Winterliche Belustigungen.

Wie schon früher erwähnt, ist trotz mancher schweren Arbeit der Winter für den Bauern die lustigste Zeit. Viel trägt dazu bei, daß Alles was zum Haus gehört, also Eheleute und Ehehalten, nun für einige Monate beisammen bleiben kann. Mit dem Alpenvieh ist auch das Sennervolk in's Tal zurückgekommen, viele Söhne ärmerer Leute, die Sommers über als Maurer, Steinmetzen und Zimmerleute, als Pecher, Wurzelgraber und Branntweinbrenner, kurz in Dutzend Berufszweigen sich auswärts ihr Brod [Brot] suchten, sind mit geldgespicktem Beutel und mit einer Summe von Erlebnissen wieder eingerückt, und wenn nun auch die Söhne, die beim k. k, Militär sind, auf Urlaub kommen und von ihrem Leben und Treiben bei den Bosniaken erzählen, dann darf man sich nicht wundern, daß der "Heimgarten" belebter denn je ist und auch der Wirt oft bessere Geschäfte macht als im Sommer. Da nun überdies, wie natürlich, das junge Blut gern austobt, so fehlt es nicht an Lust, aber auch nicht an Gelegenheit zu allerlei Fröhlichkeit. Daß das Verhältnis der beiden Geschlechter hiebei eine große Rolle spielt, ist selbstverständlich. Nie ist das "Gasselgehen" und "Fensterln"'mehr im Schwung als in mondhellen Winternächten. -

Ist guter Schlittweg, so wird "geschlittelt" oder "gerodelt", wie es in Tirol heißt. Vorn sitzt das Mädel, dahinter der Bursche. Während seine linke Hand an der "Rodel" sich stützt, hält seine rechte das Mädchen umschlungen. So sausen sie, zurückgelehnt, windschnell über die Schneebahn. Schlitten um Schlitten, alle einfach oder doppelt beladen, fahren an uns vorbei. Jauchzen und Schreien, dann wieder helles Gelächter, wenn einer abwirft, hallt unablässig durcheinander. Bei Mondschein haben diese "Rodelpartien" etwas ungemein Romantisches. -

Ein anderes beliebtes Vergnügen ist das "Eisschießen". Der Ort für dieses winterliche giucar alle bocce, im Tiroler Deutsch "Watschelen", ist entweder ein zugefrorener Teich oder der hart getretene ebene Boden. Die Burschen haben darin eine große Übung und fröhnen dem Sport trotz der Eiskälte oft die halbe Nacht. Das ist für die jungen Knirpse in den ersten Hosen freilich noch nichts, denn um die eisenbeschlagenen schweren "Eisstöcke" zu schwingen, gehört etwas mehr Kraft, als um den surrenden "Dozen" tanzen zu machen.

Geht's, setzt's m'r an Kreuzer in's Kreisl,
Mei' Dozen fingt wie a Tannenmeisl.

Diese "Dozenhacker" trifft man auf allen Kreuzwegen des Dorfes, wo sie Vorübergehende mit obigem Reim um das Hinwerfen eines Kreuzers bitten, damit sie denselben aus dem "Kreisl" heraushacken können. Sind viele "Dozenhacker" beisammen, so summt es oft wie um einen Bienenkorb.

Neben diesem Spaß geht das beliebte Vergnügen des Vogelfanges. - Ja, wenn ich alle Arten von "Häuslen" und "Schlaglen" aufzählen wollte, die seit Urähnls Zeiten sich von Geschlecht zu Geschlecht fortvererbt haben! Stundenlang kann so ein neunjähriger Tunichtgut bei 16 Grad Kälte hinter einem Zaun passen und mit aufgesprungenen Lippen sein "Zibui" und "Zizizi" locken, bis endlich ein halbverhungertes "Wuitele" eingeht. Wird der Junge größer, so nimmt er wohl auch heimlich seines älteren Bruders Flinte, um "Gratschen" (Nußhäher) oder "Oacher" (Eichkätzchen) zu schießen. Es ist die Vorschule für das spätere - Wildern. Diese Leidenschaft steckt bedauerlicher Weise dem Aelpler im Blut und besonders dem Tiroler.

