SONNENTAU (edler Widerton; Drosera rotundifolia)

aus: E. Hoffmann-Krayer, H. Bächtold-Stäubli, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,
Berlin und Leipzig 1932

1. Botanisches. Niedrige Pflanze mit langgestielten, rundlichen Blättern, die mit zahlreichen, Flüssigkeitströpfchen ausscheidenden Drüsenhaaren besetzt sind. Das Volk sieht diese in der Sonne glänzenden Tröpfchen für Tautropfen an, daher der Name Sonnentau. In Wirklichkeit dient diese klebrige Flüssigkeit der Pflanze, um Insekten festzuhalten (insektenfressende Pflanze). Die Blüten sind klein und weiß. Der Sonnentau ist eine Pflanze der Moore und Torfsümpfe 1).

1) Marzell Kräuterbuch 389f.; Else Emrich Historisch-Kritische Studie über die Entstehung "schleimiger Milch" Dissertation Technische Hochschule München (1933), 123ff. (enthält auch Volkskundliches über den Sonnentau).

2. Der Sonnentau, der wie auch andere Zauberpflanzen "Widerton" (siehe dort) heißt, verdankt sein Ansehen wohl dem merkwürdigen Tauglanz der Blätter. Die Alchimisten brachten ihn wohl in ihren astrologischen Spekulationen mit der Sonne in Verbindung. Ausführlich hat darüber Khunrath 2) in der Abhandlung "De rore Solis. Oder vom Sonnentau. Ausführlicher Bericht des von Gott kochbegabten fürtrefflichsten Krautes" usw. gehandelt. Rosbach 3) reimt über den Sonnentau:


Viel Wunders treiben hie die Leut
Mit diesem Kräutlein allezeit
Den alten Weibern wol bekandt
Drumb Widerthon habens genant
Sie brauchens sehr für Zauberey
Treiben damit viel Fantasei.


Frenzel erzählt in seiner "Historia naturalis" (Manuskript, Ende des 17. Jh.s) über den Sonnentau, der in der Lausitz häufig vorkommt, u. a.: "Es ist ein Kräutlein, das nicht nur ein Wunder ist (wegen der ständigen "Tautropfen"), sondern auch Wunder tut, das macht, es blüht im August, wenn die Sonne im Löwen steht. Tut man das Kräutlein oder seinen Saft in ein Glas voll Gift, so springt das Glas in Stücken und ist's in einem silbernen Becher, so schäumt und sprudelt der Trank wie kochendes Wasser über den Rand des Bechers. Ist einer vom bösen Geist besessen, so hängt man ihm das Kraut um den Hals, dem Kräutlein Sonnentau kann der Teufel nicht widerstehen und wird alsbald von ihm ausfahren. Gebärenden Frauen erleichtert es die Wehen; wer es bei sich trägt, dem kann kein Anfall widerfahren; wer ermüdet ist von Arbeit oder einen weiten Weg und kaut das Kräutlein Sonnentau, der wird wieder stark und frisch. Die Astrologen halten es gar hoch und wissen noch manches Geheimnis vom Kräutlein Sonnentau" 4). Um vor Gericht viel zu erreichen, nehme man frühmorgens fünf Spitzen Sonnentau 5). Um sicheren Schuß zu erhalten, trage der Jäger Sonnentau bei sich 6). In Frankreich wurde im 17. Jh. der am 23. September bei Sonnenaufgang gesammelte Sonnentau gegen das gefürchtete "Nestelknüpfen" (nouement d'aiguillette) empfohlen 7). Auch in Galizien dient der Sonnentau gegen Hexereien 8). Auf abergläubische Anschauungen geht es wohl auch zurück, wenn man in Schlesien die von den Kuhpilzen blau gewordene Milch, (Milchzauber!) des Rindviehs dadurch "reinigte", daß man sie durch ein mit Sonnentau angefülltes Sieb laufen ließ 9). In der Volksmedizin dient der Sonnentau als Aphrodisiacum für Tiere (daher im Niederdeutschen auch "Bullenkrut"), als Mittel gegen Seitenstechen 10), Warzen und Hühneraugen 11) und gegen Sommersprossen 12), gegen die ja auch Morgentau, Gründonnerstagtau usw. verwendet wurde.

2) Medulla destillatoria 1614, 274-286.
3) Paradeißgärtlein 1588, 150.
4) Haupt Lausitz 243 = Kühnau Sagen 3, 259.
5) Hs. aus d. Anfang des i9. Jh.s: MsäVk. 2, 360.
6) Erlanger Heimatblätter 10 (1927), 147.
7) Sébillot Folk-Lore 3, 486.
8) Hoelzl Galizien 159.
9) Mattuschka Flora Silesiaca 1 (1776), 281.
10) Lammert 243.
11) z. B. Mattuschka a. a. O.; Montanus Volksfeste 146.
12) Lausitz: Franke Hortus Lusatriae 1594, hrsg. v. Zaunick usw. 1930, 220.


Marzell.