Kleineisenindustrie in Waidhofen a. d. Ybbs und Ybbsitz
Von Hugo Scherbaum
Waidhofen a. d. Ybbs im Jahre 1630
Der Erzreichtum und die gute Beschaffenheit der gegrabenen Erze machten das Gebiet des Erzberges schon frühzeitig zum Mittelpunkt der Eisengewinnung in der Steiermark. Die weitere Verarbeitung dieses wertvollen Naturproduktes ließ zahlreiche Anlagen und Werkstätten in den Alpentälern der Umgegend des Erzberges entstehen, denn die bedeutenden Wasserkräfte und der außerordentliche Holzreichtum dieser Gegenden lockten zur Ansiedlung; es entstanden in den Tälern der Mur, Mürz, Enns, Ybbs und Erlaf jene zahlreichen Betriebe, welch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Bewohnern reichlichen Erwerb brachten.
Nachdem ursprünglich ein starres Zunftwesen nach deutschem Vorbild vorherrschte und die Industrie damit weniger expansions- und anpassungsfähig war, brachte Kaiser Josef II. den Schmieden Erleichterung und freiere Regelung der gewerblichen Verhältnisse. Die kaiserliche Verordnung vom 5. September 1785 sagt, dass die nachteilige, zu enge Beschränkung der Zünfte, in welche die Stahl- und Eisenarbeiter geteilt gewesen, aufzuheben ist.
Die Einteilung dieser Feuerarbeiter habe künftig nur in drei Klassen zu erfolgen:
- die erste Klasse umfasst dir Großzeug- und Schneidschmiede
- die zweite Klasse die Feinzeug- und Stahlschmiede
- die dritte Klasse die Schloss-, Eisen- und Blechschmiede.
Die kaiserliche Verordnung regelt auch in strenger Weise den Gebrauch von Meisterzeichen (Firmamarken), welche in die fertigen Erzeugnisse eingeschlagen werden. Ferner wird das Lehrlings- und Gesellenwesen eingehend geregelt.
Waidhofen a. d. Ybbs; Viadukt der Ybbstalbahn über den Schwarzbach; im Hintergrund der Schnabelberg, 908 m.
Die wechselvolle Geschichte des 19. Jahrhunderts und die gewaltigen Umänderungen auf wirtschaftlichem Gebiet blieben nicht ohne nachhaltigen Einfluss auf die Kleineisenindustrie der n.-ö. Eisenwurzen. Die ehedem so blühende Industrie weist besonders in den Jahren 1873 - 1890 einen starken Rückgang auf. Die Ursachen liegen in der Erfindung der Dampfmaschine, womit Kraftanlagen unabhängig von der natürlichen Kraftquelle fließenden Wassers waren.
Der Maschinenbau entwickelte sich in ungeahnter Weise und stellte an den Eisentechniker ganz andere Anforderungen als in früherer Zeit. Die Umarbeitung des Roheisens in schmiedbares Eisen weist gleichfalls eine derartige Entwicklung auf, dass die ehemaligen kleineren und größeren Betriebsanlagen der sogenannten Zerrennhämmer vollständig den gewaltigen Schöpfungen der Großindustrie weichen mußten.
Zerfallener Zerennhammer in St. Georgen am Reith
Die Ausgestaltung der verschiedenartigsten Spezialmaschinen zog nach sich, dass die Arbeiten der menschlichen Hand vielfach billiger und besser ersetzt werden konnten durch die neuen Maschinen. Kein Wunder daher, dass auch viele Erzeugnisse der Kleinschmiede nunmehr auf maschinellem, fabriksmässigem Wege hergestellt wurden, wodurch den Zeugschmieden wohl der mächtigste Feind entstand.
Nicht unerwähnt sei aber auch, dass die Schmiede vielfach in ihrer Hartnäckigkeit an eine Änderung ihrer Arbeitsweisen nicht glauben wollten, dass sie starrköpfig an althergebrachtem hingen und lieber zu Grunde gingen, als dass sie sich den neueren Verhältnissen angepasst hätten. Dies mag jedoch weniger den Schmieden zum Vorwurf gereichen, denn sie hatten ja nirgends Gelegenheit, sich über die Fortschritte der Eisentechnik ein klares Bild zu schaffen. Niemand kümmerte sich um die gewiss fleißigen und arbeitsamen Schmiedemeister; der Eisenhändler war sorgsam nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht und suchte den ganzen Verkehr mit seiner Kundschaft in seiner Hand zu konzentrieren.
