Im Saminatal
von Dr. Ludwig von Hörmann.

An einem Septemrbertag wanderte ich von Feldkirch über Mariagrün nach Amerlügen. Von hier aus erfreut den nach Norden gewendeten Blick das auf dem jenseitigen Höhenzuge gelagerte Göfis, das luftige Übersaxen, darüber der Kulm und in der Ferne der Felsen des Hohen Preschen, von den landschaftlichen Kleinodien des Illtales gar nicht zu reden. Von rückwärts winkte weiter oben das Gasthaus „Schönblick" verlockend herab, von dem die Aussicht noch umfassender ist und von wo man den Feldkirchern fast in die Suppentöpfe schauen kann. Doch gefiel es mir herunten beim Beckwirt im freundlichen Anger zuvor so gut, daß ich hier Platz nahm, um so lieber, als ein schönes Mädchen, Rosa mit Namen, mich sittiglich um mein Begehren fragte. Da ich ihr auch meinen Plan offenbarte, ins Saminatal zu gehen, meinte sie, hierüber könne der Wirt, wohl ihr Vater, bessere Aufschlüsse geben.

Der Ruf, den diese vom wilden Saminabach durchbrauste Talschlucht genießt, ist nicht sehr vertrauenerweckend. Der alte Staffler meint im zweiten Bande, Seite 109, seiner Topographie von Tirol und Vorarlberg: „Durch dieses Tal führen zwei beschwerliche, meist nur von Schleichhändlern betretene Fußsteige in das Liechtensteinische; der eine bei der Roten Wand und der andere neben dem Dreischwesternberge vorbei." Und der so verläßliche Trautwein-Heß sagt: „Der Talweg über Amerlügen ist nicht zu empfehlen und ohne Führer kaum zu finden." Nun, meinte der Wirt allerdings, gar so arg sei die Sache nicht, nur wäre es schwer, jemanden zu bekommen, der mich begleite. Wenn ich aber etwas warten könne, wolle er mir den Sohn mitgeben, nur möchte dieser zuvor mittagessen. Das kam mir gelegen. Ich nahm also auch etwas zu mir, und um 12 Uhr brachen wir auf.

Wir gingen den obern Weg, stiegen also hinauf zur Fahrstraße. Unweit des letzten Hauses zweigt rechts der Weg zum Älpele ab, darüber zeigte sich das Felsgebilde der Dreischwestern. Unser weiterer Gang führte auf gutem Fahrweg, den die Stadt Feldkirch angelegt hatte, fast eben und größtenteils durch Waldschatten zur Alpe Gaudenz, wo Galtvieb. gehalten wird. Rechts oben erblickt man am Waldsaum ein Jägerhäuschen, das, wie mir mein Begleiter sagte, der Familie Ganahl gehört. Vor der Alpe stiegen wir die ziemlich steile Halde zum Bach hinab, über den eine kleine Brücke führt. Der weitere Pfad war damals wirklich nicht leicht zu finden. Später wurde er markiert und verbessert. Er führt knapp dem Wasser entlang, das ihn bei Hochgewittern oft genug überschütten mag. Wir befanden uns nun bald in einer hochromantischen Engschlucht, aber man muß bei ihrem Bewundern sehr achtsam sein. Es sind herrliche Steinwände, an denen sich zwischen den Rissen und Staffeln tiefgrüner Fichtenbestand eingenistet hat, eine Klamm, die sich weit hinzieht.

Linker Hand senkt sich vom hinteren Goppen ein Talrunst herab, das Goppetobel. Von ihm bezieht die Stadt Feldkirch seit Jänner 1906 durch die Hochquellenleitung das gesunde herrliche Trinkwasser. Es gilt als das weichste auf der ganzen Strecke Bregenz - Innsbruck.

Bei dem zweiten Brücklein, dem sogenannten Hohen Brückele, gelangten wir wieder auf das linke Ufer. Hier sei die Grenze zwischen dem österreichischen und liechtensteinischen 'Gebiet, sagte mein Begleiter, aber von dem „Fall der Samina", der diese Grenze markiert, sah ich nichts oder ich erinnere mich nicht mehr daran. Wohl aber hörte der Pfad plötzlich auf. Wollten wir weiter, so mußten wir einen ziemlich steilen Querriegel übersteigen. Die Mühe war jedoch nicht sehr groß und siehe, gleich jenseits fand sich ein ganz leidlicher Weg, nur war er nicht immer leicht zu finden. Die enge Schlucht zieht sich noch lange hin und weist besonders an ihrer östlichen Flanke imponierende Felspartien auf. Auch Gemsen kamen uns zu Gesicht. Einmal machte mich mein Führer auf einen prachtvollen Hirsch aufmerksam, der hoch oben am Rand der Jenseitigen Felswand stand und vorwitzig auf uns herunteräugte. Als wir Steine zusammenschlugen, war er blitzschnell verschwunden. Diese Gegend ist überhaupt sehr wildreich und ein gesuchtes Jagdgebiet. Einmal fiel, als wir so weiter stiegen, ein Schuß, der ein vielfaches Echo weckte, sonst ist es nur ein einsames Wandern durch dieses Engtal, das nur vom Rauschen des Baches belebt wird.

