Almenleben.

Der letzte Einzelnhof liegt bereits hinter uns. - Immer steiler führt der Weg aufwärts durch Busch und Wald, vorüber an eingefriedeten saftgrünen Wiesen und Weideplätzen, die sich malerisch an den Abhängen der Hochgebirge bis zum höchsten Gipfel hinaufziehen, besetzt mit den dunkeln Punkten der "Piller" (Heustadel). Dann umfängt uns wieder kühler Fichtenschatten, aus dessen Grün sich da und dort graue, seltsam geformte Felsenmassen, Kämme und Pyramiden erheben. Nicht selten sprudelt auch zur Seite des Pfades ein kristallklares "Brünnl" aus dem Moose, ein "Perlwasser", wie es die Älpler nennen, weil es auf dem Filzhut, der ihnen als Trinkbecher dient, Perlen wie Quecksilber wirft. Eine kleine Rinne aus Baumrinde leitet es recht appetitlich aus dem Boden, während eine roh gezimmerte Sitzbank zum Ausruhen einladet. Wir lassen uns dies auch nicht umsonst angedeutet sein, denn die Baumwurzeln und das Geröll zu unsern Füßen bilden keinen Samtweg für zarte Füße.

Ein weites freies Mahd, das durch die Bäume blickt, belehrt uns, daß wir bereits die sog. Asten erreicht haben. Dies ist die niederste Alpenhaltstelle, auf welche das Vieh bereits im Mai, wo es bei den obern Alpenhütten noch kaum zu grünen beginnt, getrieben wird. Jetzt aber steht die braune Holzhütte leer, kein Rauch wirbelt empor und keine Kuhschelle ertönt; der Senn ist mit Gehilfen und Herde bereits auf seinen eigentlichen Hochsitz, auf das sog. Niederleger, gezogen. Bis dorthin haben wir noch wohl über eine gute Stunde zu steigen. Der Weg wird schmäler, ist jedoch immer noch in solchem Stande, daß das kleine "Almwagele", welches bei der Auf- und Abfahrt mit Lebensmitteln und Gerätschaften bepackt wird, zur Not weiter kommen kann. Allerdings muß man es dabei oftmals hereinhalten, damit es nicht in einen zur Seite des Weges gähnenden Abgrund stürze oder bei den Rünsten, welche den Pfad mit feuchtem Geröll und Lehm verschütten, hinabrutsche. Daß an solchen schlimmen Stellen auch die "Marterln" nichts Seltenes find, versteht sich von selbst, denn wer zählt die Lebensgefahren, denen der Älpler bei der Holzherabschaffung im Winter durch Lawinen etc. ausgesetzt ist? Freilich, an einem sonnigen Sommermorgen sieht man der schönen friedeatmenden Alpenwelt ihre verderbenbringende Macht nicht an.

Noch eine Wegbiegung und das Niederleger liegt vor uns. Dasselbe zeigt eine ungemein liebliche Idylle. Gewöhnlich liegt es in einem grünen, von einer klaren Quelle durchflossenen Hochtal, und besteht entweder aus einer einzigen Sennhütte, auch "Käser", im Pustertal "Gosse", im Oberinntal "Taie" genannt, oder aus mehreren solchen. Große Gemeinde- oder Gesellschaftsalpen, wie z. B. die Alpe Hochlizum zwischen dem Watten- und Lavistal [Navistal] oder die "große Zemm" im Achental bilden oft ein förmliches Alpendorf mit zur Hälfte gemauerten Sennhütten, Stallungen und Heustadeln, in dessen Mitte sich eine kleine Kapelle befindet oder ein hohes hölzernes Wetterkreuz, das malerisch über die Hüttendächer emporragt. Ist das Alpental lang, so folgen die Hütten in einiger Entfernung aufeinander. Sogar ein "Hotel", gemeiniglich Brennhütte, fehlt nicht, wo man freilich keinen Rebensaft, wohl aber verschiedene Sorten Waldbeerbranntwein und bittern "Enzeler" bekommt.

