Eine Wanderung nach dem Schneeberg (bei Ridnaun) in Tyrol.


Aus den Aufzeichnungen weiland Josephs von Senger *) k.k. Gubernialrat zu Innsbruck, mitgeteilt von M. Perlunger.
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In unserer Zeit der Erschließung auch der entlegensten und verlassensten Bergtäler und Alpenketten, wo auch die steilste Bergwand dem wagemutigen Felskletterer kein Hindernis mehr bietet, wo Berge, früher für ungangbar gehalten, heute von Frauen, ja selbst Kindern fast mühelos bereist werden, ist der nachfolgende Bericht einer Wanderung nach dem 2344 Meter hoch gelegenen Schneeberg bei Ridnaun ein lehrreicher Beleg für die Anschauung der damaligen Zeit, in der eine solche Bergfahrt alle Schrecken der Natur auszulösen im Stande war. Der Leser gewinnt oft den Eindruck, als vernehme er Kunde von einer gefahrvollen Reise in ein fremdes, noch unerforschtes Land, etwa nach Grönland, und überläßt willig seine Sinne dem Schauer der Romantik, der ihm aus mancher Zeile wohlig entgegenweht. Hören mir nun den Verfasser dieser Reisebeschreibung selbst:

Der 5te und 6te August waren zween wahrhaft vergnügte Tage für mich. Ich war am Schneeberg. Auf diesem hohen Gebirge befindet sich eines der ältesten Bergwerke Tyrols, das schon über 300 Jahre ununterbrochen im Bau steht. Man erobert hier silberhaltige Bleyerze. Auri sacra fames! An wenigen Orten trifft die Richtigkeit dieses, leider nur zu wahren, Denkspruches so auffallend ein als hier. In welche schreckliche Gebirgsgegend hat hier Begierde nach Reichtum den gewinnsüchtigen Menschen getrieben! — Ich will Ihnen, so gut ich es vermag, meine Reise beschreiben.

Den 5. August früh traten wir dieselbe von Sterzing aus, einem kleinen Städtchen im Wipptale, an. Man rechnet 8 starke Stunden von Sterzing bis an den Schneeberg. Wir bedienten uns kleiner einspänniger Wägelchen; denn das Geleis ist auf den Seitenwegen, die wir einschlagen mußten, sehr enge. Es war der herrlichste Sommer-Morgen. Wir hielten uns durchgehends gegen Mittag. Der Weg führte zuerst durch das Mareitertal. Rechts besteht die Gebirgskette aus grauem Kalkstein und hier sahen wir die alten Halden des erst vor einigen Jahren verlassenen Bergbaues auf Silber und Blei in Telfenberg. Links erhoben sich die hohen Wände des weißen Marmorbruches, der unter dem Namen Mareiter Marmor bekannt ist und wovon vor einigen Jahren ungeheure Stücke nach Wien zur Verfertigung der zur Verzierung des Schönbrunner Gartens bestimmten Statuen geliefert wurden. Hie und da sieht man noch Überbleibsel von alten Bergschlössern, Denkmäler des Altertums und des berufenen Faustrechtes. In der Mitte des Tales liegt auf einem anmutigen, die ganze Gegend beherrschenden Hügel das schöne, ganz in neuem Geschmacke erbaute, der freyherrlich Sternbachischen Familie gehörige Schloß Mareit.

Dieser Hügel besteht aus grauem Glimmerschiefer, der hie und da mit Granaten eingesprengt ist, — und hier ist folglich die erste Spur dieser von hier aus fast durchgehends sich einfindenden Gebirgsart, der man tiefer in das Gebirg hinein auch verschiedene Schörlarten beygemengt findet.

Bis hieher genossen wir noch die Reize eines schönen Sommermorgens. Hier fing sich aber das Klima merklich zu ändern an; denn hier öffnete sich das schon höher liegende Ridnaunertal.

Die Tradition sagt und die Ortslage bestätigt es, daß hier vor undenklichen Zeiten ein weit ausgedehnter See war. Ein vorliegendes, ebenfalls aus grauem Glimmerschiefer bestehendes Gebirge wurde an der linken Seite von der Allgewalt des Wassers durchspült und öffnete demselben den Ausfluß.

