Hippolyt Guarinoni.
(Älteste Schilderung eines Ausfluges in den deutschen Hochalpen.)
Den Namen des Dr. Hippolyt Guarnonius haben wohl die wenigsten Leser vernommen, und doch bezeichnet er einen Mann, der zu den hervorragendsten Schriftstellern unmittelbar vor dem dreißigjährigen Kriege gehörte, einer Zeit, die verhältnismäßig arm war an bedeutenden Geistern.
Guannonius war in vieler Beziehung originell, ja geradezu bahnzeigend. Obwohl einer alten mailändischen Familie entsprossen und 1571 zu Trient geboren, fühlte er sich doch stets als Deutscher und trat entschieden ein für die Ehre deutschen Namens. Sein Vater war Leibarzt Rudolfs II. zu Prag, dort verbrachte auch Hippolyt einen Teil seiner Jugend, später finden wir ihn als Pagen im Hause des heiligen Karl Borromäus, dem zu Ehren er später die Kirche an der Brücke bei Volders baute, deren Plafond Knoller mit berühmten Fresken schmückte. Seine Lehrer waren zumeist Jesuiten, denen er stets dankbare Liebe bewahrte. Zu Padua promovierte er 1590 als Doktor der Medizin, Ferdinand II. ernannte ihn zum Leibmedicus, in gleicher Eigenschaft begleitete er die zwei Erzherzoginnen Maria und Eleonora, welche zu Hall ins Damenstift traten. Er lebte seitdem zu Hall, wo er sich verheiratete. Seine Frau beschenkte ihn mit mehreren Kindern, einmal sogar mit Drillingen. Sein Ansehen wuchs mehr und mehr; sein Biograph, der Jesuit Schmidt sagt: „Obwohl er ein weltlicher Herr, mit so vielen Amts- und Hausgeschäften beladen, unablässlich teils daheim der Kranken halber um Rat besuchet, teils zu denselbigen berufen wurde: ungeacht dessen begab er sich jetzt auf das Feld, bald auf das Gebirg hinauf, die kleine Jugend oder das andere unwissende Alter in christlicher Lehr zu unterweisen, welche nicht selten in großer Menge herzuliefen, von ihm die Grundwahrheiten unseres allein selig machenden Glaubens anzuhören. Er beschenkte sie mit allerlei geistlichen Waren, ihren Fleiß und Begierde zu so heilsamer Lehr zu schärfen und anzulocken. Sein helles Auge erkannte jedoch auch die Übelstände im Haus und in der Wirtschaft der Bauern, überall dachte er auf Verbesserungen, auf Abschaffung verrotteter Sitten, auf Hebung guter Bräuche, löblicher Anstalten." Er war ein Freund des Volkes im echten Sinne des Wortes, und darum würden ihn heut weder die Ultramontanen, noch die Demokraten, wohl aber alle vernünftigen Leute zu den ihrigen zählen.
Er war allgemein beliebt und geehrt, deswegen versetzte sein Tod am 31. Mai 1654 das ganze Inntal in Trauer. Er hinterließ uns mehrere Manuskripte, welche die Universitätsbibliothek Innsbruck besitzt; dann ein großes Werk in Folio: „Greuel der Verwüstung menschlichen Geschlechts. Zu sondern Nutz, Glück, Heil, Wolfahrt, langen Gesundt, zeitlich und ewigem Leben ganz hochlöblicher teutscher Nation neulichst gestellt durch Hippolyt von Guarinonium. Ingolstatt, gedruckt bei Andreas Angermayr 1610." Das Werk ist eine Fundgrube für den Sprachforscher und Kulturhistoriker; diese polyhistorische „Makrobiotik", wie G. Obrist bezeichnend sagt, enthält eine unermeßliche Fülle von Stoff, der auf durchaus originelle Weise verarbeitet wurde. Eigentümlich für jene Zeit ist die Begeisterung, mit der Guarinonius für die Herrlichkeit und Schönheit des Hochgebirges eintritt. Die Schilderung eines Ausfluges in das Wattental südöstlich von Hall genügt, um den Mann und seine Darstellung zu charakterisieren.