Bei sog. "Kloanalblen" (Kleinalpen) mangelt natürlich ein derartiger "Komfort", indeß, vom Schönheitsstandpunkte aus betrachtet, gewahrt eine solche enger begrenzte Alpenwirtschaft einen kaum minder reizenden Anblick. Es sind zwar nur ein paar niedrige Holzhütten, aber man denke sich dieselben hineingestellt in ein frischgrünes, sanft aufsteigendes Wiesental, weiter oben Alpenrosenbüsche, junges Nadelholz und dunkelgrüner ernster Tannenwald, aus dem die grauen oder schneegekrönten Felskolosse emporragen, deren zackige Formen sich scharf vom blauen Himmel abheben, dazu die reine Luft und feierliche Sonntagsstille, nur dann und wann unterbrochen durch den Pfiff eines Vogels oder den fernen Ton einer Kuhglocke. Plötzlich rauscht es in den Büschen - ein Paar mutwillige Rinder springen klingelnd herab zum frischen Alpenwasser, das im Wiesengrunde sprudelt, ihnen nach ein sonnverbrannter barfüßiger Hirtenbube, mit seiner Geisel schnalzend und juchzend, daß die Felsen widerhallen.

Rings um die Sennhütte bemerken wir einen ziemlich großen, stark zerstampften eingezäunten Platz, den "Hag" oder das "Gehäge" genannt. Morgens früh, wenn der Tag graut und die Jochvögel zwitschern, und Abends, wenn der letzte Sonnenstrahl die Spitzen vergoldet, treiben die Hirten die Milchkühe da hinein, um sie zu melken. Die Nacht verbringt das Vieh auf den herrlichen Grasböden, die sich in nächster Nähe ausbreiten, den sog. "Nachtgampen", Inmitten derselben stehen in einiger Entfernung von einander die Wetterbäume, ehrwürdige Fichtenriesen mit blitzzerspaltenem Gipfel und bis zu höchst hinauf mit grauem Baumbart überwachsen, deren Zweige sich die Naturgeschichte vergangener Jahrhunderte zuflüstern. - Unter ihrem dichten Geäste sucht die geängstigte Herde bei heftigem Sturm und Hagelwetter Schutz.

Bei Tag und Sonnenschein aber führen die Hirten ihre gehörnten Untertanen auf jene saftigen Hochpleißen, die von den umliegenden Höhen herunterwinken, und wo Marbel und Madaun, diese kräftigen Futterkräuter, blühen. Die besten werden für das "Kuhleger" ausersehen; mit dem "Galtvieh", d. h. jungen Kühen, die noch keine Milch geben, nimmt man es nicht heikel, ebenso nicht mit den Ochsen, welche auf demselben Platze weiden. Pferde wollen einen moosigen Boden, während die Schafe und Ziegen gern auf die höchsten Spitzen klettern, wo sie sich die einzelnen Grasbüschel vom Gestein herabrupfen.

