532 - Die Wolkersdorfer Depesche


Von dem, was gleichzeitig mit dieser Schennacherschen Post ins Land kam, hat nichts so große Sensation hervorgerufen, als ein Handbillet des Kaisers, welches aus Wolkersdorf vom 29. Mai datiert ist. 1) Schon drei Tage vorher war ein solches erflossen, worin Franz sein „heiliges Wort" gab, die Tiroler nie zu verlassen, alle Kräfte aufzubieten, um die sie bedrohenden Gefahren abzuwenden und seiner feierlich übernommenen Verpflichtungen stets eingedenk zu sein. 2) Ähnlich hatte der Kaiser auch im April zum Lande gesprochen. Das Billet vom 29. Mai wählt noch präzisere und kräftigere Worte: „Im Vertrauen auf Gott und meine gerechte Sache erkläre ich hiermit meiner getreuen Grafschaft Tirol mit Einschluss Vorarlbergs, dass sie nie mehr von dem Körper des österreichischen Kaiserstaates soll getrennt werden und dass ich keinen anderen Frieden unterzeichnen werde als den, der dieses Land an meine Monarchie unauflöslich knüpft." Selbst das baldige Erscheinen des Erzherzogs Johann war in Aussicht gestellt. Man kann nicht anders urteilen, als dass dieses Wolkersdorfer Schreiben das Bindendste und Zuverlässigste enthielt, was die Feder eines Monarchen bieten konnte, einen feierlichen Schwur, zu dessen Einlösung sich der Kaiser verpflichtete. Wird er es auch können? Der Augenblick, an dem das Billet geschrieben wurde, bot trotz Aspern dafür noch recht wenig Garantien. Nicht erst wir, die wir auf längst Vergangenes zurückblicken, haben ein Recht, von der Voreiligkeit zu sprechen, mit der man solche Verheißungen hinausgab, sondern schon Zeitgenossen, und unter ihnen kein geringerer als Erzherzog Johann, urteilten in gleicher Weise. An ihn ging das Handschreiben, damit er es wie andere kaiserliche Erlässe nach Tirol befördere. Johann erschrak ob des Leichtsinnes, mit dem vorgegangen wurde, er erschauderte vor der Gefahr, dass der Monarch eines Tages wortbrüchig dastehen könnte. Wer demselben zu solchem Text die Unterschrift entlockt, habe einen Verrat an ihm begangen. Folgerichtig war der Erzherzog entschlossen, das Billet trotz des ihm gewordenen Befehles nicht ins Land zu schicken. Dieser treu gemeinte Ungehorsam erreichte nicht seinen Zweck. Zu seinem ebenso großen Erstaunen wie Ärger vernahm Johann alsbald, dass des Kaisers hochbedenkliches Schreiben in Tirol von Hand zu Hand gehe. Es war nämlich irregulär entstanden und wurde auch irregulär verbreitet. Ersteres insofern, als nicht Stadion, der leitende Staatsminister, es dem Kaiser zur Unterschrift vorlegte, 3) sondern Bubna und Baldacci,

1) S. dar. meine Abhandlung in d. Beiträgen z. neueren Gesch. Öst. (Festgabe. Sept. 1906) p. 103 ff.
2) Dieses Billet brachte Sieberer nach Tirol von seiner erwähnten Reise zu E. Johann.
3) Hormayr hat neben Baldacci auch auf Stadion als Verfasser gedeutet. Dagegen hat Gentz, Tagebücher, nicht allein Bubna als den Schreiber genannt, sondern, an einer zweiten Stelle (I, 166), auf welche mich nachträglich Hofrat Fournier aufmerksam zu machen die Güte hatte, die Mitwisserschaft Stadions direkt in Abrede gestellt. Gentz erzählt: En parlant au comte Stadion de cette fameuse lettre du 29. Mai, dont Bubna s'est avoué l'auteur avec sa candeur ordinaire, j'ai été étonné d'entendre, que le comte Stadion ne la connaissait pas!! Voilà comme on fait chez nous les affaires! In „Das Heer von Innerösterreich", 2. Aufl. p. 188, wird die Autorschaft Stadions wie auch Baldaccis geleugnet und dieselbe allein „dem herrlichen General" Graf Ferd. Bubna zugesprochen. Der erzherzoglichen Angabe über Baldacci als Verbreiter wird von keiner Seite widersprochen.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 532

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.