Der Flachsbau in Tirol.
von Dr. Ludwig von Hörmann.

Keine Fruchtgattung der mütterlichen Erde nimmt zu ihrer Ausbeutung so viel Mühe und aufmerksame Pflege in Anspruch, wie der Flachs. Die Arbeit zieht sich durch's ganze Jahr, ja oft liegt noch der Linnen auf der Bleiche, während schon daneben das Flachsfeld grünt und blüht. In Tirol, wo der Anbau dieses Gewächses eine große Rolle spielt und eines der wichtigsten Ausfuhrprodukte ist, bildet die ganze Behandlung desselben einen Hauptfaktor der bäuerlichen Beschäftigung, und es dürfte nicht uninteressant sein, den Verlauf dieser Arbeit nach ihrer prosaischen und poetischen Seite etwas mehr kennen zu lernen.

Im April-Mai wird der Flachs gesäet und bald darauf gejätet, d. h. von dem zwischen den jungen Sprossen wuchernden Graswuchse gereinigt. Um Johanni herum steht er dann in voller Blüte, und die leuchtenden Flachsstreifen, die sich wie blaue Bänder zwischen den grünen Saatfeldern hinziehen, gewähren einen äußerst wohltuenden Anblick. Die zarte Blüte ist blau wie die sinnigen Augen der Salig-Fräulein, deren Schutze nach dem frommen Glauben des Volkes diese Pflanze anvertraut ist. Die Salig - Fräulein sollen auch den Menschen den Flachsbau gelehrt haben, und ein ganzer Kranz der lieblichsten Sagen bringt diese holden, menschenfreundlichen Wesen mit der Pflege und Verarbeitung dieses edeln Gewächses in Verbindung. Zur Zeit der Flachsblüte steigen sie mit freudestrahlendem Antlitz durch die Felder und segnen Kraut und Blüten. Jäterinnen helfen sie bei der Arbeit, wie sie bei ihnen Schutz vor der Verfolgung der "wilden Männer" suchen. Sie spinnen auch ihre endlosen glückbringenden Garnknäuel, mit denen sie bei ihren Besuchen brave und tugendhafte Hausfrauen beschenken. Dies geschieht besonders zur Zeit der Zwölften, d. i. vom Weihnachtsabend bis heil. Dreikönig, welches in Tirol die eigentliche Spinnzeit ist, wo sie ihre freundlichen Besuche machen. Mit der Abenddämmerung nach dem Ave-Maria-Läuten nahen sie, gewöhnlich zu zwei, mit ihren kunstreich gedrechselten Rädchen den warmen Spinnstuben. Zutraulich setzen sie sich zu den andern auf die Ofenbank und spinnen, daß es eine Freude ist. Dabei sprechen sie kein Wort, nur wenn einer zufällig der Faden reißt, sagt sie leise zur andern: "Faden ab", worauf die andere erwidert: "Knüpf' an", und dann schnurren die Rädchen wieder lustig weiter. Haben sie dann einige Spulen voll, so haspeln sie das Garn in Stränge, betrachten mit Wohlgefallen das schöne Gespinnst, lächeln der Hausfrau freundlich zu und verschwinden mit ihren Rädchen in der dunkeln Nacht. Kurz, jede Phase des Flachsbaues und dessen Verarbeitung ist von dieser schönen Sage begleitet, ja erhält durch sie ihre poetische und ethische Weihe. -

Bis zur Reife wird dem Flachs nun keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. In der Zeit von Lorenzi bis Barthlmä beginnt das "Ausziehen" und "Aufstiefeln" des "Haars", falls das Wetter trocken ist. Er wird zuerst in kleinen Büscheln, "Boasen" = Stiefel genannt, kreuzweis über einander auf das Feld gelegt, und diese um Stangen zu Schöbern aufgeschichtet (aufgestiefelt). An manchen Orten nun, z. B. im Ötztal, wird er gleich nach dem Ausziehen "gerüffelt", d. h. des Samens entledigt und gleich "gebreitet". Gewöhnlich aber läßt man ihn drei bis vier Wochen draußen liegen. Dann wird er eingeführt und gleich dem Korn gedroschen, um den Samen zu gewinnen.