Lassen wir sie Alle ruhig da oben grasen und wiederkäuen und sehen wir, was der Senn unterdessen macht. Die Anwesenheit desselben in der Hütte verraten uns die blauen Rauchwolken, die aus der geöffneten Tür wirbeln. Die eigentliche Almhütte, die Wohnung des Senners und Schlafstätte der Hirten, ist gewöhnlich aus rohen Balken gezimmert, welche auf einem Steinlager ruhen und rückwärts tiefer in die Erde gehen. Die vier Bretterwände deckt das sehr flache Dach, dessen lange Schindeln nicht festgenagelt, sondern nur durch querüber gelegte, mit großen Steinen beschwerte Latten vor dem Davonfliegen bei Wind und Wetter geschützt sind. Das Dach steht ringsum weit vor, so daß es eine Art Schupfe bildet, in welcher die Almleute Gerätschaften, Holz, Gerumpel, Heu etc. vor Regen bewahren, ja manchmal muß sogar ein Hirte bei Platzmangel hier seine luftige "Liegerstatt" aufschlagen, Übrigens darf man nicht glauben, daß diese Natursöhne gar nichts für die Verschönerung ihres Sommerpalastes tun. Das Vordach ziert meistens eine hübsche Schnitzerei, ein Kreuz, oft auch Schlangen- oder Drachenköpfe darstellend, während auf dem First der Name Jesu oder Maria nebst der Jahreszahl eingeschnitten wird. Will man es recht schön machen, so streicht man sie noch mit hochroter Farbe an. Über dem Eingang ist ein geschnitztes Christusbild angenagelt, daneben kleben die Bilder eines oder mehrerer "Alpenheiligen", deren Schutz man für "Vieh und Leut'" besonders erflehen will, oder irgend eine unleserliche uralte Polizei-Verordnung, wie man sie auch im Tale häufig an Ställen aufgeklebt findet. Die Türe steht, wie bereits gesagt, angelweit offen, nur ein niederes "Gatterl" mit einem "Schnapper" ist lose angelehnt, damit das Vieh nicht hineinkomme. Vor Räubern und Dieben fürchtet sich der Senn nicht, denn so hoch oben gibt es keine Schätze zu stehlen. Nur wenn er sich weiter entfernt, versperrt er seine Wohnung mit einem höchst einfachen Holzschloß.

Der Beherrscher des Alpenreiches scheint auch heute nicht ungehalten über die fremden Eindringlinge, sondern begrüßt uns, indem wir die Schwelle überschreiten, mit einem freundlichen "Grüß Gott!" Er hat gerade eine Pfanne voll "Mußnocken" zum Mittagmahl fertig gekocht und stellt sie, bis die Hirten zum Essen kommen, auf die Bank zur Kühlung. Seine derbknochige Gestalt ist mit dem echten Senner- und Arbeitsgewand bekleidet. Über das braune Hemd, das bekanntlich die ganze Almzeit hindurch nicht gewechselt wird, ist der rote "Heber" gezogen, an welchen das schwarze leinene "Hösel", auch "G'saß" genannt, geknöpft ist. Die Waden sind mit blauen oder grauen schafwollenen "Beinhosen" bedeckt, das Knie hingegen bleibt nackt und schaut wie ein grauer Steinblock zwischen beiden bekleideten Teilen hervor. Die Füße stecken in großen "Holzknoschpen", auf dem Kopfe trägt er eine kleine lederne Kappe ohne Schild, das "Gnitzl" oder "Schmer-kappl". -

Wahrend wir das Äußere des Senners unserer Betrachtung unterziehen, hat uns der dienstfertige Mann eine Holzschüssel mit Rahmmilch und goldgelbe Almbutter herbeigebracht und setzt sie auf den einzig vorhandenen Tisch zu unserer Erquickung. Raum und Einrichtung ist zwar rauchgeschwärzt und die halbblinden Fensterchen lassen alle Gegenstände nur in Rembrandt'schem Helldunkel gewahren - tut nichts, hier oben in der frischen Alpenluft und nach stundenlangem Marsche schmeckt die Labung doch so köstlich wie in keinem Hotel. Nur möchte ich dir raten, zum Brotabschneiden dich deines eigenen Sackmessers zu bedienen, da die Reinigung des "Schnitzers" - anderes Messer gibt es meist keines auf der Alm - von einer nicht wiederzugebenden Einfachheit ist. Auch die Blechlöffel, die neben dem Eßtische an der Wand stecken, werden selten anders als mit der Zunge abgespült. Besser sieht es in dieser Beziehung dort aus, wo Sennerinnen wirtschaften, was aber in Tirol, mit Ausnahme des Oberinntales, selten mehr der Fall ist. Doch darf man sich auch unter diesen keine idyllischen Wesen vorstellen mit Samtmieder und Spitzen, wie man sie hie und da auf einem baierischen Bierkrügl gemalt sieht, sondern derbe, dralle Dirnen, mitunter auch solche, denen des Lebens Mai bereits Ade gesagt.

