Der Kirchtag.

"So lang redet man vom Kirchtag, bis er kommt", sagt der tirolische Bauer, wenn er das endliche Eintreffen eines sehnlich erwarteten und erwünschten Ereignisses bezeichnen will, ein Sprichwort, das genugsam zeigt, welch' eine hervorragende Stelle das Kirchweihfest im Bauernjahre einnimmt.

Die Zeit, in die es einfällt - Mitte Oktober - ist auch so ganz gemacht zur Feier.

Sie ist gleichsam der abschließende Ruhetag nach der mühevollen Arbeitswoche des Sommers und Herbstes, dessen Fruchtsegen nun wohlgeborgen in Stadel und Scheune liegt. Fast scheint es noch zu früh, um sich zur behaglichen Winterrast auf die Ofenbank zu strecken. Zwar die Morgen sind bereits recht feuchtkalt und unlustig; - weißer Reif überzieht Gras und Strauch und die Berge verhüllt dichtes Nebelgrau. Aber im Laufe des Vormittags kommt plötzlich Bewegung in die Wolkenmassen, sie wogen auf und ab und senken sich, bis endlich der trübselig graue Vorhang reißt und der schönste blaue Himmel sich herausschält, auf dessen Hintergrund die zackigen Formen der Hochgebirge scharf hervortreten. Das ist der sog. "Alteweiber-Sommer", jene herrlichen, leider so kurzen Spätherbsttage, an denen der Frühling wiederzukehren scheint, würde nicht die Staffage des weidenden Viehes, der jauchzenden Hirtenbuben und der muntern Flachsbrechlerinnen daran erinnern, daß wir bereits an der Schwelle des Winters stehen. Wie die scheidende schöne Jahreszeit noch zu guter Letzt ihre volle Pracht entfaltet, so will sich auch der Bauer noch einmal recht vergnügen, ehe er sich für den Winter "einhäuselt", und der ausersehene Tag dazu ist der Kirchtag.

Schon den Sonntag zuvor veranstaltet man ein sog. "Kloanet", d. i. ein Kegelschieben oder ein "Rabenschießen" (Rübenschießen), bei dem nebst einigen verzierten Silberstücken ein "G'straun" (Widder) als Hauptbest hervorsticht. Oft wird um den Preis auch blos gewürfelt. Die folgende Woche vergeht unter umfassenden Vorbereitungen zum Feste. Da haben vor Allen die Boten und Bötinnen vollauf zu tun, denn Alt und Jung benötigt Verschiedenes aus der nächsten Stadt, die Bäuerin Zucker und Kaffee und andere Leckerbissen für den Kirchtagsschmaus, die Dirnen ein neues Kleidungsstück, eine Schürze, ein Tüchel u. s. w. Für den Kirchtagsbraten sorgt der Bauer. - Jeder, auch der Ärmste, dem es sonst das ganze Jahr kein Fleisch in der Schüssel tragt, schlachtet ein oder mehrere Stück Vieh, sei es ein Rind, Kälber oder auch nur einen "G'straun" oder eine Ziege, die man vom Gebirge herabholt. Ist ein Wilderer im Dorfe, so schaut sich auch dieser nach einem feisten Reh- oder Gemsbock um.

Unterdessen macht sich das Weibervolk an die Säuberung des Hauses.

Was das ganze Jahr ruhig in der Rumpelkammer gelegen, wird hervorgezogen und gescheuert; am Kirchtag darf in einem "christlichen" Bauernhause kein Stäublein zu sehen sein. Die eine der Dirnen fegt Küchen- und Stubenboden, die andere fahndet mit dem Besen nach den "Spinneweben" am Holzwerk, die dritte steht im Hausgang vor dem großen Waschzuber und schlägt mit dem "Bluier" (Holzprügel) auf die nassen Hemden und Schürzen. Auch die Geschirre, seien sie von Holz, Kupfer, Eisen oder Messing, werden gebrüht und gerieben und hierauf am Dorfbrunnen geschwemmt. Die große Brunnenstube desselben ist an den letzten paar Tagen von Dirnen förmlich belagert, die da emsig im Wasser herumplätschern und dazu plaudern und lachen. Das blank geputzte Geschirr wird dann an den Bänken und Scheiterlinden vor und neben den Häusern aufgelehnt, um im Sonnenschein zu trocknen. Das funkelt wie eitel Gold und Silber, während zwischen den buntbelaubten Bäumen des Obstangers und auf dem Söller die weiße und farbige Wäsche flattert. Auch die Knechte, besonders der Melcher, bleiben indessen nicht müßig. Sie putzen den Stall, belegen den Boden mit frischer Streu und säubern alle in dieses Fach einschlägigen Gerätschaften. Kurz, sämtliche Bewohner des Hauses sind in voller Tätigkeit, vom Familienoberhaupt angefangen bis auf die kleinsten pausbackigen Sprößlinge, welche von der Mutter in die Holzschupfe (Schoppen) geschickt werden, um ihr das nötige Holz zur Bereitung des Kirchtagmahles in die Küche zu bringen.

