Die Pecher.
Eine Frühlingsstaffage
von Dr. Ludwig von Hörmann.

Wenn man im Frühjahr durch den Wald geht, so trifft man auf ganz eigene Dinge; ja man kann das Wirken und Schaffen des Meisters Lenz da viel besser studieren, als irgendwo anders, und nirgends mutet einen das wohltuende Gefühl des neuerwachenden Lebens angenehmer an. Freilich darf man nicht die Hauptwege passieren, sondern muß geradewohl durch Dick und Dünn streichen. Was schadet es, wenn Dich da und dort noch ein kleiner Sumpf oder eine Schneeoase hemmt; man hat ja keine Tanzstiefletten an, und wenn Deine Hände oder Dein zartes Gesicht von ein paar zornigen Ästen zerkratzt wird, so wirst Du Deinem Mädchen deshalb nicht weniger gefallen; die Natur liebt eben nicht die Glacehandschuhe. Dort lockt ein sonniges Plätzchen, da ist alles schon aper (schneefrei); das zarte Heidekraut blüht, weiter drüben in herrlichen Gruppen die tricolore Anemone. Auch die Weiden haben ihre Blütenkätzchen bereits entfaltet, sie können mit ihrer Poesie nicht warten, bis das prosaische hausbackene Laub sich entfaltet, denn sie brauchen die Sonne. Wir gehen vorwärts; ober uns lockt es und fingt es, der Bergfink ruft sein Bräutchen, in weiter Ferne tönt erst kaum hörbare Antwort, aber immer näher und näher, jetzt sitzt es auf dem äußersten Ästchen der nächsten Föhre und beobachtet neugierig den buhlenden Locker - ein Heller Pfiff, und jubelnd schwingt er sich zu ihr. Wir breiten den Shawl aus und lassen uns auf den Rasen nieder. Da summt es und kriecht es und krabbelt es um uns von Fliegen, Mücken, Käfern, Spinnen und andern Insekten.

"Ein wechselnd Weben
Ein glühend Leben."

Die geschäftige Ameise besorgt ihren Haushalt; dort strickt die Spinne an ihrem Netz, daneben stackelt eine entfernte Base von ihr mit hohen Beinen über das junge Gras, weiter hin arbeitet sich ein Carabus in glänzendem Stahlpanzer mühsam durch die dürren vorjährigen Grasstoppeln. Welch' Miniaturbild des Lebens! Diesen Geschöpfen ist der kleine Moospolster ein Wald, ihr beengtes Revier eine Welt. Nur der Zitronenfalter dort, der eben ausgeschlüpft, schwebt von Strauch zu Strauch und wiegt sich auf goldenen Flügeln hoch oben im Sonnenlicht.

Horch - hämmert nicht in einiger Entfernung ein Specht? Besehen wir uns den Hammerschmied mit seinem roten Cerevis näher. Wir kommen an einer Lärchengruppe vorbei. Der Stamm ist angebohrt, ein Röhrchen hineingesteckt, daran hangt ein kleines Gläschen. Ein "Lärgetbohrer" hat den Baum angezapft und entzieht ihm sein junges Leben. Nach einigen Tagen ist das Gefäß gefüllt. Das "Lärget" ist gesund für Brustleiden und deshalb gesucht. Leider verblutet sich dabei mancher Baum, wenn ein Fahrlässiger vergißt, nach Hinwegnahme des Gefäßes das Loch wieder zu verstopfen. Bekanntlich gewinnt man auch aus diesem goldgelben Harze den venetianischen Terpentin.

Erneutes Gehämmer in nächster Nähe zieht uns tiefer in den Wald. Wir sind dem Täter auf der Spur. Zwanzig Schritte von uns steht vor einer mächtigen Fichte ein Mann in Bauerntracht; Lodenjoppe und grüner Hut sind abgeworfen. In der rechten Hand hält er ein hammerartiges Instrument, in der linken ein tütenförmiges Gefäß aus rauher Fichtenrinde. Unweit von ihm neben Rock und Hut liegt ein Schnerfsack. Der Mensch ist ein "Pecher" oder "Pechklauber", also einer, der das Harz aus den Tannen und Fichten heraushackt und sammelt. Die Prozedur ist ganz einfach. Er klopft zuerst mit dem spitzigen Teile des Hammers die härtere Oberfläche des Peches weg und kratzt hierauf das flüssige mit der mehr schaufelförmigen Rückseite des Instrumentes, der sog. Pechkratze, zusammen. Das so gewonnene Material kommt in die rindene Tüte - Roge genannt -; ist sie gefüllt, so wird der Inhalt in den Schnerfsack geleert. Die Pecher sind in der Regel selbstzufriedene genügsame Leute, die diese Gerechtsame entweder von der Gemeinde für einen Pachtschilling erhalten, oder, was häufiger vorkommt, das gesammelte Material um einen Spottpreis - das Pfund zu 5 Rkr. - den eigentlichen "Pechsiedern" abliefern. Von diesen wird es in den sog. Pecherhütten verarbeitet. Es sind dies kleine gemauerte Lokalitäten, in denen sich der Herd mit den Sudpfannen befindet. Dort wird das Pech ausgesotten, von gröbern Holzsubstanzen gereinigt und durch Säcke gestehen und ausgedrückt. Dieser erste Absud wird in Rindenkistchen gegossen und an der Sonne getrocknet. Es kommt als Terpentin und destilliert als Terpentinöl in Handel. Der zurückgebliebene gröbere Teil, die "Graupen", werden nochmal gesotten und ausgepreßt und teils als "Pechöl" zum Faßpichen, als Vieharznei, zu Wagenschmiere u. dergl. verwendet, teils als beliebtes Beleuchtungsmaterial den Schmiedstätten abgeliefert.

Das Pechen muß, wenn es den Waldungen nicht schaden soll, sehr rationell betrieben werden. Die beste Zeit ist der Frühling, wo der "Stamm treibt", und man so dem natürlichen Saftausfluß des Baumes zu Hilfe kommt. An freien, sonnigen Plätzen ist der Safttrieb am ergiebigsten. Doch muß auf möglichste Schonung der Rinde, sowie auf die richtige Auswahl der Stämme wohl gesehen werden. Darum geben auch die Waldeigentümer das Geschäft ungern in Pacht, sondern gewinnen das Pech lieber erst, wenn das Holz gefällt ist. Es werden dann Rinden untergelegt, und so das ausfließende "Blut des Baumes" aufgefangen. Dessenungeachtet werden die Wälder, wo die Kontrolle lässiger betrieben wird, von unbefugten Pechklaubern, sog. wilden Pechern, die wegen der Eile, zu der sie der Gedanke einer Entdeckung des Frevels antreibt und so die nötige Rücksicht vergessen läßt, oft in traurigster Weise "geschändet", und die Bäume durch Anwendung schädlicher Mittel, Einhacken, Ausbrennen etc. zu größerer Pechproduktion gezwungen. Großen Schaden richten auch an abhängigen Waldpartien herabkollernde Steine an, die die Rinde der Bäume aufreißen und so unberufene Baderdienste versehen. Früher scheinen die Pecher eine eigene Innung gebildet zu haben, wie aus einem mir vorliegenden Pecherliede hervorgeht, das leider wegen seines haarsträubenden Dialektes nicht mitteilbar ist.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Die Pecher, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 1. Band, Gera 1870, S. 295 - 297.

Für SAGEN.at korrekturgelesen von Mag. Renate Erhart, Dezember 2005.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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