Was uns beim Umschauen in der Sennhütte vor Allem in die Augen fallt, ist der Herd, die "Oaß" oder "Eß", wie er samt dem Platz rund herum in der Almsprache genannt wird. Er befindet sich in einer Vertiefung von einer bis zwei Stufen und ist in einer Höhe von etwa drei Schuh halbrund ausgemauert, gerade so weit und hoch, daß der große kupferne Käsekessel, der an einem Drehgestelle, dem "Kesselreiber", darüber hängt, hineinpaßt. Ober dem Herde steht eine Steige für die Hühner. In nächster Nähe ragen zwei Bäume aus der Wand, auf die man das Holz zum Austrocknen legt; es ist das die sog. "Asen". Heißt es ja im Tiroler Sprichwort: "Die Asen ist net weit von der Eß", d. h. der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. - Das Kochgeschirr, das teils herumsteht, teils hängt, ist bald beisammen: ein paar Milchgatzen und rußige Pfannen, und als einzige Kochschüssel die sogen. "Draggoan" oder "Dragkehl", an welcher als natürlicher Stiel ein Ast angewachsen ist. Den Trank der Älpler verwahrt das "Buttermilch"- oder "Wassermelterl", bei welchem ein "Schöpfer" aus Eisen oder Holz liegt.

Mehr Geräte hat man zum Buttern und Käsen vonnöthen. Da stehen auf und unter den Bänken die Melcherbrente, die Käseform (das Kasker), der Reisper zum Schüsselausreiben, der Butterkübel, Käs- und Jutentäsen (Bottiche) etc. Auch die Wände sind mit derlei den Städtern unbekannten Dingen verziert, während ein paar Spannen tief unter dem Oberboden der Hütte zwei Bäume gezogen sind, welche als Stellen für die zahlreichen Milchschüsseln dienen.

Der Senn, der inzwischen in Gesellschaft von ein paar braunen Gesellen, welche sich durch große Stöcke als Hirten kennzeichnen, das Mittagmahl eingenommen, zeigt uns nun auch die übrigen Räumlichkeiten der Sennhütte. Die Einteilung ist nicht überall dieselbe. Auf kleineren Alpen ist der erste Raum Alles in Allem: Küche, Arbeitsraum und Schlafstätte. Der Herd befindet sich sodann rechts vom Eingange, während sich links die "Britschen" (Holzgestelle) mit dem Mooslager für die Sennleute erheben. Durch die hölzerne Querwand im Hintergrunde führen zwei Türen in die anstoßenden Keller, in deren einem, dem tieferen, die Stotzen und Schüsseln, mit blendend weißer Rahmmilch gefüllt, in schönster Ordnung ausgerichtet stehen, indessen in dem anderen die Erzeugnisse der Alpe: Butterstöcke, Käslaibe, Zieger verwahrt werden. Bei größeren Alpen dagegen befindet sich zwischen Küche und Keller noch ein Raum, wo die Leute schlafen, essen und wohnen; er sieht wie eine Bauernstube aus und wird auch Stube benannt. Der Hauptaufenthalt des Sennen und der Schauplatz seiner Tätigkeit bleibt indeß doch immer der erste Raum, wo sich der Herd befindet. -

Der grauende Morgen trifft die Almleute bereits auf den Beinen. Beiläufig um vier Uhr eilt der Senn mit den Hirten hinaus, die Kühe in den Hag zu treiben und zu melken. Jeder hat dabei seine bestimmte Anzahl zugeteilt, welche er am Ton der Schellen erkennt. - Unterdessen wird es vollends Tag und die Sonne steigt über die Jöcher herauf. Nun wird die schäumende Milch in den Eimern in die Hütte gebracht, von allen Unreinigkeiten sorgfältig gesäubert und in die "Stotzen" - hölzerne niedere Gefäße - geschüttet. Dann macht der Senn Feuer an und kocht eine kräftige Brennsuppe zum Frühstück, welche sich die Hirten wohl schmecken lassen, denn es trifft sich oft, daß sie zu weit von der Hütte entfernt sind oder das Vieh an gefährlichen Punkten nicht allein lassen dürfen, daher auch zum Mittagmahl nicht heimkehren können. Für solche Fälle packen sie sich Butter, Käse und Brot in eine Holzschachtel, "Gschpachtl" genannt, und verzehren dieses bei einer frischen Quelle.

