Vom Zauberbann.
Haben wir bisher uns darüber unterrichtet, wie man sich gegen das Verrufen und Behexen sichert, so bleibt uns nunmehr übrig, festzustellen, wie man den Zauber aufhebt und nöthigenfalls die Hexe zwingt.
Das kann im Wesentlichen auf zweierlei Weise geschehen; indem man die dazu nöthigen Handlungen selbst vornimmt, also auch gegen das Verrufen und Behexen, wie gegen Krankheiten, Hausmittel anwendet, oder diese Handlungen durch eigentliche Beschwörer und Zauberer ausführen läßt. Zum Arzt nimmt der gemeine Mann nur in den allerseltensten Fällen seine Zuflucht; fast allgemein gilt der Grundsatz: Will der liebe Gott den Kranken nehmen, so wird ihm kein Arzt wehren - oder: Was der liebe Gott leben lassen will, wird nicht sterben!
Wenden wir uns zuerst den eben erwähnten Hausmitteln gegen das Verrufen zu.
Das Erste, was man, hält man sein Vieh für behext, zu thun hat, ist, daß man eine genaue Revision des Stalles vornimmt und alles Verdächtige aus demselben entfernt. Namentlich muß man die Schwelle untergraben. Findet man unter derselben Kohlen, Haare, Pflanzenwerk, Lappen etc., so ist das Zauberwerk und muß sofort entfernt, am besten verbrannt werden. Der Zauber würde sonst nicht aufhören. Faule Eier, die man im Stalle findet, trägt man auf's Feld, stellt sie auf die Spitze und zerschießt sie mittelst einer Flinte. (Littauen. [Litauen])
Ist die Milch einer Kuh behext, so gießt man davon in eine Pfanne
und bäckt die Milch über hellem Feuer. Bilden sich Molken, so
werden dieselben stillschweigend, oder unter Anrufung der heil. Dreieinigkeit,
kreuzweise mit einem Messer durchschnitten, so lange, bis die Masse ein
festes Gebäcke geworden ist. Dieses stellt man in der Pfanne auf
den Zaun, und läßt diese dort so lange stehen, bis der Inhalt
von den Vögeln unter dem Himmel (die Hausvögel hält man
ferne) aufgezehrt ist. Die Kuh gesundet und giebt wieder reichliche und
gute Milch. (Eydtkuhnen.)
Man nimmt von der Milch des kranken Thieres ein wenig in ein Gefäß,
geht bei abnehmendem Mondlicht auf einen Kreuzweg und gießt sie
nach den vier Himmelsgegenden unter dem Ausrufe: Das ist für dich,
das für mich! (Littauen. [Litauen])
Man läßt ein fünfjähriges Mädchen Hede (nicht
Flachs) spinnen. Das Gespinnst wird auf dem Rücken des kranken Thieres
ausgebreitet, und nun streicht man unter Anrufung des dreieinigen Gottes
kreuzweise darüber hin. (Kinderweitschen im Kr. Stallupönen.)
Im Samlande nimmt man zur Heilung einer behexten Kuh "von sinem
Eegene" (Koth), das aber auf der Erde liegen muß, scharrt davon
in einen Scherben (man muß jedoch von sich und nicht nach sich scharren)
und melkt, indem man die Zitzen der kranken Kuh kreuzweise faßt,
Milch dazu. Die Masse wird mit einem struppigen Besen umgerührt und
alsdann der Kuh davon eingegeben, zuerst gleich nach Sonnenuntergang,
dann nach Sonnenaufgang und zum drittenmale wieder beim Untergang der
Sonne. Ist dieses geschehen, so hängt man den Besen in den Rauchfang
und läßt ihn dort dreimal 24 Stunden; darauf vergräbt
man ihn in einen Düngerhaufen oder unter die Traufe. Man wird alsdann
wieder in den Vollgenuß der Milch kommen. - So wie der Besen im
Rauche mehr noch austrocknet, als im Freien, so vertrocknet auch die Hexe.
Sie wird krank und erholt sich erst dann wieder, wenn der Besen vertrocknet
ist. Man kann an dem Erkranken sehr leicht merken, wer die Kuh behext
hat. Will man den Tod der Hexe, so darf man nur den Besen verbrennen;
sobald das letzte Reis verkohlt ist, stirbt die Hexe.
Die verhexte Milch gießt man in ein Kochgefäß, worin
gesottene Stecknadeln geworfen worden sind, setzt sie auf's Feuer und
läßt sie kochen. Während des Kochens peitscht man die
Milch mit Birkenruthen, und wenn das geschehen ist, schüttet man
sie in einen Lappen und hängt sie in den Rauchfang. Bald kommt Jemand
und will etwas leihen; das ist die Person, welche die Milch verhext hat.
