Brunnenburg.

Wenn man von Meran „unterm Berge“ gegen Martinsbrunn geht, um von dort auf steilem Pfade gegen die Brunnenburg und Tirol anzusteigen, beginnt ein hohes Rebengewölbe nach dem andern, wahre Schachte in den Schatzkammern voll Segen und Saft, welche durch den Palast Laurins sich hinziehen, den die Überlieferung an diesen Hang versetzt. Die Pinie, welche in den mittägigen Ländern aller Orte aussieht, als ob sie mit ihrem Dache etwas zu hüten hätte, steht hier so recht am gehörigen Orte und breitet ihre Äste schützend gegen das Blütenmeer hin aus. So ist sie noch heute ein Sinnbild der alten Hüter des Gartens, der Zwerge, welche tot sind, weil Niemand mehr an sie glaubt.

Unter der Brunnenburg sind es Schätze anderer Art, welche der Maler entdeckt. In den Gegensätzen von Geröll, Fruchtbäumen und wasserüberrieselten Rasen liegen die Vorbilder einer umfangreichen Gemäldesammlung.

Da erhebt sich, um ein Beispiel aus diesem Wirrsal herauszugreifen, über zwei Felsblöcken ein Kastanienbaum. Die Blöcke sind mit Farrenkräutern bedeckt, von welchen die lebendigen grün und kräftig aufragen, die toten braun herabhängen, die Wurzeln des Baumes aber haben sich in den Zwischenraum der Blöcke eingekeilt. Rings herum breiten sich die Halme des Frühlingsgrases und schlankes Vergissmeinnicht aus, mitten unter den Apfelbäumen hat sich eine dunkle Fichte angesiedelt und außer der schrillen GIockenstimme vom Dorfe Tirol herab wird nur das leise Sickern des trüben Wassers vernommen, welches launenhaft feinen trägen Weg unter den Blöcken hindurch zu Tal sucht.

Noch seltsamer freilich sieht es in den Trümmern der Brunnenburg selbst aus.

Brunnenburg, www.SAGEN.at

Brunnenburg

Wenn man die Felsen überklettert hat, von welchen hier die angeschmiegten Reben das Zurückwerfen der warmen Strahlen erwarten, so erblickt mau die blühenden Kellergewölbe. In den Tiefen einstiger Verließe waltet der unsterbliche Frühling und Zitronenfalter flattern über neu entfalteten Knospen, wo vor Jahrhunderten die Fledermaus durch die Nacht huschte. Der weit gespannte Bogen eines Fensters, von welchen aus sonst die Bewegungen der Feinde cerspäht wurden, erscheint uns jetzt wie ein absichtlich hier aufgestellter Rahmen, der das Bild des maigrünen Etschlandes einfaßt, In einem der viereckigen Löcher, in welches sonst die Balken der Sitzbänke eingerammt waren, hüpft eine gelbe Grasmücke hin und her, um eine Beute aufzupicken, welche die Laune des Windes heraufgetragen hat. Der Turm, an der einzigen zugänglichen Stelle als Abwehr gebaut, hindert den kletternden Eindringling nicht mehr, und an der Stelle, an welcher vielleicht Wurfgeschosse aufgeschichtet lagen, hängt - vom spöttischen Zufall hereingepflanzt — die kugelige Blüte des wolligen Schneeballes.

Quelle: Heinrich Noe, B. Johannes, Die Burgen von Tirol in Bild und Wort, Partenkirchen ca. 1890, Nr. 16.

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