Der Senn bleibt mit einem Gehilfen in der Hütte zurück, denn er hat wichtige Geschäfte abzutun, nämlich das "Buttern" und das "Käsen". Er rahmt also die Milchschüsseln ab, gießt den Butterkübel voll und Einer von Beiden beginnt mit rüstigen Armen denselben zu treiben. Fließt ein gehörig rasches Bächlein an der Hütte vorbei, so wird wohl auch dieses durch ein sinnreiches Triebwerk mit dem letztgenannten Teile des "Butterns" betraut. Die abgerahmte Milch kommt in den großen Kupferkessel und fängt dort bei mildem Feuer an zu gerinnen. Wenn sich allmählich der Schotten von den Kesselwänden löst, rührt der Senn die Masse mit einem Schöpfer wohl um und läßt sie bei stärkerem Feuer fester und dichter werden. Zuletzt nimmt er sie mit einem Seihgefäße heraus, gibt sie in die saubergespülten Formen (Kasker) und die Käse sind gebildet. Sie müssen hierauf noch gehörig austrocknen und kommen bann in den Vorratskeller.

Während des Käsens ist auch die Butter zu Stande gekommen und zu "Weggen" geformt worden. Aus der Buttermilch wird auf ähnliche Weise, wie der Käse aus süßer Milch, der Zieger gesotten. Ist das Alles abgetan und hat man sich durch eine tüchtige Butterschnitte von der Mühe erholt, so geht es an's Spülen, denn die Milchgeschirre müssen sauber sein und dann - es ist gewöhnlich zehn bis eilf Uhr Vormittags - an's Kochen.

Eine angenehme Unterbrechung der Früharbeiten bildet die Ankunft des Geisbuben, der seine Herde täglich vom Tale herauftreibt. Er läßt sie von hier aus allein weiter ziehen und bleibt den Tag über in der Alpenhütte, wo er allerlei kleine Geschäfte verrichtet. Dafür darf er beim Mittagessen mithalten als hochwillkommener Gast, denn da herauf kommen weder Post noch Zeitungen, und doch hört man so gern diese und jene Neuigkeit, und manches Sennerherz hat etwas Liebes drunten im Tal, mit dem es allzugern einen Gruß austauschen möchte. Da muß eben der Geishirt aushelfen. - Nachmittags hält der Senn Ruhe, streckt sich auf sein Mooslager oder schmaucht seine Pfeife. Mancher versteht auch das "Paschgeln" (Schnitzen) oder er spielt die Zither; oft gibt es auch dies und jenes auszubessern. Langeweile kennen weder er noch die Hirten, obwol diese den ganzen Tag allein auf der Weide sind.

Letztere machen sich manchmal den Spaß, Murmeltiere zu fangen, oder steigen dem Edelweiß und den Edelrauten nach, um ihren Sonntagshut damit zu schmücken; hie und da erspäht auch ein kühner Waghals eine Gemse und setzt ihr nach auf Leben und Tod. - Wenn dann die Sonne hinter den Bergen hinabsinkt, daß ihre Eiskronen im herrlichsten Purpur schimmern, wenn die Jochgeier und Steinhühner in die Felsen schlüpfen und die Krametsvögel, Schneezwitzger, Ringelamseln, und wie diese gefiederten Alpenbewohner alle heißen, verstummen und sich in ihren Nestern bergen, so treibt auch der Hirt seine Herde heim zum Hag. Unter lustigem Geläute kommt der Zug den Bergabhang herunter, die Hirten, einen frisch-gepflückten Rautenzweig auf dem Hut, jauchzen hinterher, und die Tiere, die den bekannten Hag sehen, muhen fröhlich. Die Kühe werden nun abermals gemolken und dann wieder hinaus auf die Nachtgampe getrieben.

