278 - Weisungen an Kinkel


General Kinkel musste sich mit den 5 Bataillonen, 2 Eskadronen und 1 ½ Batterien, die ihm augenblicklich unterstanden, zu behelfen suchen. 1) Er, bei dem sich jetzt schon „eine gewisse Unsicherheit fühlbar machte", bekam vom Kriegsminister eine Direktive über sein „Verhalten in dermaligen Verhältnissen". Darin ward ihm bedeutet, dass er auf Verstärkung nicht zu rechnen habe, es könne vielleicht sogar noch eine Verminderung eintreten. Es wurde daher als wahrscheinlich angenommen, dass er von überlegenen, von auswärts kommenden Streitkräften angegriffen werde, denen er nicht mit Erfolg widerstehen könnte. Da galt es bloß die Waffenehre zu wahren. Außer der Verwendung seiner Truppen zur Durchführung der Konskription, die man sich in diesem Moment 2) noch als möglich dachte, sollte sich Kinkel der Beobachtung der Grenze und der Aufrechthaltung der Ordnung im Lande widmen. Zusammenwirkend mit den Zivilbehörden hatte er seine Kräfte möglichst beisammen zu halten und sie auf die beiden Hauptorte des Inn- und Eisackkreises zu konzentrieren. Musste von da aus gegen Volksbewegungen eingeschritten werden, so sollte es geschehen mit Energie „und in einer den Erfolg verbürgenden Stärke". Auch den Ehrgeiz des Soldaten sollte diese Weisung an den General wecken: „Eine schöne Verteidigung in diesen Gebirgsschluchten, in welchen nicht die Menge, sondern der Mut, Einsicht und Standhaftigkeit entscheidet, wird dem Kommandierenden viel Ehre einbringen." 3)

1) Die Verteilung bei Meyerhoffer, Österreichs Krieg mit Napoleon p. 96: 2 Bataill., 1 Eskad. und 2 Geschütze in Innsbruck, je 1/2 Bat. in Hall, Schwaz und Sterzing, 1 ½ Bat, 1 Eskad. und 3 Geschütze in Brixen, im ganzen 4300 Mann. Die Besatzung war seit einem halben Jahr um ca. 1000 Mann vermehrt worden.
2) Das Reskript ist vom 9. März. Seine Inhaltsangabe bei Paulus, Bayrische Kriegsvorbereitungen zum Feldzug 1809 (Darstellungen aus der bayr. Kriegs- und Heeresgeschichte, her. v. bayr. Kriegsarchiv 2. Heft 1893) p. 124.
3) Paulus a. a. O. ist voll des Lobes über diese Direktive: „Dieser Verteidigungsentwurf von Tirol mutet in seiner Klarheit und Einfachheit des Gedankens und in der natürlichen Würdigung der gegebenen Verhältnisse so modern realistisch an, dass die Annahme berechtigt sein dürfte, dass der bald darauf ausbrechende Aufstand sich für die bayrischen Truppen anders gestaltet haben würde, wenn dem Generalstabsoffizier v. d. Stockh, welcher diesen Entwurf verfasste, auch dessen Ausführung übertragen worden wäre." Dagegen wäre zu bemerken, dass der Entwurf eine Lücke weist. Er fasst nur zwei, als getrennt gedachte Fälle ins Auge: entweder feindlicher Einfall oder Aufstand. Von der dritten, am schwersten wiegenden Möglichkeit: Einfall und gleichzeitiger Aufstand, spricht er nicht. Auch Montgelas deutet in seinen Denkwürdigkeiten die Lückenhaftigkeit der Weisung an.
Paulus schreibt ferner (p. 129): „Die schwierigen Verhältnisse in Tirol waren der Regierung recht wohl bekannt. Es ist nun die Frage nahe, warum in diese gefährdete Provinz nicht rechtzeitig eine entsprechende Truppenmacht geworfen wurde." Eine der drei bayrischen Divisionen hätte verwendet werden und den Aufstand verhindern können. „Auch hat das auswärtige Ministerium nicht verfehlt, das Kriegsministerium auf die Notwendigkeit einer stärkeren militärischen Sicherung Tirols aufmerksam zu machen."  Sei nun aber Minister Triva nicht darauf eingegangen, so müsse er wichtige Gründe gehabt haben. „Die Instruktion vom 9. März gibt den Schlüssel dazu und die Rechtfertigung Trivas. Es geht daraus hervor, dass Triva nicht entfernt daran dachte, mit dieser geringen Macht Tirol zu halten. Wenn er trotz dieser Erkenntnis sich nicht dazu bringen ließ, dafür eine höhere Kraft einzusetzen, so kann ihn nur die Erwägung geleitet haben, dass die Entscheidung des Krieges nicht in Tirol, sondern an der Donau fallen wird. Die Tage von Abensberg und Landshut haben Triva recht gegeben. Denn keine von den bayrischen Divisionen ist dort zu entbehren gewesen. Es gehörte die kühle Überlegung und die Beharrlichkeit im Entschluss, welche Triva auszeichnete, dazu, um der Versuchung zu widerstehen, für einen Nebenzweck mehr Kräfte einzusetzen, als der große Kriegszweck erlaubte." Auch dieses Raisonnement fordert zu einer Bemerkung heraus. Die Instruktion rechtfertigt den Kriegsminister nicht, denn er bedarf keiner Rechtfertigung. Bayern und so auch Triva, Montgelas ist dessen Zeuge, hatten Napoleons Machtgebote auszuführen; also gereicht das, was in Hinsicht auf Tirol getan und nicht getan wurde, dem Kriegsminister weder zum Lobe noch zum Tadel.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 278

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.