Endlich Samstag Vormittags wird man mit Allem fertig. Es ist auch Zeit; Punkt zwölf Uhr Mittags ertönt in langgezogenen Klängen die Feierabendglocke als Zeichen, daß nun alle Arbeit aufzuhören habe. Der erste Ton derselben bringt besonders die Kinder in Aufruhr, welche jubelnd aus allen Häusern auf den Kirchplatz oder sonst an einen Ort stürmen, wo man auf den Turm sieht. Dort wird nämlich während des Läutens "der (!) Kirchtagfahn'" herausgesteckt, eine kleine rote Fahne mit weißem Kreuz, welche die Woche über oben hangen bleibt und nächsten Samstag, ebenfalls wahrend des Feierabendläutens, wieder eingezogen wird.

Den Nachmittag widmet man vorerst dem Putz. Das Arbeitsgewand wird abgelegt, aller Stall- und Küchenschmutz sauber abgewaschen; die Knechte rasieren sich und stutzen sich den Bart, die Dirnen kämmen und flechten sich die Haare. Dann zieht man schnell bessere Kleider an, denn schon läutet es "das Erste" zur Vesper, die als Vorfeier mit Musik und vor beleuchtetem Altar abgehalten wird. Die Dirnen, besonders die "Kuchlin" haben indeß selten schon jetzt zur Andacht Zeit. Sie binden sich weiße Schürzen um und helfen der Bäuerin bei Bereitung des Abendmahls. Dieses besteht vorzüglich in den berühmten Kirchtagkrapfen, einem schmalzigen, mit Mohn und gedörrten Birnen gefüllten Gebäck, dessen Zurichtung in solcher Menge ziemlich viel Mühe erfordert. Ein riesiger "Gugelhupf" ist meistens schon an dem vorhergehenden Tage gebacken worden. Im Oberinntal wird am Vorabend des Kirchtages oder, wie man dort sagt, des "Kirchtigla" das "Obelbrod" [Obelbrot] verteilt. Jeder Bauer hat nach Verhältnis seines Feldbesitzes eine bestimmte Menge davon zu liefern. Einen Teil erhält der Seelsorger, einen der Vorsteher und die übrigen Gemeindemänner. Der Rest gehört den Armen.

Nachdem man sich mit den süßen Krapfen gütlich getan und so einen Vorgeschmack der morgigen - Esserei gewonnen hat, pflegt man der feierabendlichen Ruhe. Die Hausmutter zündet das kleine Öllämpchen vor dem Kruzifix an und Alles kniet auf die Bänke zu den Fenstern, um dm Rosenkranz zu beten. Man sieht es an diesem Tage nicht gern, wenn die Knechte das Wirtshaus besuchen, sondern sorgt, daß das Gesinde hübsch früh nach Hause kommt. Fromme Seelen gehen in die Kirche zur Abendbeichte; die Burschen finden sich meistens außer dem Dorfe auf dem Platze zusammen, wo mit Böllern "der Kirchtag eingeschossen" wird, und schleichen dann zu ihren Dirndln, um den "Buschen" abzuholen, der morgen auf ihrem Hute prangen soll. Die Mädchen verwenden darauf große Sorgfalt und pflegen schon lange vorhinein die roten "Nagelen" (Nelken), welche nebst einem Rosmarinzweig den Hauptbestandteil des Straußes bilden. Als große Schande gilt es, wenn ein Bursche gar keinen Strauß aufweisen kann, weswegen der Unglückliche, dem kein Mädchen hold ist, auf Raub ausgeht. Es gelingt ihm aber nicht leicht, denn die Mädchen bewachen Garten und Söller mit Luchsaugen und entfernen bei einbrechender Dämmerung alle Blumenstöcke.

