Bäuerliche Medizin


Von F. Prenn
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In den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts lebte in einem kleineren Städtchen des Eisacktales ein altes Männchen, das aus einem Bergdorfe der Umgebung zugewandert war. Es konnte weder lesen noch schreiben, war aber recht umgänglich und genoß als „Bauerndokter“ einigen Ruf. Besonders in seinem früheren Heimatsorte soll es gute Kuren gemacht haben und ehemalige Patienten suchten es gar nicht selten auch in der Stadt auf, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da ich als Student einige Zeit im selben Hause wohnte wie das Dokterle, machte ich natürlich seine Bekanntschaft und weil ich mich für seinen Beruf interessierte, wurde ich von ihm in manche Geheimnisse desselben eingeweiht. Hätte ich in der Folge Medizin studiert, so wäre ich wohl vorbereitet auf die Hochschule gekommen und die Herren Professoren hätten bei den Prüfungen von mir allerlei erfahren können, was ihnen sicher noch unbekannt war.

Zu dieser Zeit lebte im Städtchen ein Handwerksmeister, der schon zum drittenmal verheiratet war und das Unglück hatte, auch die dritte Frau zu verlieren. „Der hot a weiße Löber“, sagte das Mannl zu mir, „und bring aniade Frau um, bis er amol oane derwischt, dö 's ihm isch. Nocha muaß er gian“ *). Da der Meister eine .größere Familie hatte, blieb ihm nichts übrig, als nochmals zu heiraten, was er denn nach Ablauf des Trauerjahres auch tat. Leider konnte er sich des neuen Glückes nicht lange erfreuen, da der Sensenmann ihn nunmehr selber holte. „Sigsches“, triumphierte das Dokterle, „hon i's not g'sogg! Jatz hot er amol a G'fahlte derwischt“.

Ein anderes Mal erklärte es mir Wesen und Verlauf der Herzwassersucht. „Dös isch a unguate Kronkhat. Do schwölln der die Schinkn (= Beine) un und wern voll Wosser. Ingaling kimb's Wosser in Bauch und steig olleweil heacher und heacher und isch wie a Sea und über den Sea heng's Herz an die Odern. Und amol werd's Herz zi schwar. Nocha reißn die Odern o und's Herz follt ins Wosser und aus isch's. Wia wenn oaner an Fock mit an Schlögl af'n Grind schlogg.“

Anläßlich eines Ganges in die Stadt begegneten wir einem Manne, der so stark entwickelte O-Beine hatte, daß ihm — wie der Volksmund sagt — ein „Fack“ zwischen den geschlossenen Beinen hätte durchlaufen können. „Der isch badschinkat (= beide Beine sind gleichmäßig gekrümmt)“, erklärte mir mein Begleiter. „Dös kannt man schun wöckbringen. Der müassat se ins Bött lögn und an aniadn Stitz an storkn Strick unbindn. Dö Strick loßt man ban untern End va der Böttstott außn oerglanggln und heng an schwarn Stoan oder a Gwicht drun. Nocha logg man ihn af die Schinkn a hoaßes Ruabnkraut au, so hoaß er's derleidet, und wegslt a poormol. Durch dös hoaße Kraut wern die Boaner gonz woach und durch die Gwichter grod ausgizogn. Wenn sie auskualn, wern sie wieder hört und bleibm a grod.“

Leider ist das alles, was mir von der Weisheit des Dokterls noch erinnerlich ist, und ich habe es oft schon bedauert, daß ich nicht sofort aufgezeichnet habe, was ich von ihm hörte. So ist der medizinischen Wissenschaft manches Wertvolle für immer verlorengegangen, denn das Dokterle ist schon lange tot.