Man übersetzt ihn noch ein paarmal, dann endlich, nach stundenlangem Marsche, weitet sich die Talschlucht und man gelangt zu einem großen, von Bergen umstellten Alpenmahd, auf drei Seiten von unzähligen Hütten und kleinen Holzhäuschen eingefaßt, die in geraden Zeilen knapp aneinandergereiht sind. Auch eine kleine Kapelle steht dabei. Es ist die bekannte Alpe Steg. Auf der riesigen Matte weidete klingelnd viel Vieh, ein reizendes Bild. Von Osten öffnet sich das Malbuntal, in das ein gutes Sträßchen führt. Von seinem Hintergrunde schaut der Sattel des Sareiserjoches heraus, darüber der Rücken des Panülerschrofens. Geradeaus gegen Süden zieht sich das Saminatal noch fort, bis ihm Naafkopf und Schwarzhorn mit dem Jochübergang Fürkele die Grenze setzen. Auch zu der in diesem Talschluß liegenden Alpe Valinna führt ein hübsches Sträßchen. Man sieht, welche Sorge die liechtensteinische Regierung den Alpen ihres Gebietes zuteil werden läßt. Allerdings dienen diese Wege auch Jagdzwecken.

Die Hauptstraße jedoch, die das alpenreiche Saminatal mit dem Rheintal verbindet, führt von der Alpe Steg im Zickzack zur Alpe Sücca und von dort über und durch den Kulm und jenseits über den Triesnerberg nach Vaduz. Auf der Süccaalpe stand damals schon die Wirtschaft, die besonders den Jägern willkommene Unterkunft bot und zu einer beliebten Sommerfrische geworden ist. Wie freudig steuerten wir zwei ermüdete Wanderer dieser herabgrüßenden Herberge zu, die uns Labung für die durstigen Kehlen verhieß. Aber o bittere Täuschung! Drei Söhne Nimrods hatten tags vorher hier Quartier genommen und den edlen Gerstensaft bis auf den letzten Tropfen weggetrunken, zur Freude der Frau Wirtin, denn da in acht Tagen das Vieh abgetrieben werden sollte, hätte sie sonst den „schäbigen Rest" ins Tal hinaus schaffen müssen. So löschte ich denn meinen Durst mit gewässertem Wein und den Hunger mit einem guten Schmarrn. Nach dem Essen ließ mich die gefällige Frau Wirtin in dem Privatjägerzimmer, einem trauten, mit Jagdgewehren und Jagdbildern ausgestattetem Stübchen, eine halbe Stunde ausruhen, dann machte ich mich mit meinem Begleiter zum Marsch über den Kulm.

Der Weg auf breiter, mäßig ansteigender Straße über diesen Sattel, der das Saminatal vom Haupttal trennt, gehört zu den schönsten Partien, die man machen kann, und bietet Überraschungen seltenster Art. Der oberste Teil des Kulm ist nämlich von einem Tunnel durchbrochen. Wendet man nun vor dem Eingang den Blick rückwärts, so hat man das großartige Alpenbild vor sich, das sich über der unten liegenden Stegalpe und der düsteren Schlucht des Saminatales ausspannt. Besonders der Blick durch das offene Malbuner Quertal mit dem Hintergrunde der mächtigen Schesaplana und des Panülerschrofens ist einzig schön. Hat man aber den Tunnel durchschritten, so lacht einem vom Ausgang die breite grüne Fläche des Rheintales entgegen, mit dem stolz dahinfließenden Rheinstrom und den unzähligen Dörfern, Flecken und Burgen an beiden Ufern, begrenzt vom Rahmen der schön geschlungenen Schweizer Gebirgskette. Eine besondere Augenweide gewährt der vor uns abfallende Triesnerberg mit seinen verteilten, weißblinkenden reinlichen Häusern und den saftiggrünen Wiesengründen und Saatfeldern, durch die sich die stattliche Straße in vielen Kehren herabwindet. Es dämmerte bereits stark, so daß wir im Eilschritt die schier endlosen Kehren gegen Vaduz hinabtrabten und von dort in beflügeltem Tempo der Bahnstation Schaan zueilten, von wo uns der Zug in einer halben Stunde nach Feldkirch schleppte. Dort verabschiedete ich mich von meinem Begleiter, gab ihm noch einen Gruß an die schöne Rosa mit und verfügte mich dann in mein liebes Standquartier zum „Schäfle", wo ich noch einer, so viel ich mich erinnere, sehr langen „Sitzung" beiwohnen mußte.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Im Saminatal, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 5. Band, Gera 1872, S. 41 - 47.


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