Steinölträger und Steinölbrenner.
von Dr.
Ludwig von Hörmann.
Bitte die geehrten Herrschaften schönstens um Vergebung, daß ich es wage einen so schwarzen schmierigen Gesellen vorzustellen; aber er kommt eben aus einer rußigen Brennhütte, wo er sich seine leere Ölbutte mit neuem Vorrat angefüllt hat. Der braune Loden, der seine verwitterte Gestalt umgibt, trägt deutliche Spuren davon; ebenso seine Lederhose und sein zerknitterter Filzhut, die beide weiland dem "Spiegelschwaben" gestohlen sein könnten. Zugleich entströmt der ganzen "glänzenden" Erscheinung ein Parfüm, wohl geeignet, eine zart organisierte Nase in Verzweiflung zu bringen. Doch das geht einmal nicht anders bei seinem Metier und soll uns auch nicht abschrecken, diesen Commis voyageur der Tiroler Steinölbrenner und seine stinkende Ware näher in Augenschein zu nehmen.
Das Steinöl wird aus dem bituminösen Stinkstein, der auf den zwischen Zirl und Scharnitz gelagerten Kalkschichten in großen Massen zu Tage tritt, östlich von Seefeld, am Reiterjoche, am Harmeleskopf, am Schlagbrand und unter dem Luchsfellkopfe gewonnen und kommt als sog. Dirstenöl in den Handel. Dirsten- oder Dirschenöl heißt es von dem der Sage nach einst in dieser Gegend hausenden Riesen Thyrsus, der mit dem Riesen Haimo das bekannte Rencontre hatte. Der Bach, wo sie kämpften, heißt noch Tyrschenbach, und an einem Hause links von der nach Seefeld führenden Straße kann man noch den Kampf der beiden ungefügen Recken abconterfeit sehen. Daneben steht der halb leserliche Spruch:
"Spritz Bluet
Ist für Vieh und Leut guet,"
So weit der zum Tod getroffene Thyrsus lief, so weit bricht unausgesetzt das Blut des Riesen aus dem Gestein. "Es läßt keines weg und keines bleiben," sagt der Volksmund.
Von wem und zu welcher Zeit der erste Versuch des Steinölbrennens gemacht wurde, davon gibt uns eine Urkunde im Statthalterei-Archiv zu Innsbruck vom 16. Juli 1576 *) Aufschluß, worin Erzherzog Ferdinand einem gewissen Abraham Schnitzer, der vermittelst "göttlicher Gnade durch seinen Fleiß eine gewisse Kunst erfunden habe aus besondern Steinen, Tyrstenblut genannt, gutes echtes Öl zu machen" auf die folgenden zwanzig Jahre das Privilegium erteilt, in allen Gegenden der Grafschaft Tirol "obbedachte Steine zusammen zu bringen und damit sein Kunstwerk zu üben." Zugleich mußte sich Schnitzer verpflichten, das erzeugte Öl voraus der Regierung und den tirolischen Gewerken um einen "leidlichen" Preis anzubieten und nur den Rest im In- und Auslande gegen Verzollung zu verkaufen. Eingriffe gegen dieses Privilegium sollten mit zehn Mark Gold bestraft weiden, welches Strafgeld halb der Regierung und halb dem Schnitzel zu gute käme. Soweit die Urkunde.
*) Veröffentlicht von P. Justinian Ladurner im Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Tirols, Jahrg. II.
Nach Ablauf des Privilegiums scheinen sich bald Mehrere diesem rentablen Geschäftsbetriebe hingegeben zu haben; wenigstens treffen wir im letzten Jahrhundert die Bauern von Seefeld und Reit mit emsiger Ausbeutung ihres bituminösen Grundes, besonders am Tyrschenbache, begriffen.