Wenn man dieses vorliegende Gebirg überstiegen hat, so breitet sich das Tal mehr und mehr aus; aber sein Boden steigt allmählig in die Höhe: die Luft wird rauher und die Felder werden nur noch mit Hafer besäet, welcher nach Äußerung der Landleute nicht einmal alle Jahre ganz reif wird.**) Dagegen wird der Landmann durch den herrlichsten Wieswuchs entschädigt.

Ungeachtet wir immer den Strahlen der Tonne ausgesetzt waren, so fanden wir es in unseren Sommerkleidern doch bald zu kalt. Wir suchten unsere Mäntel hervor, die mir auch von nun an nicht mehr ablegten.

So kamen wir gegen Mittag nach Ridnaun, dem letzten Dorf in dieser  Gebirgsgegend, wo wir ein flüchtiges Mittagmahl einnahmen und dann unsern Weg fortsetzten. Hier mußten mir unsere Wägelchen mit Reitpferden verwechseln: denn nun führt nur ein Saumschlag weiter, der sich über schroffe und sehr steile Gebirge dahin zieht. Wir bedienten uns der Erz-Saum-Pferde. Diese Tiere kennen beinahe jeden im Wege liegenden Stein. Man läßt ihnen auch freyen Zügel und es ist wunderbar, mit welcher Behutsamkeit sie ihren gewöhnlichen Schritt fortwandeln. An jähen, schrofigen Orten fühlen sie erst mit einem Hufe, ob sie festen Fuß haben, ehe sie austreten, und dann erst ziehen sie den anderen Fuß ebenso bedächtlich nach. Niemals, wie wir versichert wurden, geschah noch ein Unglück durch den Sturz eines solchen Pferdes. Getröstet durch diese Versicherung, wandelten wir nun auf diesen guten Tieren einen schmalen, an steilen Bergen sich hinwindenden Fußsteig mutig hinan, von dem wir bald wie aus einer Wolke das sich schlängelnde Tal in einer immer mehr und mehr sich senkenden Tiefe erblickten.

Es gibt Szenen in der Natur, deren Schilderung, wenn sie auch noch so getreu, ganz ohne Prunk, durchaus ohne die allermindeste Übertreibung geliefert wird, das Kolorit eines poetischen Bildes hat. Dieser Fall trifft zuverlässig hier ein. Könnte ich Ihnen doch diese fürchterlich schöne Gegend ganz anschaulich machen! —Das Tal wird immer enger, das Gehänge immer steiler, das Gebirg zu beyden Seiten immer höher, wilder und schauerlicher. Mehr als zehn Wasserfälle stürzten sich von der Höhe kahler Felsen mit einem betäubenden Getöse zu unsern Füßen nieder. Sie vermehren die Gewässer des in der Tiefe fließenden Wildbaches, der im ferneren Tale erst den Namen Gellbach erhält und sich unweit Sterzing in den Eisackfluß ergießt. Die Sonne spiegelte sich im klaren Kristalle der fallenden Wässer mit bunten Farben. Manche derselben stürzten auf Steinklippen hin, zerstoben und schäumten, gereizt durch den Widerstand, von Höhe zu Höhe hernieder. So übertraf eine Kaskade an malerischer Schönheit die andere: aber alle verbreiteten weit um sich eine durchdringende Kälte. Rechts sind die Gebirge durchaus kahl; nur in den kleinen Senkungen und Absätzen wachsen fette Berggräser und hier sah man den emsigen Landmann, mit Fußeisen bewaffnet, oft an Seile gebunden, gleich Gemsen, diese zur Viehzucht treffliche Weide mit Sensen und Sicheln einsammeln und in Gebinden über die schroffsten Felsen herunterstürzen, wo sie in Höhlen, die die Natur in diese Gebirge hie und da gegraben hat, oder unter Felsenabhängen so lange aufbewahrt werden, bis sie auf Schlitten bei Schneebahn weiter gebracht werden können. Zur Linken bietet sich dem Auge dasselbe Schauspiel dar. Einzeln und zerstreut erblickt man hier manche Waldbäume von kleinem verkrüppelten Wüchse, vorzüglich Zirbeln und schwarze Erlen. Schneelawinen rollen von den zur Rechten liegenden Gebirgen herab. So wie sie auf einer Seite von ungeheuren Höhen hernieder stürzen, so treibt sie selbst die Gewalt dieses Sturzes auf der gegenüber stehenden Seite bis zu einer beinahe unglaublichen Höhe wieder den Berg hinan. Durch sie erhält alles Strauchwerk, selbst viele Bäume eine zur Erde gebeugte, liegende Richtung. Hie und da klettern Kühe, Kälber, Schafe und Ziegen von Felsen zu Felsen. Schwerlich würde man sie ihrer hohen Standpunkte wegen erblicken, würde nicht das Ohr durch den Schall der Glocken, die diese Tiere am Halse tragen, gereizt und das Aug die Gegenstände, von denen der Schall kömmt, aufzufuchen begierig.