An diese Arbeit, die in den August fällt, schließt sich manche Volkssitte, die Erwähnung verdient. Es wird nämlich in der Tenne, wo gedroschen wird, über den Dreschern der sogenannte "Harerkranz" aufgehängt. Dieser besteht aus zwei senkrecht in einander gesteckten Strohkränzen; darin befinden sich kleinere Kleidungsstücke, Tücheln etc., in der Mitte eine Flasche Schnaps. Diesen Harerkranz erhält nun derjenige, der bei der Arbeit den letzten "Drisch" tut, d. h. der unter allen den letzten Schlag auf den Haar führt. Zugleich erhält er den Spottnamen "König". - Der so gewonnene Same wird in "Reitern" der groben Hülsen entledigt, "gereitert", wie man es nennt, und dann "aufgemalen", d. h. in den Mühlen ähnlich dem Korn ausgeblasen und schließlich auch noch in einem engen Siebe "geseicht". Die Hülsen des Flachssamens heißen "Bollum"; man verwendet sie als Futter für Schweine, Hennen und das "Ziegelvieh" das sind die Kälber. Die Stängel jedoch, der sogenannte "Haar", wird wieder auf den Acker hinausgeführt und da "gebreitet", damit er "reaßen" könne. Das Breiten muß sorgfältig geschehen, nicht zu dicht und nicht zu dünn, so daß "Sonn' und Mond durchschaut". Man wünscht da abwechselnd Sonnenschein und Regen, besonders auch letzteren hin und wieder, damit er gut "reaßt", d. h. in Fäulnis übergeht. Dieser Umstand bestimmt auch die Dauer des Liegenlassens. Ist er genug "gereaßt", so wird er mit Rechen "aufgelupft" (gelüftet), um gut zu trocknen, dann "aufgenommen", d. h. aufgeladen und zur Brechelgrube, zum "Grummlen", geführt.

Die Brechelgrube ist ein oblonger, halb in dem Boden versteckter, gemauerter Ofen, oben offen und befindet sich der Feuergefährlichkeit wegen gewöhnlich von dem Bauernhause etwas entfernt. Da wird nun der "Haar" auf nebeneinander gelegten Holzsprossen zuerst "geröstet". Statt der "Brechelgruben" findet man häufig eigene "Brechel- oder Badstuben", feuersichere Gewölbe, in denen ein großer Ofen steht. An der einen Wand wird auf horizontal gelegten Bäumen, "Binen" genannt, aufgelegt. Nun wird der Ofen glühend geheizt, gewöhnlich Nachts, und so der Flachs durch die bloße Hitze des Lokales gedörrt. Da durch diese Wärmeentwickelung der "Haar" häufig in Brand geriet, so ist man von dieser Dörrmethode jetzt so ziemlich abgekommen und zur einfachen Brechelgrube zurückgekehrt. Von dort weg wird der "Haar" auf den sogenannten "Hanfgrummeln" gebrochen. Das Geschäft des "Brechelns" besorgen gewöhnlich Weiberleute; das Geschäft des Dörrens besorgt meistens ein Mann, der "Broter" oder "Haardörrer". Die ganze Gesellschaft heißt: "Grummelfuhr". Die "Brecheln" oder "Grummeln" sind hölzerne, halbseitig durchbrochene Stühle, in die ein dreischneidiger Obersatz scherenartig einklappt. Vom "Broter", "Schürer" oder "Haardörrer", der den "Haar" auf Hölzern, die über der Flamme liegen, dörrt, erhalten ihn die Brechlerinnen, die ihn zuerst aus dem Rohen herausarbeiten, d. h. brecheln. Den "Schlichterinnen" fällt die Aufgabe zu, den überkommenen gebrechelten Flachs weiter zu reinigen und zu putzen. Da die Arbeit des Brechelns sehr beschwerlich und anstrengend ist, so werden den Leuten den ganzen Tag Krapfen, und zwar in unendlicher Anzahl, hinausgetragen, die sie vom besten Humor gewürzt verzehren.

Überhaupt geht es bei der Brechelgrube lustig zu; Lachen und froher Scherz schallt dem Vorübergehenden schon von weitem entgegen. Die Brechlerinnen sind sakrosanktä und wehe dem, der ihre beißenden Spottreden mit gleicher Münze heimzahlen will oder gar in der böswilligen Absicht naht, ihnen den "Brechelbusch" oder sog. "Haarer" zu rauben. Der Betreffende wird im Nu mit Flachs umwickelt, wenn er sich nicht gleich mit Schnaps loskauft. Dafür erhält er ein Sträußchen. Gegen die Strategie solcher bäuerlichen Amazonen hilft kein Wehren. Mir erzählte selbst einer, wie er bei einem solchen Abenteuer um ein paar Zähne kam. Dessen ungeachtet wagt es manch' fester Bursche, etwa ein Robler, der gerade des Weges kommt mit dem Spottreim:

"Grüß Euch Gott, Brechlerinnen all'
Mit der hölzernen Schnall,
Mit dem hölzernen Schwert,
Ist heuer der Haar besser als ferd?"" (letztes Jahr).

Die Antwort darauf ist:

"Weiß wie a Kreide,
Lind wie a Seide,
Lang wie a Schiffseil
Heuer ist uns der Haar gar nit feil."

