Haussprüche in den deutschen Alpen.
von Dr. Ludwig von Hörmann.

Die schöne Sitte, die Außenseite der Häuser und die Wohnstube mit sinnreichen Sprüchen zu zieren, schwindet immer mehr, und selbst die noch vorhandenen Reste dieser alten Spruchweisheit fallen Elementarschäden oder der Renovierungssucht zum Opfer. Hier wird ein Haus vom Brand verzehrt oder eingerissen und umgebaut, das Schnörkelwerk herabgeschlagen, die Hausmarke vertilgt, dort wird eines übertüncht, und wo noch vor ein paar Stunden ein altes Bild mit einem kräftigen Kernspruch stand, starrt jetzt die kahle Wand dem Eintretenden entgegen. Selten, daß es noch ein Städter über sich bringt, dem Spott der Nachbarn zum Trotz die alte Inschrift stehen zu lassen oder auf ein neugebautes etwa ein

Gott bewahr' das Haus
Und alle, die da gehen ein und aus

hinaufmalen zu lassen; das wäre ja "zopfig" und gar nicht modern. Und doch liegt in diesen einfachen, bald gemütlich heitern, bald tiefernsten Sprüchen eine Fülle von Humor und Lebensweisheit, wie sie in Hafis und Mirza Schaffy's Weisheitsspiegel nicht schöner zu finden sind.

Im deutschen Flachlande finden sich Haussprüche besonders in mittleren und südlichen Gegenden, jedenfalls sind sie nicht so verbreitet wie in den Alpen. Da hatte in früheren Zeiten fast jedes Haus seinen Spruch. Jetzt sind dieselben in den Städten auch hier mehr verloren gegangen oder in Abnahme gekommen, und wo sich noch solche finden, tragen sie bereits das Gepräge modernen Ursprungs, haben jedenfalls nicht mehr jenes Naive und das Kernhafte nach Inhalt und Form, das die alten so sehr auszeichnet. Es gilt dies vornehmlich von der Schweiz, wo selbst auf den Bauernhöfen diese schöne Sitte zwar nicht gänzlich ausgestorben ist, aber größtenteils nur in sehr verflachter Weise sich erhalt. Mit Recht klagt daher Rochholz in seinem trefflichen Buche "Deutscher Glaube und Brauch", daß derjenige, der "von den noch vorhandenen schweizerischen Haussprüchen eine Sammlung machen wollte, wenig Eigentümliches mehr vorfinden dürfte, wohl aber noch genug des Erborgten und Erheuchelten". Reich ist in dieser Hinsicht das Waadtland. So war z. B. im Bergdorfe Rossinitzres das sog. "Große Haus" mit Sprüchen ganz übersäet, so daß der Volksmund sagte, um dieselben abzulesen, brauche man eine gute Stunde. Es brannte leider vor einigen Jahren ab. Auch im Berner Oberland und in den Urkantonen Uri, Schwyz, Unterwalden, sowie in Glarus, Zug, Luzern und Appenzell sind noch deren hie und da zu finden.

Besser steht es in dieser Hinsicht in Tirol, wo sich besonders auf den Dörfern und Einzelgehöften manch sinniges Sprüchlein erhalten hat. Sie erschienen jüngst als kleine Sammlung, welche, so wenig umfassend sie ist, doch von dem Reichtum und der Vielseitigkeit dieser Hausinschriften hinreichenden Beleg gibt. *)

*) Deutsche Haussprüche aus Tirol von Wolfram und Oswald Zingerle. Innsbruck, Wagner. 1871. Wie wir aus sicherer Quelle vernehmen, wird dieses Werkchen bald in zweiter reich vermehrter Auflage erscheinen, wofür wir den beiden jugendlichen Sammlern dm besten Dank wissen werden. Anm. d. Red.

Am zahlreichsten sind jene vertreten, in denen Haus und Insassen dem Schutze Gottes, Maria und der Heiligen, besonders des heil. Florian, Sebastian, Joseph, Georg und Martinus anvertraut werden, wie das obengenannte:

"Gott beschütze dieses Haus
Und alle, die da gehen ein und aus."

oder:

"O Mutter Gottes aller Gnaden
Bewahr' das Vieh und uns vor Schaden."

oder:

"Heiliger Florian und Sebastian
Sei unser Patrian (Patron)."

Oft ist der Name des Besitzers in den Spruch verwoben, nicht selten mit einem Anflug von Selbstbewußtsein und dem Hinweis auf materielle und moralische Güter desselben:

"Zum Stainer heißt das Haus,
Der mich hat von Gruntt aufgepautt
Hans Stoffner ist er genand
In allen Ern und voller Hand."
1547. (Sarnthal.)

oder:

"Johann' s Hartler, in der G'heim
Laß die Leute reden, wer sie sein.
Das Bauen ist ein schöner Lust,
Daß es so viel gekostet hat,
Das hab' ich nicht gewußt,"
(Ambras.)

Ich auch nicht, lieber Hartler! Viele Sprüche haben ihren Ursprung und Inhalt von Schicksalen, die ein Haus getroffen, so ein ganz origineller in dem von Brand-Unglück so oft heimgesuchten Matrei:

"In 30 Jahren will's Gott vollendt
Das vierte Mal ganz abgebrendt
Jesum Mariam anverdraudt
Und wiederumben aufgebaudt,"
1779. (Matrei).