Am Kirchweihsonntage rüttelt das "Schröckläuten" und Böllerkrachen die Dorfbewohner schon vor dem Morgengrauen aus dem Schlafe. Alles steht zeitig auf, selbst die Kinder. Die Bäuerin eilt zur Frühmesse, weil sie später mit Kochen den ganzen Vormittag zu tun hat. Die Burschen und Mädchen stehen vor dem Spiegel und putzen sich zum Kirchgang. Da wird gewaschen und gekämmt, das Haar gestrichen und der Bart gezupft; die Dirnen flechten sich das Haar in überbreite Zöpfe. Dann zieht man die schönsten Kleider an, gewöhnlich etwas Neues. - Das "Boudoir" einer eiteln Dorfschönen birgt oft mehr Putzmittel und Toilettengeheimnisse als das einer Stadtdame; ich selbst sah öfter hübsche dralle Diendln im Festtagsgewand, die vor festem Schnüren kaum atmen konnten.

Um dreiviertel auf acht Uhr lautet es zum Spätgottesdienste und Alt und Jung eilt im höchsten Staat der Kirche zu. Die Burschen sind schon früher auf dem Platze, zwar nicht aus Andacht, sondern erstens um die Mädchen vorbeiziehen zu lassen und zu bekritteln, und zweitens, um ihre Buschen zur Schau zu tragen. Auf diese richtet sich auch das Hauptaugenmerk der Mädchen, die wohl Acht geben, ob ihre Liebhaber das von ihnen gespendete Geschenk auf dem Hute haben. Das ist ein Flüstern, Ellenbogenstoßen, Blickewerfen und spöttisches Kichern unter dem jungen Volk, bis endlich beim Zusammenläuten auch die Burschen in die festlich geschmückten Räume der Kirche treten. -

Der Altar prangt in größtmöglicher Zier. Ein hochroter Baldachin wölbt sich darüber und zahlreiche Wachslichter flimmern zwischen den steifen künstlichen Buschen, die seltsam gegen die grünen Tannenzweige abstechen, welche die Seitenwände verzieren. Der Herr Kurat besteigt sofort die Kanzel und hält eine besonders weihevolle Predigt, worauf der Organist mit kühnen Orgelgängen das Hochamt beginnt. Dazwischen schmettern die Sängerinnen mit helltönenden Stimmen ein Gloria in excelsis oder Credo; nach diesem bis zum Sanctus oder auch beim Ite missa est bekommt die andächtige Menge gewöhnlich ein Opernstücklein oder eine lustige Polka zu hören, kurz, man tut das Möglichste zur Feier des Tages. Vorzüglich gilt dies von jenen Orten, wo der Kirchtag zugleich das "Patrocinium" [Patrozinium], d. i. Kirchenpatronsfest ist, wie z. B. im fröhlichen Zillertale, wo der Kirchtag überhaupt seinen größten Glanz entfaltet.

Beim letzten Segen eilt Alles in buntem Gedränge aus der Kirche auf den Kirchplatz. Von hier geht es indessen nicht so rasch nach Hause. Jeder sucht seines Gleichen auf; die Familienväter sprechen von Wirtschaft und Wochenarbeit, die jungen Burschen gesellen sich zu den schmucken Diendln, mit denen sie für den morgigen Tanz ein Stelldichein ausmachen.

Während dessen hat sich die Bäuerin wacker in der Küche herumgetummelt und "den Kirchtag" gekocht. Die Dirnen decken den Tisch mit einem blühweißen Tuch und bringen nebst den Bestecken auch Zinn- oder Holzteller herbei, ein besonderes Ereignis, da man sonst das ganze Jahr aus gemeinsamer Schüssel ißt. Nun wartet man noch, bis der Fütterer mit dem Füttern des Viehes fertig ist, dann wird aufgetragen. Der Bauer betet das Tischgebet vor und man setzt, sich zu Tische. Dabei wird stets eine bestimmte Platzordnung eingehalten. Die Knechte sitzen hinter dem Tisch, die Mägde auf der einen Vorbank, rechts die Großdirn, links die Kleindirn, auf der anderen Vorbank sitzen Bauer und Bäuerin, Auftragen muß die Großdirn. Als erstes Gericht erscheinen weiße Fisolen (Bohnen), die indeß nicht viel Anklang finden, da man noch eine lange Reihe - oft bei zwanzig Schüsseln - der ausgesuchtesten bäuerlichen Leckerbissen zu erwarten hat. In verschiedener Ordnung folgen Fleisch, frisch und geräuchert, Braten, Speckknödel, gebackene Knödel, Küchel, Strauben und Schmalzkrapfen, so fett, daß sie in Butter schwimmen. Jeder ißt so viel er nur hinunterbringt, und das beträgt bei einem gesunden Bauernmagen nicht wenig. Ja mancher ländliche Feinschmecker betreibt das Essen sogar mit neronischer Findigkeit, wobei allerdings die Pfauenfeder durch den Finger ersetzt wird. Auch der Schnapsflasche wird fleißig zugesprochen.