Beinahe zur Hälfte des Weges findet man sich an einer Alpenhütte. Der Hirt, hier Landes nennt man ihn Senner, bewillkommnte uns nach seiner Art und bot uns treuherzig Milch und frische Butter. Wir genossen diese ländlichen Erfrischungen mit großen Löffeln von Eisenblech, die unsere dieser ungekünstelten Werkzeuge ganz ungewohnten Mundöffnungen beinahe gesprengt hätten, und ruhten, auf bemoosten Stücken herabgerollter Felsen gelagert, von der Beschwerlichkeit der Reise einige Augenblicke aus.

Gestärkt und mutig setzten wir dann unsere Wanderung wieder fort. Jeden aus uns hatten die Reize der wilden Natur in tiefe Gedanken versenkt. Nichts störte dieselben. Mit jedem Schritte nahm die Höhe der Gebirgslage zu, mit jedem Schritte ward es einsamer noch und stiller um uns her. Zwar hörten wir noch das Geblöke des Hornviehs und der Schafe in weiter Ferne, auch ließen hie und da noch ein Joch-Rot-Schwänzchen (Erithacus alpinus) und die Berggritsche (Motacilla alpina) unter dem niedern Gesträuche ihre sanften Stimmen hören; noch sumste die Biene von Blume zu Blume; aber bald hörten wir keinen tierischen Laut mehr; fürchterlich ward mit einem Male die Stille. Man erblickte kein lebendes Geschöpf mehr außer zwo Arten kleiner Tag-Schmetterlinge, einen dunkelbraunen Falter, mit Augenflecken auf der Oberseite der Hinterflügel versehen, dann einen ocherbraunen, mit wenigen Silberflecken auf der untern Seite der Hinterflügel geziert. Mit mattem, ungewissem Fluge flatterten sie umher.

Oft blickten wir rückwärts in die zurückgelegten Gegenden. Welch eine Aussicht! Wir sahen, gleich Wogen des Meeres, unzählige Berge; das ganze gebirgige Pustertal lag dahingestreckt vor unsern Augen: die höchsten Alpengipfel zum Teile mit beeisten Häuptern, schienen unter unsern Füßen zu sein: das Aug schwindelte.

Schon sank der Schatten, als wir den Durchschlag erreichten. Dieser Durchschlag geht ebensöhlig weit über 300 Lachter ganz durch taubes Gebirg und wurde im Jahre 1720 in der Absicht getrieben, um den anfahrenden Arbeiter, der sonst erst den Gipfel dieses Gebirges erklettern und dann wieder bis zum Mundloche der jenseitigen Stollen herabsteigen müßte, zu erleichtern und hiedurch zugleich den Betrieb der Arbeit zu befördern.

Der Rücken des Gebirges, auf dem dieser Durchschlag angelegt ist, trennt das Gericht Sterzing vom Gerichte Passeyer , sodaß die diesseitige Gegend noch zu jenem, die jenseitige aber, wo die Stollengebäude eingetrieben sind, schon zu dem Gerichte Passeyer gehört. Dieses ist ein Teil des Landesviertels an der Etsch: Sterzing aber ein Teil des Wipptales, wie denn auch der Bergbau am Schneeberg vor Alters zu dem Berggerichtsbezirke an der Etsch gehörte und erst bei der Berg-Synode vom Jahre 1479 auf dringende Bitte der Gewerken dem Berggerichte zu Gossensaß im Wipptale untergeordnet wurde. Der Durchschlag hat also allem Anscheine nach ein sehr hohes Alter, Die Höhe des Stollens ist so ansehnlich, daß auch Pferde durchfahren können. Hier stiegen wir ab, schlofen in unsere Bergküttel und fuhren ein. Hinter uns kamen unsere Pferde. Das Getöse der Fußtritte so vieler Menschen und Tiere in einem so engen eingeschlossenen Raume machte die sonderbarste Wirkung auf unsere Ohren. So durchwandelten wir die Strecke des Durchschlags. Endlich sahen wir Tageslicht: aber mit welchem Erstaunen! Anfangs war auf unserer Reise in kurzen Zwischenräumen Herbst auf den Sommer gefolgt; izt ward aus Herbst plötzlich Winter. Ein fürchterlicher Wind kam uns schon in einer ziemlichen Entfernung vom Tage in der Grube entgegen, und als wir vollends am Tage ausfuhren, fühlten wir erst seine ganze Kraft. Er war schneidend kalt: zugleich schnie es und die ganze umliegende Gegend war bereits mit einer dünnen Lage von Schnee bedeckt.

