442 - Scheinbare Windstille


es auch begreiflich zu finden, dass die Tiroler Ursache zum Missvergnügen hatten. Der gutmütige geschwätzige Herr sparte nicht eifrigstes Zureden bei den Bauern und mannigfaltige Ratschläge bei seiner Regierung, um, wie er lange träumte, neben seiner amtlichen auch eine Friedensmission im Lande zu erfüllen. 1)

Lefebres Korps hatte sich nach dem Einmarsch in Innsbruck in drei Lager verteilt: auf dem weiten Saggenfelde kampierte das Fußvolk, ein Teil der Reiterei zertrat den Löwenhausanger, ein anderer hielt den Rennplatz besetzt. Unter den Soldaten trieben sich Juden herum und handelten ihnen die aus Unterinntal mitgeschleppte Beute ab. Stadt und Umgebung machten den Eindruck tiefer Ruhe. Eingeschüchtert durch die Erzählungen von den stattgefundenen Räubereien hielt mancher noch seinen Kaufladen ängstlich verschlossen. Nur einzelne der Geflüchteten wagten schüchtern die Rückkehr. Die Soldaten blickten wild und unfreundlich, ergingen sich wohl auch in Schmähungen; Ausschreitungen kamen nicht vor. Von der Freude am lieblichen Pfingstfest, das in diese Tage von Lefebres Aufenthalt fiel, war nichts zu sehen. Dem Marschall selbst war es schwül in dieser unheimlichen Stille, er wollte Stadtpublikum sehen und ließ eine Militärkapelle auf dem Rennplatz spielen. Nicht zwanzig Leute vom Zivil ließen sich anlocken. Es war eben, sagt der Tagebuchschreiber, keine österreichische Kapelle. 2) Von einem Zusammenfluss bäuerlicher Landbevölkerung, wie er sonst an solchen Feiertagen stattzufinden pflegte, war keine Spur. Selten sah man einen Mann in Bauerntracht durch die Strassen gehen. Die Ankunft von zwei Divisionen — 15000 Mann — hatte die Bevölkerung der Stadt mehr als verdoppelt. Dies im Verein mit dem gänzlich daniederliegenden Marktverkehr brachte einen peinlichen Mangel an Nahrungsmitteln. Brot und Fleisch war kaum „durch List" noch zu bekommen.

An der Südseite Innsbrucks in den Wiltener Feldern war eine lange Vorpostenkette aufgestellt. Von ihr aus gingen Patrouillen auf der Brennerstrasse. Schon eine solche mit 80 Reitern entdeckte am 20. bei Schönberg, dass die Luft nicht völlig rein sei, sie traf auf ein österreichisches

1) Ausführl. Bericht Utzschneiders 23. Mai. M. St. Die Konskription, rät er, soll man fallen lassen. Denn in einer Menge Täler ziehen die Bauern den Pflug, ist also Menschenkraft teuer. Dabei sind diese die schlagfertigsten. Mit Gewalt erreicht man nichts, züchtet nur Verbrecher. Entweder sollte man die Aushebung den Talleuten selbst überlassen, welche sich dabei ihres müßigen Gesindels entledigen könnten, oder man bilde Scharfschützen-Kompagnien, welche man den bayrischen Militärbataillonen zuteilen könnte; habe ja auch Frankreich seine Tirailleurs.
2) Knoflach a. a. O. Derselbe setzte Dipaulis Diarium während dessen Aufenthaltes in München fort. Knoflach ging während der Pfingsttage fleißig herum und besah sich das bayrische Soldatenleben. Im Kaffeehaus Moll sah er Offiziere um hohe Einsätze mit Würfeln spielen.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 442

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.