Als ich eines Sommers mehrere Wochen in einer Alm verbrachte, bereitete mir infolge einer kleinen Verkühlung ein hohler Zahn ziemliche Schmerzen. Da Schnaps und andere Hausmittel nichts halfen, gab mir ein Bauer, der auf Sommerfrische in der Alm war, gute Ratschläge. Man nimmt Bilsenkrautsamen, legt ihn auf glühende Kohle und fängt den aufsteigenden Rauch mit dem Munde auf. Aber ja nicht einatmen oder schlucken, weil er giftig ist. Nach einiger Zeit fällt ein kleines weißliches Patzl aus dem hohlen Zahn und der Schmerz hört sofort auf. Ein anderes Mittel wirkt sicherer und ist viel einfacher. Man sucht ein kaltes fließendes Wasser auf, macht mit der Hand dreimal ein Kreuz darüber, nimmt dann „ein Maul voll Wosser“ und läßt es auf den kranken Zahn wirken. Der Erfolg soll überraschend sein. Da in der Alm kein Bilsenkrautsamen zu bekommen war, konnte ich dieses Mittel nicht anwenden und den überraschenden Erfolg des anderen Mittels zu erproben, war ich zu feig, da ich die Rache des mißhandelten Zahnes fürchtete. Der Schmerz hörte übrigens bald von selbst auf.

Eine alte Kräutersammlerin fragte mich einmal, ob ich meine Ausflüge auch auf die umliegenden Jöcher und Bergspitzen ausdehne. „Freilich“, meinte ich. „Nocha kannsche mir woll amol an ötlene Schofgagl mitbringen.“ „Gern, ober wos tuasche denn dermit?“ Ich werde wohl wissen, meinte sie, daß die Schafe nur die allerbesten und heilsamsten Jochkräuter fressen. Wenn man trockenen Schafmist zerdrücke, könne man sehen, daß er viele nur unvollkommen verdaute Kräuterreste enthalte, die ihre Heilwirkung noch nicht verloren hätten. Deshalb benütze sie das genannte Material bei der Herstellung von Jochkräuter-Teemischungen. Ich brachte ihr das Verlangte. Nutzt's nix, dann schadt's nix und die Patienten wissen nix davon.

Ein Bekannter, dessen Frau an einer schmerzhaften rheumatischen Erkrankung litt, suchte einen beliebten Bauerndoktor auf, um vielleicht von diesem ein schmerzlinderndes Mittel zu erhalten. Er übergab ihm das für die Diagnose unbedingt nötige Fläschchen mit dem „Wasser“ der Kranken. Der Mann schüttelte das Fläschchen und fragte: „Isch's va dir?“ „Na, von meiner Frau“. Aufmerksam sah er durch die etwas trübe Flüssigkeit und sagte dann: „Mei Lia-ber, du bisch woll nicht zi beneidn. Du hosch weiter, nicht Guats ba deiner Oltn! Isch freila koa Wunder, weil sie selber a nicht Guats hot mit ihrn Weahdom.“ Der erste Teil der Diagnose war also richtig und der Bader hatte sie — ohne langes Befragen — nur aus dem Inhalt des Flaschls geschöpft. Ob er auch ein wirksames Heilmittel gegen die Krankheit verordnen konnte, weiß ich nicht.

Es gibt auch heute noch solche „Bauerndökter“, die sich oft eines ziemlichen Rufes erfreuen und besonders durch ihre originellen Diagnosen und drastischen Mittel weitum bekannt sind. Wer „Zänteweah“ hat, geht auch auf dem Lande nicht mehr zum Bader, sondern sucht eine Zahnordination auf. Bilsenkraut und kaltes Wasser werden in der modernen Zahnheilkunde freilich nicht mehr als schmerzstillende Mittel gebraucht und das „Zantweahtüachl“ lebt nur mehr in der Erinnerung alter Leute.

*) Vgl. Schlern 1949, S. 462 (Fragecke, Nr. 14). — D. Schlern. (= Wer weiß was von der weißen Leber, womit Männer wie Frauen behaftet sein können? Wer eine weiße Leber hat, ist ein schlechter Ehepartner; der andere Teil stirbt bald. Mehrmalige Ehen hintereinander mit tödlicher Wirkung für den einen Teil sind daher ein Anzeichen der weißen Leber. Ist dieser Volksglaube auch bei uns bekannt?)

Quelle: Fritz Prenn, Bäuerliche Medizin, in: Der Schlern, Illustrierte Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 24. Jahrgang, Februar 1950, 2. Heft, S. 66 - 67.
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