Ludwig von Hörmann †

Von den großen Bahnbrechern der tirolischen Volkskunde I. V. Zingerle, L. Steub, Chr. Schneller, L. Hörmann ist nun auch der letzte und erfolgreichste dahingegangen. Während Zingerle hauptsächlich den Erzeugnissen der Volkspoesie in der Gestalt von Sagen, Märchen, Kinderliedern und abergläubischen Meinungen nachging, Steub und Schneller der Frage nach der Abstammung und Volkszugehörigkeit der Bevölkerung Tirols und damit im Zusammenhange der Namenkunde ihr besonderes Augenmerk zuwendeten, erfaßte Hörmanns Forschung das ganz gegenwärtige Volkstum in Sitte und Brauchtum des Alltags und der Festzeiten, im Wirtschaftsleben, im Volksgesang und Volkskunst, Tracht, Spruch und Rede und er ist so recht eigentlich der Begründer der allgemeinen Tiroler Volkskunde geworden.

Ausgerüstet mit einem tiefgründigen Fachwissen und begabt mit ruhelosem Forschertrieb, eine unermüdliche, wetterharte Wandernatur, durchstreifte er Zeit seines Lebens alle Täler und entlegensten Winkel des Landes und trug mit Bienenemsigkeit zusammen, was unser Volkscharakter und Volksleben an bodenständiger Eigenart bietet. Diese, die durch den gleichmachenden Zug der Zeit schwer bedroht ist, wenigstens in Wort und Schrift festzuhalten und für die Wissenschaft wie für die Erinnerung der Nachwelt zu retten, hatte er sich zur Lebensaufgabe gesetzt.

In zahllosen Veröffentlichungen legte er die Früchte seines Sammeleifers und seiner Volksstudien nieder. Seine "Grabschriften und Marterln", seine "Haussprüche" und "Schnaderhüpfeln", seine "volkstümlichen Sprüchwörter und Redensarten", seine "Bauern- und Wetterregeln" beziehen sich wohl auch auf die anderen Alpenlieder [sic. Alpenländer], stammen jedoch zum weitaus größten Teile aus Tirol. Ausschließlich Tirol gelten seine drei Hauptwerke: "Tiroler Volkstypen" (1877, vergriffen), "Tiroler Bauernjahr' (1899, vergriffen) und "Tiroler Volksleben" (1909). In diesen drei Büchern wie in seinen "Wanderungen" durch Vorarlberg und Tirol bewährt sich Hörmann ebenso als glänzender Sprachmeister und Darsteller wie als gründlicher Kenner des Tiroler Volkstums. In leicht fließender, durchsichtig klarer, auch dem einfachsten Manne verständlicher Sprache, ohne allen Gelehrtenzopf, doch gerne die Schalksschelle rührend, führt er da in prächtigen Charaktergerstalten und -typen in anschaulicher Schilderung oder fesselndem Erzählerton ein getreues Spiegelbild unverfälschten Alttirolertums vor, unübertrefflich und gediegen in Form und Inhalt. In ganz besonderem Maße gilt dies vom "Tiroler Volksleben", das gewissermaßen den zusammenfassenden Abschluß und zugleich die Krone der volkstümlichen Forschung Hörmanns darstellt, ein klassisches Buch, das in keinem Tiroler Hause fehlen sollte. Es ist berufen, für alle Zukunft die Grundmauer der tirolischen Volks- und Heimatkunde zu bilden, immer richtunggebend für die weitere Forschung, vorbildlich in der Methode und in der Darstellung. Vermutlich war Hörmann der letzte, der als einzelner das weite und tiefe Gebiet der Volkskunde Gesamttirols beherrschte. In neuerer Zeit hat sich auch die Heimatforschung spezialisiert und dezentralisiert; einzelne engere Zweige und Bezirke werden um so gründlicher behandelt. Es kann nicht anders sein, als daß Hörmann nicht nur vielfach ergänzt, sondern auch in mancher Hinsicht berichtigt werden wird. Das schmälert seine Größe und sein Verdienst nicht im geringsten. Er wird, um mit den Worten Fr. Kranewitters an Hörmam's Grab zu sprechen, allen heimatstreuen Tirolern immer sein und bleiben: ein Lehrer und ein Beispiel, ein Monument und eine Lichtgestalt.

