Vor 100 Jahren – Eröffnung der Eisenbahnlinie Innsbruck - Kufstein
Von Eduard Lippott, 1958

Einstmals wickelte sich Tirols lebhafter Überlandverkehr auf der Landstraße im Unterinntal und nicht zum geringsten Teil auf dem Wasserwege ab. Jahrhunderte hindurch bildete der Inn eine Lebensader des Landes, bis nach der Erbauung der Eisenbahn Tirol dem Weltverkehr angeschlossen worden ist.

Ein wichtiger Gedenktag hiefür ist der heurige 24. November. An diesem Tage sind hundert Jahre verflossen, seit die Bahnstrecke Innsbruck — Kufstein in feierlicher Weise dem Verkehr übergeben worden ist.

Der verdienstvolle Bahnbrecher des deutschen Eisenbahn- und Verkehrswesens, Friedrich List aus Reutlingen, welcher, aus seiner Heimat verbannt und verfolgt, im November 1846 in Kufstein seinem Leben ein Ende bereitete, hatte in weiser Voraussicht für eine Bahnverbindung Deutschland — Italien durch das Inntal und über den Brenner die erste Anregung gegeben und sie als einen vordringlichen Wirtschaftsfaktor bezeichnet.

Die „Südalpen-Eisenbahngesellschaft“ — ab 1860 k. k. priv. Südbahngesellschaft — hat im Jahre 1853 den Plan aufgegriffen und in Wien das erste Projekt für einen Schienenstrang über die Alpen eingereicht. Im August des Jahres 1854 genehmigte Kaiser Franz Josef I. den Bau der Bahnlinie Kufstein — Innsbruck. An die Ausführung des Projektes war die Bedingung geknüpft, 500.000 Gulden an den Militärbaufonds zu erlegen, um die Errichtung eines Sperrforts in Kufstein zum Schutze der Eisenbahnlinie an der Landesgrenze zu ermöglichen.

Mit dem Bahnbau im Unterinntal ist im September 1853 begonnen worden. Es wurde der Schienenweg von Innsbruck herunter gebaut, während gleichzeitig Bayern den Bau der Strecken München — Rosenheim — Salzburg und Rosenheim — Kufstein ausführte. Der Bau der Tiroler Strecke ging ohne besondere Schwierigkeiten vor sich, bis auf den Einsturz eines Brückenpfeilers an der Kirchbichler Brücke im Jahre 1856. Plötzlich eintretendes Hochwasser hatte einen Pfeiler der Brücke, die massiv geplant war, unterspült und zum Einsturz gebracht. Man gab daher den ersten Plan auf und baute an Stelle der massiven eine Gitterbrücke. — Am 4. August 1858 konnte die Strecke Rosenheim — Kufstein dem Verkehr übergeben werden, und am 24. November 1858 wurde die Strecke Innsbruck — Kufstein eröffnet. Die Ankunft des ersten Zuges von Innsbruck wurde mit Recht als ein hochwichtiges Ereignis auf der ganzen Strecke in allen Stationen gefeiert. Es war ein Triumphzug, den das Zugspersonal und die Passagiere erlebten. Die bekränzte Lokomotive, welche die Bezeichnung „Dampfwagen Tirol“ führte, wurde vom Personal in Tiroler Nationaltracht geführt, alle Zugbegleiter waren in Tiroler Tracht. Auch in Kufstein, wo der Zug um 10 Uhr einlief, wurde ihm ein großartiger Empfang zuteil. Auf dem Bahnhofe hatten sich die Gemeindevertretung mit Bürgermeister Johann Stenzl d. Ä., die Beamtenschaft, die Geistlichkeit eingefunden, die Schützen waren ausgerückt, ebenso die Schule; mit Pöllerknall und Musik wurde der Zug empfangen. Auf dem Bahnhofe waren zwei große Holzfiguren aufgestellt worden, die dem Zug ein Willkommen zuzuwinken schienen. Die Rückkehr des Zuges nach Innsbruck verlief ohne Zwischenfall. Die Bahn besaß damals für die Strecke Innsbruck — Kufstein nur zwei Lokomotiven, die auch öfter einmal Defekte hatten.

Nach Vollendung des Schienenweges über den Brenner im Jahre 1867 wurde die Bahn im Inntal zur Hauptdurchgangslinie zwischen Deutschland und Italien.

Im Jahre 1927 erfolgte die Elektrifizierung der Eisenbahn im Unterinntal durch die österreichischen Bundesbahnen. Am 9. Juli fuhr der erste elektrisch betriebene Zug von Kufstein nach Innsbruck und am 15. Juli auf der Strecke Rosenheim — Kufstein.

Die seitherige Riesenentwicklung des Personen- und Güterverkehrs, welcher für das gesamte wirtschaftliche Leben des Landes, selbst für den europäischen Verkehr, von höchster Bedeutung geworden ist, haben vor hundert Jahren selbst die begeistertsten Anhänger der Bahn wohl nicht ahnen können.

Eduard Lippott

Ergänzend sei mitgeteilt, daß auch der Haller Stadtkoch Josef Fuchs in seinen Aufzeichnungen (Aus der guten alten Zeit, 2. Aufl., Hall 1937, S. 251) die Eröffnung des Bahnverkehrs schildert. Er schreibt: „Am 24. November 1858 fand die feierliche Eröffnung der Nordtiroler Staatseisenbahn statt. Sie fiel nicht umsonst auf einen trüben, kalten Herbsttag ... es lag seit Allerheiligen ein Schuh hoch Schnee und herrschte eine Kälte von 12 bis 15 Grad. Sie bedeutete ja für Hall, das bisher infolge der Innschiffahrt der Mittelpunkt des nordtirolischen Getreidehandels war, einen wirtschaftlichen Niedergang, weil der Hauptlebensnerv unterbunden wurde. Der Haller Gemeinderat mußte fünf Stunden lang auf dem Bahnhofe stehen (der damals anscheinend weder Bahnhofshalle noch Bahnhofsgastwirtschaft hatte), um die Ankunft des ersten Zuges abzuwarten . . .“

Quelle: Eduard Lipott, Vor 100 Jahren - Eröffnung der Eisenbahnlinie Innsbruck - Kufstein, in: Tiroler Heimatblätter, Zeitschrift für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 33. Jahrgang, Heft 7/9, Juli - September 1958, S. 101 - 102.
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