Ungeachtet dieser unangenehmen Witterung durchstreiften wir doch das Revier. Es ist eine halbrunde Fläche, auf der außer einem von Holz aufgeführten Gebäude für die von Zeit zu Zeit zur Nachsicht dahin kommenden Beamten, einer gemauerten Kapelle, in der für die Arbeiter alle Sonntäge von dem Pfarrer zu St. Martin, dem nächsten Dorfe in dem Gerichte Passeyer, eine Messe gelesen wird, und einigen Knappenhütten kein Wohngebäude steht. Diese Fläche fällt von Morgen gegen Abend sehr sanft, plötzlich aber gegen Mittag nach dem Tale Passeyer sehr steil ab. Von den übrigen drei Weltgegenden her ist sie mit so hohen Gebirgen eingeschlossen, daß man denken sollte, Giganten hätten hier Berge auf Berge getürmt.

Die Gebirge bestehen an ihrem Fuße, so weit man sie in die Tiefe untersuchen konnte und zum Teile beinahe bis zur Hälfte ihrer Höhe aus Glimmerschliefer; am obern Teile aber aus grauem Kalksteine, der auf der ersten Bergart aufsitzt. Die Verschiedenheit dieser Bergarten, deren Fallen von Mittag in Mitternacht geht, ist durch die Verschiedenheit ihrer Farbe mit freiem Auge sichtbar und die Erfahrung bestätiget es, daß sich da, wo die beiden Bergarten gränzen, meistens Erzgänge einfinden.

An der Mitternacht-Seite liegt das große Eisgebirg Gletscher, hier Ferner genannt, das sich in 7 Gerichte erstreckt. Wir hätten in weniger als einer Stunde dahin kommen können. Allein so sehr mir auch diese große Erscheinung in der Natur in der Nähe zu sehen wünschten, so mußten wir dennoch unsere Sehnsucht für dermal unbefriedigt lassen; denn bei einem so heftigen durchdringenden Winde, wo überdies die schroffen Wege durch den neu gefallenen Schnee äußerst schlüpfrig waren, würde die Unternehmung mit zu vieler Gefahr verknüpft gewesen sein.

Wir begnügten uns also, nur die umliegende einsame rauhe Gegend zu durchstreifen. Kein Baum ist sichtbar. Erst in einer Entfernung von zwei Stunden in dem Tale Passeyer sieht man die ersten Spuren davon. Daher muß auch das zu dem Bergbaue nötige Grubenholz mit vieler Beschwerde heraufgebracht werden. Dieses Tal, in welches sich ein von dem Eisgebirge herabstürzender Wildbach, der hier zum Umtriebe der Pochwerke dienet, ergießt, liegt in einer beträchtlichen Tiefe. Man sieht mit schwindelndem Auge die Stelle, wo der Passeyrer See lag, welcher von dem erst erwähnten Wildbache entstand. Er brach im Jahre 1772 aus und verursachte durch seine fürchterliche Überschwemmung außerordentliche Schäden. Izt nehmen fruchtbare Wiesen seine Stelle ein. Das ganze Gebirg, welches diese Gegend einschließt, ist kahl. Kein lebendes Tier bewegt sich hier. Nur in der Nähe der Eisgebirge werden Murmeltiere (Mus mormota) angetroffen. Geräuchert werden sie für eine köstliche Speise gehalten; sonst soll ihr Fleisch zu geil sein. Hie und da fand sich in Steinritzen das Benediktenkraut (Geum montanum) in seiner Blüte. Auch soll da der Speick (Primula glutinosa), jedoch etwas früher im Sommer in großer Menge zu finden sein. Seine schöne hochblaue Blüte muß in Verbindung mit dem blendenden Weiß des Schnees, welcher zu jener Zeit noch die meisten Gegenden bedeckt, einen reizenden Anblick gewähren. Die einbrechende Nacht verhinderte das weitere Nachsuchen: aber gewiß würde diese Gegend für einen verständigen Botaniker Vorrat zu einer reichen Ernte geben. Die Fläche selbst ist nur mit wenigen Grasarten bedeckt: aber diese wachsen dicht aneinander. Die vorzüglichsten davon sind: Phellandrium mutelina und Poa vivipara. Jene wird hier von dem gemeinen Manne Madaun, diese Marbel genannt. Man findet sie überhaupt auf den meisten Alpen Tirols: jedoch nicht so häufig als hier. Wir sahen, wie begierig die Pferde, auf denen die Erze nach Sterzing gesäumt wurden, diese Grasarten unter dem Schnee hervorsuchten, und hörten mit Verwunderung, daß diese den Einwohnern des Gerichtes Passeyer gehörigen Tiere, mit denen sie den ganzen Winter und einen Teil des Frühjahrs hindurch die Weine aus dem Etschlande in die übrigen Gegenden Tirols verführen, im Sommer, wo die Erz-Saumfahrt anfängt, wie Gerippe auf diese Weide getrieben werden und im Herbste nach vollendeter Erzlieferung, genährt und gestärkt durch diese Bergkräuter, gleichsam gemästet, nach Hause kommen.

