Die "Börerinnen" im Zillertal.
von (H. W.) Dr. Ludwig von Hörmann.

Eine nicht unbedeutende Erwerbsquelle für arme Leute sind im Zillertal und überhaupt im Unterinntal die sogenannten "Mostbören" (Heidelbeere, vaccinium ulginosum). Sie wachsen nur auf den Schiefergebirgen, besonders häufig aber im Zillertal, wo alle Wälder bis hinauf zu einer Höhe von 3000 bis 4000 Fuß von diesen Pflanzen, die man "Zötten" nennt, bedeckt sind.

Die reifen Beeren werden von den armen Leuten gesammelt, und daraus der sogenannte Mostbörbranntwein, "Mostbörwasserl" bereitet. Weil die Beeren von den hochgelegenen Wäldern, Holzschlägen und niedern Jöchern mehr Branntwein geben, als die in den untern Gebirgsgegenden, so ist man natürlich auf diese besonders versessen. Ende Juli fängt das Sammeln an und dauert der ganzen August hindurch und je nach der Witterung noch in den September hinein. "In die Bören" gehen nur Weiberleute und Kinder. Wenn einmal diese Zeit da ist, so bekommt der Bauer fast keine Tagelöhnerinnen mehr, weil alle "in die Bören" gehen wollen. Sie haben auch ganz Recht. Anstatt für den Bauern um 15 - 20 Kr. öster. W. den ganzen Tag hindurch hart zu arbeiten, kann sich eine Weibsperson, die im Beerensammeln geschickt ist, leicht einen Gulden verdienen, wenn sie dieselben dem Branntweinbrenner verkauft. Kann sie aber die Beeren selbst brennen, so ist der Gewinn selbstverständlich noch größer.

Die "Börerinnen" stehen um 2 oder 3 Uhr früh auf, kochen sich eine Suppe und kräftige Nocken, nehmen dann ihren Rückkorb und vielleicht noch einen Sack dazu, und dann geht es mit einem Stück Brot für Mittag den Bergen zu, dorthin, wo sie einen schönen "Börplatz" wissen. Obwohl sie sich sonst fürchten würden, allein bei Nacht durch die dunkeln Wälder zu gehen, so suchen die "Börerinnen" doch so viel als möglich einander auszuweichen, damit jede allein auf den ausersehenen "Börplatz" komme. Es gibt nämlich Plätze, wo besonders viele und schöne Beeren wachsen. Diese wissen die "Börerinnen" alle, oder sie haben dem Gaisbuben etwas gegeben, daß er sie ihnen aufsuche und ansage, ja manche hat sich wohl selbst schon lange vorhinein die Mühe gegeben und ist die ganze Gebirgsgegend darum abgelaufen. Nun kann es aber doch geschehen, daß zwei oder mehrere dasselbe Ziel haben. Da gilt der Spruch: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Die Erste nimmt Besitz von dem Platz. Kommt eine Andere noch hinzu, so heißt es gewöhnlich: "Da bin schon ich; ich hab mir diese abgeschaut, da hast du nichts zu tun." Fügt sie sich gutmütig, so ist es recht. Sagt aber die unberufen Neuangekommene "Börerin": "Das geht dich gar nichts an; du hast nicht mehr Recht als ich; der Herrgott hat die Beeren für alle wachsen lassen, nicht blos für dich allein", nun so kann halt die andere auch nichts machen als ein bischen knurren, wenn sie nicht etwa einen Wortstreit aufnehmen oder gar einen Faustkampf bestehen will, was auch hie und da vorkommt. Nur ihre Kinder oder Angehörigen duldet die "Börerin" gern in dem nämlichen Distrikt, weil der Erlös in den nämlichen Sack fließt.

