547 - Marsch durch den Strub


Im wohltuendsten Gegensatz zu den barbarischen Gelüsten des Militärkaisers hebt sich ab die humane Weisung, welche der bayrische Kronprinz Ludwig dem General seiner Division, die auch nach Tirol bestimmt war, zukommen ließ. Ich bin überzeugt, so bedeutet der Prinz dem General Raglovich, dass sich meine Division stets durch gute Manneszucht auszeichnen wird. „Sie werden immer Milde statt Strenge, wo möglich, gebrauchen. Das Benehmen der Bayern bei der letzten Einnahme Tirols beleidigte die Menschlichkeit und vermehrte den Hass. Herz und Staatsklugheit fordern das Gegenteil. Das erwarte ich von Ihnen und werde mich gewiss nicht irren. Schärfen Sie dies jedem ihrer Leute ein." 1) Ob aber solch edle Intentionen Bestand haben konnten gegen einen rücksichtslosen, allgewaltigen Gebieter?

In der letzten Juliwoche sammelte sich in Salzburg das Gros der Streitkräfte, welche Lefebre selbst nach Tirol zu führen hatte, bestehend aus der Division Kronprinz (Raglovich), der sächsisch-rheinbündischen Division Rouyer und der Division Deroy, welch letztere, getrennt vom Marschall, den Weg durch den Luegpass über Mittersill und Gerlos zu nehmen hatte, während Lefebre die ihm bekannte Strasse durch den Strub wählte. Zu seiner Vortruppe bestimmte der Herzog von Danzig die Sachsen. 2) Nach einer Truppenschau erfolgte am 27. der Ausmarsch. Über Reichenhall gelangte man am folgenden Tage nach Lofer. Der Strub war wie die andern östlich von Kufstein gelegenen Pässe nicht unbesetzt. Dafür hatte Roschmann Sorge getragen. Die Hauptleute Oppacher von Jochberg und Johann Gruber, Wirt in Reit bei Kitzbühel, hielten mit ihren Kompanien die Wache. Auch bis zu ihnen waren Gerüchte gedrungen, die einander widersprachen: Waffenstillstand, und dann wieder: kein Waffenstillstand. Das brachte Verwirrung unter die Leute und machte sie kampfunlustig. Wenn wirklich bayrische Truppen kämen, so hörte man sagen, wolle man den Platz räumen. Es war sogar schon für den 25. eine Unterredung bäuerlicher Abgeordneter mit einem französischen und einem bayrischen Offizier in Melleck in Aussicht genommen. Wohl blieben davon schließlich die Tiroler fern, aber ihre unsichere Stimmung war kein Geheimnis. Lefebre suchte sie zu nützen. Während er, soweit es das Terrain gestattete, vor dem Passe seine ganze Macht aufziehen ließ, beschickte er insgeheim den Kommandanten Gruber und ließ Übergabe fordern. Sie ward zugesagt, und ohne dass ein Schuss fiel, war in der nächsten Stunde der Pass in des Marschalls Händen. Die Schützen

1) Ludwig an Raglovich, Wien 28. Juli. J. M.
2) Alex. v. Schauroth, Im Rheinbund-Regiment. Nach den Aufzeichnungen des damaligen Leutnants Wilh. Frhr. v. Schauroth (Berlin 1905) p. 15 ff. Als Augenzeuge kann Schauroth über Tirol nichts berichten, weil er krank in Salzburg zurückblieb. Zurückkehrende Kameraden haben ihm aber manches erzählt.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 547

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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