Im innern Walgau.

Von Feldkirch bis Bludenz haben wir nur die kurzen Stationen Frastanz, Nenzing und Nüziders, die wir in einer halben Stunde durchfliegen. Das rechte und linke Waggonfenster bietet landschaftliche Reize. Überall freundliche, von Obstangern umschlungene Dörfer, darüber die Reste gebrochener Burgen, umsponnen von üppigem Grün der Rebengärten. Diese Ruinen Schwarzenhorn, Ramschwag, Jagdberg, Blumeneck und wie sie alle heißen, was könnten sie von damals erzählen, als noch die wälsche Sprache in den Niederungen des "Walchengaues" erklang, keine Spindel und Webspule surrte und kein Kessel der Rotfärbereien dampfte. Das Romanische wurde nach Guler von Wyneck noch im 16. Jahrhundert hier gesprochen, bis es endlich dem Einfluß der deutschen Einwanderer unterlag. Hätten wir auch dieses Zeugnis nicht, so würden eine Menge romanisch klingender Orts- und Flurnamen, wie Frastanz, Bludenz, Parsenn, Copetsch Quadra etc. dafür sprechen.

Die Geschichte des Walgaus oder "Hinterlandes" ist, wie die Geschichte Vorarlbergs überhaupt, eine Kette von blutigen Kämpfen einerseits zwischen den verwandten Häusern der Grafen von Montfort und Werdenberg, andererseits mit den rauflustigen Schweizern, welche wiederholt diese blühenden Gefilde verwüsteten, die stolzen Burgen brachen und Schwert und Fackel sogar über den Arlberg in tirolisches Gebiet trugen. Der blutigste Kampf, den der Walgau erlebte, war die Schlacht bei Frastanz am 20. April 1499. Die Blüte des schwäbisch-kaiserlichen Heeres fiel damals unter den Streichen der Eidgenossen, daneben fünfhundert wackere Walgauer und sechsundvierzig freie Walser. Jetzt ist längst darüber Gras gewachsen, nur eine Kapelle, an der wir vorbeifahren, wahrt noch das Andenken an dieses Gemetzel und der "Aetti" erzählt seinen horchenden Enkeln von der blutroten Ill und von dem schlechten Uli Mariß, der den Verräter gemacht hatte.

Mit dem Aufblühen der Industrie, welche am Ende des letzten Jahrhunderts von der Schweiz aus nach Vorarlberg übersprang und auch im Walgau kräftige Wurzeln schlug, änderten sich fast alle Verhältnisse. Aus dem Ackerbau und Viehzucht treibenden Bauernstand der Talsohle wurde eine Fabrikbevölkerung, ja selbst in den stillen Weilern des Mittelgebirges nisteten sich Webstuhl und Stickrahmen ein. Diese Industrielust brachte viel Geld ins Tal, vertrieb aber die alte Tracht und einfache Sitte der Einwohner. Wer jetzt den Walgau zu Fuß durchwandert, wird diesen Landstrich nur von "Stadtvolk" bewohnt glauben; die Bauerntracht ist fast vollständig verschwunden.

Das Tal ist, wie schon eingangs erwähnt, wunderschön und hat mit dem Rheinthal [Rheintal], abgesehen von der geringeren Breite und den gedämpfteren Farben, viele Ähnlichkeit. Auch hier trägt die rechtsliegende südliche Seite mehr den schroffen Charakter der Gebirgsnatur mit den tiefen Einrissen enger Quertäler, während die Nordseite lachendes Rebengelände und üppigen Graswuchs zeigt, der vermengt mit Wald bis zu den weichgeformten Kuppen hinanreicht. Unten aber liegen im Anhauch südlicher Lüfte, der die Traube zeitigt und das "Spalierobst" reift, die baumbeschatteten reinlichen Dörfer Satteins, Schlins, Bludesch, Thüringen und Ludesch, teils in die sonnigen Winkel geschmiegt, teils wie Röns, Düns und Schnifis auf die vom Nordwinde geschützten Hänge hingestellt. Stundenlang kann man da in luftiger Höhe abwechselnd in Schatten und Sonnenschein von Dörflein zu Dörflein wandern bis zur fruchtgesegneten Bucht von Blumeneck, die sich unter dem Thüringerberg am Ausgange des großen Walserthales [Walsertales] zu beiden Seiten der wilden Lutz ausbreitet. Über diesem windsicheren Halbrund, an dessen Rändern die freundlichen Dörfer Bludesch, Thüringen und Ludesch liegen, thront auf rebenumrankter Höhe weltverlassen das uralte St. Martinskirchlein und denkt der Zeiten, da es als Mutterpfarre weitum gebot und sein Geläute der Sage nach bis zur fernen Bergeinsamkeit von Gargellen klang. Jetzt ist es halb zerfallen und verödet, gleich der stolzen Feste Blumeneck, deren malerische Ruinen neben dem Gebrause eines Wasserfalles über Thüringen sichtbar sind.

Den Abschluß dieser Idylle bildet der Felsenpfeiler des "hangenden Steins" bei der Haltestelle Straßenhaus; gleich dahinter liegt ganz eingegraben in Obstbaumschatten Nüziders, der Hauptort der einstmaligen Grafschaft Sonnenberg. Hier nimmt mit den letzten Reben der Süden von uns Abschied und ein reizender Spaziergang geleitet uns in das behagliche Bludenz, das wie ein kerngesundes Alpenkind uns anlacht und in seiner Bescheidenheit gar nicht weiß, von welcher Fülle landwirtschaftlicher Schönheit es umgeben ist.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Wanderungen in Vorarlberg, 2. Auflage, Bregenz 1901, S. 142 - 144.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Mag. Veronika Gautsch, Dezember 2005.
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