Dieses letzte ist eine Anspielung auf den "Brechelbusch" oder "Haarer", den die Oberdirn unweit der Brechelgrube aufgestellt hat. Es ist ein mit buntfarbigen Bändern und Äpfeln geschmückter Tannenwipfel. Ihn zu rauben ist eine Passion der Burschen und eine Ehrenaufgabe des Liebhabers irgend einer Brechlerin. Gelingt ihm der Raub, so gilt er als verläßlicher Liebhaber. Auch in anderer Beziehung spielt die Liebe in diesen Brechelgebräuchen eine große Rolle. Veranlassung hiezu gibt eine sonderbare uralte Sitte, die an die Bearbeitung des letzten Büschels geknüpft ist. Broter und Schlichterin nämlich, welchen es die letzte Handvoll "Haar" zu bearbeiten trifft, werden "Brautleute". Man bringt ihnen auf einem Teller Äpfel, Birnen und Blumen. So im Oberinntal. Im Pustertal schmuggelt der Haardörrer in den letzten Haarbüschel Äpfel, Birnen und Krapfen hinein. Welcher Brechlerin es nun das Letzte trifft, die ist die Braut, oder hat "den Alten". Diese Entdeckung bringt allgemeinen Jubel und Gelächter hervor. Einen Brauch, der im Zillertal geübt wird, darf ich nicht vergessen. Man sucht nämlich der Brechlerin heimlich ein Kränzel von halbgebrochenem Flachs hinten an den Kittel zu hängen; dieses Kränzel heißt "das Fackel". Ist das geglückt, so geht einer um Wasser, um "das Fackel zu tränken", was darin besteht, daß er es der Betreffenden an, oder gar .... den Kittel gießt. Dann wird "das Fackel abgestochen", indem man der Brechlerin mit dem Messer ein Loch in den Rock macht. Den Schluß macht fröhlicher Tanz im Hofe des Bauern. Alle diese Bräuche sind uralt und beruhen größtenteils auf heidnischen Opferzeremonien unserer Vorfahren anläßlich der Flachsernte. Die Arbeit des Brechelns oder Grummelns kann zu beliebiger Zeit vorgenommen werden. Ist das Wetter schön, so geschieht es gewöhnlich um den Kirchtag herum.

Damit ist der Flachs aber noch lange nicht in Ordnung. Er muß nun erst "geschwungen" werden. Dies geschieht im Spätherbst gegen den Winter hin, wenn es auf dem Felde nichts oder wenig mehr zu tun gibt. Der Flachs wird im Haus oder in einer Schupfen auf dem "Schwingstuhl" mit "Britschen" heruntergeschlagen, um die sog. "Anschwingen" fortzubringen. Letztere werden gesponnen und zu Strohsäcken und groben "Bleichen" verwendet. Die "Grummelgräten", auch "Ogel" genannt, nimmt man zur Streu. Dann beginnt das "Aufzupfen". Man macht kleine "Tschüpfeln" oder "Ridelen" und zupft rechts und links das Überflüssige davon herab, damit dieselben die rechte gleiche Länge erhalten und bereitet so den "Haar" zum Hecheln vor. Die Hechel ist eine Bank, auf der in der Mitte ein Kranz von spitzen Nägeln aufgesetzt ist. Da zieht man den "Haar" durch und zwar tun dies die Weiberleute; natürlich, das Hecheln ist ihre Sache. Das geschieht zwei Mal. Das erste Mal fällt die "Vorhechel" ab, unser Werch, das zu Hemden und Leintüchern gröberer Art verarbeitet wird. Was vom zweiten Hecheln als Abfall gewonnen wird, ist das "Leinwerch" als Stoff zu feinerer Wäsche. Das Reine ist nun erst der Flachs oder "Reisten". Dieser wird im Winter von den Dirnen gesponnen. Eine solche Spinnstube bietet einen traulichen und belebten Anblick. Wenn der Abend dämmert, und draußen der Wind pfeift oder der Schnee herunterwirbelt, bringen die Dirnen ihre Spinnräder in die warmgeheizte Stube, und bald surrt und schnurrt es lustig um die Wette. Dann kommen auch die Burschen in den "Heimgarten", man singt und erzählt sich Geschichten, und das Schäckern und gegenseitige Necken nimmt kein Ende. Da blitzt wohl auch manch' verstohlener Liebesblick hinter dem Rocken hervor, der glückliche Bursche aber singt:

Du flachshaarets Diendl
I Hab' Di so gern,
Und i möcht' weg'n Dein Flachshaar
A Spinnradl wer'n,"

Das gesponnene Garn wird "gesotten", dann gespult und kommt so auf den Markt. Hierauf erhält es der Weber zum Wirken. - Nun bleibt noch das Bleichen der Leinwand übrig, ein mühevolles langsames Geschäft. Wenn sie vom Weber kommt, wird sie zuerst ausgewaschen oder wohl auch auf den Schnee gebreitet, damit alles Unreine, was noch daran hangt, fortgeht. Dann wird sie "gesechtelt" d. h. zwei Wochen lang täglich in Lauge abgesotten. Ist nun die Sonne bereits stark genug, gewöhnlich im April bis Mai, so breitet man die Leinwand auf die Wiese zum Bleichen und begießt sie fleißig so oft sie trocken ist mit Wasser, was an warmen Sommertagen wohl alle Viertelstunden der Fall ist. Oft "sechtelt" man sie auch noch einmal acht Tage hindurch und legt sie dann wieder auf die Bleiche, bis sie endlich weiß genug ist.

Dr. L.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Der Flachsbau in Tirol, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 3. Band, Gera 1871, S. 241 - 245.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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