797 - Todesurteil über Sieberer


wäre sein Geist umnachtet: jetzt sei es nicht mehr so wie damals, als sie sich zum letzten Mal gesehen; er habe die Waffen wieder ergreifen müssen, um vor den Bauern des Lebens sicher zu sein; die Nachrichten melden, dass kein Friede sei, dass die Österreicher nach Bayern eingefallen, dass der Erzherzog in St. Johann stehe, dass auch in Bruneck schon die Kaiserlichen seien. Sicherer bemühte sich, den Verblendeten aufzuklären: davon, was Hofer über Unterinntal behaupte, wisse kein Mensch etwas, das Gewisse sei nur der Friedensschluss. Den Umstehenden redete er damit nicht zu Gefallen, schon bei seinen ersten Sätzen wurden sie unruhig und ungebärdig. Hofer, dies wahrnehmend, fiel ihm sogleich ins Wort: „Jetzt hast genug geschwätzt, hält's Maul. Ich lass dich und den Pfaffen totschießen für eure Lügen und alle, die den Frieden verkünden. Wie könnte der Kaiser einen so schlechten Frieden eingehen und die Tiroler so unglücklich machen?" Als der Gefangene entgegnen wollte, hieß es: Hinaus mit ihm! Seinen Wächtern gab der Sandwirt noch die Weisung, ihm alles, was er bei sich trage, abzunehmen, ihn in ein finsteres Gemach zu sperren und dort gut zu verwahren, damit er mit Danei, „dem Pfaffen", der auch schon auf dem Wege hierher sei, durch Pulver und Blei gerichtet werden könne. Unsanft zur Tür hinausgestoßen, wurde der Verurteilte all seiner Habe beraubt, seiner Ehrenzeichen, seiner Schriften und des Geldes, selbst seiner Schuhbekleidung. Beim untern Wirt in St. Martin, so vernahm er, werde er eingesperrt. Da riss er sich von den Häschern los und stürzte nochmals hin zu Hofer, damit er ihm wenigstens gestatte, seinem Weibe von dem über ihn verhängten Geschicke zu berichten. Auch das wurde abgeschlagen.

Die beiden Männer haben sich hier das letzte Mal gesehen. Deutlich erkannte Sicherer die innere Umwälzung, die bei Hofer vor sich gegangen. Sein seelisches Gleichgewicht war gestört. Blick und Gebärde verrieten es. Sein Haar stand zu Berge, der Bart, sonst sorglich gepflegt, war zerrauft, kreischend seine Stimme. Aus dem gutmütigen Vater Hofer war ein verzweiflungsvoller Polterer geworden.

Von den früheren Misshandlungen geschwächt, tief erschüttert von dem, was er soeben erfahren, konnte Sieberer den Weg zu dem ihm angewiesenen Kerker kaum mehr zurücklegen. Kein Lichtstrahl drang in denselben, bei der schon winterlichen Kälte war der harte Boden sein Lager. Kaum genießbare Nahrung wurde ihm gereicht. In dieser Grabesstille, welche nur der Schritt des vor dem versperrten Tore sich bewegenden Wachtpostens unterbrach, trat ihm sein ganzes Elend vor die Seele. Wacker, mit Aufopferung seines Gutes, hatte er mitgekämpft, der Kaiser hatte ihn geehrt, wichtige Missionen hatte er auf sich genommen, und nun, da er der Wahrheit die Ehre gegeben und sein Volk retten wollte, erwartete er,



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 797

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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