Die Weise, wie sie diesen "Raubbau" betrieben und das Öl gewannen, war und ist in der Hauptsache auch jetzt noch eine höchst primitive. Nachdem am Berggehänge ein ebener Platz von 12 - 15' Länge und 6 - 7' Breite ausgeglichen worden ist, wird darauf eine Art länglich viereckigen Gewölbes aus Steinen aufgeführt und zwar so, daß die zwei, längern und eine schmale Seite an das Berggehänge anschließen und nur die vierte schmale Seite als Öffnung von vorn sichtbar bleibt. Oben wird das Gewölbe mit einer länglich vierseitigen, trockenen, nach rückwärts offenen Steinmauer eingefaßt und mit mehreren Löchern versehen, die nach unten sich verengen, und in welche irdene glasierte Trichter eingesetzt werden. Unter dem Gewölbe sind hölzerne, den Brunnenröhren ähnliche Rinnen angebracht, nach der Länge desselben hinschwebend und etwas abschüssig, um den Abfluß des Steinöls zu erleichtern. Oben haben dieselben mehrere Öffnungen, die mit den früher erwähnten Trichtern korrespondieren. Zum Destillationsapparate gehören ferner 6 - 8 ausgebrannte oder auch neue Obernzeller (sog. Passauer) Schmelztiegel, deren jeder 156 - 200 Pfund hält. Soviel über den Ofen. **) Kommt es nun zum Prozeß, so werden vorerst diese Schmelztiegel mit den Stinksteinen, die in Stücke von der Größe einer Nuß zerschlagen sind, gefüllt und mit einer eisernen von sechs fingergroßen Löchern durchbohrten, etwas vertieften Platte zugedeckt, und die Fugen mit Ton wohl verstrichen. Hierauf fassen sie die Schmelztiegel, kehren sie um und setzen sie der Reihe nach mit aller Sorgfalt über die obengenannten im Gewölbe steckenden Trichter, so daß die sechs Löcher der Platte genau auf die weite Öffnung derselben passen. Sind nun alle sechs oder acht auf diese Art gefüllten und präparierten Schmelztiegel im Ofen in Ordnung gebracht, so wird die noch offenstehende hintere Mauerseite mit Prügeln von ganzem Holze versperrt und so die ganze Vierung des Ofens geschlossen. Hierauf legt man zwischen und um die Tiegel teils gespaltenes, teils ungespaltenes Holz, gewöhnlich nur Zundernholz (von der Legföhre, auch Latschen genannt) durcheinander.
**) Das Modell eines solchen bäuerlichen Brennofens befindet sich im Ferdinandeum von Innsbruck
Damit sind die Vorbereitungen beendet, und das Ölbrennen beginnt. Das Holz wird angezündet und, wenn es allseitig in Brand ist, mit den unbrauchbaren Platten oder mit Ziegelsteinen beschwert, um die Flamme dadurch zusammen zu halten und nach abwärts zu drängen. Anfangs entwickelt sich bloß ein weißlicher, nicht stark riechender wässeriger Dampf, der sich nach und nach von selbst bei der Erkaltung in Wasser verwandelt und durch die Rinne in die untergestellten Schäffel abfließt. Nach einer oder zwei Stunden, je nach Umständen, kommt dann das sog. "lene" d. h. leichtflüssige Steinöl, natürlich in ganz ungereinigtem Zustande, zum Vorschein, das auf dieselbe Weise in den Gefäßen aufgefangen wird. Man nennt dieses Verfahren "Saigern". Eine solche Saigerung dauert 6 - 7 Stunden. Hierauf werden die bereits angebrannten Schlußbaume und durch Brennen erzeugten Kohlen mit Wasser abgeschüttet und herausgerissen, die Tiegel sogleich geleert und neuerdings gefüllt, so daß nach ein paar Stunden der Prozeß von neuem beginnt und bis zum Sonnabend beinahe ununterbrochen fortgesetzt wird.
Diese bäuerliche Ölgewinnung in dem Gebiete von Seefeld erhielt eine unerwartete Wendung, als im Jahre 1845 auf Anregung eines unternehmenden Kaufmanns von Innsbruck, Jakob Straßer, eine Gesellschaft sich bildete, welche die Steinölgewinnung in rationellerer Weise angriff und die Verarbeitung des dortigen Gesteines auch auf die Erzeugung von Teer und Asphalt ausdehnte. Sie richtete sich ein Etablissement ein unter der Firma: "I. tirolische Asphaltgewerkschaft am Gießenbach bei Seefeld" und brachte bald den Handel mit letzterem Produkt in ziemlichen Aufschwung. Da Fachmänner diesem Unternehmen eine Zukunft prophezeiten, so ließ sich um dieselbe Zeit Erzherzog Maximilian von Österreich-Este von einsichtsvollen Montanbeamten bewegen, auch seinerseits diesen tirolischen Industriezweig auszubeuten, um so mehr, als er den erzeugten Asphalt in großer Menge bei den Bauten in Wien und bei den Maximilianischen Türmen von Linz in Verwendung zu bringen hoffte. Er kaufte daher den größten Teil der Grubenflächen, die sich im Besitze von Bauern befanden, um teures Geld zusammen und errichtete in Reit bei Seefeld mit großem Aufwande eine ähnliche Asphaltfabrik, die