Hier dürfte es der Ort sein, einer unter diesen Saumknechten eingeführten, wirklich sonderbaren Verfassung zu erwähnen. Sie wählen nämlich alle Jahre unter sich einen Vorsteher, dessen Obliegenheit es ist, Ordnung unter ihnen zu erhalten, kleine Zänkereien zu schlichten und ihre alten Gewohnheiten und Rechte zu verfechten. Diese Einrichtung hat das Gute, daß dieses rohe Bergvolk, das einer fremden Leitung schwerlich gehorchen würde, diesem aus seiner eigenen Mitte gewählten Manne beinahe blindlings Folge leistet.

Die Erzeugung an Erz und Schlichen beläuft sich gegenwärtig jährlich beiläufig auf 6000 Zentner. Die Erze werden zu Brixlegg nach der dort üblichen Schmelzmanipulation zur Verbleiung verwendet, bei welcher Gelegenheit auch das in selben enthaltene wenige Kupfer zu Gute gebracht wird.

Ehedem, als die Erzeugung beträchtlicher war, wurde ein Teil dieser Erze auf der unweit Sterzing befindlichen Hütte zu Greßstein verschmelzt. Noch im Jahre 1691 war dieses Schmelzwerk im Betriebe und die vorhandenen Schmelzrechnungen zeigen, daß die Schneeberger Erze mit den Erzen von Pflersch, Telfenberg und Gossensaß, welch letztere zwei Bergwerte gegenwärtig aufgelassen sind, mit Vorteil daselbst zu Gute gebracht wurden.

Die Aussicht über das ganze Werk führt unter der Leitung des k. k. Bergdirektorats zu Schwaz ein Verweser, welcher zu Sterzing wohnt. Diesem ist ein Bergmeister, ein Bergeinfahrer und ein Untereinfahrer, die stets abwechselnd am Schneeberg sich befinden müssen, dann ein Bergschreiber und ein Verwesschreiber beigegeben. Das Arbeitspersonale besteht aus 181 Mann, nämlich zween Hutleuten, 52 Lehenhäuern, 13 Gedinghäuern und 115 Schichtenlöhnern. ***) Ein Hutmann kömmt wöchentlich auf 1 fl. 54 kr.; ein Lehenhauer jährlich auf 70 — 80 fl.; ein Gedinghauer ebenfalls jährlich auf 80 bis 90 fl., einschließlich der in Getreide und Schmalz bestehenden Proviant-Abgabe, welche sie im bestimmten Maß und Preisen an Geldes statt erhalten, an ihrem Verdienste zu stehen. Die Arbeiter sind meistens zu und in der Gegend von Sterzing wohnhaft. Am Sonnabend kehrt nach vollbrachter Schicht der meiste Teil derselben zu ihren Familien nach Hause und Montags früh kömmt jeder Arbeiter, die Bedürfnisse zu seinem Unterhalte auf eine ganze Woche auf dem Rücken, (denn diese rauhe Gegend bringt nicht die mindeste Nahrung hervor), wieder zur Arbeits-Stelle.

