656 - Einschreiten gegen Ruhestörungen


Volksjustiz enthalten, welche sich in der unartigsten Weise gegen Modeerscheinungen richten konnte, wenn sie missfielen. Dazu gehörten auch die damals gern getragenen langen Haarlocken. So mancher Bursche vindizierte sich die Freiheit, sie ohne weiteres einer ihm begegnenden Dame abzuschneiden. Die Prozedur bereitete Spaß, auch Vater Sandwirt mag anfangs darüber gelächelt haben. 1) Aber bald erkannte er, wie der Unfug immer mehr ausartete. Ein neuer Erlass tat kund, das Abschneiden der Locken sei verboten. Die Frauen aber salvierten sich selbst dadurch vor der gewalttätigen bäuerlichen Modepolizei, dass sie schon im August die Sommer- mit der Wintermode vertauschten.

Weit größeren Dank legte sich der Sandwirt beim städtischen Publikum ein durch ein strammes Polizeiregiment, das für die Sicherheit in der Landeshauptstadt sorgte. Auf Hofers Einladung nahmen Mitglieder des Stadtrates an Konferenzen in der Hofburg teil, wo die entsprechenden Maßregeln beschlossen wurden. Die Bürgerschaft wurde zu Kompanien organisiert, die einen regelmäßigen Sicherheitsdienst versahen. Unnachsichtig wurden gegen Übeltäter und Ruhestörer Strafen verhängt. Unter dem Einfluss der im Angesichte der Stadt sich wiederholenden Schlachtenereignisse war in der städtischen Plebs die Neigung zu Krawallen sehr lebendig geworden. Auch die Jugend zeigte einen bedenklichen Nachahmungstrieb. Die Knaben der Vororte und nächstgelegenen Dörfern taten sich zu „Bayern" und „Tirolern" zusammen, wählten ihren „Lefebre" und „Sandwirt", der sich natürlich mit einem stattlichen Bart versehen musste, und lieferten sich an der Mühlauer Brücke und bei Wilten förmliche Gefechte. Es gab zahlreiche Verwundete, die sie in eigenen Ambulanzgratten vom Schlachtfelde abführten. Zog eine Partei den kürzern, so schickte sie in ihr Werbegebiet um Sukkurs, so dass man Hunderte von steinwerfenden und prügelbewaffneten Jungen zählte. Selbst an die Plünderung einzelner Häuser machten sie sich, und damit gar nichts fehle, wurde an einem Hause sogar Feuer gelegt. Es bedurfte eines kräftigen Einschreitens — die Polizei allein erwies sich zu schwach — um die raufenden und exzessiven Horden zu bewältigen. 2) Darin

1) Eines Abends traf ein Zug Almvieh in der Stadt ein. Auf Wunsch Hofers trieb man die Tiere an der Burg vorüber. Vergnüglich sah er von der Altane auf die Kühe, die mit allerlei Zierrat, auch mit Bildern zwischen den Hörnern, geschmückt waren. Ein solches Bild erblickend rief er plötzlich: „Söchts, wie oaner an Freiln die Håår åschneidt." Knoflach a. a. O. Kronprinz Ludwig soll 1810, als er im Kasino zu Innsbruck dekolletierte Damen sah, gefragt haben: „Hat man denn in Tirol die Verordnung des braven Sandwirts so geschwind vergessen?" Heyl, Gest. u. Bild. p. 117.
2) Gänsbachers Notate (A. G.) bringen eine ausführliche Schilderung dieser Knabenkämpfe bei Innsbruck. Über ähnliche Erscheinungen sprechen auch die Mém. de Mais. Über Plünderungsszenen in Roveredo Ende August, besonders im Hause des Rentmeisters v. Pizzini, berichtet Kanzleidirektor Franz v. Riccabona, M. St.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 656

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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