sog. Maximilianshütte. Bei den bedeutenden Geldmitteln, die dem Erzherzog zu Gebote standen, war es ihm ein Leichtes der "Gewerkschaft am Gießenbache" derartige Konkurrenz zu machen, daß sie ihre Arbeiten einstellen, und die Gesellschaft sich auflösen mußte. Zwar machte einer der Aktionäre den Versuch, das Asphaltgeschäft auf eigenes Risiko weiter zu führen, indem er sämtliche Kuxe (Anteile) an sich brachte. Und wirklich schien ein neuer Stern dem Unternehmen aufgehen zu wollen, als es dem Besitzer im Jahre 1858 gelang, aus den Asphaltsteinen "Petroleum" zu gewinnen, und sicher hätte auch damit das Geschäft eine glänzende Zukunft erlebt - es wurden im Zeitraum eines halben Jahres bei 250 Zentner dieses kostbaren Beleuchtungsmaterials erzeugt - wenn nicht ein neues unerwartetes Ereignis dem aufblühenden Unternehmen das Genick gebrochen hätte. Kaum war nämlich die teuere Einrichtung zum Großbetriebe der Petroleumerzeugung getroffen, so wurde ganz Europa von den neuentdeckten Naphtaquellen in Amerika überflutet, ein Ereignis, das von vorn herein jede Konkurrenz zu Schanden machen mußte. Der letzte Schlag, und moralisch wohl der härteste, traf das vom Schicksal verfolgte Unternehmen, als im Jahre 1859 bei Versteigerung der großartigen Asphaltarbeiten der Festung Kufstein im Voraus zum Erstaunen aller Fachkundigen - französischer Asphalt ausbedungen wurde! Wohl gelang es in Folge energischen Hinweises auf die Güte des tirolischen Erzeugnisses, das dem französischen in nichts nachstehe, ja dasselbe bewährter Weise an Haltbarkeit sogar übertreffe, sowie auf den bedeutend geringeren Preis desselben, endlich auf die Unterstützung und Hebung der vaterländischen Industrie, sich die Teilnahme bei der Konkurrenz zu erwirken - aber was half es? Trotzdem, daß das tirolische Offert das einzige war, welches bis zum vorgeschriebenen Termin eingelaufen war, wurde ein in Wien von dem Bevollmächtigten einer französischen Gesellschaft gemachtes Nachoffert genehmigt!! Und das geschah im Jahre 1859, als die tirolischen Kaiserjäger mit den Franzosen bei Magenta und Solferino rauften, abgesehen davon, daß die französische Gesellschaft ihr Offert weit über 10,000 Fl. höher stellte, als die inländische Unternehmung!! Kurze Zeit darauf arbeiteten französische Ingenieure auf den österreichischen Festungswerken von Kufstein!!
Daß unter solchen Verhältnissen derlei Unternehmungen zu Grunde gehen müssen, beweist der Umstand, daß auch die erzherzogliche Maximilianshütte in Reit ihre Arbeiten schon im Jahre 1860 einstellte und einige Jahre später auch die Gewerkschaft am Gießenbache, nachdem die derzeitige Unternehmung ihr ganzes Hab und Gut dabei eingebüßt hatte.
So ist es gekommen, daß wir von Mitte der sechziger Jahre an wieder nur Bauern von Seefeld und Reit in ihren Gruben beschäftigt finden, welche die Asphaltproduktion nicht fortsetzten, sondern wie ehemals Steinöl brannten und zwar fast in der gleichen primitiven Weise wie früher. Nur die Verbesserung hatten sie den "Herren" abgeguckt, daß sie die ursprünglichen unhaltbaren Obernzeller Schmelztiegel mit gußeisernen zylinderförmigen Gefäßen vertauschten, die oben offen und mit einem Deckel verschließbar sind. Diese brauchen in Folge dessen zum Behuf des Brennens nicht umgestürzt zu werden, sondern man hängt sie aufrecht in eiserne Körbe hinein, die über dem Gewölbe an den Mauerseiten befestigt sind. Unten tragen sie ein angelötetes Gitter, damit kein kleines Gestein durchfällt, und einen Seiher, um die Verunreinigung des herabfließenden Öles mit Asche zu verhindern. Diese gußeisernen Schmelztiegel dürfen nur braunrot, nicht kirschrot werden, weil sich sonst wegen der größeren Gasentwickelung die Quantität des Öles beträchtlich vermindert. Sie fassen beiläufig 100 Pfd., und man erhält von einer derartigen "Saigerung" ungefähr 55 - 60 Pfd. Öl, äußerst wenig im Vergleich zu der Unmasse von Holz, die dazu verbraucht wird. Man benötigt nämlich dazu eine Klafter Holz zu 108 Kubikfuß = ½ Kubikklafter sog. kleines Holz. Beim technischen fabrikmäßigen Verfahren hingegen, wobei man sich richtig angelegter Galeerenöfen mit sechs gußeisernen Zylindern und eines Kondensationsapparates bedient, gewinnt man mit demselben Quantum Brennmaterial 4 - 500 Pfd. flüssiges Steinöl. Der Bauer aber berechnet das nicht, weil er das Holz einfach vom Walde holen darf, wo es im Überflusse wächst; er macht sich auch häufig kein Gewissen daraus, seinen Bedarf aus fremden Forsten zu stehlen.
