793 - Kampf in St. Leonhard


Gleich daneben in den anderen Hütten bargen sich die Bauern zur Blockierung, Beschießung und Stürmung des benachbarten Gegenüber. Selbst mit einer Kanone hantierten sie, die sie auf dem holperigen Meraner Weg mit hereingenommen. Alles stand im Zeichen trotzigsten Wagemutes und fanatischer Kampfbegier. Wehe dem, der eine Anwandlung friedlichen Sinnes zur Schau trug. 1) Am 19. in der Frühe begann die gegenseitige Beschießung, die mit geringen Unterbrechungen vier Tage anhielt. Die Wände der Häuser waren bald gespickt mit Kugeln. Was da mancher Bursche an Stärke und Verwegenheit leistete, übertraf wohl alles bisher Dagewesene. Das Haus „am Stickl" wollten die Bauern um jeden Preis in ihre Gewalt bringen. Kein Anlauf wollte gelingen. Springt da Johann Thurnwalder auf Befehl seines Hauptmanns Laner, ohne ein Zeichen zum Parlamentieren zu geben, in das Gebäude und öffnet die von Soldaten besetzte Stube, um die Kapitulation zu fordern. Bevor er zu Wort kommt, sausen ihm die Musketengeschosse entgegen. Nur sein Hut wird durchlöchert und blitzschnell springt der Kecke unversehrt über die Altane ins Freie. Gleich darauf macht er einen zweiten Versuch bei der Hintertür des Hauses und droht der Besatzung Erschießung ohne Pardon zu, wenn sie sich nicht ergibt. Und diesmal antwortet ein Offizier und fragt um die Bedingungen. Alle Gewehre müssen zur Stube hinausgeworfen werden, kommandiert Thurnwalder. Die Besatzung gehorcht, und 22 Mann mit ihrem Hauptmann sind die Gefangenen der im nächsten Augenblick eindringenden Bauern. Auch an einem Winkelried mangelte es nicht. Das Rathaus barg ein paar hundert Franzosen. Dem herkulischen Josef Öttl, der große Schwarze geheißen, gibt der Sandwirt, der nun auch aus seinem Versteck herbeigekommen ist und vom Sandwirtshause aus Befehle erteilt, den Auftrag, den feindlichen Posten zu nehmen. Mit Hunderten von Genossen läuft er das Haus an und sprengt das verschlossene Tor. Ein Wald von Bajonetten starrt ihm entgegen. Bevor noch ein Schuss fällt, hat Öttl mit seinen Tatzen eine Anzahl Gewehre erfasst und entrissen und haut damit den Nachrückenden Bahn — und Hofers Befehl ist vollzogen. Der Riese verlor ein Ohr und einen Finger, die Bauchhaut war ihm geschlitzt, einige 30 Blessuren wies sein Körper. Da musste er doch seine Hütte aufsuchen und sich von einem Chirurgus mit Pflastern betreuen lassen. Dem Sandwirt aber ward die übermenschliche Tat gemeldet und dazu noch, es sehe mit dem Öttl „nicht gar so übel" aus. Hofer zitierte ihn, um ihn unverweilt 2) für sein Heldenstück durch das Geschenk einer erbeuteten Uhr und eines Offiziersmantels auszuzeichnen. Und wirklich erschien der Wundenbedeckte, lehnte aber alles ab, denn er sei von nun

1) Karl Thurnwalder, der Vater, wurde als verdächtig abgeführt.
2) Die Angabe sagt ausdrücklich: „Bevor noch ein Tag vergangen war."



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 793

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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