Das Bergwerkpatronat der hl. Anna


Von Johann Tremmel, Alm

Zu Standes- und Berufspatronen erwählte man sich besonders im späteren Mittelalter, in der Blütezeit der Zünfte und Gilden, solche Heilige, die im Leben, beziehungsweise nach ihrer Legende, selbst diesem Stande angehörten.

Neben historischen und legendären Zügen dienten auch rein äußerliche Beziehungen als Motiv, seien es die Erkennungszeichen (Attribute) der betreffenden Heiligen — z. B. St. Veit im Kessel, indem er gemartert worden als Patron der Kupferschmiede —, seien es volksethymologische (Wortgleichklang) Beziehungen. Letztere besonders bei manchen der zahlreichen Nothelfer in leiblichen und seelischen Drangsalen und Nöten (z. B. St. Valentin bei Fallsüchtigen, St. Oranna bei Ohrenleiden). Manchmal sind diese Beziehungen „bei den Haaren herbei gezogen", wie man zu sagen pflegt, also sehr weit hergeholt; in manchen Fallen aber auch aus der Liturgie.

Beim Volke allgemein bekannt ist für den Bergbau und seine Knappen das Patronat der hl. Barbara, weniger schon das des Propheten Daniel, weil die Löwengrube an einen Schacht erinnerte, am wenigstens jedoch das Patronat der Hl. Anna, die da neben gut 30 andern Patronaten auch noch das für den Bergbau, namentlich Silberbergbau inne hat. Bei letzterem sagen die paar Autoren, welche sie dafür anführen, es liehe sich das „Warum" nicht feststellen.

Man gestatte mir zu dem Zwecke der Erklärung dieses Patronates einige Ausführungen.

Seit zirka 1350 nahm die St. Anna-Verehrung einen ganz grandiosen Aufschwung, so dass sie bis tief ins 16. Jahrhundert hinein zu den „verehrtesten Heiligengestalten" überhaupt gehörte, als „Avia Christi", Großmutter Christi und Mutter Maria. Ihr Kult war wie zu einer allgemeinen Mode geworden, wenn man so sagen darf. Weil Anna der Menschheit den größten Schatz, nämlich Maria, die von der Erbsünde nicht beeinflusste Gottesgebärerin, schenkte und ohnehin die „Gemeinschafts-Meßformulare" der Heiligen überhaupt, schon vor dem 9, Jahrhundert bestanden haben, kam für ihr Fest, auch heute übrigens noch, für heilige Frauen in Betracht.

Dieses Meßformular enthält in der Epistel den Schluss des Buches der Sprichwörter, wo uns in rein orientalischen Farben das Idealbild einer starken, auf den Vorteil ihres Hauswesens bedachten Frau geschildert wird. Die hl. Anna hatte diesem Ideale Wirklichkeit verliehen, da sie das Himmelreich über alle irdischen Belange stellte.

Daraus ließen sich eine ganz erhebliche Reihe ihrer Patronate auf dieses Idealbild zurückführen.

Betrachtete man dann das Evangelium des gleichen Meßformulares vom 26. Juli, dem Feste der Hl. Anna, so redet dieses von einem im Acker vergrabenen Schatz und führt uns gerade das zum Gegenstand unserer Ausführungen.

Näherhin wurzeln die Beziehungen der Heiligen in der Neigung des Mittelalters, den Gegenständen des Kultus und selbst des täglichen Lebens eine allegorische, sinnbildliche Bedeutung beizumessen und unterzulegen.

Maria, als Annas jungfräuliche Tochter, verglich man seit Alters her gerne mit dem Monde. Christus, ihr Sohn, ist die Sonne, von der sie ihr Licht empfängt. Der Mond bedeutet SiIber, die Sonne das Gold. Indem man diese Gedanken weiter spann und nach Herkunft dieses Goldes und Silbers forschte, wurde St. Anna zu einem „Bergwerk", aus dem diese edlen Metalle hervor gingen.

Aus diesem Grund nahmen sich die Bergleute, und die Silberbergleute insbesondere, die in den Bergen nach verborgenen Schätzen suchten, die Mutter Anna zu ihrer Patronin.

Man macht auch die Erfahrung, dass aus der Zeit vor dem Aufkommen des so großartigen St. Annakultes Annabilder noch selten waren, dann aber wie die Pilze aus dem Boden schießen.