Das Tischgespräch dreht sich um die vormittägigen Ereignisse. Die Dirnen wissen genau, welcher Bursche den "ärgsten" Buschen aufgehabt und von wem er ihn zum Geschenk bekommen; die Burschen haben ihrerseits die Diendln scharf in's Auge gefaßt und üben strenge Musterung über Anzug, sowie über körperliche Vorzüge und Mängel, Dabei fehlt es nicht an gegenseitigen Neckereien und Anzüglichkeiten, die man vorzüglich nicht spart, wenn, was oft genug vorkommt, zwei "Hausbrateln" am Tische sind, d, h, ein Knecht und eine Dirn, die eine Liebschaft mitsammen haben. Für diese Armen ist das Kirchtagsmahl ein wahres Spießrutenlaufen.

Nach dem Essen pflegt man der Ruhe, die der vollgepropfte Magen gebieterisch verlangt. Die Mannsleute strecken sich gähnend im sonnigen Anger in das Gras, die Mägde spülen hübsch langsam ab und kehren den Gang und die Küche. Der "Fütterer" ist wieder beim Vieh beschäftigt, denn dieses hat, da es gewissermaßen zur Familie gehört, ebenfalls seinen Kirchtag und wird zu Ehren dessen mit Almglocken und Schellen behangen auf die Ätze getrieben.

So wird es allgemach ein Uhr und Zeit zur Vesper, bei der alle Hausbewohner sich einfinden. Nach den großartigen Eßanstrengungen ist es wohl erklärlich, wenn unter den Klängen der Orgel hie und da Einer nach links, ein Anderer nach rechts in süßem Schlummer einnickt, bis das Segenklingeln das Zeichen zum Ausgange aus der Kirche gibt. Nun ist es zwar erst helllichter Nachmittag, aber weil man eben nichts Gescheiteres zu tun weiß, so geht man in's Wirtshaus und bleibt dort bis Abends. Der Hausvater führt seine Bäuerin hin und zahlt ihr eine Halbe Roten, - die ledigen Burschen vergnügen sich mit "Scholderkegeln". Nur junge Dirnen sieht man wenige im Gasthaus, sondern diese stecken zu gemütlichem Plausch bei ihren Freundinnen.

Wenn man am Kirchsonntag der Heiligkeit des Festes halber sich eingezogen verhielt, so ergibt man sich am Montag desto ungebundener der Fröhlichkeit. Auch darin steht wieder das heitere Zillertal obenan Der Zeller Kirchtag ist berühmt in ganz Nordtirol, besonders ehemals, als das "Robeln" noch recht im Schwunge war und ganze Rotten von Burschen, die Trutzfeder auf dem Hute und den Schlagring am Finger, aus den Dörfern der Umgegend nach diesem Orte zogen, um ihre Kraft und Stärke in einer pflichtigen "Rafferei" zu messen. Ohne eine solche geht es zwar auch jetzt noch nie ab, sonst würde ja dem ganzen Kirchtag die eigentliche Würze fehlen, aber man ist nicht mehr so hitzig wie früher, wo nicht selten einer der Robler um ein paar Zähne oder gar um ein Auge kam.

Desto mehr wird getanzt.

Aus jedem Wirtshause klingt die Zither der einheimischen "Aufspieler" oder "Singer", oder die Geige böhmischer Musikanten. Die Haupttanzplätze aber sind im Dorfe Zell oder in Fügen, wo zugleich Jahrmarkt ist. Die Burschen wandern gewöhnlich Nachmittags in Gesellschaft dorthin, recht "wax" herausstaffiert, das Hütl mit der Feder keck auf der Seite und das Röckl über der Achsel. Im Dorfe angelangt, schlendern sie eine Weile durch die Gassen, von diesem zu jenem Wirtshaus, von einer Bude zur andern. Dann trennen sie sich und Jeder sucht sein Diendl auf. Das ist gewöhnlich nicht schwer zu finden.

Der artige Liebhaber führt es nun zu den Buden und kauft ihm ein hübsches Geschenk, z. B. bunte Fürtuchbänder, ein Sacktuch etc., was ihm das Mädchen mit einem Buschen, einem Tabaksbeutel oder einer Tabakspfeife erwidert. Auch mit Bildchen beschenken sie sich, auf denen nebst Vergißmeinnicht und flammenden Herzen nette bezügliche Verse stehen. Mancher Bursch, der noch keinen Schatz hat, benützt diese Gelegenheit, um mit einem Mädchen "anzubandeln". Er überreicht ihr süße "Busserlen" oder Lebzeltergebäck in bedeutungsvoller Form, wie z. B. ein "Popele in der Wiegen" oder eine Reihe aneinander "Popelen". Das Diendl wird freilich bei diesem Scherz feuerrot und tut "g'schamig", aber zuletzt wird doch oft Ernst daraus. Manches Mädchen hingegen, das einen Burschen heimlich im Herzen trägt, hat demselben durch einen verschwiegenen Boten Kirchtagskrapfen als Liebeszeichen zugeschickt und wartet nun sehnsüchtig, ob der Erwählte der Aufforderung Folge leiste.

