DAS ZELTENANSCHNEIDEN

Tiroler Heimatblätter 1942
Georg Opperer

Bei den Bauern ist in Tirol Brauch, daß die Dienstboten zu Weihnachten einen Zelten bekommen, ein Brot, in welchem ein Gemisch von feingeschnittenen Dörr- Obst (Birnen, "Kletzen" genannt), Feigen, Zibeben, Weinbeeren, Mandeln oder Haselnußkerne mit Zimt und anderen schmackhaften Zutaten gewürzt, eingebacken ist. Der Anschnitt des Zeltens - er hat die Form eines Weckens oder eines Laibes - heißt Scherz, Zeltenscherz.

Im Brixental und in der Wildschönau ist die Zeit des Anschneidens zwischen dem 26. Dezember und dem 6. Jänner und der Vorgang dabei, soweit es sich um den Scherz eines Dirndls handelt, mit bestimmten Bräuchen verbunden.

Von einem Dirndl einen Scherz zu bekommen, bedeutet für den zum Anschneiden eingeladenen Buam eine besondere Bevorzugung und weckt - je nach Geltung des Dirndls - mehr oder weniger Neid. Die Bewerbung um den Scherz ist dementsprechend groß und eifrig. Da das Zeltenanschneiden meist heimlich und deshalb nachts geschieht, fehlt es nicht an Abenteuern mit eifersüchtigen und neidischen Aufpassern, die selbst dabei zu kurz kommen.

Da kommt es vor, daß einer beim Anschleichen abgefaßt und in einen Brunnentrog geworfen wird oder er wird beim Heimgehen gefaßt und ihm der Scherz mit Gewalt entrissen. Mitunter wird dem Dirndl der Zelten gestohlen und dabei an beiden Enden angeschnitten, der Laib rundum.

Wenn ein Dirndl ihren Scherz in der gebräuchlichen Zeit nicht anbringt, es ist z.B. der Auserwählte nicht gekommen oder sie hat sich die Auswahl zu lange überlegt, so gehört der Scherz, nach einem Sprichwort, dem Schinder. Daß dies aufkommt, dafür sorgen die Hausleute. Das Dirndl hat dann zu gewärtigen, daß sie im Fasching beim Tanz "abgesungen" wird. Zum Beispiel:

Bein Seiz'n da Baua,
Dea hat iaz a G'frett,
Wei' ea si' boid nimma
Von Mäus'n darett'.

Hot nit die Lena,
Die Stoidian doscht ob'n,
'n Scheaschz so lang g'halten
Bis a stinkat is wo'n-

Um die Obingalies
Is 's gonz Johr a G'rieß,
Bein Zöitnu'schneid'n
Hot's alloa miass'n bleib'n.

Weil koana nit woaß,
Wea hot eppa 'n G'hoaß'
Für oan wa's a Pei',
Wenn’s zwölf tat'n sei'

Da und dort wurden solche landläufig zu Spott Anlaß gegebene Vorkommen für Faschingsaufführungen aufgegriffen, wobei dann Holzklötze als Scherze versteigert und dabei witzig kritisiert wurden. Dem einen waren sie zu g' schmachig, dem andern zu hantig, anderen wieder zu altbacken, zu spear usw. und schließlich wurden die hölzernen Scherze in einem Sack geworfen "für den Schinder".

Quelle: Georg Opperer, in: Tiroler Heimatblätter, Tiroler Heimatblätter 1942
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