Neulich ungefähr vor zwei Jahren, — als meine drei guten Bertrauten, teils Schwägern, teils Freunden, nämlich: Herr Georg Thaler, Königl. Majestät u. f. d. Erzh. zu Österr. Pfannhausamts Hingeber allhie, Herr Simon Colbanus des Königl. Stifts u. f. d. Erzh. zu Österr. Capellmeister und Herr Heinrich Altherr ein sonder Begier mit mir ins Gebirg um Kräuter zu gehen, angekommen, dahin sie zuvor nie kommen waren — gedacht ich mir diese meine drei liebe vertraute Vögelein dem Leim zuzuführen, daß sie nicht um ihr Begier zu neiden sein sollen. Nahmen uns derwegen einen namhaften im höchsten Gebirg liegenden See, den Wattensee genannt, für, welcher die besten Sälbling bringet, zu versuchen, ob wir etwas erfischen möchten. Und als wir, mit Proviant und einem Träger versehen, zogen wir im Monat August eines Abends puncto fünf Uhr bei schönem, heiterem und lustigem Himmel zur Stadt aus gegen Aufgang dem Birg zu und gelangten selbigen Abend bei annehmlicher und köstlicher Birg Kühle bis in das bekannte Voldertal und des Königlichen Stifts Almen hinauf, daselbst wir mit dem Sennen ein Tausch trafen und ihm von unserm mitgebrachten Wein zu trinken gaben, er aber uns mit der guten Milch labte und auf einen großen und hohen Stock Heu schlafen führte. Davon kugelte einer unter uns im Schlaf herab und weckte die anderen mit dem Getöse auf, also daß wir vor Gelächter nimmer schlafen mochten, sondern um zwei Uhr Mitternacht wiederum bei schönem, heiterem Himmel und glänzendem Gestirn uns aufmachten, bis zu äußerst des Tales zu der Klausen vor dem Tag reichten und alsdann gegen Aufgang das Joch fröhlich und lustig und teils lachend hinanstiegen. Als wir ungefähr zwo Stund über sich gangen und sämtlich ziemlich geschwitzt und müd über alles aber gar hungerig worden, rasteten wir bei einer Bauernhütten, bei welcher wir unsern Proviant angriffen, und — wie wir vermeinten gespärig damit umzugehen, ihm eines versetzten, daß der Träger hinführo um ein gutes leichter steigen mochte.
Von nun an aber ging der rechte Ernst an, demnach wir ob uns ein Gipfel ersahen und der letzten und höchsten zu sein vermeinten; und da wir solchen überwunden, erst noch einen höheren und nach diesem aber einen höheren vor und ob uns fanden, da wollte das Gelächter bei etlichen teurer und die Unwilligkeit wolfeiler werden. Ich aber zeigete ihnen jetzt da, bald dort viel schöner erfundener Kräuter, unter anderen ein schönes und besonders auch bishero unbekanntes Geschlecht nardi celticae mit blauen Blümlein, einem schönen, ausgebreiten Teppich gleich, dick in einander gesetzt; die mir solche ausziehen halfen und der Langweil vergaßen, auch allgemach fort und fort stiegen. Selbiger ganzer Berg war dieser Seit gegen Untergang der Sonnen mit eitel Enzion [Enzian] und Kreuzwurz übersetzt, also daß man ein etlich hundert Wägen hätte daselbst abholen können. Inzwischen auch die allerschönste und schneeweißeste Stück und Köfel Märbel und Albasterstein hin und wieder liegend, daß es eine unglaubliche Ergötzlichkeit zu sehen. Als wir unter das letzte Joch gelangt und wegen der Gäche, so einer geraden Mauer gleich war, nicht hinauf mochten, fanden wir nirgend kein Ausweg; dermaßen, daß die mehreren unter uns schier gern wieder zurück wären, wenn sie vom Ansehen des überwundenen gähen Weges, den sie ihnen nicht wieder zurück hinab trauten, nicht abgeschreckt worden. Obwol ein Hirtenbüble, so uns den Weg dem Joch zu gewiesen, uns einen Ausgang über einen hohen Schnee neben einer Wand und einer tiefen unergründlichen Kluft herum zeigte, so wollt aber ihren etlichen darob schwindeln; also folgten sie mir und ich dem Hirtlein. Demnach der Schnee sehr hart und der Steig darüber auf ein 80 Schritt lang war; als wir darüber kommen, erstiegen wir den höchsten Gipfel des Joches und sahen hinüber in das andere weit größere Tal, und über umliegend höchste und vielfältige Jöcher, und befanden, daß wir von dem Gipfel bis zu dem See noch zwei starke Meilen hinüber hatten. Alsdann aber war es um Mittag und Zeit, daß wir uns labeten, weil wir das halbe Joch durch sieben ganze Stunden gestiegen. Daselbst saßen wir uns nieder auf der Schneid oder dem Rücken des höchsten Joches nicht anders als zu Pferd, den einen Fuß in das orientalische, den andern in das