Die manchmal so überreiche Ausbeute der Bergwerke schrieb man ihrer Hilfe zu. Der Glaube daran ist in Sagen genugsam verbreitet. Infolgedessen finden sich in erzreichen, namentlich silberreichen Gebirgen häufig St. Annakirchen, Kapellen, Statuen und Bilder.

So ist die hohe Verehrung der HI. Anna aus dem Leben des Volkes heraus gewachsen, wobei immer das treibende Motiv ist, dass Anna die Großmutter Christi ist.

Suchen wir nunmehr, um ein Beispiel zu bringen, nach den Spuren der St. Anna-Verehrung in Rattenberg, in dessen Umgebung bis Schwaz hinauf ja einstens silberreicher Ertrag aus den Bergen lockte. Dieses Städtchen hatte zwar infolge Festungsberg, Innfluss und Nachbargemeinde sich nur in äußerst beschränkten Raum entwickeln können, hat ihm aber trotzdem dieser Bergbau sein bestimmtes Gepräge aufgedrückt. Der Silberbergbau setzte da um 1422 ein. Das Jahr 1473 bringt der dortigen Pfarrkirche einen Erweiterungsbau nach Süden, so dass man von da von einer der seltenen zweischiffigen Kirchenanlage sprechen kann. Dieses Südschiff besitzt in seinem Hauptaltar einen Anna-Altar mit dem Altarbild St. Anna Maria lehrend. Der alte, baufällige Anna-Altar durfte mit Ordinariatserlaubnis von 1699 abgetragen und dann durch den heutigen Altar mit seinen berühmten Engeln ersetzt werden. (Ihm soll bald einmal eine eigene Beschreibung und Würdigung zuteil werden.)

Das Südschiff mit seinem kostbaren Altar heißt heute noch das „Knappenschiff", die Betstühle rückwärts in der Kirche die „Knappenstühle".

Ein eigenes St. Annaheiligtum hatte Rattenberg außerdem noch in der alten Zollhauskapelle, die am westlichen Ortseingange, an der Stelle des heutigen Rathauses stand. Geweiht war diese Kapelle, die später aufgelassen wurde und von der sich heute keine Spur mehr vorfindet, am 28, April 1498 worden und zwar durch den damaligen Weihbischof von Salzburg, den Bischof von Chiemsee, Ludwig II. Ebner, zugleich Propst von St. Zenno bei Reichenhall. In den Altar kamen nebst andern Reliquien auch solche von St. Anna.

Sechzehn Festtage gab es alljährlich, die in diesem Kirchlein gefeiert wurden. Einzelne darunter wurden dann auf andere Tage verlegt, als es ursprünglich vorgesehen war. Sogar am Weihnachtsfest selber war um 6 Uhr früh dort ein hl. Amt.

Am Fest der hl. Anna war das Patroziniumsfest; immer am ersten Sonntag nach Philipp und Jakob das Kirchweihfest. Jedes dritte Jahr hatten die „Erzknappen am Rattenberger Perg" dort das Grubenamt (wie Pf. Dr. Mayer, Going, seinerzeit in den Tiroler Heimatblättern 1930 berichtete).

Selbst in der alten Augustiner Klosterkirche fand sich früher ein Altar zu Ehren der Hl. Anna Selbdritt (Anna, Maria und das Jesukind beisammen). Das Ölgemälde war gemalt und signiert vom Innsbrucker Maler Egyd Schor (1627 - 1701), jedoch ohne Angabe der Jahrzahl.

Es wäre gewiss am Platze, wenn sich für Schwaz und die dortige St. Annaverehrung zu schildern jemand fände, denn die dortigen Bergknappen waren sicher nicht minder eifrig ihrer Patronin den Zoll der Verehrung und Liebe entgegen zu bringen, wie es die Rattenberger taten. Jedenfalls hat sich dort noch eine Hl. Annaselbdrittgruppe, als Rest eines ehemaligen großen Schnitzaltares Flügelaltares) in unsere Zeit herüber gerettet.

An manchen Orten mit sehr reichen Bergsegen wurde sogar ihr Name dem Orte gegeben.

Bei Betrachtung der so verschiedenartigen Heiligenpatronate, die im Laufe des Mittelalters entstanden, ist keine Heilige, die Gottesmutter ausgenommen, die für so viele Stände und Berufsarten, in so vielen Angelegenheiten einstmals angerufen wurden ist, wie St. Anna.

Quelle: Johann Tremmel, Das Bergwerkpatronat der hl. Anna, in: Tiroler Heimatblätter, Monatshefte für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 23. Jahrgang, Heft 7/8, Juli-August 1948, S. 145 - 147.
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