545 - Napoleons Strafabsicht


In derselben Richtung wie Schneeburg war Giovanelli für den südlichen Landesteil tätig. Viele Bauern kamen in ihrer Ratlosigkeit zu ihm und erbaten sich Bescheid. Der alte Herr nahm jedem, der ihn fragte, unter Hinweis auf die zwingenden Umstände das Wort ab, sich ruhig zu verhalten und für den Frieden zu wirken. Solche Mahnworte sprach auch der Bischof von Brixen.

Wenn der Vertrag von Znaim den Kaiserlichen die Räumung Tirols auferlegte, so war damit nur die Hälfte dessen gesagt, was Napoleon über das Land beschlossen hatte. Nicht geräumt sollte es bleiben, sondern noch während des Waffenstillstandes unterworfen werden. Dass seine und seiner Bundesfreunde Truppen nun schon zweimal gegen diese Bauern den kürzeren gezogen, das betrachtete der Imperator als eine Schmach, die nicht schnell genug zu löschen war. Oder klingt es nicht wie ein für das Ländchen bedeutendes Wort, wenn Bonaparte einmal versichert, er habe besonders deshalb den Waffenstillstand geschlossen, um Tirol unterwerfen zu können! 1) Kaum eine Woche nach dem Vertragsschluss war verflossen, und schon ergingen seine Dispositionen. Von vier Seiten her sollten seine Generale das Land umklammern und besetzen, von der salzburgischen, bayrischen, italienischen und Kärntner Seite. 2) Er rechnete: abgesehen von den 2000 Österreichern, die im Lande stehen, könne dasselbe nur 12 000 Bewaffnete aufbringen, gegen sie müssten 18 — 20 000 Mann ausreichen. 3) Der Erfolg ist dem sieggewohnten Diktator nicht zweifelhaft. Ich hoffe, so lautet seine Ordre an Lefebre, Sie werden mir bald zu wissen tun, dass Sie dieses Volk geschlagen, zerstreut und entwaffnet haben. Aber seine Befehle beschränken sich nicht auf allgemeine militärische Direktiven und Truppenzuweisungen, sondern sie atmen Zorn und Rachbegier. Das „Exempel statuieren" wird in ihnen zur stehenden Redensart. Die Chefs, so lautet ein erstes Mandat, sind als Geiseln nach Strassburg zu schicken, die wichtigsten Orte den Flammen zu übergeben. Noch genauer befasst sich mit diesem Thema ein nur vier Tage jüngerer Befehl. Napoleon hat erfahren, dass die Grenzgemeinden Miene machten, dem einrückenden Marschall sich zu widersetzen, im letzten Augenblick aber davon abstanden. 4) Mit einer grausamen Härte, als ob ein Hunne

1) Napoleon an Lefebre, 30. Juli: Lorsque j'ai fait mon armistice, c'a été principalement pour soumettre le Tyrol. Dann wieder: le principal avantage que j'ai voulu en (d. i. vom Stillstand) tirer, c'est de profiter des six semaines qu'il me donne pour soumettre le Tyrol. Abgedr. in Lettres inédites de Napol. (2. Aufl.) von Lecestre I, 337, 338.
2) Napoleon an K. Friedrich v. Württemberg, 18. Juli (Corresp. de Napol. XIX, 313). Napoleons interzip. Schreiben a. d. ital. Kriegsminister Caffarelli. A. J.
3) Napoleon an Lefebre, 26. Juli. Lettr. inéd. von Lecestre I, 334.
4) Im Original heißt es, Napoleon beantworte Meldungen aus „Lowfers". Dabei ist natürlich nicht, wie der Herausgeber Lecestre meint, an Taufers zu denken, sondern an Lofer.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 545

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.