Um eine Grube ausbeuten, oder wie es in der Bergmannssprache heißt, "öffnen" zu dürfen, muß der Bauer die Erlaubnis des Bergamtes haben und eine Steuer von jährlich zwei Gulden, die sog. Massengebühr, in halbjährigen Raten entrichten; auch muß er dem Ärar davon Anzeige machen. Dann erst findet sich der Ausbeuter einer Grube mit dem Eigentümer des Grundes ab. Natürlich muß er immer Acht haben, daß derselbe nicht benachteiligt ist. So darf er z. B. die Schutthalden nicht auf den Grund werfen etc. Das im Schacht gebrochene Gestein wird dann zur Brennhütte im Tale, gewöhnlich im Winter auf Schlitten hinabgezogen. Bei der Unkenntnis der Bauern geht wegen nicht richtiger Steingattierung viel Bitumenstoff verloren. Drei Arbeiter sind gewöhnlich im Schachte selbst oder mit Herabschaffen der Steine beschäftigt; zwei andere befinden sich in der Brennhütte und versehen das Geschäft des Destillierens. Die ausgebrannten Steine geben mit entsprechender Beimischung ein ausgezeichnetes Zement; die Asche gebraucht man als Düngungsmittel. Gegenwärtig betreiben noch vier Bauern die Ölbrennerei, unter welchen die "Firma" Sailer die bedeutendste ist. Im Mai wird begonnen und im September die Arbeit wieder eingestellt, denn je wärmer die Temperatur, desto schneller geht der Prozeß vor sich.
Das Quantum des erzeugten Steinöls beträgt ungefähr 60 - 80 Zentner jährlich, je nach der Nachfrage, da es lediglich als Vieharznei verwendet wird. Der Zentner kostet am Orte selbst 10 - 12 Fl. Der bei weitem größte Teil wird indes über Wien nach Deutschland, Galizien, Mähren und Ungarn ausgeführt. Das Übrige wird entweder im Lande herum versendet, wo es bei jedem Materialisten zu haben ist, oder es wird an die Eingangs erwähnten Ölträger verkauft, welche damit in alle Täler Hausieren gehen. Diese haben das Steinöl in kleinen Blechbüchsen zu 20 - 40 Kr., die sie in einem hölzernen Kasten auf dem Rücken tragen. Häufig bedienen sie sich als Behälters eines Roßmagens, weil die zähe Haut das Öl gut aushält. Genügsam wie sie sind, geht ihr Handel nicht schlecht von Statten; sie schlafen auf dem Heu und lassen sich von den Bauern verköstigen. Nachtlager und Speise, sowie das Gläschen Schnaps, mit dem sie sich im Wirtshause gütlich tun, bezahlen sie mit einer Kleinigkeit von ihrer Ware, die jeder als renommiertes Vieharzneimittel gern annimmt. Gewöhnlich handeln sie nebenbei mit Wagenschmiere, die beim Bauern stets ein gesuchter Artikel ist.
Einer der bewährtesten Ölträger war seiner Zeit der Mittenwalder Hiesele, ein Pfiffikone erster Größe, der mit seiner Butte ganz Bayern und Sachsen durchzog und mit seinen 20 - 30 Pfd. Steinöl 14 Tage lang herum hausierte. Er verstand aber auch sein Geschäft und gab den Bauern seine "höllische Latwerge" tropfenweis ein. Was Wunder, daß er aus jedem Pfund, das er um zwei Groschen kaufte, bei vier Gulden herausschlug. Auch nach Ungarn kam er, wo man das Öl zum Einschmieren des Riemenzeuges verwendet, um die Fliegen und Bremsen von den geplagten Tieren abzuhalten.
Der tirolische Bauer aber schmiert damit gern sein Schuhwerk ein, wird
aber auch in Folge dessen auf eine halbe Meile gerochen!
Quelle: Steinölträger und Steinölbrenner,
Ludwig von Hörmann, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung
von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus
dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen
Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 4. Band, Gera 1872, S. 321 - 326.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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