822 - Thürheim in Mailand


kennt oder will man den Charakter dieser gutmütig irregeleiteten und missbrauchten Nation nicht kennen. Ich aber kenne sie besser und bald wird man mir nicht Unrecht geben können." 1) Ganz andere Lehren hatte Oberfinanzrat Ritter aus der Vergangenheit gezogen. Er gab dem König den Rat; kommt Bayern wieder zur Regierung, so „wären Ausschüsse vom ganzen Lande, wie es bei den alten Landtagen geschah, einzuberufen und ihre Wünsche und Beschwerden entgegenzunehmen; diese Maßregel würde wahrscheinlich mehr nützen als alle Truppen". 2) Ein Teil der gegen Bayern erhobenen Klagen fand schon in dieser Übergangszeit seine Erledigung, indem die unter dem Titel der Kirchenpolizei geübten Vexationen unterblieben. Die französischen Generale — auf sie kam es ja an — hatten keine Lust, die Wege eines Hofstetten zu wandeln. Nach drei Jahren zum erstenmal wieder durften die Glocken die Feier der Christnacht verkünden. 3)

Über die Verrichtung Thürheims in Mailand war weder in Innsbruck, noch in München durch Monate etwas bekannt. Erst im Februar ließ er etwas vernehmen, und das war nicht hoffnunggebend. Von Woche zu Woche auf Eugens Rückkehr aus Paris harrend, wagte der Graf bei dessen Stabschef, dem Grafen Vignolle, eine Anfrage. Die Erwiderung lautete, man würde einem bayrischen Hofkommissär weder den Etsch- noch den Eisackkreis überlassen. Nun wollte Thürheim erst recht den Vizekönig selbst sprechen. Der langte am 17. Februar in Mailand an. Am folgenden Tage wurde der Graf zur Audienz: zugelassen. In seiner geschmeidigen Weise beschied Beauharnais den Frager also: Die künftige Bestimmung über Tirol sei bei seiner Abreise von Paris noch nicht entschieden gewesen, und wenn er, Eugen, auch meine, dass Bayern wenig oder nichts von Tirol werde abgeben müssen, so könne er doch vorläufig keine Änderung in der Verwaltung treffen oder die Truppen zurückziehen; er gebe dem Grafen den Rat, zurückzukehren und außer aller Berührung mit den französischen Generalen zu bleiben. 4) Thürheim wusste genug. Es ist, schreibt er nach München, für uns gar nichts zu erwarten. „Man hat von jeher gesehen, dass von Mailand aus die Verdrängung der

1) Weichs an Montgelas, Miesbach 1. Dez. M. St.
2) Ritter an den König, 4. Dez.
3) Im Eisackkreis hatte Baraguay die spezielle Erlaubnis gegeben (Mém. de Mais). Taufkirchen an Montgelas 25. Dez.: „Gestern abend hatte man hier in Innsbruck ein eigentümliches Schauspiel. Während die Leute das Theater verließen, sah man eine Anzahl in die Kirche gehen, darunter auch die Tannenbergsche Familie mit ihrer ganzen Dienerschaft. Obgleich es auf erfolgte Anfrage erlaubt war, wurde hier um Mitternacht doch keine Mette gehalten, aber in Hötting und mehreren Dörfern des Mittelgebirges wurde mitternächtlicher Gottesdienst gefeiert."
4) Thürheim an den König, 15. u. 25. Febr. M. St. Das zweite Schreiben bereits aus Innsbruck.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 822

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.