448 - Chastelers Schwanken


übernahmen es zugleich, die südlichen und westlichen Landesteile aufzusuchen, überall Volkserhebung zu predigen und damit einen Vernichtungsschlag gegen Lefebre vorzubereiten. Also hatte der Sandwirt doch keine vergebliche Fahrt nach Pustertal unternommen! Wie schlug ihm das Herz, als er neben Chasteler, von demselben beschenkt und mit Auszeichnung behandelt, an der Spitze von 8000 Soldaten über Vintl ins Eisacktal rückte, wohl in der Meinung, diese stattliche Truppe werde auch noch zu Buol auf den Brenner zu bringen sein. Wieder entbot er als sehnsüchtig harrender „aufrichtiger Freund" den Landsleuten in Passeier, Lana, Mais, Meran, Tirol, Schenna, alle ihre Kompagnien, mit sechstägigem Proviant versehen, über den Jaufen zu dirigieren. Die Lage, so ward verbreitet, sei nicht so schlimm, als es vorgemalt worden, von einem Kapitulieren keine Rede, man werde sich wehren bis zum letzten Mann. Lauter Jubel flog dem Sandwirt ob solcher Wendung voraus, im Geiste sahen viele den Erzherzog selbst mit wenigstens 30 000 Mann herankommen. Die Meinung war, jedenfalls sei es einem glücklich eingetroffenen Befehl Johanns zu danken, dass sich nun alles so trefflich füge. 1) Hofer, dem sich bereits Tausende des Pustertaler Landsturms angeschlossen, verließ Chasteler bei der Ladritscher Brücke und eilte nordwärts. Es war am Abend des Pfingstsamstags (20.).

Hat es aber seit Wörgl einen Gedanken gegeben, an dem Chasteler einen Tag lang festgehalten hätte? Kaum war der Sandwirt ihm aus den Augen, so entschwand auch der mutige Vorsatz seinem Sinn. Zwei Dinge wirkten geradezu verstörend auf ihn ein. Vejder entdeckte ihm, was er von Wrede vernommen: Napoleons Achtspruch; und Kundschafter meldeten den Einbruch eines feindlichen Korps ins Cadorische, wodurch das mittlere Pustertal gefährdet schien. Der Marquis ward darüber „unpässlich" und war entschlossen, die Stellung am Brenner wie in Schabs aufzugeben. Noch wollte er die Meinung seiner Offiziere vernehmen. Aber alle maßgebenden Stimmen im Kriegsrate: General Marschall, Oberst Volkmann, die Majore Lebzeltern und Vejder erhoben Einsprache und wiesen auf den übeln Eindruck, den solch wortbrüchiges Verhalten auf die stündlich anschwellenden Stürmermassen hervorbringen müsste. Einhellig erklärten sie sich für das Verbleiben in Schabs. Der Gegensatz zwischen dem Oberstkommandierenden und seinem Stabe war offenbar. Chasteler, eines tatkräftigen Entschlusses unfähig, ersah keinen Ausweg, als den Befehl niederzulegen, der nun auf den rangsältesten der Generale

1) Hochrainer a. a. O. Hofers Schreiben v. 20. und 21. Mai aus Vintl und Sterzing an Anwalt Jos. Gufler und das Meraner Kommando bei Maretich I, 16.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 448

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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