286 - Das Besitzergreifungspatent


Tirols sind „der Erwerbungsurkunde von 1363 gemäß" wieder hergestellt. Da die Zeitumstände weder einen offenen Landtag, noch überhaupt eine Volkswahl gestatten, so wird zunächst ein Kongress von 24 ernannten Stimmführern für den 1. Mai nach Brixen berufen. Die Anzahl der Teilnehmer an dieser „ehrwürdigen Versammlung" kann beliebig vergrößert werden durch jeden, der von einer Stadt oder einem Viertl mit besonderen Aufträgen abgeordnet wird. Von dieser Freiheit macht das Patent selbst Gebrauch, indem es anstatt der „verfassungsmäßigen" sechs bäuerlichen Stimmführer gleich 22 ernennt. Das Verzeichnis weist zum größten Teil Namen, welche in der Vorgeschichte des Aufstandes begegnen: Buol, Arz, Reinhart, Stadler, Giovanelli, Nessing, Weller, Oberhuber, Linser, Steiner, Wintersteller, Fiechter, Neumayr, Hofer, Kahl, Wieland, Kemenater usf. Die Brixener Versammlung sollte beraten über die Wiederherstellung der alten Verfassung, Beschaffung der Vorräte, Belebung des Verkehrs und über das Defensionswesen. Diesem hat mit Beibehaltung der Scharfschützenkompagnien das neue österreichische Landwehrsystem zu dienen, das nichts anderes ist als „das auf die gegenwärtigen Zeitumstände und auf das im Verlaufe dreier Jahrhunderte so sehr veränderte Kriegswesen angepasste Landlibell von 1511". Die Wahl des Landeshauptmanns bleibt den Ständen vorbehalten, seine Stelle vertritt einstweilen Graf Ignaz Tannenberg.

Das Patent ist die wortgetreue Verwirklichung der Wiener Besprechungen. Aber erlassen in einem Zeitpunkt, da noch kein österreichischer Soldat auf tirolischem Boden stand, war es eine Voreiligkeit, die in Hormayrs Temperament ihre Erklärung, aber nicht Entschuldigung findet. Der pomphaft angekündigte Kongress in Brixen ist nie zusammengetreten. Es war aber auch, abgesehen von der hässlichen Einladung zur Angeberei, eine Taktlosigkeit, da die unzeitige Nennung von Personen denselben nur Verlegenheiten bereiten musste. Erzherzog Karl hat dies, als ihm das Patent zu Gesichte kam, sogleich erkannt, sein Befehl zur Remedur kam aber zu spät.1)

1) Chasteler sandte ein Exemplar des Patentes an Jellachich, dieser an E. Karl. Der Erzherzog schreibt an Chasteler aus Altötting, 13. April (J. M.): Die Stelle, wo Preussens Okkupation erwähnt wird, ist zu tilgen. Die neu ernannten Beamten sind nicht zu nennen, ebenso wenig andere Personen, damit die Freunde Österreichs nicht vor der Zeit kompromittiert werden. Das Patent soll auch nicht von Villach und nicht vom 8. April, sondern von einem anderen Ort und von einem späteren Tage datiert werden. Soll die definitive Organisierung der Landesbewaffnung erst auf dem Landtage bestimmt werden, so kann die Beiziehung der Bewohner zur Befreiung doch nicht bis dahin verschoben werden. „Ich zweifle nicht, dass sich das Volk schon beim ersten Vorrücken der Unsrigen überall erhebt." — Chasteler hat eine neue Ausgabe des Patents mit den von Karl verlangten Änderungen veranlasst („Udine 13. April"), er musste aber melden, das das gedruckte Patent des Hormayrschen Entwurfes schon in aller Händen sei. Er sucht den Erzherzog zu beruhigen:
"Da das Ganze nur ein Provisorium ist, so kann diese Verschiedenheit der Ausfertigung kaum einen Nachteil oder ein Aufsehen machen, dagegen würde die Zurücknahme der schon ausgegebenen Exemplare großes Aufsehen bewirken. Ich erlaube mir noch zwei Bemerkungen. Die im Edikt angeführten Namen enthalten nicht die im strengsten Sinne mit uns Einverstandenen, also nicht die Freunde Österreichs, sondern es ist nur ein Verzeichnis der angesehensten Vaterlandsfreunde und der besten Köpfe, wenn sie auch mit uns in keiner näheren Beziehung stehen. Übrigens kann man wohl sagen, das ganze Land gehöre zur österreichischen Partei, nur mehr als zwei Drittel der Beamten ausgenommen. Der Hinweis auf den Eid, welchen die Franzosen den preussischen Beamten abforderten, wurde nur gewählt, um jene etwas zu decken, welche diesen Eid ablegen. Wirklich haben auch im Eisack- und Etschkreis, wo man eben auf die preussischen Beamten verwies, diesen Eid alle Beamten abgelegt; dagegen im Innkreis, wo dieser Beisatz fehlte, haben mehrere ausgezeichnete Männer den Eid verweigert." Chasteler an E. Karl, 21. April 1809. (Hormayr versichert in seinem Bericht an Goëss, 1. Mai, die zweite Ausgabe „machte keinen schlechten Eindruck, man hält es nur für eine doppelte Ausfertigung".) Dieser Brief Chastelers, welcher beim Rückzug des Feldmarschalleutnants Jellachich aus dem Salzburgischen den Bayern in die Hände fiel, bildete noch 1816 den Gegenstand einer Korrespondenz zwischen Montgelas und Hörmann, dem Verfasser von „Tirol unter der bayrischen Regierung". Hörmann wollte dieses Schreiben im zweiten Teil seines Werkes „Aktenstücke" abdrucken, denn er fand den Inhalt „außerordentlich interessant" als Aufschluss „über die von Chasteler auf seine eigene Gefahr getroffene Abänderung des von E. Johann erlassenen Patentes". Montgelas erachtete (23. Okt. 1816, M. St.), bei dem jetzigen Verhältnis der Höfe von Wien und München sei die Veröffentlichung gehässiger Aktenstücke nicht am Platze. Hörmann suchte aber dem Minister die Erlaubnis zu entlocken, indem er replizierte: „Überhaupt, glaube ich, dürfte es dem österreichischen Hof nicht unangenehm sein, über den Tiroler Aufstand auf eine Art zu sprechen, welche das Verdienst der Anführer und Chefs vermindert." Hormayr habe sich nun ganz der deutschen Partei in die Arme geworfen und diese sei für ihn tätig. Das könne allenfalls dem E. Johann, nicht aber dem Kaiser angenehm sein, „der nach Äußerungen, die von ihm erzählt werden, jetzt die ganze Insurrektion desavouiert und es daher gewiss nicht übel finden wird, wenn sie als Werk einer Partei dargestellt wird." Aber Montgelas erklärte, nach genauer Prüfung halte er den jetzigen Zeitpunkt zur Veröffentlichung nicht für angemessen. — Vgl. Rapps absprechendes Urteil über das Patent p. 75, desgleichen das von Stadion und Metternich in den Tagebüchern von Gentz I, 177.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 286

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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