni 1912 erfolgte. Daher erwiderten sie in geharnischter Weise *). Auch mündliche Besprechungen mit Ladinern fanden statt. Unter den Gründen, die diese für ihre Landsmännin vorbrachten, machte auf mich der den stärksten Eindruck, dass für die Katharina Lanz von Natz keine mündliche Überlieferung (Tradition) bestehe. Darüber habe ich mich erkundigt und fand diese Behauptung bestätigt. In der Öffentlichkeit ist keine Spur von einer solchen zu finden. Dies gab ich in einem zweiten Artikel der „Brixner Chronik" (vom 22. Juni 1912) zu, womit ich meine erste Annahme zurückzog.

*) Siehe Dr. Klaar, S. 174 f.

Später habe ich diese Angelegenheit weiterverfolgt, auch die Originalurkunden bei Johann Mayr näher angesehen, mit ihm darüber gesprochen, ebenso mit anderen eingeweihten Personen, z. B. mit dem jetzigen Pfarrer von Spinges Jakob Stubenruß, der mit Fleiß alle diesbezüglichen Schriften, Aufsätze und Akten sammelt und mich in dieselben Einsicht nehmen ließ. Jüngst durchforschte ich noch die Matriken von Natz, Schabs und Spinges. Daraus ergab sich klar, dass die Beweise Dr. Klaars für die Natzner Katharina Lanz nicht stichhältig sind. Zunächst ist nämlich festzustellen, dass die Nachkommenschaft derselben bzw. ihr Vertreter Johann Mayr erst 1911 (also 114 Jahre nach dem Kampfe von Spinges) mit der Behauptung herausrückte, dass die Heldin von Spinges ihrer Familie angehöre. Diesen Anspruch hätte sie unbedingt früher erbeben müssen, wenn er ernst genommen werden sollte. Gelegenheit dazu wäre im Verlaufe des 19. Jahrhunderts genug gewesen, z.B. 1882 anlässlich der Aufstellung und Enthüllung des Kriegerdenkmals in Spinges oder der Errichtung der Gedenktafel zu Ehren der ennebergischen Katharina Lanz im Jahre 1897 an der Außenseite der Spingeser Pfarrkirche. Damals hätten die Familien Mayr und Lanz dagegen protestieren müssen, wenn sie überzeugt gewesen wären, dass die Heldin aus ihrer Sippe stamme. Damals rührte sich niemand, offenbar weil man davon nichts wusste, auch Joh. Mayr *), der spätere Wegmacher von Neustift, nicht, obgleich er damals bereits 20 Jahre zählte. Erst als er die angeführten Hausbriefe entdeckte, kam er auf den Gedanken **), dass die Heldin identisch sei mit der zweiten Frau des Widnerbauern Andreas Mayr von Spinges, seines Urgroßvaters. An dieser Auffassung hielt er fortan starr fest ***), von der er nicht mehr abzubringen war.

*) Geboren am 17. 5. 1867 in St. Lorenzen als Sohn des Johann Mayr (geb. 19. 4. 1844 in Spinges), Widner- und Brunnerbauers in Spinges. In Stefansdorf bei St. Lorenzen hielt sich letzterer nur ungefähr 10 Jahre auf. Dann kehrte er wieder (um 1872) nach Spinges zurück und mit ihm sein Sohn Johann. Er hauste am Brunnerhof, während sein Bruder den Widnerhof innehatte. Um diesen Hof führten die Brüder so lange Prozess, bis er im Jahre 1897 versteigert werden musste. Johann Mayr jun. vermählte sich am 5. 6. 1906 in Neustift mit Ursula Kollatscher von Tils und ließ sich dort nieder. Er starb daselbst am 19. 4. 1944. Die Meldung Dr. Klaars (S. 191), der sich auf die Aussage des Wegmachers Johann Mayr stützt, dass nämlich die Familie des Widnerbauers Andreas Mayr nach dessen Tode (16. 3. 1828) von Spinges nach Stefansdorf bei St. Lorenzen zog, ist nicht richtig. Diese Tatsache und andere angeführte Angaben ergeben sich aus den Matriken von Spinges und Neustift.
**) Dies gestand er auch einmal dem jetzigen Pfarrer von Spinges ein.
***) Diese Erfahrung machte Peter Pichler (Bozen), der mit ihm 1939 diesbezügliche Verhandlungen pflog, wie er dem gegenwärtigen Pfarrer von Spinges schriftlich mitteilte.