Gegen Abend finden sich alle Pärchen im Wirtshause auf dem Tanzplatz ein. Bald ertönen die lustigen Klänge eines Walzers oder "Baierischen", und Alles wogt und dreht sich durcheinander. Hier tanzt man nicht fein sittiglich wie im städtischen Salon, sondern Jeder überlaßt sich zwanglos dem Ausbruche seiner Fröhlichkeit. Da wird "schuhplattelt" und "getröstert" und kopfüber aufgesprungen, daß die Fußsohlen die Stubendecke berühren, ja mancher gelenkige Tänzer springt sogar laut aufjauchzend über sein Mädchen hinweg, das unterdessen allein forttanzt. Dann eilen sie wieder zusammen, fassen sich eng, die heißen Wangen aneinander gelehnt, bis ein kecker Schwung sie mitten in das Gewühl der Paare reißt.

Aft (dann) dreht sich das Diendl,
Aft dreht sich der Bua,
Aft nimmt er's beim Miederl
Und juchezt dazua.

Man tanzt nur mit dem Schatz und will ein anderer Bursche das Mädchen zu einer Runde auffordern, so muß er erst bei ihrem Geliebten darum anfragen. Im Punkte der Treue nimmt man es überhaupt sehr heikel und nicht selten gibt es böse Eifersuchtsauftritte, die mit der Faust ausgekämpft werden. Ebenso häufig wird das sogen, "Anfrümmen" Ursache von Raufereien. Der Bursche mit dem Mädchen an der Hand tritt nämlich vor die Spielleute hin, wirft ein Paar Geldstücke auf den bereitstehenden Teller und singt ein Trutzliedl, was als Aufforderung gilt, auf seine Kosten einen Tanz aufzuspielen. Diese Trutzliedchen enthalten gewöhnlich einen Spottvers auf einen Nebenbuhler oder auf die Burschen anderer Dörfer. Diese lassen sich das natürlich nicht gutwillig gefallen. Kurz, Verdruß und Zorn hält bei diesen Tänzen dem Vergnügen reichlich die Stange.

Am allerübelsten ist wohl jenem Diendl zu Mute, dem der Liebhaber aus irgend einem Grunde "ein Blech gemacht", d. h. es verlassen hat. Im Gewoge des Tanzes wird das noch weniger bemerkt, aber nicht selten ist ein beleidigter Liebhaber so boshaft und schiebt dem Mädchen während der Rast hinter dem Tisch in der Wirtsstube ab, so daß die Arme nun allein da sitzt, purpurrot vor Scham und die Zielscheibe des allgemeinen Spottes. Sie darf von Glück reden, wenn sie einen neuen Verehrer findet, der ihr die Zeche zahlt und so "das Blech abnimmt".

Unberührt von all' diesen Leiden und Freuden der tollen Jugend sitzen an den eng zur Wand gerückten Schenktischen die älteren Leute, rauchen ihre Pfeifen, trinken behaglich ein Gläschen um's andere und politisieren dabei, was Platz hat. Manchmal fliegt auch ein Blick auf das bunte Gewühl, das sich ununterbrochen vor ihren Augen entfaltet. Eigentliche allgemeine Raststunde gibt es für die Tanzenden nicht; wer müde ist, geht hinunter in die Wirtsstube. Dort setzt sich bald das eine bald das andere Paar mit Braten, Kaffee und süßem Gliedwein *) und beginnt hierauf mit frischen Kräften auf's Neue den Tanz. So geht es fort, bis die Hähne krähen, dann erst wandert man langsam Hand in Hand durch die stille Nacht nach Hause, und wenn noch ein Wirtshaus an der Straße steht, so kehrt man abermals ein, im seligen Gefühl, daß man nicht "Schotten tragen", d. h, allein seinen Heimweg machen müsse.

*) Wohl das altdeutsche Lît, Gewürzwein. Vergl. den diesbezüglichen Aufsatz von Dr. Friedrich Stolz im "Bote für Tirol und Vorarlberg", Jahrg. 1886, Nr. 225.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 136 - 149.
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