Die Entwicklung unserer Kultur brachte es ferner mit sich, dass manche Artikel der Kleineisenindustrie durch Erzeugnisse auf maschinellem, fabriksmäßigem Wege verdrängt wurden, so z.B. die geschmiedeten Heu- und Düngergabeln, die geschmiedeten Pfannen u. a. m. Auch der Bedarf an Hacken ist durch die Entwicklung des Großstadtlebens zurückgegangen; die Haushaltshacke, welche früher in keinem Haushalt fehlte, ist heute überflüßig, den der Holzhändler der Großstadt liefert das durch die Holzzerkleinerungsmaschine geteilte Brennholz in jeder Größe; die Zimmermannsbeile oder Breitbeile werden weniger benützt, denn die Sägewerke liefern großteils das Bauholz für die Städte nach den geforderten Dimensionen geschnitten; der Umsatz der Brunnenbüchsen wird in Hinkunft geringer werden müssen, denn die modernen Wasserleitungen machen dieselben überflüssig.
Verfallenes Hammerwerk im Gamischbachgraben
Ruinen des großen Zerrenhammers in Weyer
Waidhofen a. d. Ybbs; Tor des Ybbsturmes; 1900 renoviert.
Inschrift: "Ferrum chalybsque urbis nutrimenta" (Eisen und Stahl ernähren die Stadt)
In der langen Ybbsitzer Straße war Schmiede an Schmiede, ein munteres Leben herrschte und strebsames Arbeiten schuf Verdienst und Zufriedenheit. Die vielen Messerer, die Feilenhauer, die Bohrer- Löffel-, Striegel-, Ketten- und Ahlschmiede, der Großteil der Zeugschmiede sind verschwunden und an ihre Stelle Wohnungen und Greislereien eingerichtet. Heute [1908] sind in Waidhofen a. d. Ybbs und Umgebung nach dem Mitgleiderverzeichnis der Genossenschaft der Metallarbeiter und verwandten Gewerbe nur noch 20 Meister eisenverarbeitender Richtung.
Alte Zellerbrücke, Wehr, Schleifkotten und Sägewerk; an deren Stelle steht die Lehrwerkstätte
Lehrwerkstätte für das Eisen- und Stahlgewerbe zu Waidhofen a. d. Ybbs
Hammerwerk, Dominik und Franz Schöllnhammer (Hackenschmiede) in Ybbsitz.
Eingang in die "Not".
Hammerwerk des Johann Schrottmüller, Hackenschmied in Prolling bei Ybbsitz (Einödschmied).
Hackenschmiede in Prolling bei Ybbsitz (Einödschmied).
Hackenschmiede in Prolling bei Ybbsitz (Einödschmied).
Gesamtansicht von Ybbsitz.
Im Hintergrund der Prochenberg (1123 m).
Die Werks- und Verkaufsgenossenschaft "Vereinigte Schmiedgewerke in Ybbsitz" zählt [1908] folgende Meister zu ihren Mitgliedern:
Nr. | Name | Gewerbe | Gesellen | Lehrlinge |
---|---|---|---|---|
1 | Johann Schrottmüller | Hacken- und Gabelschmied | 3 | 1 |
2 | Ambros Weißenhofer | Zeugschmied | 6 | 3 |
3 | Emanuel Sonnek | Werkzeugschmied | 2 | 3 |
4 | Dominik Schöllnhammer | Hackenschmied | 5 | 2 |
5 | Franz Damisch | Zeugschmied | 5 | 2 |
6 | Edmund Weißenhofer | Zeugschmied | 5 | 2 |
7 | Franz Schöllnhammer | Reifmesserschmied | 2 | 2 |
8 | Karl Schöllnhammer | Löffelschmied | 4 | 2 |
9 | Josef Weißenhofer | Hackenschmied | 2 | - |
10 | Michael Fürnschlief | Schwarzschlosser | 5 | - |
11 | Ludwig Greul | Hackenschmied | 5 | - |
12 | Franz Weißenhofer | Schlosser und Spengler | 3 | 1 |
13 | Kaspar Molterer | Schwarzschlosser | 4 | 1 |
14 | Ambros Damisch | Zeugschmied | 5 | 2 |
15 | Johann Forster | Bohrerschmied | - | 2 |