Das Almvolk aber geht noch nicht schlafen, sondern setzt sich zuerst zum Nachtmahl und dann um den Herd zum Heimgarten. Da zündet sich jeder an der Glut seine Pfeife an und erzählt seine heutigen Erlebnisse, mitunter auch Unglücks- und Geistergeschichten, die sich beim herrschenden Halbdunkel ganz besonders gruslich ausnehmen. Denn Petroleumlampe oder Kerze gibt's hier oben nicht, man steckt einfach einen brennenden Kienspan in eine "Klusse" oder läßt sich mit dem bloßen Herdfeuer genügen. Besonders lebhaft geht es zu, wenn irgendein Gast, etwa ein Jäger, auf der Alpe übernachtet und von Gemsenjagd und Spielhahnfalz erzählt. Da wird bis tief in die Nacht hinein geplaudert und der Heimgarten erst spät beendet.

Das sind so die rosigen Tage des Almlebens. Es gibt aber auch deren trübe und bittere, denn das Unglück ist auf der Alpe kein seltener Gast. Besonders oft naht es in Gestalt eines Hochgewitters.

Wenn an einem Sommertage die Sonne recht heiß niederbrennt, so daß selbst der eisige Gletscherhauch die drückende Schwüle nicht zu lindern vermag, wenn der Ferner schwarz aussieht, in den Klüften der Wind heult und die Kühe matt die Ohren hängen lassen, dann schließt der Senn auf ein nahendes Gewitter und trifft seine Vorbereitungen, Und wirklich, allmählich kriechen schwarze Wolken heran, die immer tiefer und tiefer niederhängen, daß sie fast die Tannengipfel zu berühren scheinen. Alles wird finster, in einzelnen Stößen fährt der Wind durch die Büsche und der erste Blitzstrahl zuckt flammend über die Felsen. Da stutzt das Vieh, das bis dahin ahnungslos geweidet hat, und drängt sich erschreckt und zitternd um die Wettertannen. Immer heftiger bricht das Wetter los, Blitz folgt auf Blitz, Schlag auf Schlag, links und rechts fährt der Feuerstrahl in die Bäume, der Hagel prasselt, der Sturm heult, der Regen gießt wie aus Schäffeln herab. Wehe, wenn das Unheil zu schnell gekommen, so daß kein sicherer Platz mehr erreicht werden konnte! Das Vieh rennt dann wie toll blindlings auseinander, um da und dort in Abgründe zu stürzen. In solchen Augenblicken des Schreckens besteigen oft die Hirten Stuten und umreiten die Herde, ihr schmeichelnd, sie besänftigend und leitend. Willenlos ihren Herren vertrauend, lassen sich die Tiere Alles gefallen. Das ist das sog. "Wetterreiten". Endlich geht die Stunde der Angst vorüber und die Sonne strahlt wieder vom verklärten Himmelsblau, aber nicht selten hat der Senn ein Stück Vieh zu betrauern, das trotz aller Mühe und Sorge zerschellt in einer Felsenkluft liegt.

Bös ist es auch, wenn Schneewetter einfällt. Das Vieh, das Tag und Nacht im Freien sein muß, leidet sehr unter Hunger, Nässe und Kälte, magert ab und gibt wenig Milch. Es verirrt sich, da es im Schnee keinen Weg mehr kennt, an gefährliche Stellen, so daß die Sennleute Tag und Nacht dabei Wache halten müssen. Befindet sich die Herde auf dem Hochleger, d. i. die oberste der drei Alpenstandorte, welche von Mitte Juli bis Ende August bezogen wird, so flüchtet man herab zum Niederleger, und behagt es auch da nicht, zu den Vorasten, die wir ans dem Hinaufwege bereits gesehen haben. Ist es aber schon spät im Herbste, so besinnt sich der Senn nicht mehr lange, sondern rüstet sich nach vorangegangener Verständigung mit den Talleuten zum Aufbruch.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 93 - 107.
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