MAITAU



aus: E. Hoffmann-Krayer, H. Bächtold-Stäubli, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,
Berlin und Leipzig 1932


Wie der Tau (s. d.) überhaupt, so ist noch mehr der Maitau zu vielem gut 1), besonders der am 1. Mai (s. Maitag) früh gesammelte 2). Wenn man sich mit diesem Maitau wäscht, erlangt man Schönheit 3). Entweder wäscht man sich Gesicht und Hände mit dem Tau des Grases vor Sonnenaufgang 4) oder man sammelt den Maitau und verwendet ihn daheim, etwa in der Weise, daß man ein Mundtuch mit Maitau benetzt und sich damit jeden Morgen wäscht 5). Vor allem ist Maitau ein gutes Mittel gegen Sommersprossen 6), wozu empfohlen wird, sich damit vor Sonnenaufgang 7) oder mit Tau von Roggen zu waschen 8). Hierbei ist auch der Tau des Walpurgistages der beste, an dem man, wenn man vor Sonnenaufgang die Sommersprossen mit dem Tau des Grases bestreicht, spricht:

Guten Morgen, Walporgen!
Ich bringe dir meine Sommersprossen.
Sie müssen in dir bestehen
Und in mir vergehen   9).

Auch für Pockennarben, die man mit einem taufeuchten Tuche wäscht 10), Flechten 11) und Hautkrankheiten 12) ist der Maitau gut. Der Gesundheit förderlich ist, sich nackt im Maitau wälzen 13). Dies hilft auch gegen Grind 14), besonders Kopfgrind 15), dann gegen Krätze und Läuse 16), wie auch gegen Krankheit überhaupt 17). Diese heilsame Wirkung, die man dem Bad in der Mainacht oder am Maimorgen zuschreibt 18), erinnert an die Sage, daß die Gattin des ermordeten Kaisers Albrecht, als sie im Blute der bestraften Mörder watete, ausgerufen haben soll: Nun bade ich im Maientau" 19). Ein alle Schäden, Wunden und Stiche heilendes Öl gewinnt man aus den großen schwarzen Schnecken, die man im Maitau sammelt, in ein Glas gibt, Salz darauf streut und hierauf in dem oben verschlossenen Glas an die Sonne hängt 20).

Der Maitau steht auch in engster Verbindung mit dem Walpurgistag. Er schützt gegen Teufel und Hexen 21). Von dem am 1. Mai gesammelten Tau glaubt man, daß dadurch das Vieh vor Vergiftung, Blähungen und anderen Krankheiten bewahrt bleibe und außerdem recht viel Milch gebe 22). Deshalb bestreicht man am ersten Maitag mit vor Sonnenaufgang gesammeltem Tau die Kühe, wobei man einen frommen Spruch spricht 23). Bei diesem Glauben kommt die richtige Beobachtung zur Geltung, daß die Kühe viel mehr Milch geben, sobald sie im Frühjahr frisches Grünfutter bekommen. So ist auch die Meinung entstanden, daß Tau am Morgen des Walpurgistages ein reiches Butterjahr gibt 24), wozu nicht angenommen zu werden braucht, daß die Germanen den Tau als eine himmlische, aus den Wolken geflossene Milch angesehen hätten 25). Denn die Verschiedenartigkeit von Milch und Tau wußte wohl der einfache Naturmensch sicher genau zu erkennen. Zum Aberglauben wurde der Glaube an die Kraft des Maitaus mit der Annahme, daß man durch das Sammeln von Maitau auf fremden Wiesen den fremden Kühen den Milchertrag entziehe und den eigenen zuführe 26), oder daß man, wie der ostfriesische Bauer meint, so viel Schepel voll" Butter bekommt als Bauern in der Nachbarschaft wohnen, wenn man am Maimorgen mit einem Bettuch Tau fängt und diesen Tau in eine Butterkanne gibt, indem man das Tuch darüber auswindet 27). So ging in der Oberpfalz am Walpurgistage die Frau vor Tage auf die Wiese, focht dreimal mit der Sichel kreuzweise in der Luft, schnitt drei Grashalme ab und sprach:

O du guter Walberntau,
Bringe mir, so weit ich schau,
In jedem Hälmlein Gras
Ein Tröpflein Schmalz!

Dann sollte das ganze Jahr das Schmalz im Hause nicht ausgehen 28). Hexen brauchen den Maitau auch zur Hexensalbe 29).

