303 - Rückzug der Bayern


fassen. Es galt einen eiligen Ritt durch die Dörfer am rechten Innufer. In Inzing anlangend traf er den Pfarrer Dionys Bucher von Axams, aus dessen Munde er erst vernahm, dass die Österreicher kommen und dass es allenthalben losgehen soll. Das beflügelte ihn noch mehr. Nach kurzer begeisterter Ansprache an die Dorfmänner, die er den Zirlern zu Hilfe wies, enteilte er nach Hatting, wo schon bewaffnete Leute waren, aber unschlüssig und führerlos. Auch sie entsandte er hinab an den Ranggen. In den Gemeinden weiter aufwärts bis Telfs, wo wieder der Fluss überbrückt war, also in Polling, Flaurling, Oberhofen und Pfaffenhofen bot er alles auf, ihm zu folgen auf der linksseitigen Straße nach Zirl. 1) So brachte er gegen 600 Mann zusammen, die vertrauensvoll unter Trommel und Schwegel ihrem geistlichen Landsmann Gefolgschaft leisteten. Noch zeitlich am Tag, gegen 5 Uhr, näherte man sich Zirl, unbemerkt vom Feinde, der es sogar unterlassen hatte, Vedetten aufzustellen. Geschickt verteilte Ennemoser seinen Trupp: als rechter Flügel beschlichen einige das Dorf am Flussufer, andere hielten sich als linker Flügel an der steilen, bewaldeten Bergseite, er selbst folgte mit der Mehrzahl auf der Landstraße. Die Bayern sahen sich überrascht. Wohl griffen sie nun zum Gewehr und feuerten auf die Bauern. Verletzt wurde kein einziger. Sie sprangen vielmehr die Soldaten an, entrissen manch einem seine Büchse und brachen sie entzwei. Es war ihnen wie „ein Kinderspiel"; in dieser Stunde bedauerte Ennemoser, die Brücke abgeworfen zu haben, sonst hätten sie, meinte er, mit Hilfe der Jenseitigen alles gefangen genommen. Immerhin ließ Zoller, der binnen kurzem den Rückzug antrat, nebst einigen Verwundeten 70 Mann in den Händen der Oberländer zurück. Solch ein Tag musste die bäuerlichen Streiter mit Selbstbewusstsein erfüllen. Jetzt gab es wenig Zaghafte mehr. Als Ennemoser der auf dem Platz vor dem Nagele-Gasthaus versammelten Menge den eben errungenen Erfolg als das Werk einmütigen Zusammenhaltens pries und zum Zug nach Innsbruck aufforderte, da jauchzte alles und rief: Nur vorwärts, hinaus mit den Bayern, wir dulden keinen mehr, österreichisch wollen wir werden und wollen wir bleiben! Unter Absingung von Schützenliedern traten sie den Marsch an. In Kranewitten wollten sie Halt machen, sich sammeln und auskundschaften, was weiter zu tun wäre. Dort angekommen, gab es ein überraschendes Wiedersehen. Priester Kuen hatte sich bei der Flucht der Bayern aus seinem Schlupfwinkel Fragenstein hervorgewagt und war mit seinen Burschen, die Retirierenden von der Bergflanke der Martinswand und des Hechenberges beschießend, bis Kranewitten gefolgt. Und hier konnten sich nun

1) Hier kamen ihm die Bekanntschaften aus der Jugendzeit zugute.   Er hatte als Student mit den Burschen dieser Orte einst „Komödien" gespielt.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 303

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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