Ohne um- oder aufzusehen, sammelt nun die Börerin den ganzen Tag hindurch fort, meistens ganz allein in der Stille des Waldes, kaum daß sie sich Zeit nimmt, zu Mittag eine Quelle zu suchen und dabei ihr Stück Schwarzbrot zu verzehren. Es gibt aber auch lustige Börerinnen, die ein "G'sangl" um's andere singen und manchen "Juhizer" ablassen, daß es weit durchs Tal "hildert". Nicht selten wird dadurch ein Waldgott, so ein Faunus in Gestalt eines kecken Jägers oder Enziangrabers herbeigelockt, und die Börerin verschmäht es nicht, mit ihm "a Rasterl" zu machen. Die Beeren sammelt man mit dem sogenannten Riffel. Es ist dies ein kleines Behältnis mit einer Handhabe, an deren gegenüberliegenden offenen Seite sich in der gegen Innen etwas gesenkten Bodenfläche eiserne Stifte befinden, die ziemlich lang sind, so daß diese Seite fast aussteht wie ein eiserner Kamm. Mit diesem Riffel fährt man nun unter die Stöcke, zieht sie in die Höhe, und die Beeren rollen über den schiefen Boden zurück in das Behältnis. Es geht schnell vorwärts, wenn man nur etwas Übung hat. Ist der Platz reich an Beeren, so ist eine gute Börerin im Stande, 2 Star und darüber von Morgens bis 2 oder 3 Uhr Nachmittags zusammen zu bringen. Für das Star bekommt sie vom Branntweinbrenner 40 bis 50 Kr. ö. W., so daß sie sich jedenfalls täglich 1 Fl. verdient. Freilich immer geht es nicht so gut. Oft müssen die Börerinnen weit umhergehen, bis sie ihren Rückkorb voll bringen. Da bricht oft schon die Nacht ein, und sie befinden sich noch weit oben im Walde. Sind aber die Beeren ergiebig, so sind sie mit ihrer Arbeit bis 4 oder 5 Uhr fertig. Noch einmal wird ein Wasser gesucht, ein Stück Brot gegessen, und dann der Heimweg angetreten. Man muß staunen, welche Kraft diese Leute haben. Zwei bis drei Star Beeren auf dem Rücken 1 - 2 Stunden weit vom Berg herunterzutragen ist keine Kleinigkeit. Weiber von 50 Jahren und darüber leisten noch dieses. Freilich tut dabei die Übung viel; denn das Tragen in Rückkörben muß man verstehen. Auf dem Heimweg kommen schon mehrere Börerinnen zusammen, oft über 20 sieht man in einer langen Zeile über den Berg heruntersteigen. An bestimmten Stellen, bei den sogenannten Rastbänken, wird wieder etwas ausgeruht, um neue Kräfte zu sammeln. Gewöhnlich befindet sich in der Nähe dieser Rastbänke auch eine Quelle. Eine schlieft aus ihrem Rückkorb, stülpt die Krempen ihres Hutes auf, fängt damit Wasser von der Quelle und tränkt eine nach der andern ihrer Genossinnen, die sich ihres Korbes nicht entledigen, sondern mit demselben am Rücken dasitzen.

Ist man zu Hause angelangt, so werden die Beeren, wenn noch Zeit ist, gleich zum Branntweinbrenner getragen, oder wenn man selbst eine Brennerei besitzt, sogleich in das Gährungsfaß geschüttet. Hernach tut man sich bei Suppe und Erdäpfeln gütlich und legt sich dann zeitig zu Bette, um dasselbe Geschäft, wenn das Wetter günstig ist, mit frühem Morgen wieder zu beginnen.

Manche arme Weibsperson verdient sich in der Zeit von 7 - 8 Wochen oft über 40 Fl. Deswegen sind die armen Leute im Frühjahre sehr besorgt, daß wohl nicht der Reif die Blüten der "Mostbören" zu Grunde richte. Nicht nur die "Mostbören", sondern auch die "Beißelbören" (rote längliche Beeren berberis vulgaris), die Mehlbeeren (blaue Beeren; wachsen auf den Jöchern und Alpen), die Kranebittbeeren, die Gramten, alle diese werden, wo sie in bedeutender Menge vorkommen, gesammelt und daraus Schnaps bereitet: Der "Beißelböreler, Mehlbörer, Kranebitter". Mehlbeeren und Gramten kommen selten häufig vor, deswegen werden die, welche man sammelt, unter die "Mostbören" gegeben. Auch die Beeren des Holunderstrauches werden oft zum Schnapsbrennen verwendet. Alle diese Arten Branntwein sind, mäßig genossen, berühmt als Heilmittel gegen Magenleiden u. s. w.

Quelle: Die "Börerinnen" im Zillerthale, (von H. W.) Ludwig von Hörmann, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 6. Band, Gera 1873, S. 247 - 250.
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