Das Erbetene wird ihr nicht gegeben, und so sieht sie sich genöthigt,
der Milch ihre vorige Güte wiederzugeben. Nach Pisanski (Nr. 23,
§. 8) melkt man Kühe mit verhexter Milch durch die Oeffnung
eines Donnerkeils.
Ist ein Stück Vieh durch Verhexen gestorben, so nehme man das Herz
des verendeten Thieres, stecke Nadeln in dasselbe und hänge es in
den Rauchfang. Alsbald kommt die Hexe und bittet um das Herz, indem sie
allerlei Gründe anführt, ihr Verlangen zu rechtfertigen. Verweigert
man ihr aber das Herz, so geht sie unter Fluchen und Toben von dannen,
denn ihr Herz leidet und schmerzt, als würde es auch von Nadeln gezwickt.
Bald legt sie sich krank zu Bette und vergilbt und vertrocknet auf ihrem
Krankenlager, wie das Rinderherz im Rauchfange. Nimmt man nach neun Tagen
das Herz aus dem Rauchfang, so stirbt zu derselben Zeit auch die Hexe.
(Samland.)
In der Gegend um Jerrentowitz, im Kreise Graudenz, zwingt man die Hexe
auf folgende Weise. Man nimmt nach Sonnenuntergang stillschweigend ein
schwarzes Huhn, reißt es lebendig in Stücke und kocht es in
einem neuen, ungebrauchten Topfe, dessen Deckel fest verklebt worden ist.
Beim Kaufe des Topfes darf jedoch von dem geforderten Preise nichts abgedungen
worden sein. Sobald das Huhn zu kochen anfängt, müssen Thüren
und Fensterladen fest verschlossen und alle Oeffnungen im Hause, selbst
die Schlüssellöcher, dicht verstopft werden. Außer der
handelnden Person darf nur noch der behexte Kranke in der Stube gegenwärtig
sein, doch darf zwischen beiden kein Wort gewechselt weiden, auch darf
der Beschwörende sich nicht von dem Huhn entfernen, sondern muß
vielmehr ein sehr wachsames Auge auf den Topf haben, damit dieser nicht
durch den Schornstein gestohlen werde; endlich darf er keine Furcht zeigen
und sich durch nichts abschrecken lassen.
Bald klopft es an die Thür. Fragt der Beschwörende nach dem Begehr des Klopfenden, so wird er zur Antwort erhalten, man wolle den Kranken besuchen. Er muß die Person eine Zeit lang vor der Thür stehen lassen und erst auf wiederholtes Bitten, das immer dringlicher wird, ihr Einlaß gewähren. Die Hausthür wird sofort wieder fest verschlossen, und hat der Beschwörende darauf zu sehen, daß die Hexe, denn diese ist eingedrungen, nicht früher als er in die Stube dringe, auch muß er sofort seine Stelle am Kamin wieder einnehmen. Die Hexe wird durch Bitten und zuletzt mit Gewalt zu erfahren wünschen, was er koche; sie ist entschieden zurückzuweisen, und hat nunmehr der Beschwörende die Hexe aufzufordern, den Kranken von dem Uebel zu befreien, womit sie ihn belastet. Die Hexe wird die heiligsten Betheuerungen ihrer Unschuld aussprechen; er darf sich daran nicht kehren, sondern muß sie so lange züchtigen, bis sie den Kranken in seiner Gegenwart von dem Uebel geheilt hat. Ist dies geschehen, so muß er der Hexe noch einen heftigen Schlag geben, daß sie blutet. - Die Hexe muß sich diese Behandlung gefallen lassen; denn würde das Huhn bis Sonnenaufgang kochen, so müßte sie unfehlbar sterben*).
*) Die "Neuen Elbinger Anzeigen" theilen aus Schönsee im Kreise Thorn unterm 13. Novbr. 1866 folgenden Vorfall mit, dem jedenfalls obige Behandlungweise der Hexe zu Grunde liegt: Der Maler und Vergolder P. aus Kulm, welcher in der katholischen Kirche beschäftigt war, bildete sich ein, da er erkrankte und sein Angesicht anschwoll, von der Zimmergesellenfrau G. in Schönsee behext worden zu sein. Um sich hiefür zu rächen, lockte die Frau des Malers die G. in ihre Wohnung. Dort nun schlug das Ehepaar auf die Letztere unter dem Rufe: "Hexe, mach' mich wieder gesund!" so unbarmherzig mit einem Stocke und einer Eiseustange los, daß sie mehrfach verwundet, halb todt zu Boden sank. (Königsberger Hartungsche Ztg. Jahrgang 1866. Nr. 270. Erste Beilage.)