Daran schließen sich ernstere und allgemeine Lebensregeln, meist in knappester Form eine tiefe Wahrheit enthaltend. So findet man häufig folgende Sprüche:

"Wir bauen Häuser stark und fest,
Darin sind wir nur fremde Gäst',
Doch wo wir sollten ewig sein
Da bauen wir gar wenig drein."
(Sehr verbreitet.)


"Wer will bauen an der Straßen,
Muß alle Leute reden lassen,
Bau' ein jeder, was er will,
Ich wünsche jedem noch so viel,"
(Mieders - Ambras.)


"Dieses Haus gehört nicht mein,
Der nach mir kommt, auch nicht fein,
Man trug auch den Dritten hinaus,
Ach Gott, wem gehört dieses Haus."
(Baumkirchen.)


Überhaupt spielen Tod und Ewigkeit, Reflexionen über das salomonische vanitas vanitatum vanitas, über Flüchtigkeit der Zeit und Wandelbarkeit der Menschen eine große Rolle in diesen Sprüchen, die oft von ergreifender Schönheit und Tiefe sind. Oder kann die Trostlosigkeit des Menschenloses empfundener und wahrer ausgedrückt werden, als in den schlichten vier Zeilen, die ober der Türe des alten Domanig-Wirthshauses an der italienischen Straße angebracht sind:

"Ich leb', weiß nicht wie lang,
Ich sterb' und weiß nicht wann,
Ich fahr', weiß nicht wohin,
Mich wundert, daß ich so fröhlich bin."

oder:

"Das Wasser rinnt in's Meer und nicht zurück
Zurück kehrt auch kein Augenblick."
(Stansertal an einer Schmiede.)

oder:

"Da es mir wohl erging auf Erden
Wollten alle meine Freunde werden,
Da ich kam in Noth, Waren alle Freunde todt."
(Vulpmes. [Fulpmes])

Neben der Skepsis spricht sich in vielen gläubiges Gottvertrauen und eine rührende Naivität aus, so in den beiden Sprüchen:

"Gott lieben ist die schönste Kunst,
Die schönste Kunst auf Erden,
Wer anders liebt, der lebt umsunst
Und kann nicht selig werden."
(Rinn.)

oder:

"Wann ich thue, was Gott will,
So thuet Gott auch, was ich will,
Thue ich aber das Widerspill,
So thuet Gott auch, was er will."
(Telfes im Stubai.)


Auch größere moralisierende Betrachtungen über die Schlechtigkeit der Zeiten etc. fehlen nicht:


"Die Redlichkeit ist aus der Welt gereist,
Die Aufrichtigkeit ist schlafen gangen,
Die Frömmigkeit hat sich versteckt,
Die Gerechtigkeit kann den Weg nicht mehr finden,
Der Helfer ist nicht mehr zu Haus,
Die Liebe liegt krank,
Die Gutthätigkeit sitzt im Arrest,
Der Glaube ist so ziemlich erloschen,
Künste und Tugend gehen betteln,
Die Wahrheit ist schon lange begraben,
Schwüre werden leicht gebrochen
Und die Treue nicht mehr geachtet,
Der Credit ist närrisch geworden
Und das Gewissen hangt an der Wand,
Nur die Geduld überwindet Alles."
(Meran.)


Gleich daran findet diefe pessimistische Weltanschauung eine ganz philosophische Bestätigung:

"Alte Leute sagen mir, die Zeiten werden schlimmer,
Ich sage aber nein; -
Denn es trifft viel besser ein,
Die Zeiten sind wie immer,
Die Leute werden schlimmer."
(Seefeld.)

Daß Humor und Volkswitz in diesen Hausinschriften sich reichlich ablagert, ist leicht begreiflich. Dies zeigt sich vorzüglich in jenen, welche dem Handwerke des Besitzers gewissermaßen als Aushängeschild dienen und oft recht launisch sind. So in Kaltern, der traulichen Heimat der "Herrgottskinder", am Hause eines Gärbers:

"Hirschhäut und Bockgeisfell
Sind zum Verreuß bereit,
Die ziehiger weit sind,
Denn alte Weiber-Häut."

oder:

"Ich liebe Gott und lasse selben walten,
Ich mache neue Hüt' und färbe die alten." (Kitzbühel.)

Auch die soziale Frage findet ihre gebührende Berücksichtigung:


"Das ist das Beste auf der Welt,
Daß Tod und Teufel nimmt kein Geld,
Sonst müßte mancher arme Gesell
Für den Reichen in die Höll," (Imst.)


Eine eigene Gattung von Sprüchen bilden die Inschriften in den Wirtsstuben. Sie sind gewöhnlich ober der Türe oder an den Wänden aufgemalt und suchen in verlockender Weise den Epikuräismus mit der Moral zu versöhnen; viele schließen mit einer zarten Anspielung auf den Beutel des Zechers:

"Gott lieben macht selig,
Wein trinken macht fröhlich,
So liebe Gott und trinke Wein,
So kannst du fröhlich und selig sein."
(Mutters etc.)

oder:

"Ein solcher Gast ist viel werth,
Der sein Geld mit Lust verzehrt,
Keinen Streit und Händel macht
Und auf's Zahlen ist bedacht." (Kramsach.)


Aus dieser kurzen Revue ersieht man schon, daß in diesen Sprüchen ein gut Stück Lebenswahrheit und Lebensweisheit enthalten ist; jedenfalls sind sie ein wertvoller Beitrag zur Kenntnis der Alpenbewohner, deren Frömmigkeit und Lebensernst oder harmloser Humor sich in denselben spiegelt.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Haussprüche in den deutschen Alpen, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 4. Band, Gera 1872, S. 372 - 375.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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