Ein alter Bozner Garten
von Josef Psenner.

Heute noch taucht des öftern ein Bild aus frühester Jugendzeit in mir auf, ein eigenartiges Bild voll Farbenpracht, voll Brunnenrauschen und Fontänengeplätscher, ein Bild, das sich mit meinen Vorstellungen vom Garten des Paradieses verweben würde, wenn . . . . ja wenn Frau Eva in Trinoline und der Herr Vater Adam in Kniehose und Schnallenschuhen darin herumgewandert wären und der Baum der Erkenntnis schön in Pyramidenform zugestutzt gewesen wäre. Es war kein Traum; dieser Garten lag nicht da drüben weit im Orient, wo etwa die Palmenhaine am Euphrat und Tigris säuseln, dieser Garten lag in der Raingasse in Bozen und oft bin ich, ein fröhlicher Bub, darin herumgesprungen. Dort, wo heute die Dependanz des Hotels „zum Greifen" sich erhebt, da stand in meiner Jugend das Haus des Gerbermeisters Moser. Ich sehe sie noch vor mir, die kleine, feine Haustür aus braunem Nußholz mit dem glänzenden Messinggriff und dem Klingelzug daneben. Willst du etwa den Hausherrn grüßen, so müßtest du links die Steintreppe hinauf, aber komm, wir treffen ihn sicher im Garten! Die grüne Gittertür ist offen, unter deinen Füßen gurgelt leise der Mühlbach vorbei, hinunter zur Gerberei. Also tritt hinaus auf die Stufen und, siehst du, nun liegt vor dir eine Blumenpracht und ein Duft umfängt dich, als wären wir in die Rosengärten von Schiras eingetreten. Buchsumsäumte Schnörkelrabatten, von schmalen, weißen Kieswegen umgrenzt, bilden einen bunten Teppich, aus dessen Mitte ein mächtiger Marmortisch mit einem reizenden Blumenarrangement sich erhebt, und überall in all den Rabatten hunderte der verschiedensten Rosengattungen im vollen Flor des beginnenden Sommers. Ringsum schallt uns ein Sprudeln, Rauschen und plätschern entgegen und hinein in das Trillern und Zwitschern der Vögel, als ob da hundert Brunnen um uns sprängen. Gleich zur linken im dunklen Gebüsch, da ergießt sich über einen Strauß künstlicher Blumen das Wasser wie ein kristallener Glassturz. Neben dir spritzen drei pausbackige, lustige Kinderköpfchen drei Strahlen ins gelbliche Marmorbecken und dort, drüben, wo eine Reihe hoher, dichtbewachsener und rosenüberstreuter Bogen den Garten abzuschließen scheint, da drehen sich im Zenith des Bogens goldene Kronen und werfen glitzernde Wasserstrahlen in Schlangenlinien ins Becken, aus andern Bögen schauen dagegen von hohen Piedestalen die marmorweißen, leichtgeschürzten Göttinnen Griechenlands, nachdenklich über ihre Toilette, in die krause Blumenwirrnis zu ihren Füßen. Wenn du aus diesem reizenden Muster alter italienisch-französischer Gartenkunst hinausblickst durch die Rosenbogen, so siehst du drüben eine zierliche englische Anlage: Laubbäume, Wiesenplätzchen, einen kleinen Teich mit kleinem Schiffchen darauf, zu dem eine Marmortreppe hinunterführt, während rückwärts aus üppigem Strauchwerk eine dorische Säule in den blauen Himmel ragt. Trittst du näher, so ist's wieder ein Brunnen, in dessen Wasserstrahlen Gummibällchen auf' und niedersteigen. Im Südende des Gartens, zwischen zwei lauschigen Lauben, öffnet sich eine Miniatur-„Avenue", die links und rechts eingesäumt ist von Reihen Nadelbäumen, von Limonien und Orangen, aus deren dunkelgrünem Laube die goldenen Früchte der Hesperiden schimmern, nach alter Sitte natürlich die einen zu steifen Pyramiden, die andern zu zierlichen Kugeln verstutzt und verschnitten. Das Ende dieser „Avenue" schließt wieder ein breitausladender Brunnenaufbau, dessen Spitze eine Flora krönt, mit einer Muschelschale auf dem leicht geneigten Haupte. Helle lustige Brünnlein stießen daraus, rieseln wie ein leichter Schleier um das zierliche Figürchen hinunter in das Becken und von dort quillt es wieder in ein zweites und drittes und das alles murmelt so harmonisch wie ein fernes Glockenläuten.

Siehe, da kommt ein alter Herr in weißen Haaren, in feinem, dunklem Anzug aus einem Seitengang, durch den man auf eine Orangerie hinüberblickt, barhäuptig, ein feines, ausdrucksvolles Humboldtgesichtchen, glattrasiert, sieht uns freundlich lächelnd an. Das ist der Herr Gerbermeister Moser, wir begrüßen ihn und sprechen ihm unsere Freude und unsere Anerkennung aus. Da leuchtet es in den alten Augen auf! Ja, sein Garten, seine Blumen, das war die Freude seines Alters, darin verjüngte er sich mit dem Frühling, darin verlebte er den Sommer und Herbst seiner Jahre. Nun ist er längst dahin, auch der Garten ist verändert, ich finde mich darinnen nicht mehr zurecht. Ich wandere lieber wieder im Garten meiner Jugendzeit. Dort habe ich aber auch noch etwas ganz anderes geschaut, im Moserhaus, etwas, das mich einen Augenblick alles um mich vergessen ließ und mich selber auch, denn ich stand eines Tages in strahlender Bewunderung vor der wunderbaren „Moser-Krippe", die heute leider nur mehr zum kleinsten Teile in der Schmeder'schen Krippensammlung des Nationalmuseums von München zu sehen ist. In diese aber führe ich dich, so wenns weihnachtelt, einmal!


Vignette von M. Perlunger


Quelle: Der Schlern, 1. Jahrgang, 1. Heft, 1. Jänner 1920, S. 7 - 8.

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