Um die schädlichen Einflüsse des bösen Blicks zu heben, stellt man sich in Masuren vor das behexte Vieh und betet mit gefalteten Händen zuerst das Vaterunser, ohne jedoch Amen zu sagen. Sodann wird folgende Zauberformel dreimal gesprochen:
Thau fiel vom Himmel, vom Steine herab auf die Erde. Wie dieser Thau verschwindet, verschwand, in
der Luft verwehet, so mögen auch die dreimal neun Zauber verschwinden, vergehen in der Luft und verweht werden!
Nach der dritten Beschwörung wird das Stück Vieh bekreuzt und endlich Amen gesagt. Diese Besprechung sichert sowohl vor dem bösen Blick (poln. urok, urzec), als sie auch die eingetretenen Folgen desselben heilt. (N. Pr. Pr.-Bl. III, S. 474. S. auch Töppen, S. 51.)
Verrufenen Kindern, die wie angegeben, viel schreien, beleckt man nach
Pisanski (Nr. 22, §. 5) dreimal die Stirne (Vgl. S. 8) und murmelt
dabei einige Worte her. - In Littauen giebt man solchen Kindern drei Blutstropfen
ein, welche man aus dem linken Ohre eines schwarzen Schafes oder Lammes
genommen. Ferner wendet man dort folgendes Mittel sehr häufig an:
Man gießt dem kranken Kinde Bier in das Hemde an der Stelle, wo
dieses das Herz bedeckt, läßt es eintrocknen, schneidet ein
Stück in Gestalt eines Herzens heraus, brennt es zu Pulver und giebt
dies, auf Wasser gestreut, dem kranken Kinde zu trinken.
Kranke Kinder versucht man in Littauen auch dadurch zu heilen, daß
der Besprechende an drei Morgen nüchtern einen Mund voll Wasser nimmt
und dieses im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes in
ein Glas speit. Dieses Wasser giebt man dem kranken Kinde zu trinken.
Auch benutzt man dort Schwalbennester und Sperlingsmist als den Zauber
bannende Mittel. (A, Freimund, Kritik des preuß. Volksschulwesens.
Leipzig, 1869. S. 11, Note).
In der Gegend von Graudenz giebt man verrufenen Menschen Teufelsdreck
(Asa foetida) und die 25 Buchstaben (s. Formel 2 bei: Biß des tollen
Hundes) mit Brot neun Tage nacheinander ein. Dabei wird gebetet: Jesus
Christus, Ueberwinder, wende ab den Teufelsfluch etc. -
Wie oben bereits angedeutet und im weitern Verlaufe der Darstellung mehrfach
zu Tage getreten, spielt in fast allen Krankheiten die Hauptrolle der
Beschwörer, der durch Wort und
Handlung den Zauber bricht und die Krankheit hebt.
Wenn Pisanski (Nr. 24, §.12) sagt: "Das sündliche Segensprechen, wodurch man insonderheit das Vieh für Schaden in Sicherheit stellen will.... wird noch hin und wieder von den Landleuten wo nicht offenbar, doch heimlich unternommen", so war er sicher über die Ausdehnung dieses "Unfugs" in der Provinz nur unvollständig unterrichtet. Denn nicht nur "hin und wieder", sondern fast allgemein wird heute noch, mehr denn hundert Jahre, nachdem Pisanski obige Worte niederschrieb, in der Provinz Preußen die Besegnung durch besonders Wissende ausgeübt.
Zaubersprüche und Ratheformeln sind in vollem Schwange - nur hält es schwer, ihrer habhaft zu werden, da Verrath ihre Wirkung aufhebt -; nicht den Arzt sucht man in Krankheitsfällen auf, sondern den Zauberer, der je mächtiger er scheint in um so größerem Ansehen steht. Oft zieht man meilenweit zu solchen Beschwörern, und nicht immer sind diese alte Leute; gewöhnlich aber rekrutiren sie sich aus dem Stande der Hirten und Abdecker (Racker, Halbmeister), und stellt das weibliche Geschlecht wohl das bedeutendste Kontingent. Abdeckerfamilien bewahren als Zaubermittel "Armsünderblut", oder das Blut von einem frommen Märtyrer (Littauen [Litauen]), mittelst dessen sie zu binden und zu lösen verstehen *).
*) In einem Dorfe bei Darkehmen betrog nur kürzlich eine Abdeckerfamilie eine Bauerfrau. Die Leute gaben ihr ein Glas voll Wasser zu halten und befahlen, sie solle starr in dasselbe hineinsehen und keinen Tropfen verschütten, während sie das kranke Thier durch Bestreichen und Beschwörung entzaubern würden. Während die Frau starr in's Glas sah, schlichen die Helfershelfer in die Stube und stahlen.