Sowohl Johann Mayr wie Dr. Klaar stimmten in der Überzeugung überein, dass die Heldin von Spinges Katharina Lanz hieß. An etwas anderes dachten sie gar nicht. Nun wird sie im erwähnten Heiratsvertrag vom 23. Sept. 1797 dreimal Helena und dreimal Katharina genannt. Noch auffallender ist die Tatsache, dass im Trauungsbuch von Spinges die Braut Helena allein (nicht Katharina oder Helena Katharina) heißt. Nach Dr. Klaar (S. 187 f.) geschah diese Namensänderung auf Betreiben des Bräutigams und sollte eine Anerkennung ihrer heldenhaften Tapferkeit ausdrücken. Auch das Gericht Rodeneck, das den Heiratsvertrag besiegelte, stimmte angeblich aus dem gleichen Grunde dem Namenswechsel, indem es beide Namen verwechselt, zu. Diese Erklärung ist schon an und für sich wenig einleuchtend; denn die hl. Helena war doch keine Heldin oder Märtyrin, sondern die Mutter des Kaisers Konstantin d. Gr. Und starb im hohen Alter um 330 eines ganz ruhigen Todes.

Am besten widerlegt wird diese vermutete Namensänderung durch die Matriken von Natz. Im dortigen Trauungsbuch (Band II, S. 98) steht zu lesen, dass die angeführte Katharina Lanz von Natz (geb. am 27. Nov. 1766) den Kienerbauer Franz Pichlmayr in Schabs am 17. Mai 1796 heiratete. Daher war sie sicherlich nicht am 2. April 1797 in Spinges anwesend und konnte um so weniger am 3. Okt. 1797 mit Andreas Mayr, Widnerbauer daselbst, sich vermählen. Diesem wurde vielmehr ihre Schwester Helena Lanz (geb. am 3. Mai 1771 in Natz als Tochter des Anton Lanz, Frey in Natz, und der Katharina Junkherin (siehe Taufbuch von Natz Bd. II, S. 185) angetraut; daher scheint der Name Helena im Trauungsbuch von Spinges und im Heiratsvertrag zu Recht auf, denn die Braut hieß wirklich Helena.

Damit wäre die ganze Streitfrage um das Heldenmädchen von Spinges eigentlich gelöst, da die Katharina Lanz von Natz ausscheidet; denn die Beweisführung Dr. Klaars geht darauf aus, diese als Heldin zu bezeugen. Da sie aber gar nicht in Betracht kommt, bleibt nur mehr die Katharina Lanz von St. Vigil übrig, da eine andere nie in Frage gekommen ist.

Dr.Klaar könnte allerdings sachlich dagegen einwenden: Ob die Heldin von Spinges Katharina oder Helena heißt, ist eigentlich ziemlich belanglos, zumal es sich um Schwestern handelt. Die Hauptsache ist der Familienname Lanz und der Umstand, dass sie von Natz stammt, nicht von St. Vigil; denn meine Darlegung zielt hauptsächlich dahin, klarzulegen, dass die Zeugnisse, die Katharina Lanz von Enneberg als Heldin von Spinges hinstellen, eben unhaltbar sind, weshalb sie als solche auszuscheiden und durch eine andere zu ersetzen ist, nämlich durch Helena Lanz von Natz, wenn die Katharina unmöglich ist.