Man bedenke die Beschwerlichkeit des Weges auch in der besten Witterung. Man bedenke, daß diese Menschen, gebeugt unter der Bürde der auf eine ganze Woche zu ihrer Nahrung nötigen Viktualien diesen mühsamen Weg zurücklegen müssen. Man bedenke, welchen Gefahren sie den größten Teil des Jahres hindurch in Ansicht der so gefährlichen Schneelawinen auf diesem Wege ausgesetzt sind, und man wird für diese armen Leute gewiß Mitleid fühlen.

Schon viele, und einst 14 Mann auf einmal, fanden ihr Grab unter den Schneelawinen; auch verläuft selten ein Jahr ohne Unglück. Der Laut einer Stimme, der Ton mehrerer Fußtritte bringt eine zum Absturze geneigte Schneelawine in Gang. Eine einzige Schneeflocke an der Kuppe des Gebirgs wird los, vereinigt sich im Herabrollen nach und nach mit vielen andern, wächst zu einer kolossalischen Masse und reißt ohne Widerstand alles, was sie auf dem Wege findet, mit sich fort. Die ganze Truppe zieht zur Zeit, wenn wärmere Witterung einfällt und der Schnee zu schmelzen anfängt, oder wenn heftige Winde wehen, in gewissen Entfernungen Mann für Mann, einzeln, sachte, stumm und furchtsam die gefahrvollen Gegenden vorbei. Jeder hat das Werkzeug, um seinen Gefährten, über den unglücklicherweise eine solche schreckliche Schneemasse herabstürzen könnte, allenfalls noch zu retten, einen Pickel unter dem Arme und schon ist mancher, der unter der Last der Schneelawine begraben ward, wenn man ihm sogleich beikommen konnte, von seinen Gefährten noch glücklich gerettet worden. Einige Strecken sind besonders gefahrvoll. Im Jahre 1790 wurde daher beschlossen, diese entweder durch Errichtung eines gedeckten Grabens oder durch Anbringung einer Art Schoßtenne, worüber der Schnee den seinem Abstürze ohne Nachteil der anfahrenden Arbeiter herabrollen könnte, so viel als möglich zu versichern und unschädlich zu machen.

Ben den Gruben selbst ist die Beschwerde nicht geringer. Die Fläche, auf der sie sich befinden, ist oft drei Klafter hoch mit Schnee bedeckt und die Wohnhütten stehen bis an die Dächer im Schnee.

Täglich, denn beinahe täglich den ganzen Winter hindurch schneit es, muß der Schnee um sie herum fortgeschafft werden, sonst dringt kein Tageslicht bis zu den Fenstern. So muß auch von einer Hütte zur andern und von einem Stollen zum andern beinahe täglich mit vieler Mühe ein Fußsteig gebahnt werden und der weggeräumte Schnee bildet zu beiden Seiten eine beeiste hohe Wand. Die Kälte ist erstarrend. Um sich gegen diese zu schützen, muß in den wenigen Sommertagen das benötigte Brenn- und Grubenholz mit äußerster Mühe mehrere Stunden weit über steile Anhöhen ganz durch Menschenhände herbeigeschafft werden. Neue Schrecknisse treffen diese Gegend im Sommer, der sich aber nur zeigt und sogleich wieder verschwindet: denn beinahe drei Teile des Jahrs gehören zum Winter. In einem Augenblicke stürzt ein gräßliches Donnerwetter mit fürchterlichen Stürmen herein und nicht selten werden Felsenwände vom Blitze gespalten, währenddem die ganze Gegend mit Schnee bedeckt wird. So wurde vor nicht langen Jahren eine der höchsten Klippen dieser Gegend, das Himmelreich genannt, zum Teile zerschmettert, wovon die herumliegenden Felsenstücke noch Zeugen sind.

Was das Maaß dieser Beschwerlichkeiten voll macht, ist der Umstand, daß die Luft in dieser hohen Gebirgsgegend in so hohem Grade verdünnt ist, daß niemand ununterbrochenüber 8 Tage hier aushalten kann, Abgang an Atem, Mangel an Eßlust und am Ende Aufschwellung des Unterleibes sind, wie es die Reisenden auf den Schweizer Gebirgen erfahren, auch hier die sicheren Folgen.