Es ist wirklich gut, daß der Winter mit seinem Fasching eine kleine Ablenkung für die lebensfrischen Burschen bringt und ihnen die Jagdlust wenigstens etwas aus dem Sinn treibt. Die Vorbereitungen zu den geplanten Fastnachtsspässen beschäftigen monatelang die Köpfe der Burschen. Mit der Spürnase eines Londoner Polizisten werden alle Familiengeheimnisse, besonders die Herzensangelegenheiten der "Diendlen", ausspioniert, um sie bei dem auszuführenden "Spiel", sei es nun das beliebte "Blochziehen" oder "Faschingerreiten" oder "Huttlerlaufen", mit barbarischer Offenheit aufzudecken und der Lächerlichkeit preiszugeben. Der beste Reimer muß den "Faschingsbrief" in Knittelverse bringen. Was Wunder, wenn sich der Holerbauer und sein Weib, die "unter'm Jahr" einmal eine kleine Keilerei gehabt haben, darauf sorgen, ebenso der Kraxenhuber, weil ihm beim letzten Lorenzimarkt ein halbblinder Gaul angehängt worden ist, von der Reuter Moidl gar nicht zu reden, die mit einem "Hearischen" (Stadtherrn) im Herbst ein "Dechtlmechtl" gehabt haben soll. Ja, der Brunnen und die Spinnstube, die haben ebenso ihren Klatsch, wie die städtische Promenade und der Teezirkel.

Eine weitere Zerstreuung im Winter gewähren die "Bauernspiele". Schade, daß diese harmlosen dramatischen Darstellungen allmählich abkommen. Nikolaus-, Weihnachts- und Dreikönigspiele mit ihrem derbnatürlichen Charakter wurden früher fast in jedem Dorfe aufgeführt. Das Einstudieren und Probieren der Rollen füllte die langen Winterabende in veredelnder Weise aus, während jetzt die Burschen lieber im Wirtshaus hinter dem Schnapsglase sitzen. Überhaupt ließe sich über das Abkommenlassen vieler derartiger Volksbelustigungen, welche besonders im arbeitsleichten Winter der strotzenden Vollkraft der Bauernjugend eine gesunde Ablenkung geben, ein sehr ernstes Wort reden. Damit soll nicht gesagt sein, daß der Bauer im Winter seine Ruhezeit nicht mit mancher noch nützlicheren Beschäftigung ausfüllen soll, die ihm auch einen Erwerb sichert. Er tut es auch häufig.

Viele greifen zum Schnitzmesser und "paschgeln" Figuren oder verfertigen ganz artige "Schweizerhäuschen", die ihnen vom Galanteriewaarenhändler in der Stadt manchen Gulden eintragen würden, wenn die guten "Künstler" mehr gewinnsüchtiger wären. Man glaubt gar nicht, welch' angeborenes Talent der Älpler, in erster Linie der Tiroler, zur Schnitzarbeit hat. In diesen Figuren, die der Knecht dem jungen Seppele schnitzt, um den "Müdsack" loszukriegen, steckt mehr als bloße rohe Handarbeit, wie sich in den vielen Weihnachtskrippen mit ihrem kunstreichen Mechanismus, z. B. heranziehenden Hirten, gehenden Pochwerken, treibenden Mühlen etc. ein entschiedener Erfindungsgeist offenbart.

Auch die Pflege des Gesanges und der Musik geht nicht leer aus. Meist im Winter entstehen jene zahllosen Volkslieder, die dann im Sommer wie Lerchen landaus landein fliegen, jene Weihnachtslieder, die trotz ihrer Derbheit und ihrer haarsträubenden Zeitverstöße durch rührende Gemütstiefe uns anmuten. Geht man zur Winterszeit durch ein Dorf, so dringen aus jedem zweiten Haus musikalische Hebungen; da peinigt einer ein altes Klarinett, beim Nachbar dudelt eine Flöte, von weiter drüben dringen energische Trompetenstöße. Vereinzelt ist das freilich kein Ohrenschmaus, aber beim nächsten Fronleichnamsfest, da klingt der Marsch, daß es eine wahre Freude ist. So geht der lange Winter herum, bis die liebe Sonne stärker wird, den Schnee an den südlichen Lehnen wegleckt und die schussernden Buben vor der Haustür uns dartun, daß der "Langes" (Lenz) nicht mehr ferne sei.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 186 - 190.
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