Gegen solche eventuelle Einwendungen müssen wir daher Stellung nehmen. Wie wir schon angeführt haben, nimmt Dr. Klaar an, dass der Widnerbauer die Lanz von Natz wegen ihrer Heldentat zur Frau nahm. Aus der Tatsache, dass die Trauung in Spinges stattfand und in den Ehematriken von Natz nicht eingetragen ist, folgert Dr. Klaar (S. 188), dass auch das Brautexamen in Spinges vorgenommen worden ist. Daraus schließt er weiter, dass sich die Braut schon länger in Spinges aufgehalten hat — nämlich als Magd beim Widnerbauern —, sicherlich (bereits am 2. April 1797, also am Tage der Schlacht bei Spinges. Dies mag alles stimmen, aber trotzdem sind die Schlussfolgerungen nicht zwingend; denn Brautexamen *) und Kopulation müssen durchaus nicht am gleichen Orte stattfinden. Es ist zwar die Regel, dass das Examen am Aufenthaltsorte der Braut erfolgt, aber dabei gibt es Ausnahmen genug; deshalb ist mit dieser Tatsache kein sicherer Beweis erbracht, dass die Braut, nämlich Helena Lanz, schon am 2. April 1797 beim Widnerbauern in Spinges im Dienste stand. Aber wahrscheinlich war dies der Fall. Wir geben sogar zu, dass sie ihm und seiner Familie in dieser gefährlichen Zeit — in der Nacht vom 2. auf den 3. April flohen nämlich die meisten Bewohner von Spinges aus Furcht vor der Wut der Franzosen — als Magd und hernach als Wirtschafterin, da seine erste Frau am 13. Mai 1797 plötzlich verschied, wichtige Dienste leistete und dass er sie deshalb bald darauf, d. i. am 3. Oktober, heiratete. Man kann annehmen, dass sie die Krieger damals während der Kämpfe am Friedhof und rings um das Dorf mit Speise und Trank gelabt hat; denn der Oberkommandant Dr. Philipp Wörndle erklärte ausdrücklich in seinem Bericht **) über die Schlacht, dass die Bewohner von Spinges alles Lob verdienen, da sie die ermattete Mannschaft nach Möglichkeit unterstützten und mit allem, was sie noch hatten, erquickten. Selbstverständlich kann neben dieser Natznerin auch die ennebergische Katharina Lanz damals, also gleichzeitig, in einem der mehreren Bauernhäuser, die neben der Kirche liegen, bedienstet gewesen sein.

*) Akten über dasselbe sind weder in Spinges noch in Natz erhalten.
**) Siehe H. Wörndle, Dr. Phil. Wörndle, S. 43.

Wenn nach der Annahme Dr. Klaars der Widnerbauer von Spinges die Natznerin wegen ihrer Heldentat geheiratet hätte, so hätte sich doch daselbst eine Überlieferung bilden und erhalten müssen, dass sie die Heldin sei, da die Hochzeit in Spinges selbst stattfand. In diesem Falle hätte sicherlich der Bräutigam den Grund geoffenbart und die Braut wäre beim Hochzeitsmahle als Heldin gefeiert worden. Kurz: der ganze Sachverhalt wäre in Spinges und in Natz allgemein öffentlich bekannt und der Nachwelt überliefert worden. Davon findet sich aber weder in Spinges noch in Natz eine Spur. Diese zweite Frau des Andreas Mayr erlag bereits am 25. Dezember 1804 einem hitzigen Fieber, nachdem sie vier Kindern, die ihr im Tode bald nachfolgten, das Leben geschenkt hatte. Im Totenbuch von Spinges steht nichts zu lesen, dass sie sich als Heldin ausgezeichnet hätte oder mit militärischen Ehren begraben worden wäre *), obwohl seit der Schlacht daselbst erst sieben Jahre verflossen waren, also die Sache noch in frischer Erinnerung hätte sein müssen, während die Ennebergerin erst nach 56 Jahren, d. i. im Jahre 1854, gestorben ist. Auch wenn auf dem Grabkreuze der Natznerin eine diesbezügliche Bemerkung gestanden hätte, was sehr naheliegend gewesen wäre, da sie angeblich am gleichen Friedhofe, wo sie begraben wurden gekämpft hatte, so wäre es fast unmöglich gewesen, dass die Bevölkerung von Spinges diese Tat ganz vergessen hätte.

