Die Saline in Thaur
Von Dr. Hans Hagleithner.
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Ein Wort hat mir schon immer zu denken gegeben, so oft ich es las oder zu hören bekam: Das Wort von der Saline in Thaur. Danach soll nämlich, so wie es heute in Hall geschieht, die Salzsole einmal im Dorfe Thaur versotten worden sein oder dort wenigstens eine sonstige Salinenanlage bestanden haben. Der Ortskundige kann allerdings eine solche Annahme nirgends bestätigt finden und doch könnten die hierzu erforderlichen Anlagen nicht spurlos verschwunden sein. Es ist den örtlichen Verhältnissen nach auch ganz unerfindlich, wie die Sole nach Thaur gekommen sein soll. Andererseits haben solche und ähnliche Legenden meist einen wahren Kern, es gilt nur ihn herauszuschälen.

Die geschichtliche Überlieferung setzt um 1275 ein. Was früher war, ist in Dunkel gehüllt. Man ist auf bloße Vermutungen angewiesen und doch gewahrt auch hier die „versteinerte Geschichte“ einige Anhaltspunkte. Diese Spuren liegen in Thaur, in und am Weg von dort zur Thaurer Alpe, über diese zum sogenannten Törl und von dort zu den Herrenhäusern, dem Fundort des Salzes.

Es ist bekannt, welche Bedeutung schon die romanisierten Bewohner unserer Gegend und vor ihnen die Kelten und Illyrier der Viehzucht und damit dem Almwesen beimaßen. Pfeis, Lafeis, Lafatsch und viele andere Namen in der Gegend des südlichen Karwendels sprechen eine beredte Sprache. Die Thaurer Alpe und alle übrigen Almen der Nachbarschaft waren sicher schon in vorrömischer Zeit befahren. Aus dem ganz ungewöhnlich tief eingeschnittenen Fahrweg von Thaur zur Thaurer Alpe müsste man die Zeit seines langen Bestandes nahezu mathematisch errechnen können, wenn man den jährlichen Abnutzungsgrad kennen wurde. Es sei auch auf die Bedeutung hingewiesen, die der Mensch seit der Zeit dem Salz beimaß, als er vom fleischessenden Jäger zum Ackerbauer wurde. Das Salz ward ihn eine unentbehrliche Würze, die von weitest bezogen wurde und Salzfundstellen hatten damals eine Bedeutung wie heute etwa Petroleumfelder.

Die Thaurer Alpe ist nun auf bequemem Saumweg vom Dorf Thaur aus zu erreichen, sie langt mit ihren östlichen Ausläufern bis zum sogenannten Törl, dem Übergang ins Halltal. Von hier ist man aber von der Salzfundstelle nur mehr eine halbe Gehstunde entfernt. Diese Wegstrecke führt allerdings eine Talmulde hinunter, die bei einiger Nachhilfe noch unschwer für das Weidevieh gangbar ist. Es war also wirklich nichts besonderes, wenn Thaurer Weidevieh zu den Salzquellen gelangte, sie immer wieder aufsuchte und so die Hirten darauf aufmerksam machte. Die Legende von der Entdeckung des Salzes durch weidendes Vieh ist also durchaus glaubhaft. Alles weitere vom Versieden bis zur Stapelung und zum Handel ist nur mehr eine Frage der Zeitverhältnisse.

So ist es glaubhaft, dass das Salz schon vor 1300 bis in die vorrömische Zeit hinein hier genutzt worden ist und dass sich wahrscheinlich auch ein gewisser Handel entwickelt hat. In unruhigen Zeiten mag alles wieder auf den bloßen Hausgebrauch der Almleute und der nächsten Umgebung zurückgegangen und in längeren Sturmzeiten überhaupt vergessen worden sein, so dass das Salz wieder entdeckt werden musste. In langen Friedenszeiten werden sich auch Rechtsformen über den Besitz entwickelt haben, wie wir sie bei den österreichischen Salinen kennen.

Der Weg, den das damals am Berg gesottene Salz talwärts genommen hat, schloss sich zwangsläufig dem schon bezeichneten Almweg nach Thaur an. Eine Weganlage das Halltal entlang war, wie schon erwähnt, vor 1300 wegen ihrer Kostspieligkeit undenkbar. So glaube ich nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, dass das im Gebirge gesottene Salz durch Träger oder mit Saumtieren über das Törl und die Thaurer Alpe nach Thaur gebracht wurde. Dies war den weitaus größten Teil des Jahres möglich. Nur einige Monate im Winter kann dieser Weg als ungangbar bezeichnet werden.

Ein einigermaßen bedeutender Handel mit Salz verlangt einen Stapelplatz, von dem aus zugleich die ganze Manipulation und Verfrachtung zu leiten war. Dieser Platz musste auch gesichert sein und konnte naturgemäß nur in Thaur liegen. Es ergibt sich nun die Frage, wo dieser Platz zu suchen sei. Hier scheint mir der Name Thaur selbst einen wertvollen Fingerzeig zu geben.

Am glaubwürdigsten ist, dass der Name Thaur vom lateinischen Worte turris, das ist Turm, abzuleiten ist. Andere sehen in dem Namen eine keltische Wurzel für die Bedeutung Schlucht, Tobel und weisen auf die im übrigen ziemlich bedeutungslose Bachschlucht im Nordosten des Dorfes, das sogenannte Fuchsloch. Diese Schlucht halte ich für zu wenig markant, als dass sie unseren wenig naturbegeisterten Vorfahren Anlass für einen Dorfnamen gegeben haben könnte. Solche und ähnliche ortsnahe Schluchten weist unser Land in großer Zahl auf, danach müssten mehr als die Hälfte aller Orte im Land Thaur heißen.

Dem Dorf Thaur muss also irgendein bedeutungsvoller Turm den Namen gegeben haben, den ich im bewachten Salzstapelplatz sehe. Dieser Turm mag dann, als bald nach 1100 die burgenbauende Zeit kam, zum Schloss Thaur ausgebaut worden sein. Gerade hier am Rande des Hochplateaus endete auch der mehrfach erwähnte Almweg und ich kann mir in der ganzen Umgebung keinen besseren Platz für einen bewachten Salzstapelplatz denken als hier.

So erklärt sich ungezwungen der Name des Dorfes Thaur, die Platzwahl für das spätere Schloss Thaur, die Legende von der Saline in Thaur, Alter und Bedeutung des Dorfes selbst. Stand doch Thaur schon lange bevor noch im Raum von Hall mehr als eine Überfuhr über den Inn war. Die Querverbindung, die die über das südliche Mittelgebirge führende alte Römerstraße mit dem über die Dörfer führenden Talweg verband, übersetzte hier den Inn. Sie führte wahrscheinlich direkt nach Thaur. Erst als die Salzsole das Halltal herunter nach Hall geleitet wurde, wodurch Hall erst entstand, verlor Thaur an Bedeutung. Bezeichnenderweise war früher Thaur der Sitz des Gerichtes für den Bezirk östlich Innsbruck und nördlich des Inns bis weit über den Raum Hall hinaus.

Zu allen diesen Erwägungen gaben mir Beobachtungen Anlas, die ich gelegentlich touristischer Streifzüge in der dortigen Gegend machte. Sie scheinen mir manches Rätsel aus der Vergangenheit, das an dieser Gegend haftet, überzeugend zu lösen und gestatten einen Blick in das Dunkel vergangener Jahrhunderte zu tun.

Quelle: Hans Hagleithner, Die Saline in Thaur, in: Tiroler Heimatblätter, 23. Jahrgang, Heft 7/8, 1948, S. 122 – 124.
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