Eine Erinnerung an die große Heilund Zauberkraft des Maitaus hat die schwäbische Sitte des Maitaurittes bewahrt, wobei alle Burschen, die über ein Pferd verfügen konnten, in den ersten Stunden des 1. Mai, oft schon um 1 oder 2 Uhr in der Nacht, in den Wald ritten, wo man lagerte und lustiger Dinge war. Man sang meistens kirchliche Lieder und Mailieder und kehrte mit Sonnenaufgang wieder zurück. Aus dieser schönen Sitte wurde später ein bloßer Wirtshausritt in benachbarte Orte 30). Ihr entspricht das Tautreten oder Tauschlagen in Groningen, im Zütphenschen Teil von Gelderland und in Südholland, wo man sich im Mai oder am Morgen des ersten Pfingsttages vor Sonnenaufgang im Felde versammelt und mit Laubwerk und Blumen bekränzt 31).

Der Maitau spielt endlich eine Rolle bei einem Hirtenbrauch zu Pfingsten in Norddeutschland. In Westfalen ritten die Pferdejungen am ersten Pfingsttag um 12 Uhr nachts auf die Pfingstweide. Wer als erster ankam, wurde Däwestrüch (Taustrauch) genannt und an einigen Orten auf einen Strauch gesetzt und unter allgemeinem Freudengeschrei vom Berg in das Tal hinunter durch den Tau gezogen 32). In der Altmark wurde das Tier des Siegers am Schwanze mit der Dausleipe, einem Maienbusch, geschmückt 33). Der Sieger, aber auch das Tier, werden Tauschlepper oder Taufeger genannt 34) und gelten wohl deshalb als bevorzugt, weil sie zuerst den segenbringenden Maitau abstreifen 35). Daß es sich bei diesem Brauche auch um das Vertreiben böser Dämonen handelt 36), beweist ein ähnlicher Brauch aus dem Mühlviertel in Oberösterreich. Dort üben Gruppen von fünf bis sechs Burschen in der Johannisnacht um zwei Uhr morgens oder am Vorabend ein Geißelschnalzen. Wer dabei den Takt nicht hält, wird durch den Morgentau gezogen und führt das ganze Jahr hindurch den Spottnamen Tauwascher 37).

1) Maennling 195; Drechsler 1, 115.
2) Kapff Festgebräuche 15.
3) Liebrecht Gervasius 57 = Mannhardt GerMaitau Mythen 28; Wuttke 309 § 456; Meyer Baden 549; Manz Sargans 69.
4) Stoll Zauberglauben 80.
5) SAVk. 8, 146.
6) Lammert 178; MschlesVk. 1895/96, 12; Wuttke 92 § 113; 343 § 512; Sartori Sitte und Brauch 3, 18o; Manz Sargans 62 ; SAVk. 7, 138 ; 12, 151; SchwVk. 11, 41; Bohnenberger 23; Grabinski Sagen 42; Karl Knortz Streifzüge 71 (Deutsch-Pennsylvania); Fogel Penasylvania 307 Nr. 1631; vgl. 323 Nr. 1721 (Warzen verpflanzen).
7) Drechsler 2, 283.
8) Birlinger Volksth. 1, 486.
9) Mitt. Anhalt. Gesch. 14, 20.
10) SchwVk. 11, 48.
11) Wuttke 343 § 512.
12) Mannhardt GerMaitau Mythen 135.
13) Wuttke 76 § 88; 92 § 113; Bartsch Mecklenburg 2, 266 = Weinhold Ritus 36; vgl. ebd. 41; Bronner Sitt und Art 169.
14) Drechsler 1, 115 (Coler Calend.).
15) Gaßner Mettersdorf 76.
16) Wuttke 337 § 502.
17) Kuhn Westfalen 2, 165 Nr. 461; Mannhardt GerMaitau Mythen 30.
18) Sartori a. a. O. 3, 180.
l9) Rochholz Sagen 1, 374; SchwVk. 11, 41; Hoffmann-Krayer 159.
20)Drechsler 1, 116.
21) Wuttke 281 § 411.
22) Drechsler 1, 115.
23) Ebd.
24) Mannhardt Germ. Mythen 5; Müllenhoff Sagen (1921) 239 Nr. 355 (2).
25) Mannhardt GerMaitau Mythen 4 ff.
26) Müllenhoff Sagen (1921) 239 f. Nr. 355 (2); Jungbauer Böhmerwald 202.
27) Wuttke 76 § 88. 28) Ebd. 436 § 685.
29) Baumgarten Aus der Heimat 1, 29 = Weinhold Ritus 40.
30) Birlinger Volksth. 2, 93; ZfVk. 3 (1893), 7 (= Meier Schwaben 394, 398); Sartori a. a. O. 3, 180.
31) Mannhardt Germ. Mythen 28.
32) Kuhn Westfalen 2, 164 f. Nr. 461.
33) Sartori a. a. O. 3, 193 Anm.
34) Jahn Opfergebräuche 309 ff.
35) Sartori a. a. O. 3, 193 Anm.
36) Jahn Opfergebräuche 309ff.
37) Geramb Brauchtum 62. - Vgl. ZfVk. 22 (1912), 89 ff. u. Seligmann Heil- und Schutzmittel 60 ff.



Jungbauer.