16 | Franz Gruber | Bohrerschmied | - | 1 |
17 | Peter Ginzler | Schlosser und Sägeblatterzeuger | 7 | 1 |
18 | Jakob Hirtenlehner | Zeugschmied | 1 | 2 |
19 | Benedikt Waller | Bohrerschmied | 1 | - |
20 | Leopold Schöllnhammer | Löffelschmied | 4 | 2 |
21 | Ferdinand Lietz | Zeugschmied | 5 | 2 |
22 | Anton Welser | Pfannenschmied | 6 | - |
23 | Brüder Sagbauer & Co | Pfannenschmied | 3 | - |
24 | Ferdinand Schnetzinger in Waidhofen a. d. Ybbs | Schuhmacherkneipe und Rasiermesserschmied | 2 | - |
25 | Rudolf Mayr in Waidhofen a. d. Ybbs | Zeugschmied | 5 | 1 |
26 | Stephan Fürnschlief in Waidhofen a. d. Ybbs | Krautmesserschmied | 5 | 2 |
27 | Genossenschafts-Werkstätte in Ybbsitz | 1 Betriebsleiter 1 Werkmeister |
25 | 2 |
27 selbstständige Betriebe | 26 Meister | 120 | 36 |
Schleife in der "Not".
Errichtet von der Kaiser-Franz-Josef-Stiftung der n.-ö. Handels- und Gewerbekammer
Schleife in der "Not", Seitenansicht
Hammerwerk, Dominik und Franz Schöllnhammer (Hackenschmiede) in Ybbsitz.
Hammerwerk des Edmund Weißenhofer, Zeugschmied in Ybbsitz.
Werkstätten des Zeugschmiedes Franz Damisch in der "Not", Ybbsitz.
Werkstätten und Kanzleigebäude der Werksgenossenschaft "Vereinigte Schmiedegewerke" in Ybbsitz.
Werkstätte in Opponitz.
Sensengewerke Wilhelm Demuth in Opponitz.
Sichelgewerke A. Pießlinger in Opponitz.
Große Ybbs unterhalb der Opponitzer Straßenbrücke; großes, dem gänzlichen Verfall entgegengehendes Rinnwerk.
Quelle am Fuße einer 25 m hohen lotrechten Felsenwand:
Wasserfall. St. Georgen am Reith.
St. Georgen am Reith; Holzwolle-Erzeugung.
St. Georgen am Reith; zerfallene Pfannenschmiede.
Wir finden, wie so häufig im Bereich der n.-ö. Eisenwurzen, kostbare Naturkräfte in Form des fließenden Wassers neben verfallenen Betrieben großteils ungenutzt.
Ob wohl in dieser Richtung wieder einmal eine Wendung zum Besseren eintreten wird? Wäre es nicht möglich, dass hier die Eisenindustrie wiederum ihren siegreichen Einzug hält in Form von modernen Werken, welche den Stahl mit Hilfe der elektrischen Energie herstellen? Die Naturkräfte sind vorhanden, die Gebiete des Erzberges sind nicht allzu weit entfernt; dort wo einstmals Zerrennhämmer Eisen und Stahl in rein mechanischer Weise gewannen und raffinierten, dort könnten nach einer Unterbrechung von einem halben Jahrhundert moderne Elektro-Stahlwerke erstehen und so der Bezeichnung dieses Gebietes "n.-ö. Eisenwurzen" wieder die vollste Berechtigung verschaffen!
Bildnachweis: Bild von Weyer, Tamischbachgraben und Waidhofen mit Viadukt: Photograph Habernal, Wien, IX. Lazerethgasse 5.
Die Bilder von Opponitz: Leopold Wochner in Opponitz.
Die übrigen 16 Aufnahmen: Atelier Schnell (Großmann) in Waidhofen a. d. Ybbs.
(alle Bilder um 1908)
Text: kurze Auszüge aus dem Werk von Hugo Scherbaum, 1908. Zusammengestellt von Wolfgang Morscher, 2008.
Quelle: Professor Hugo Scherbaum, Rückgang und Hebung der Kleineisenindustrie von Waidhofen a. d. Ybbs und Ybbsitz, Ein Beitrag zur Geschichte der Eisenindustrie in der n.-ö. Eisenwurzen, Selbstverlag, Waidhofen a. d. Ybbs 1908.
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