374 - Napoleon über Tirol


im Drange der Not angegriffen, selbst dem gebundenen Schuldentilgungsfond wurden schon während der ersten acht Tage, da die Deputation schaltete, 43 000 G. entlehnt. 1) Die gewöhnlichen Steuern liefen bei den ungeordneten Verhältnissen unregelmäßig ein, gewaltsame Exekutionen derselben schienen nicht ratsam zu sein. 2)

Man sieht: für einen rührigen Intendanten gab es da Arbeit in Fülle. Und deren noch mehr, wenn etwa der Feind sich dem Lande näherte. Napoleons Erstaunen und Zorn war bereits wachgerufen. Genau in diesen Tagen sprach der Kriegsgewaltige zu einem schweizerischen Landammann: „Mir gegenüber ist eure Neutralität ein Wort ohne Sinn, sie kann euch nur so lange dienen, als ich will. Wie wäre es, wenn ich euch an deren Statt durch die Vereinigung Tirols mit der Schweiz Kraft und Konsistenz verleihen würde? Eigentlich sollte ich dieses Land (Tirol) verbrennen; sollte ich es aber in Ordnung bringen, ohne es zu Grund zu richten, so würde ich diesem Ausweg den Vorzug einräumen. Es hat Ähnlichkeit mit euch in Sitten und physischen Mitteln; es besitzt den nämlichen Freiheitsdurst wie ihr und würde sich mit eurer Verfassung gut vertragen." 3) Schon ballten sich dräuende Wetterwolken unweit der Nordgrenze Tirols. Gewiss Grund genug, dass Hormayr noch vor Ende des Monats seine Schritte nordwärts wandte. Chasteler sollte ihm alsbald nachfolgen.

Ein paar rasch verfliegende Flitterwochen der errungenen Befreiung waren seit dem 11. April ins Land gegangen. Grausige Tage waren im Anzuge. Sollte es wie ein Vorzeichen derselben sein, als ein großer Brand am 22. April mehr als die Hälfte des freundlichen inntalischen Dorfes Wattens in Asche legte? Sogleich wurden milde Sammlungen für die Armen durch das ganze Land ausgeschrieben. Bald werden solche Kollekten in viel größerem Stile für die Unglücklichen in Nordtirol notwendig werden.

1) Davon brauchte man für die Soldaten 32000 G., 400 G. für die Reise Straubs und Huters, das übrige für die Kompagnien an den Grenzen. Ausweis in M. St.
2) Giovanelli d. ä. an seinen Sohn, Bozen, 25. April: „Mit den hier stehenden Landesverteidigern fängt es an, schwierig zu werden, sie sind müde und haben ihre Lebensmittel aufgezehrt. Ohne Geld können sie nicht aushalten, die Gemeinden können sie nicht unterstützen. Gestern hatte ich den ganzen Tag solche Visiten, wo man mich um Unterstützung drängte. Ich wusste endlich keine Ausflüchte mehr." Am 1. Mai: „Gestern waren Hofer und Tschöll bei mir und erklärten, die Leute könnten es ohne Unterstützung nicht länger aushalten. Hormayr soll Vorschüsse bewilligen. Steuern darf man nicht exekutiv treiben, das macht die Leute bös." A. G.
3) Worte Napoleons, gesprochen in Regensburg am 25. April zum Altlandammann Reinhard. Oechsli, Gesch. d. Schweiz im 19. Jahrh. I, 533. Diese „alpine Eidgenossenschaft" wäre nach O. nicht die unglücklichste der Napoleonschen Gründungen gewesen. Zum Gespräch Napoleons mit Reinhard über Tirol s. die neueste Darstellung bei Gustav Steiner, Napoleons Pol. u. Dipl. in der Schweiz I, 162f.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 374

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.