Aber nicht nur als Forscher, sondern auch als Mensch kann uns Hörmann als Vorbild dienen. Sein schlicht einfaches, aufrechtes, grundehrliches und grundgütiges, immer hilfsbereites, heiteres, zu harmlosem Humor geneigtes Wesen war so echt tirolerisch wie der Inhalt seiner Schriften. Ich kann es mir nicht versagen, zur Kennzeichnung seiner persönlichen Art hier zwei Erlebnisse aus meiner Studentenzeit mitzuteilen. Ich hatte ihm einige echte Volkslieder aus dem Unterland beschafft und hatte infolgedessen bei ihm einen Stein im Brette. So oft er mir auf der Straße begegnete, sprach er mich an, erkundigte sich nach meinen Studien, nach dem Unterland u. a. So war es auch einmal in der Karwoche. Er wunderte sich, mich in Innsbruck zu treffen. Warum ich nicht im Unterlande sei, es seien doch Ferien? Als ich mich auf meinen "unguten" Finanzminister berief, entgegnete er lebhaft: "Wär' nit übel! Heimfahren!" Und ehe ich's mir versah, druckte er mir eine Fünfernote in die Hand und setzte, ohne auf mein Dankesgestammel zu hören, seinen Weg fort. -

Noch großherziger zeigte er sich in einem anderen Falle. Ein auswärtiger Studiengenosse hatte mich gebeten, für ihn, der einen Vortrag halten wollte, die dazu nötigen Werke aus der Universitätsbibliothek auszuleihen, da er nicht inskribiert, also nicht ausleihberechtigt war. Ich erfüllte ihm seinen Wunsch ohne Bedenken. Der Vortrag wurde gehalten und ich wartete geduldig auf die Rückgabe der Bücher, bis ich eines Tages eine amtliche Mahnung zur Zurückstellung erhielt. Zu meinem Schrecken mußte ich nun erfahren, daß mein "Freund" nicht mehr in Innsbruck sei, und mit nicht geringer Mühe brachte ich endlich dessen neuen Aufenthaltsort heraus. Ich schrieb ihm eine Karte, einen eingeschriebenen Brief und schließlich einen Brief gegen Rückempfangsschein. Alles umsonst. Der Empfangsschein mit seiner Unterschrift kam wohl, aber sonst nichts, weder Bücher, noch Entschuldigung, noch Dank für meine Gefälligkeit. Mittlerweile war bereits eine zweite Mahnung eingelaufen. In meiner Verzweiflung eilte ich zum Bibliotheks-Direktor Hörmann und vertraute. mich ihm an. "Eine böse Geschichte!" murmelte er. Nach einigem Nachdenken meinte er jedoch, es würden sich die Bücher wohl antiquarisch nachschaffen lassen; er werde das besorgen und ich sollte mich nur trösten, es werde nicht so schlimm ausfallen. Und es fiel wirklich nicht schlimm aus; denn ich erhielt weiterhin weder Mahnung noch Rechnung.

Wie viele solcher stiller Wohltaten mag Hörmann, der als warmer Freund der Jugend bekannt war, geübt haben! "Und die guten Werke folgen ihm nach", heißt es irgendwo in der Bibel.

R. Sinwel

Quelle: Rudolf Sinwel, Ludwig von Hörmann †. in: Heimatblätter, Monatsschrift für Geschichte, Natur- und Volkskunde im Unterinntal, 1. Jahrgang, Nr. 8/9, 1924, S. 1 - 2.