730 - Roschmann in Sterzing


Was für ein Bild sich Roschmann beim Betreten des Landes darbot, hat er also geschildert: „Ich fand sogleich, wie nötig meine Ankunft in Tirol war. Die Anarchie hatte bereits den höchsten Grad erreicht. Es bestanden Formen ohne Sanktion. Der Bauernstand war Herr und Meister der Sicherheit und des Vermögens aller übrigen Volksklassen. Selbst die Defension fing an, durch den Ehrgeiz und den Parteigeist der vielen Kommandanten schwankend und bedroht zu werden. Der Geldmangel hatte den äußersten Grad erreicht. Alle Zahlungen stockten. Das Elend der minder besoldeten Beamten und der Pensionisten war unbeschreiblich. Hofer war in Innsbruck und leistete alles, was man nur fordern kann. Aber der Mangel an Exekutionsmacht, seine eigenen Verhältnisse mit dem kontrastierenden Einfluss so vieler Menschen, die sich aus verschiedenen Absichten ihm an die Seite drängten, verschafften ihm nur in solchen Dingen Gehorsam, welche dem größeren Haufen selbst gefällig sind." 1) Also ein weites Feld der Tätigkeit für einen Kriegskommissär, der, wie Erzherzog Johann einmal schreibt, abgesendet war, um den Sandwirt zu leiten. Gleich seinem Vorgänger in der Intendantschaft beschäftigte auch Roschmann vor allem der Geldpunkt. Dass die Summe, die Nessing gebracht hatte, nicht hinreiche, war ihm augenblicklich klar. Hier Abhilfe zu treffen, sollte die hauptsächlichste Aufgabe der Konferenz in Sterzing sein. Daher erging die Einladung nicht bloß an Hofer, sondern auch an Holzknecht und an beide Giovanelli, Vater und Sohn.

Hofer selbst folgte nicht, er hatte über den anberaumten Tag (15.) schon disponiert. Im Ursulinenkloster beging man die seltene Feier eines goldenen Priesterjubiläums, wozu der Sandwirt die Einladung angenommen. Nach dem Festgottesdienst setzte er sich mit den übrigen Secundizgästen zum fröhlichen Klostermahle. 2) Es war der letzte Tag, an dem Vater Hofer gut gelaunt war. Da es sich in Sterzing vornehmlich um Finanzfragen handelte, war seine Gegenwart auch von weniger Belang. Dagegen erschienen die andern, Vater Giovanelli aus Bozen, der Sohn aus Innsbruck. Auch Rapp war mitgegangen, aber in Matrei hängen geblieben. 3) Roschmann lenkte das Gespräch alsbald auf die unleidliche Geldnot; es handle sich, große Schulden zu tilgen und den Kredit zu

1) Roschmanns Bericht v. 23. Okt. J. M.
2) Der Jubilar war der Wiltener Chorherr Gottfried Gassmayr, dem bei seiner ersten Messe die jetzige Oberin, Gräfin Franziska Khuen, als geistliche Braut zur Seite stand. (Pusch.) Nicht durch Krankheit war Hofer gehindert. (So Rapp und danach Egger.)
3) Darüber schreibt Giovanelli d. j. seiner Frau 17. Okt.: „Bis Matrei begleitete mich Rapp. Dort liegt auf einem angenehmen Hügel das Schloss Latschburg und in dem Schloss haust ein züchtiges Burgfräulein, ein Abkömmling des alten Ritters mit dem kleinen Haarbeutel aus dem Stamme der Stolzen."



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 730

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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