Und hier, in einer Gegend, welche beinahe alle Beschwerlichkeiten Grönlands vereiniget, lebt eine nur aus Männern bestehende Kolonie, einsam, den einer sehr kärglichen Kost, beinahe aller menschlichen Hilfe beraubt, ein Bild der ersten Menschen, das um so mehr gleicht, da es die gutmütigste Art von Leuten ist. Ihre Kost besteht einzig aus Mehlspeisen, die sie sparsam mit Schmalz würzen. Fleisch wird fast niemals genossen. Sonderbar ist es, wie sich die Sitten der Menschen verändern. Ehedem war dieses die vorzüglichste Nahrung des tirolischen Bergvolkes und es mußte jährlich eine beträchtliche Anzahl Ochsen, weil die inländische Zucht nicht hinreichte, aus Hungarn [Ungarn] herbeigeführt werden. So wurden im Jahre 1559 allein über das inländische Vieh 250 hungarische Ochsen am Schneeberg für das Bergvolk geschlachtet. Der Konsum an Wein und Branntwein, worauf diese Bergleute Zollfreiheits-Pässe erhalten, ist ebenfalls sehr unbeträchtlich: denn sie genießen hier nicht mit Schwelgerei. Nur die Erholung ihrer durch Arbeit geschwächten Kräfte ist die Absicht ihres Genusses: er ist daher sehr sparsam.

Man hört von keinen Zänkereien, von keinen Schlägereien, von keinen unter dem Bergvolke sonst üblichen Verbrechen unter ihnen. Ein Tag wird wie der andere im Schweiße ihres Angesichts verlebt. Menschen! Seht hier die Bestätigung der Lehre: Arbeit und Mäßigkeit erhält euch in eurer ursprünglichen Güte.

Nachdem wir einen Stollen befahren hatten, nahmen wir ein kleines Mahl. Es bestand aus demjenigen, was wir zu diesem Ende mit uns brachten. Das einzige einheimische Gericht waren Salblinge von einem unweit des Eisberges befindlichen Wild-See. Notwendig muß es auch diesen Geschöpfen in dieser rauhen Gegend an der gehörigen Nahrung fehlen: sie waren klein, fast ohne Fleisch und beinahe nur Gerippe; die Seltenheit allein gibt ihnen Wert.

Nach Tische wurde uns ein Buch gebracht, in welches sich seit mehr als hundert Jahren jeder Fremde, der hieher kömmt, einschreibt und das hier sorgfältig aufbewahret wird. Jeder aus uns schrieb eine kurze Bemerkung nieder. Zu unserer Verwunderung fanden wir auch einige Frauenzimmer in diesem Buche eingezeichnet. Was uns aber am meisten auffiel, war der Wunsch, mit dem vor beiläufig 80 Jahren ein ehrlicher Priester diesen Berg verließ. Er wünschte der Knappschaft reichen Segen an allen Metallen, Gold, Silber, Kupfer, Blei und endlich auch Messing. Sollte man doch fast glauben, der Mann besah mineralogische Kenntnisse und wußte, daß die hier so reichlich einbrechende Zinkblende zur Messingfabrizierung benützt werden könne. Ehrlicher Mann! Dein Wunsch wird sicher noch dereinst erfüllt werden!

Nun nahmen wir von diesen redlichen Bergbewohnern mit einem biedern Händedruck Abschied, traten unsere Rückreise auf eben die Art, wie wir kamen, wieder an und trafen noch am nämlichen Tage spät abends zu Sterzing ein.

*) Laut Eintragung im Schneeberger Fremdenbuch weilten Joseph von Senger, Karl Ployer, oö. Gubernialrat, und andere am 6. August des Jahres 1788 auf dem Schneeberg. A. d. H.
**) Seit 1850 wird wieder Weizen angebaut und mit Nutzen gezogen. A. d. H.

***) Anmerkung W.M.: Hier liegt ein Rechenfehler vor: Senger hat sich um einen Mann verrechnet, denn die Summierung der Teilzahlen ergibt 182. Vergl. auch Gerhard Heilfurth 1984, Fussnote 401.

Quelle: Josef Senger, Eine Wanderung nach dem Schneeberge (bei Ridnaun) in Tyrol, in: Der Schlern, Südtiroler Halbmonatsschrift für Heimatkunde und Heimatpflege, Zeitschrift des Vereins für Heimatschutz in Südtirol. 2. Jahrgang, 15. Heft, 2. August 1921, S. 296 - 301.
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