occidentalische Tal hängend, und ergötzten uns an frischer Luft und Kühle, auch das weite Aussehen nicht mangelte. Unsern übrigen Proviant aber aßen wir nicht mehr, sondern verschluckten ihn, und war zu sorgen, wenn wir nicht untereinander so gute Freund gewesen wären, daß einander die Bissen ins Maul gezählt würden, und wir uns vielleicht ins Haar gefallen wären. Dort vergrabten wir den auf des Trägers Buckel erwärmten Wein im tiefen Schnee in die Kühle hinein, und mangelte uns am kühlen Trank auch nicht. Als wir gessen und öfters die Augen in Ansehung der herunteren Welt (demnach wir in oder nahend beim Himmel zu sein vermeinten) als auch den Hunger und den Durst gebüßt, und nunmehr uns wieder erniedrigen sollten, auch der Hirt den gähen Weg auf der andern, Seite hinab zeigete: da fangt erst den mehreren an zu schwindeln, demnach es auf ein 600 Schritt ein solche Gähe hinab war, die den Augen billig ein Abscheu machte. Und ungeacht ich mich voran hinabgelassen und mit ausgespannten Armen im Gewicht ein Schritt in andern abwärts sprang, so wollten sich aber die andern zu Fuß nicht trauen, sondern fahrten allgemach auf dem Gefäß gleichsam in Schlitten nach, bis Herr Heinrich Altherr sich auch in das Gewicht und Gerade des Leibes begeben und bald herab zu mir durch die unterliegende Köfeln, von einem auf und über den andern gesprungen. Unter welchem die drei anderen auf dem Gesäß herabfahrend die großmächtigen Steine ledigten und uns zu Vorboten mit großer Schnelle herabsandten, daß wir herunten wol aufzumerken und uns hinter den großen Kofeln zu verschanzen hatten, bis sie letzteres herabgekommen. Daselbst wir ein Weil geruht, alsdann einen sehr schmalen und schüchen Gangsteig gegen den Mittag eingangen, bis wir über eine gute Stund zu dem Joch, darauf der See, gelangeten, welches wir ebnermaßen besteigen mußten. Bei dem schönen See versuchten wir, ob aus demselben dem gemeinen Geschrei nach von eingeworfenen Steinen ein Wetter aufginge, das wir aber nicht erwarten mochten, auch nicht wünschten. Und da wir zu fischen meinten, haben wir kaum gekrebset, alsdann aber erst einen guten Zug getan, da wir in der nächsten unterliegenden Alm bei demselbigen See über die Buttermilch kamen. Von dannen wir uns allgemach gegen Mitnacht auf Wattens aus dem Tal wendeten, und erst Abends spat die niedere erreichten und wieder ziemlich abgemüdet anheim gekommen. Als wir selbigen Tag neun starker Meilen über das Birg, Geschröf und so viel Jöcher gestiegen, und ihr etliche damals nimmer sich in die Gefahr zu begeben verredet. Welche gleichwohl von gehabter Lust wegen ihr Verreden nachmals gewendet und selbsten mich dahin auf ein neues bereden wollen, was ich ihnen auf das nächstkommend 1610 Jahr, wenn ich das Leben habe, versprochen habe. Wann der günstige Leser Lieb und Lust hat, der mag sich im Monat Augusto allher machen; will ihm von Herzen gern einen Geleitsmann abgeben. Dieß dem löblichen Gebirg zu Lieb und Ehr.«
Aus dieser Begeisterung für die Hochalpen erklärt sich auch die Liebe unseres Guarinoni für die Pflanzenwelt, der er gewiß auch manches heilkräftige Kräutlein verdankte. Er legte auch ein Herbar an, eines der ältesten in Deutschland. Es enthält bei 600 Arten, darunter viele Seltenheiten von den Jöchern. Das Verzeichnis; dieser Arten mit den wissenschaftlichen Namen gibt Professor Kerner im österr. botan. Wochenblatt. Das Herbar Guarinonis befand sich im Besitz des Chorherrn Perktold aus Wiltau, der sich selber als tirolischer Kryptogamist durch verschiedene Sammlungen Achtung erwarb. Nach Perktolds Tode wurde das wichtige Herbar Guarinonis durch Unachtsamkeit zu Grund gerichtet. Wie vieles ging dem Alpenland durch Unwissenheit und Rohheit auf die unverantwortlichste Weise verloren!! Wir wollen wenigstens das Andenken des wackern Guarinoni ehren und wahren! L. M.
Quelle: L.M., Hippolyt Guarinoni, Älteste Schilderung eines Ausfluges in den deutschen Hochalpen,
in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter
Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der
Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben.
HG Dr. Ed. Amthor, 6. Band, Gera 1873, S. 184 - 187.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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