Vor Allem traut man den katholischen Geistlichen dergleichen Kenntnisse
zu. In vielen Gegenden Preußens, besonders in Littauen, ist es üblich,
das Vieh vom Geistlichen geweihte Krauter fressen zu lassen. Der Littauer
wendet sich deshalb aber nicht an seinen Prediger, von dem er behauptet,
daß er das Weihen nicht verstehe, sondern läßt sich zu
diesem Zwecke mit großen Kosten einen katholischen Priester von
auswärts kommen. Auch das protestantische Landvolk in Westpreußen
wendet sich, wenn es durch unmittelbare Vermittelung des Himmels etwas
erreichen will, z. B. die Entdeckung eines Diebstahls, nicht an seinen
eigenen, sondern an einen katholischen Geistlichen. Ja sogar gegen ganze
Landplagen wird des Letztern Hülfe in Anspruch genommen. (v. Tettau
und Temme, S. 268.)
Nicht selten muthen die Littauer ihren Geistlichen zu, den Feinden böse
Krankheiten auf das Haupt zu beten. (Hintz, S. 12, Note 14.) Sie trauen
überhaupt dem Pfarrer (Kunnigs, welches mit Kunnigaiksztis
Fürst verwandt ist) alle mögliche Kenntniß und Weisheit,
auch wohl mehr Macht zu, als er besitzt. (A. a. O., S. 116.)
In den meisten Fällen sind diese Wissenden
(das Volk sagt von einem solchen: "Es ist da und da ein Mann etc.,
der das Alles weiß," - "der mehr als Brot essen kann")
Betrüger, hin und wieder glauben sie aber selbst an die Wirkung ihrer
Begegnungen, und der zufällige günstige Erfolg derselben steigert
ihr Ansehen und kräftigt den Glauben des Volkes an Hexerei und Zauberwesen.
So erzählt Pisanski am a. O, wie "vor etwas mehr als 20 Jahren"
eine "namhafte Gemeine", in deren Nachbarschaft eine Seuche
unter dem Vieh ausgebrochen war, ihr Vieh besegnen ließ. Zwar mußte
die Gemeine, da die Sache verrathen wurde, "öffentliche Kirchenbuße
thun", allein wunderbarerweise blieb das Vieh von der Seuche verschont
und nur ein verlaufenes Stück, das nicht mit gesegnet war, erlag
derselben. "Hier war es nun den unumstößlichsten Vorstellungen
unmöglich, etwas auszurichten." Dergleichen Fälle kommen
auch noch heute vor, treten jedoch nicht an die Oeffentlichkeit. So theilt
mir einer meiner Gewährsmänner, ein Rector in Littauen, Folgendes
mit: Eine Frau, deren Kuh erkrankt war, ging zu einem Beschwörer
und fragte ihn um seinen Rath. Er sagte, das Thier sei behext und fragte
die Frau, ob sie, um den Zauber zu lösen, verlange, daß der
Zauberer das rechte Auge verliere. Als die Frau dies verneinte, erklärte
der Mann, dann müsse, damit das ihrige gerettet werde, ein anderes
Stück Vieh sterben. Dies ließ die Frau sich gefallen, ihre
Kuh wurde besegnet und - Tags darauf starb des Nachbars Kuh, während
die der Frau gesund wurde.
Die Besprechungen, Besegnungen, das Rathen - diese Namen sind für die gleiche Handlung im Gebrauche - geschehen stets nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang, gewöhnlich unter freiem Himmel und entblößten Hauptes. Jeder Segen, jede Besprechung muß unter Anhauchen, Handauflegung, oder Streichen mit Bekreuzung dreimal und stets im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes geschehen. Gewöhnlich wird das Amen gänzlich weggelassen oder nur bei der dritten Besegnung gesagt. Der Segen wird nie laut gesprochen, sondern nur leise gemurmelt. Nach jeder Besegnung speit der Segnende dreimal auf die Erde und geht schweigend davon. In manchen Gegenden, z. B. im Kreise Goldap, wird bei der Besegnung auch geräuchert, weil man glaubt, die Krankheit oder den Teufel durch den Dampf vertreiben zu können. Das Besprechen ist nur dann von Erfolg, wenn ein Mann es einer Frau thut und umgekehrt; auch muß man die Kunst von einer Person des andern Geschlechts erlernt haben.
Quelle: H. Frischbier, Hexenspruch und Zauberbann.
Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens in der Provinz Preußen,
Berlin 1870. S. 17 - 26.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juli 2005.
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