*) Wir bemerken diesen Umstand nur deswegen, weil Dr. Klaar die Überlieferung, die behauptet, dass die ennebergische Kath. Lanz in Pieve im Jahre 1854 mit militärischen Ehren bestattet worden wäre, mit der Begründung verwirft, dass das Sterbebuch von Pieve davon nichts meldet. Daher betrachtet er diese Behauptung als Erfindung.

1875 kam der bekannte bayrische Schriftsteller Ludwig Steub, der seinerzeit jahrzehntelang unser Land bereiste und über die Geschichte und Volkskunde desselben viele Studien machte und sie dann als Meisterschilderungen veröffentlichte *), nach Spinges, um über das Heldenmädchen Erkundigungen einzuziehen. Er kehrte (beim Kuraten Johann Stecher ein, der ihn gastfreundlich aufnahm und ihm erzählte, er habe sich schon viel Mühe gegeben, um der Sache wegen des Heldenmädchens auf den Grund zu kommen, aber es wäre bisher alles vergebens gewesen, obwohl er schon über dreißig Jahre in Spinges wirke. Auch teilte er ihm mit, dass sein Amtsbruder Pfaundler, der Kurat von Dietenheim, der als Kämpfer am Gefecht an der Friedhofsmauer von Spinges persönlich teilgenommen hatte, ihm entschieden erklärte, dass ihm die Nachricht über dasselbe unglaublich erscheine, da er es sonst hätte sehen müssen. Auch die fb. Kommission, die bald nach der Schlacht erschien, um der Heldin fünf Dukaten als Zeichen der Anerkennung zu überreichen, konnte sie trotz alles Fragens nicht ausfindig machen; daher hielt Stecher die ganze Geschichte für eine Sage. Urheber soll der französische General Joubert gewesen sein, der sie am Tage nach der Schlacht (3. April) im Gasthofe zum „Elephanten" in Brixen beim Mahle seinen Offizieren aufgetischt habe. Offenbar stammte die Meldung über das Heldenmädchen von Spinges von seinen Soldaten.

*) Das Folgende findet sich in seinen „Lyrischen Reisen", S. 257 ff. Seine Angaben sind zwar nicht immer verlässlich, aber in diesem Falle lauten sie so bestimmt betr. Ort, Zeit und Personen, dass an ihrer Richtigkeit nicht zu zweifeln ist. Diese Nachrichten wurden 1875 niedergeschrieben. Daraus ersieht man, dass weder Steub noch dem Kuraten von Spinges der angeführte Artikel der „Neuen Tiroler Stimmen" vom 23. August 1870 betreffend die Kath. Lanz von Enneberg bekannt war.

Aus diesen Äußerungen des damaligen Spingeser Kuraten geht klar hervor, dass in der Zeit von zirka 1845 — 75 in Spinges jede Tradition *) fehlte, dass Katharina Lanz oder Helena Lanz-Mayr, die zweite Frau des Widnerbauers, die Heldin gewesen sei. Man wusste überhaupt nichts Sicheres über eine Heldenmaid. Diese Tatsache ist nur dadurch erklärlich, dass sich diese völlig in Schweigen hüllte und von Spinges bald wegzog, um in die Heimat zurückzukehren, was bei der Katharina Lanz von Enneberg der Fall war. Aus dem Umstande, dass in Spinges damals keine Spur von einer Überlieferung über die Teilnahme am Heldenkampf von Seiten der Natznerin vorhanden war, kann oder muss man schließen, dass der Aussage des Bauers Johann Mayr von Neustift, der ihre Teilnahme behauptet, nicht viel Glauben beizumessen ist. Dr. Klaar gibt die Erklärung desselben also wieder: „Dass Katharina (Helena) Lanz vor ihrer Heirat bei dem Widnerhofinhaber Andre Mayr Magd und das .Mädchen von Spinges' war, behauptet die noch heute in der Familie des Johann Mayr, Wegmachers in Neustift, eines Urenkels des Andre Mayr, Widners in Spinges, lebende mündliche Überlieferung (Tradition)".

