Knappenlöcher in Thaur - Drei Stunden unter der Erde
Von Kurt Sommerauer, Innsbruck
Auf einem steilen Felsvorsprung ragen von Efeu umrankt, die altersgrauen Ruinen des Thaurer Schlosses zum Himmel empor. Nur die wenigsten wissen, dass am Fuße des Felsens, gut zwischen Büschen und Bäumen versteckt, der Eingang zu einer unterirdischen Höhle in den Felsen gemeißelt ist. Wenn einige der wenigen, die die Höhle kennen, die unterirdischen Gänge derselben besuchen wollen, so sinkt ihnen beim Anblick des unheimlich schwarzen, gähnenden Loches der Mut und sie kehren wieder um. Von unserer Fahrt in die Höhle will ich nun erzählen.
Schloss Thaur, Zeichnung von Edmund von Wörndle
— Es war ein schöner Sommermorgen als wir die steilen Felsen hinunterkletterten und in der Nähe das Loch erblickten. Ich sage es offen, mir kroch eine Gänsehaut über den Rücken, als ich die drohende Finsternis des Ganges erblickte. Rasch kletterten mein Bruder Walter, mein Freund und ich zum Felsvorsprung hinunter, der vor der Höhle war. Wir nahmen unsere Fackeln, das Kletterseil, die Taschenlampen und eine sehr große Rolle Spagat aus dem Rucksack heraus. Nun füllten wir den leeren Rucksack mit Steinen, stellten ihn auf den Boden und banden an einem Tragriemen den Spagat an. Dann zündeten wir unsere Fackeln an und drangen vorsichtig in den unterirdischen Gang ein. Ich ging als Erster, mein Freund war hinter mir und ließ den Spagat abrollen und mein Bruder ging zuletzt. Der Gang ging sanft nach abwärts und bog dann um eine Ecke. Und was mir nun sahen, das erfüllte uns mit Staunen. Vor uns dehnte sich ein hoher Saal aus, von dessen Decke hingen große schimmernde Tropfsteine herunter. Rasch traten mir in den Saal und leuchteten die Wände ab. Da sahen wir einige tiefe Nischen, in denen sich leicht ein Mensch verstecken konnte. Plötzlich schraken mir zusammen. Was war das für ein unheimlicher Ton? Lautlos horchten wir. Da, jetzt wieder der Ton! Es klang, als wenn man einen Stein in einen tiefen Schacht würfe. „Kommt, mir wollen schauen, was hier los ist!", sagte ich zu den andern. Wir gingen im Gange weiter. Da kam wieder ein Saal, aber ein viel kleinerer. In seinen Wänden gähnten fünf schwarze Löcher, es waren Gänge. „In welchen sollen wir hineingehen?", fragte ich. „Am besten ist es, wir gehen gleich in den ersten, rechts hinein", sagte mein Bruder. Gesagt, getan, mir gingen gleich hinein. Da hörten mir wieder den Ton, aber stärker war er zu hören. Wir bogen um eine Ecke und blieben gleich erstaunt stehen. Vor uns war ein saalartiger hoher Raum, bis an die Wände war Wasser, ein unterirdischer See. Von der Decke hingen schimmernde Tropfsteine wie lange Eiszapfen herunter. Wie tief der See war, konnten wir nicht sehen, denn überall hatte das Wasser die gleiche schwarze Färbung. Wir sollten auch gleich sehen, warum mir den rätselhaften Ton vernommen hatten. Von den Tropfsteinen fielen Wassertropfen in den See und das erzeugte den Ton, vor dem mir so erschrocken waren. Wir kehrten wieder um und gelangten wieder zu den fünf Gängen. Dieses Mal gingen wir in den zweiten hinein. Er ging ziemlich eben dahin, aber er wurde später so eng, dass wir fast kriechen mussten. Endlich konnten wir wieder recht gehen. Da bemerkten wir in der Wand des Ganges ein Loch. Wir leuchteten hinein und nun sahen wir einen zweiten Gang, der parallel mit dem ersten lief und nur durch eine Felsenwand getrennt war. Weiter ging es den dunklen Gang entlang. „Achtung!", rief ich plötzlich und leuchtete auf den Boden. Da klaffte ein schwarzes Loch. „Ein Schacht", sagte mein Bruder, und so war es. Im Scheine der Fackeln sahen wir knapp neben dem Weg einen tiefen Schacht in den Fels hinuntergehen. Ein Fehltritt und wir wären rettungslos hinabgestürzt. Der Gang ging nun aufwärts und machte viele Kurven. Der Gang stieg schraubenförmig nach aufwärts und ging ein kleines Stück eben. Am Ende war wieder ein Schacht. Wir leuchteten hinunter und nun sahen wir zu unserem Erstaunen einen Gang unten und etwas Weißes, es war unsere weiße Schnur. Wir kletterten hinunter und gingen zu den fünf Gängen zurück. Die zwei nächsten, in die wir hineingingen, endeten plötzlich blind und wir mussten wieder umkehren. Nachdem wir im letzten Gang ein Stück gegangen waren, hörte er plötzlich auf. Wir leuchteten die Wände ab und nun sahen wir, dass der Gang zirka zwei Meter höher fortging. Wir mussten also hinaufklettern. Da gelangten mir zu einem kleinen Saal. Und das erfüllte uns mit Staunen. An den Wänden waren eine Art steinerne Bänke und ein steinerner Tisch. Von diesem Saal ging kein Gang mehr weiter. Nun wollten wir von der Decke einige Tropfsteine herunterschlagen und sie als Andenken mitnehmen. Sie waren jedoch so hart, dass wir keinen herunterbrachten und uns mit denen begnügen mussten, die am Boden lagen. Wir steckten einige ein und gingen dann den Gang zurück zu den fünf Gängen und von dort dem Ausgange zu. Siehe, dort am Gang schimmerte Licht: der Ausgang. Und bald standen wir draußen vor der dunklen Höhle und atmeten gierig die kühle Abendluft ein.
Der Verfasser war, als er den Aufsatz schrieb, Schüler der dritten Realschulklasse. — Der Bericht handelt von einem sog. Knappenloch, einem Bergbau, wie solche in den Nordtiroler Kaltalpen besonders im 17. Jahrhundert zahlreich zur Gewinnung von silberhaltigem Blei angelegt wurden.
Quelle: Kurt Sommerauer, Drei Stunden unter der Erde, in: Tiroler Heimatblätter, 17. Jahrgang, Heft 4, 1939, S. 119 - 121.
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