355 - Besetzung von Bozen


ostentativ getragene bayrische Kokarde mit der kaiserlichen. Beide erwiesen sich damit einen schlechten Dienst.

Lemoines schneller Durchzug und das Erscheinen der Bauern hatte die Stadtbevölkerung in eine unsichere, zweifelnde Stimmung versetzt. Überall begegneten, wie ein bayrischer Bericht sagt, bang erwartende Gesichter und tief gerunzelte Stirnen. Noch am selben Tage löste sich diese Unsicherheit aus in Zuversicht und helle Freude. Um die Mittagsstunde traf Hauptmann Müller mit einigen Jägern ein, welche als Rekognoszierungsmannschaft von Brixen ausgezogen waren. In ihnen waren also wirklich die Kaiserlichen erschienen. Bürger und Bauern wetteiferten in herzlichem Willkomm. Als sie vernahmen, dass noch Nachzügler kämen, wurden ihnen sogleich reisigbekränzte Wagen entgegengeschickt. Die baldige Ankunft einer größeren Truppe und des Intendanten wurde angesagt. Müller zog nach kurzem Verweilen den Franzosen nach. 1)

Der nächste Tag führte neue Haufen in die Stadt, welche gegen 5000 Bauern in Quartier und Kost bekam. Einige Hundert davon rückten auf der Brixener Straße weiter, den angekündeten Österreichern entgegen. Im Volke zirkulierten Proklamationen und Chastelers Sturmaufgebote. Die Erregung war im Wachsen begriffen. Vielleicht hetzten Hormayrs Vertraute — Nessing war aus seinem Versteck hervorgekommen — gegen die bayrischen Parteigänger. 2) Khuen und Graff spürten alsbald die Folgen. Graf Khuen wurde schon vormittags auf der Straße angehalten und unsanft nach Griess in den Arrest abgeführt. Nachmittag teilte Graff dasselbe Los. Von diesem war noch bekannt geworden, dass er Pulvervorräte, damit sie nicht in die Hände der Bauern fielen, habe nach Trient abführen lassen. 3) Vor ärgeren Misshandlungen schützten sie die Bemühungen der städtischen Geistlichkeit und die Ankunft österreichischer Soldaten.

Nicht zwar Chasteler und Fenner, wie es geheißen, trafen zunächst in Bozen ein, sondern nur eine Abteilung von 150 Jägern und 50 Dragonern unter dem Befehl des Majors Walterskirchen. Kaum angelangt vernahm

1) Über die Vorgänge in Bozen liegen zahlreiche bayrische und tirolische Berichte vor, so von Giovanelli, Hepperger, ein Bericht Anton Knoflachs an seinen Bruder Johann in Innsbruck (19. April A. D.), von Graff, Khuen (M. K.), Donnersberg (M. St.) und Stautner, desgl. Staffler a. a. O.
2) So behauptet Graff. Im Archiv der Bozener Familie Carli liegt eine Erklärung Aretins vom 24. Januar 1810, worin derselbe bezeugt, Hormayr habe schon am 13. April 1809 (also in Brixen) zu ihm gesagt, er fahre morgen nach Bozen und hoffe dort den Baron Graff von den Bauern totgeschlagen zu treffen; wenn nicht, so werde er wissen, „ihn klein zu machen".
3) Postbeamter Jakob von Marchetti erklärt in Bozen am 30. April 1809 unter Eid, er habe selbst gehört, wie Graff am 12. Lemoine auf die drohende Gefahr aufmerksam machte, derselbe Graff habe Pulver aus Bozen entfernen lassen. Or. mit Siegel in J. M.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 355

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.