*) Sie fehlte auch 1835, denn in der vom damaligen Spingeser Kuraten Haidacher verfassten Skizze zu einer Topographie von Spinges (erhalten im dortigen Pfarrarchiv) steht zu lesen: „Diesen gähligen Abzug (der Franzosen) soll, wie es heißt, veranlasst haben eine weibliche Figur, auf der Friedhofmauer stehend, mit fliegenden Haaren, langem umgürteten Kleide und einer drohenden Waffe in der Hand, welche in manchen Beschreibungen das Spingeser Mädel genannt wird, wovon aber die Spingeser nichts wissen, weil sie nur von den Franzosen allein sei gesehen und als eine Böse ausgerufen worden: O, das böse Weibsbild!“

Diese Behauptung ist übrigens sehr vorsichtig abgefasst, da darin von Überzeugung nicht die Rede ist und Johann Mayr bloß sagt, in seiner Familie sei diese Überlieferung jetzt noch vorhanden. Überdies fehlt dieser unsicheren Erklärung das Fundament, nämlich eine weiter zurückreichende Tradition, die sich auch nachweisen lässt. Diese Tatsache geht aus unserer Darlegung deutlich hervor. Noch um das Jahr 1875 hielt man nach der Angabe Ludwig Steubs die Meldung über diese Heldentat in Spinges für eine Sage. Der Name der Heldin war zu dieser Zeit daselbst noch ganz unbekannt. Erst später, vermutlich damals, als die Zeitungen im Jahre 1882 von der Errichtung eines Denkmals für Katharina Lanz in St. Vigil berichteten, mag die Nachricht über die Tapferkeit und der Name des Mädchens von Ladinien aus nach Spinges gedrungen sein und wurde dort allmählich auch geglaubt. Ganz allgemein bekannt wurde der Name der Katharina Lanz in Spinges erst, wie es scheint, durch die Anbringung einer Gedenktafel an der Kirchhofmauer anlässlich der Jahrhundertfeier der Schlacht im Jahre 1897.

Überdies ist es auffallend, dass die Familie Lanz in Natz, aus der die Heldin hervorgegangen sein soll, sich gar nie um diese Angelegenheit gekümmert hat, also gar nichts tat, um das Heldenmädchen für sich zu beanspruchen. Es wäre für sie gewiss eine große Ehre gewesen, wenn sie eine solche berühmte Verwandte aufzuweisen gehabt hätte. Diese Tatsache bezeugt wiederum, dass offenbar auch in ihrer Familie keine Spur von einer Überlieferung sich vorgefunden hat. Damit ist diese Streitfrage nach unserer Meinung erledigt.

Wir hegen also die volle Überzeugung, dass durch die Ausführungen Dr. Klaars die Tradition, dass die Katharina Lanz von St. Vigil die Heldin von Spinges ist, nicht erschüttert wurde. Die Ladiner können daher diese weiterhin als ihre Zierde betrachten. Ebenso können die Denkmäler und die Inschriften zu ihrer Ehre unangetastet bleiben.

Indes war die Abhandlung Dr. Klaars über das Mädchen von Spinges durchaus nicht nutzlos, sondern brachte viel Aufklärung und Licht in die ganze Frage. Leider überschritt er mit seiner Kritik das gehörige Maß — sie wurde zur Hyperkritik, indem er den Aussagen der geistlichen Brüder Maneschg und anderer Ladiner keinen Glauben schenkte. Dafür ließ er sich durch unhaltbare Behauptungen des Bauers Johann Mayr irreführen.



Quelle: Anselm Sparber, Wer war das Heldenmädchen von Spinges?, in: Der Schlern, Zeitschrift für Heimat- und Volkskunde, 22. Jahrgang, 1948, 5. Heft, Mai 1948, S. 181 - 188.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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